Estomihi, Amos 5,21-24
Der Herr sagt: »Ich hasse eure Feste und kann eure Feiern nicht ausstehen. Eure Brandopfer und Speiseopfer sind mir zuwider; das gemästete Vieh, das ihr für das Opfermahl schlachtet, kann ich nicht mehr sehen. Hört auf mit dem Geplärr eurer Lieder! Euer Harfengeklimper ist mir lästig! Sorgt lieber dafür, dass jeder zu seinem Recht kommt! Recht und Gerechtigkeit sollen das Land erfüllen wie ein Strom, der nie austrocknet.
Liebe Gemeinde!
Da haben wir es! Die Kritik an gottesdienstlichen Festen und Feiern scheint alt zu sein. Nichts von dem, was einen Gottesdienst im alten Israel ausmacht, findet Gnade und was noch viel schlimmer ist, es ist Gott selbst, der hier so harsche Kritik übt. Da finden wir schnell Gemeindeglieder, die angesichts unserer Gottesdienste lautstark zustimmen würden: Den einen liegt die gottesdienstliche Zeit nicht; anderen sind die Lieder zu altmodisch oder zu modern; wieder andere wollen, dass die Predigt aus dem Bauch kommt und noch andere erwarten eine gebildete Predigt. Da ist der Pfarrer zu fromm oder zu wenig fromm. Der eine begrüßt seine Gemeinde und verabschiedet sie an der Kirchentür, den einen gefällt es, andere mögen es gar nicht. Für manche ist die Kirche liebevoll festlich geschmückt, andere mögen es nüchtern und karg. Kritik also gibt es genug – auch an unseren Gottesdiensten.
Aber woran liegt es dann, dass viele moderne gottesdienstliche Formen immer nur eine gewisse Zeit Bestand haben und dann sang und klanglos wieder abgesetzt werden, während der ganz `normale´ Gottesdienst immer wieder neu Zuspruch findet und Sonntag für Sonntag von unzähligen Menschen besucht wird? Liegt es vielleicht auch daran, dass gerade jene den Gottesdienst kritisieren, die man eher selten in ihnen antrifft, und die dann eben immer etwas finden, was ihnen fremd erscheint? Ja, könnte es nicht sein, dass an diesen Gottesdienstbesuchern vorbeigeht, wie vielfältig unsere Gottesdienste faktisch sind: Abwechselungsreich in den Predigtformen, der Musik, dem Gesang, der Liturgie und wie viel an persönlicher Ermutigung und Bestärkung, nachdenklicher Anregung oder aber auch an kritischen Überlegungen zu vielfältigsten gesellschaftlichen Fragen angesprochen werden.
Kritik wäre berechtigt, wenn Gottesdienste geist- und bedenkenlos aus dem Ärmel geschüttelt und biblische Texte nicht genügend im Blick auf eine ganz konkrete Gemeinde und deren Situation bedacht würden. Sie wäre berechtigt, wenn man einem Pfarrer abspürte, wie wenig Freude er selbst am Gottesdienst hat und ihm die Leidenschaft fehlte, sich mit dem Wort Gottes einerseits und seiner Gemeinde andererseits auseinander zusetzen. Sie wäre sicher angebracht, wenn sich ein Pfarrer nicht zu aller erst von dem angesprochen fühlte, was er anderen dann von der Kanzel sagt. Kritik wäre berechtigt, wenn unsere KirchenmusikerInnen sich keine Gedanken über die Lieder, das Präludium oder Postludium machen würden und ohne zu üben an die Orgel gingen. Kritik wäre sicher auch angebracht, wenn KüsterInnen die Kirche für einen Gottesdienst nicht festlich schmückten. Aber findet man das noch, einen solch lieblosen Umgang mit dem Gottesdienst? Ist es heute nicht umgekehrt viel eher der Fall, dass wir auf ein ganz hohes Engagement stoßen – gerade weil es um den Gottesdienst geht?
In einem „Liturgischen Wegweiser“ unserer Landeskirche zum Gottesdienst heißt es: „Der Gottesdienst ist von Anfang an die zentrale Veranstaltung der Christen. Kirche ist vor allem `zum Gottesdienst versammelte Gemeinde´: Sie hielten fest an der Lehre der Apostel, an der Gemeinschaft, am Brotbrechen und am Gebet (Apg 2,42). Deshalb ist auch heute für evangelische Christen die Teilnahme am Gottesdienst ein wichtiges Zeichen ihrer Zugehörigkeit zur Kirche. Dabei muss deutlich sein, dass durch Gottes Wort und das Mahl der Gemeinde Christen zugerüstet und gestärkt werden zu dem `vernünftigen Gottesdienst´, der das ganze Leben einschließt (Rö. 12,1)...“ [1]
Ich denke, dass wir damit auch den Kern der Kritik des Amos an den Gottesdiensten seiner Zeit treffen, die sich ganz und gar von unseren heute unterscheiden. Amos kommt aus dem Dorf Tekoa, das in der Nähe Jerusalems liegt. Er ist Rinder- und Maulbeerbaumzüchter. Dieser Mann wird von Gott berufen, dem Nordreich Israels das Gericht Gottes anzukündigen. Er tut es in harschen Worten. Wie Hammerschläge donnert er seinen Hörern sein: „So spricht der Herr, ... So spricht der Herr!“ entgegen und dann folgen Gerichtswort auf Gerichtswort.
Was war nur los in Israel? Nach einer langen Periode kriegerischer Auseinandersetzungen ist Israel wieder zur Ruhe gekommen, auch wirtschaftlich läuft es endlich wieder gut. Davon aber profitieren nur die Einflussreichen und Besitzenden, die Kaufleute und die Beamten am Königshof. „Der Wille Gottes wurde formal befolgt, aber innerlich mehr und mehr ausgehöhlt. Die sozialen Bindungen lockerten sich in der gleichen Weise, wie die Kommunikation zwischen Mensch und Gott gestört war...“ [2]
Mit anderen Worten: Die Menschen feierten ihre Gottesdienste, so, wie es sich gehörte, aber im Alltagsleben war davon nichts mehr zu spüren. So gesehen übt Amos also gar keine Gottesdienstkritik, sondern er kritisiert, dass durch die gestörte Gottesbeziehung auch die Beziehung zum Mitmenschen gestört ist. Er kritisiert hart und unerbittlich, dass die Einheit von Gottesdienst und Nächstendienst nicht mehr vorhanden ist und jeder nur noch sich selbst sieht, dabei aber Gott anspruchslos im Munde führt. Recht und Gerechtigkeit haben einerseits immer etwas mit dem Verhältnis von Gott und Mensch zu tun, dann aber unlöslich eben auch mit dem Verhältnis von Mensch zu Mensch. Der recht verstandene Gottesdienst wird sich im Dienst an der Welt wiederfinden, sonst war er kein Gottes-Dienst.
So legt Amos seinen Finger in die offene Wunde einer Wohlstandsgesellschaft, die Gott zu ihren Zwecken missbrauchte. Wie modern, ja aktuell das doch ist, denn dies ist ja wohl auch unser Problem heute. Schnell nehmen wir „christliche“ Werte für uns in Anspruch, berufen uns auf die Wurzeln des Christlichen Abendlandes, doch Gott und Gottesdienst bleiben möglichst aus dem Leben ausgespart. Und so legen wir uns praktischer Weise einen Glauben zurecht, der uns nicht mehr fordert und stört. Unbemerkt haben wir Christen so das Christentum abgeschafft und sind zu religiösen Ideologen geworden. Damit sind wir aber bei einer Philosophie des „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut!“ (Goethe) angekommen. Wann endlich werden wir verstehen, dass Philosophie und Glaube zwar in ein fruchtbares Gespräch miteinander gehören, aber von ihrer Absicht her gründlich verschieden sind.
Wo es in der Gottes- und der Menschenbeziehung um Recht und Gerechtigkeit geht, da geht es zwingend auch um wirtschaftliche Fragen, um die Frage, wie ich mit dem von mir verdienten, oder aber auch mit dem mir anvertrauten Geld umgehe.
Oft ist es ja das Geld anderer, mit dem ich umzugehen habe oder es sind andere, die von meinem Geld abhängen. Auf dem Hintergrund der Botschaft Jesu, der weit weniger Berührungsängste mit wirtschaftlichen Fragen hatte, denn immer wieder kommen bei ihm ja Finanzfragen, Arbeitsverhältnisse und das Verhältnis von Wohlstand und Armut zur Sprache, sagt Kardinal Karl Lehmann: „Wir brauchen also beides: ein Höchstmaß an wirtschaftlichem Sachverstand, aber auch ein Höchstmaß an Ethos. Nur durch ein neues Zueinander von Ethik und Wirtschaft kommen wir auch zu mehr Frieden, zu mehr Freiheit und zu einer größeren Einheit der Menschheitsfamilie. Vielleicht ist eine Ethik mit rein humaner Begründung damit beinahe oder bereits in der Tat überfordert. Sie bliebe so nicht mehr als Forderung, erfüllbar aber nur durch die religiöse Praxis, die auch so etwas wie Versöhnung und Neuanfang, Erkenntnis von Sünde und Anerkennung von Unvollkommenheit, Rücksicht auf sich selbst und Liebe zum Nächsten kennt.“ [3]
Das ist ein hoher Anspruch an Menschen, die Frömmigkeit nicht nur heucheln, sondern ihren Glauben auch wirklich leben wollen. Sie brauchen den Gottesdienst, um sich von Gott her auf den Alltag ausrichten, ermutigen, bestärken zu lassen. Dies ist ja gerade in einer Welt und Zeit nötig, die zwar Werte beschwört, wo aber Gott aus dem Bewusstsein verdrängt und der Glaube zur Privatsache erklärt wird. So geht es eben nicht, meint Amos, weil unser Glaube durch den Gottesdienst eine ganz entscheidende Orientierung bekommt, die wir im Stimmen- und Meinungswirrwar unserer Zeit brauchen.
Da geht es dann nicht mehr um die Musik im Gottesdienst, die mir gefällt oder nicht. Es geht auch nicht um den Prediger, den ich mag oder dem ich lieber aus dem Weg gehe. Es geht darum, mich dem Anspruch Gottes an mein Leben auszusetzen und meinem Gott die Ehre zu geben, die sich dann im Alltag meines Lebens in Recht und Gerechtigkeit fortsetzt. Darüber hinaus bieten uns unsere Gottesdienste mit ihren Ritualen einen Rahmen und Halt, der uns in ihnen heimisch fühlen lässt. In einem oft als leer empfundenen Leben brauchen wir das Bekannte, Vertraute, - eine Spiritualität, die sich nicht immer wieder neu erfinden muss. Und so macht es Sinn, dass alte und neue Formen sich mischen, in denen Gott unter uns zu Wort kommt und wir unserem Gott die Ehre geben.
Nur eines dürfte ein Pfarrer heute wohl kaum wagen, nämlich die Sprache des Propheten Amos zu sprechen, denn dann würde er wohl bald aus seiner Gemeinde vertrieben, so unerträglich hart und kompromisslos war das, was der Prophet seinem Volk zu sagen hatte. Dennoch bleiben auch wir mit seinen Worten herausgefordert über das unverbrüchliche Verhältnis von Gottesdienst und Dienst am Menschen nachzudenken und es so gut es geht, mit Leben zu erfüllen. Das wäre ein Gottesdienst, der Gott gefallen und den Menschen dienen würde. Amen.
Literatur:
1) Evang. Landeskirche in Baden, Liturgischer Wegweiser, 1. Bedeutung des Gottesdienstes
2) Bräuer, S., Caler Predighilfen, 1999/2000, Reihe IV/1, Stuttgart, 1999, S. 136
3) Lehmann, K., Glauben bezeugen, Gesellschaft gestalten, Freiburg, 1993, S. 433
Barth, K., Gotteserkenntnis und Gottesdienst nach reformatorischer Lehre, Zollikon, 1938
Buess, E., Gottes Reich für diese Erde, Neukirchen-Vluyn, 1981
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