Judika (5. Sonntag der Passionszeit), Kirche und Kunst in Kenzingen, Genesis, 2, 15

 

 

Begrüßung:

 

Liebe Gemeinde! Mitten in der Passionszeit wagen wir uns an eine erste Kunstausstellung unter dem Leitgedanken von Kirche und Kunst in Kenzingen heran. Mit der Sprache von Kultur und Kunst wollen wir uns in unserem Glauben ansprechen und herausfordern lassen, wird doch in jedem Kunstwerk das Schöpfungswerk Gottes durch die Kunstschaffenden fortgesetzt. In der Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) “Räume der Begegnung – Religion und Kultur in evangelischer Perspektive“ heißt es: Kirchen sind Räume der Begegnung, auch der Begegnung zwischen Religion und Kultur. Sie bieten die Möglichkeit, unterschiedlichste Perspektiven miteinander ins Gespräch zu bringen...“ Was könnte Besseres und Schöneres in einem Gottesdienst in Gang gesetzt werden?

 

Gott, der Herr, brachte also den Menschen in den Garten Eden. Er übertrug ihm die Aufgabe, den Garten zu bebauen und zu bewahren (1.Mose 2,15).

 

 

Gebet:

 

Herr, guter Gott! Wir danken dir für dein Wort, das uns, wo wir es zulassen auch anspricht in den Ausdrucksformen von Bildern und Skulpturen, aus Formen und Farben, aus Tönen und Klängen. So, wie wir uns an deiner guten Schöpfung erfreuen dürfen, so dürfen wir uns über die einfallsreichen Werke der Kultur und Kunst erfreuen. Schenke allen Künstlern deinen guten Geist, Phantasie und Ideen, Kreativität und Mut und allen anderen die Freude zur Auseinandersetzung mit ihrem Werk.

 

Ermutige uns, bei dem, was uns in dieser Ausstellung gezeigt wird, zu einer Auseinandersetzung mit der Zeit, mit der uns geschenkten Lebenszeit und der Geschichte in die wir hineingenommen sind. Lass uns durch die ebenso künstlerisch, wie schöpferisch verarbeiteten Zeitungen daran erinnert werden, dass wir mitverantwortlich sind für das Gesicht der Welt und schenke allen Redakteuren das Bewusstsein für ihre ethische Verantwortung.

                                                                                                                                                      

So danken wir dir nun für alle Menschen unter uns, die uns mit ihrem Glauben ein Vorbild sind und die sich in unserer Gemeinde und Kirche mit ihrem Engagement einbringen. Vor dir bringen wir nun auch voller Dankbarkeit alle Menschen in Erinnerung, die uns den Weg zu dir vorangegangen sind – und beten für uns, unsere Gemeinde, für alle katholischen Mitchristen, für unsere kleine Stadt und für die ganze Welt. Amen.

 


Gott, der Herr, brachte also den Menschen in den Garten Eden. Er übertrug ihm die Aufgabe, den Garten zu bebauen und zu bewahren (Genesis, 2, 15).

 

 

 

Liebe Gemeinde!

 

Wir schauen zurück in das Paradies. Es ist uns längst verloren, wir spüren und wir wissen es, aber es liegt da, hinter uns in der Vergangenheit, doch ab und zu erleben wir es noch, hier und heute. Das Paradies als ein Ort des Friedens und des Versöhntseins des Menschen mit Gott und seiner Welt, das ist aber zugleich eine Vision, die der Gegenwart und Zukunft eine Hoffnung schenkt. Was bleibt, auch jenseits des Paradieses ist, dass der Mensch ein Mandat Gottes hat, seine Welt so zu bebauen und zu bewahren, wie es ihm einmal ursprünglich aufgetragen wurde. Hinter dem Auftrag die Welt zu bebauen, steht all das, was wir unter Kultur verstehen, die schöpferische Kraft des Menschen. Dem steht von Anfang an das Bewahren seiner Welt gegenüber.

 

So heißt es in der Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) „Religion und Kultur in evangelischer Perspektive: „Im Bekenntnis zu Gott als dem Schöpfer des Himmels und der Erde nimmt der kulturschöpferische, selbstbestimmte Mensch sich in seiner Bezogenheit auf Gott und damit in seiner eigenen Begrenzung in den Blick. Das wirft ein neues Licht auf ihn selbst und auf die Kultur, die er schafft... Der Mensch als Schöpfer seiner kulturellen Welt erfährt sich als Geschöpf...“ [1]

 

Kirche und Kunst in Kenzingen“, mitten in der Passionszeit wagen wir uns in unserer Gemeinde auf ein Terrain vor, das ungewohnt ist, doch von jeher seinen Platz in der Kirche hatte. Was wäre der Vatikan ohne seine Kunstschätze, was Colmar ohne den Isenheimer Altar? Gerade in der Gegenwart wird Religion oft über die Kultur, die Kunst, z.B. in der Malerei, der Musik aufgenommen. Hier darf der Mensch sehen, was er sonst nicht zu sehen bekommt, er darf hören, was im Lärm der Zeit sonst nicht zu hören ist. Auf diese alternative Weise zu seinem Alltag kann er sich noch einmal ganz neu und anders angesprochen fühlen und sich frei und ungezwungen mit der Kunst in seiner Welt, in einer Welt unterschiedlichster Kulturen auseinandersetzen.

 

Textfeld: Turbulenzen gelbDer Mensch gestaltet seine Welt auf abwechseln-deste Weise als der „Nach-Schöpfer der Dinge“ [2], wie es Hans Jonas einmal formulierte und damit geht Kultur und Kunst uns in der Kirche etwas an. Mit dem Reliefbild, „Turbulenzen gelb“ von Silvia Ehrlinger sind wir an die Passion Jesu erinnert, an eine Welt voller Dunkelheiten und Schatten, die wir nicht loswerden, die unser Leben und das Leben in der Welt leidvoll begleiten.

 

 

Wir interpretieren Kunst, jeder von uns auf seine Weise, denn es gibt keine eindeutige, allein gültige Interpretation eines Kunstwerkes in seiner Symbolsprache. Was wir sehen ist, dass ein gelber Lichtstrahl wie ein Keil in wirbelförmige Turbulenzen hineinfließt. Silivia Ehrlinger erinnert an das Wort Jesu: „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben...“ (Joh. 8,12). Passion, das Leiden, das nicht aufhört und eben doch ein Licht! Künstlerisch umgesetzt und zu einem Hoffnungsbild gewandelt.

 

Der vor einigen Jahren verstorbene Staatsintendant August Everding, er war ja der Kulturschaffende schlechthin und eine prägende Persönlichkeit der deutschen Kultur, definierte Kultur als Kult: Gottesdienst, Liturgie, Anbetung Gottes und als das Urbarmachen der Erde: pflügen und säen. Hier fällt beides dann zusammen: das Lob Gottes und das verantwortliche Tun des Menschen. In einem Interview sagte er: „Ich sage am Schluss meines Lebens Amen, ein ganz gutes, großes Amen, - so sei es.“ [3]

 

Kunst kann in welcher Form auch immer, sei es mit Papier und Farbe oder in Tönen und Klängen, zur Verkündigung werden, ohne dass damit ein Künstler seitens der Kirche zu vereinnahmen ist. In der Auseinandersetzung mit dieser Sprache der Kunst „loten Menschen Sinnhorizonte aus. Aus Sicht jeder Festlegung stellt sich der Horizont anders dar, ohne dass er erreicht werden könnte. Es gibt immer andere Möglichkeiten, andere Töne und Bilder, andere Moden und Geschmäcker...“ „Wir bedienen uns“, wie es in der Denkschrift heißt: „notwendigerweise kultureller Ausdrucksweisen im Gottesdienst wie auf der Straße...“ [4]

 

Wir sehen hier im Altarraum diese Stelen, Zeitskulpturen, wie sie von Frau Ehrlinger genannt werden. Sehen können wir, dass sie aus übereinander geschichtetem Papier gefertigt wurden, genauer, aus Zeitungspapier. Immer wieder wird ja betont, dass die Bibel neben der Zeitung zu liegen habe oder die Zeitung neben der Bibel. So sind wir mit diesen Skulpturen sofort an die Zeit erinnert, die in jeder Zeitung aufgearbeitet wird, die wir in die Hand nehmen und lesen. Zeitgeschichte wird, auch wenn wir sie – so bearbeitet – nicht mehr lesen können, spürbar. Das „zerrupfte, zerknitterte, zerknüllte“ Papier transportiert eine Botschaft, die uns an unsere eigene Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft erinnert.

Textfeld: Zeitskulpturen

Wie erleben wir unsere Lebenszeit, was verbirgt sich hinter all dem, was anderen von uns nicht sichtbar und kaum spürbar ist, wie die Botschaften dieser Skulpturen, die wir nicht mehr lesen können und die doch als Zeitungen erkennbar bleiben? Auch unsere Geschichte baut sich von einem Grund her auf, wir werden geboren, wachsen und reifen, werden mit den Lebensjahren nicht nur älter, sondern vielleicht ja auch geprägter und geformter - und dann werden auch wir sterben. Wir hinterlassen Spuren in der Welt, die sich mit der Zeit so verwischen, wie die Informationen der Zeitungen, die hier in künstlerisch überarbeiteten Papierstapeln aufgeschichtet wurden.

 

Doch was ist der Grund unseres Daseins? Was wir nicht sehen können, ist der Kern dieser Skulpturen, gefederte Stangen, die, wenn wir sie berühren, in Schwingungen geraten können, die sich bewegen. Für uns Christen ist der Glaube an den Gott der Schöpfung Grund unseres Daseins. Ihm verdanken wir mit der Welt, die wir bebauen und bewahren dürfen, auch unser eigenes Leben und das der Menschen, die uns in unsren Lebensweg hineingestellt sind. Auch Gott wird uns nicht sichtbar und doch ist es der Gott, der in uns etwas bewegt, in Schwingungen versetzt, wo wir es mit ihm im Leben zu tun haben.

 

So sagte Martin Luther ja einmal über die Musik: „Von der Musik aber ist zu sagen, dass nach dem heiligen Wort Gottes nichts so hoch zu rühmen ist, weil sie aller Bewegung des menschliches Herzens mächtig und gewaltig ist. Nichts auf Erden ist kräftiger, die Traurigen fröhlich, die Verzagten herzhaft, die Hoffärtigen demütig zu machen, die Hitzigen zu dämpfen, den Hass zu mindern. Der Heilige Geist ehrt selbst diese edle Kunst als seines Amtes Werkzeug... [5]

 

Hier spüren wir in dem anderen großen Bereich der Kunst, eben der Musik, was gemeint ist. Ob ich ein Kunstwerk sehe, Musik höre oder selber mache, ich werde mich immer in einer gewissen Weise auseinander zu setzen haben. Was ich sehe oder höre, muss mir nicht gefallen, es kann, ja in der Kunst muss es auch einmal strittig sein dürfen. Gerade dann wird es zur Auseinandersetzung reizen, zum Gespräch. Und wo das geschieht, hat ein Kunstwerk in uns etwas angestoßen, bewegt und so seinen großen Dienst geleistet.

 

Lange haben wir im Kirchengemeinderat darüber nachgedacht, was wir mit den schönen weißen Wänden in unserem neu renovierten Gemeindehaus angemessen tun könnten und sind so auf die Idee gekommen, Kunstausstellungen anzubieten. Ein kleiner Ausschuss hat inzwischen viele Künstlerinnen und Künstler besucht, um nun mit dieser ersten Ausstellung in unserer Mitte zu beginnen. Wir wollen das Gespräch, die Auseinandersetzung. Wir wollen mit „Kunst und Kirche“ hier in Kenzingen unseren Beitrag zu dem breiten kulturellen Angebot unserer Stadt wagen, gerade auch in der Nachbarschaft zu Freiburg. Damit setzen wir eine uralte Tradition der Kirche fort, die ja immer maßgebliche Trägerin von Kultur und Kunst war, sehen wir einmal von der ganz kurzen Periode des Bildersturmes in der Reformationszeit ab, ein terroristischer Wahnsinn gegen die Kultur, die Kunst.

 

Ich denke, dass wir alle spüren, wie sehr auch Kunstwerke ihre eigene Botschaft und damit Anteil haben am Verkündigungswerk der ganzen weltweiten Kirche. Das wurde in dem Gedanken der „pastoralen Konstitution über die Kirche in der Welt von heute “Gaudium et spes“ des zweiten Vatikanischen Konzils aufgegriffen, wenn es dort in der Einführung heißt: „Unter Kultur im allgemeinen versteht man alles, wodurch der Mensch seine  vielfältigen geistigen und körperlichen Anlagen ausbildet und entfaltet; wodurch er sich die ganze Welt in Erkenntnis und Arbeit zu unterwerfen sucht; wodurch er das gesellschaftliche Leben in der Familie und in der ganzen bürgerlichen Gesellschaft im moralischen und institutionellen Fortschritt menschlicher gestaltet; wodurch er endlich seine großen geistigen Erfahrungen und Strebungen im Lauf der Zeit in seinen Werken vergegenständlicht, mitteilt und ihnen Dauer verleiht – zum Segen vieler, ja der ganzen Menschheit...“ [6]

 

Mitten in der Passionszeit lassen wir uns mit diesen Werken von Silvia Ehrlinger und ihren versteckten Botschaften dazu einladen, als Menschen unserer Zeit über unser Leben, unseren Glauben nachzudenken. Das Reliefbild, „Turbulenzen gelb“ kann uns eine Spur durch diese Zeit legen, die dann aber eben nicht mit dem Karfreitag, sondern mit dem Ostertag enden wird. So bricht ein Licht in unsere Welt und unser Leben, das sich gerade nicht von den Verwirrungen, Schatten und Dunkelheiten in der Welt gefangen nehmen lässt, sondern von Hoffnung erfüllt ist. Lassen wir uns aus dem geheimnisvollen Grund bewegen, wie diese Zeitskulpturen hier im Altarraum bewegt werden können, dem Grund, der Gott heißt, unfasslich, unbegreiflich und doch so unendlich schöpferisch jeden Tag neu.

 

Amen.

 

 

 

Literatur:

 

1) Räume der Begegnung, Religion und Kultur in evangelischer Perspektive,

    eine Denkschrift, EKD, Gütersloh, 2002, S. 24

2) Müller, E., Liturgie des modernen Menschen, Evangelische Kommentare,

    12/1996,  S. 700

3) Quelle unbekannt

4) EKD, Denkschrift, a.a.O., S. 34

5) Bainton, R. H., Martin Luther, Vandenhoeck und Ruprecht,

    Göttingen 1967, S. 309

6) Rahner, K., Vorgrimmler, H., Kleines Konzilskompendium, Freiburg, 1967, S. 506

 

 

Busam, M., Silvia Ehrlinger, Papierobjekte, Offenburg,

(Katalog zur Ausstellung in der Stadtkirche Kitzingen am Mein, 11.3. – 11.4.1999)

Evang. Kirche von Westfalen, Mündlicher Bericht des Präses,

Landessynode 2004, 2.5 Räume des Glaubens – Räume der Freiheit, S. 17

Bahr, P., Lust auf Kultur, Evang. Kirche in Deutschland (EKD),

in: www.ekd.de/aktuell

Braxmaier, R., Silivia Ehrlinger, aus:

Kunstsammlung Sparkasse Offenburg/Ortenau, S. 80

 

 

Der Ausschuss des Kirchengemeinderates Kirche und Kunst in Kenzingen dankt Siliva Ehrlinger für die freundliche Aufnahme in ihrem Atelier und die Einführungen in ihr Werk

 

 

Wir weisen darauf hin, dass Sie alle unsere Predigten im Internet nachlesen können. Sie finden sie unter:

 

http://www.evang-kirche-kenzingen.de oder:

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