Palmarum, Johannes 12,12-19
Begrüßung:
Liebe Gemeinde! Mit dem Palmsonntag beginnt die Karwoche. Wir denken an das Leiden und Sterben Jesu, an diese Wechselbäder der Gefühle, die vom erwartungsvollen Hosianna bis zu seinem Tod führen. Da stellt sich auch für uns die Frage nach unseren Erwartungen an Menschen und an unseren Glauben – und wir sind gefragt, wem wir denn in unserem Leben so nach- oder entgegen laufen, weil wir uns davon etwas versprechen. Lassen wir uns zu diesem Gottesdienst einladen, um darüber nachzudenken, was der leidvolle Weg Jesu mit unseren eigenen Lebenswegen zu tun hat. Wer es sich hier zu einfach macht, der wird sich auch schnell einen billigen Glauben zurecht legen.
Erhöre mich, Herr, denn deine Güte ist tröstlich (Ps. 69,17).
Gebet:
Herr, guter Gott! Was sind das eigentlich für Erwartungen, die wir an dich und an die Mitmenschen haben und wem laufen wir mit unseren Erwartungen entgegen oder nach? Was richten wir Menschen nur geistlos an, wenn uns die Orientierung fehlt, der Maßstab, der Versöhnung schenkt, wo das Geschrei nach Rache und Gewalt laut ist; und Geist, wo der Ungeist der Lieblosigkeit und des Egoismus herrschen. Durch dein Vorbild und deinen guten Geist bewegt, lass uns unsere Macht und Möglichkeiten dafür einsetzen, dass unser eigener Glaube Frieden schafft in einer friedlosen Welt. Schenke es uns, dass wir nicht den falschen Göttern nachlaufen und den fraglichsten Naturen huldigen. Herr, schenke uns ein wenig mehr Treue und Zuverlässigkeit im Glauben, damit wir der Welt aus einem solchen Geist heraus begegnen lernen. Amen.
Am nächsten Tag hörte die große Menge, die zum Passafest gekommen war, Jesus sei auf dem Weg nach Jerusalem. Da nahmen sie Palmzweige, zogen ihm entgegen vor die Stadt und riefen laut: »Gepriesen sei Gott! Heil dem, der in seinem Auftrag kommt! Heil dem König Israels!« Jesus aber fand einen jungen Esel und setzte sich darauf, so wie es schon in den Heiligen Schriften heißt: »Fürchte dich nicht, du Zionsstadt! Sieh, dein König kommt! Er reitet auf einem jungen Esel.« Damals verstanden seine Jünger dies alles noch nicht; aber als Jesus in Gottes Herrlichkeit aufgenommen war, wurde ihnen bewusst, dass dieses Schriftwort sich auf ihn bezog und dass die Volksmenge ihn dementsprechend empfangen hatte. Als Jesus Lazarus aus dem Grab gerufen und vom Tod auferweckt hatte, waren viele dabei gewesen und hatten es als Zeugen weitererzählt. Aus diesem Grund kam ihm jetzt eine so große Menschenmenge entgegen. Sie alle hatten von dem Wunder gehört, das er vollbracht hatte. Die Pharisäer aber sagten zueinander: »Da seht ihr doch, dass wir so nicht weiterkommen! Alle Welt läuft ihm nach!«
Liebe Gemeinde!
Passahfest, Jerusalem! Viele Menschen sind unterwegs, alle haben ein Ziel – das Fest mit Freunden und Verwandten in Jerusalem zu feiern. Das konnte die Krönung eines ganzen Jahres sein, und wer als Jugendlicher erstmals von seinen Eltern dorthin mitgenommen wurde, vergaß das nie in seinem Leben. Sie alle teilen die Erwartung auf ein großes gemeinsames Fest, das sie Gott näher bringen würde. Auch Jesus zieht es dorthin: Seine Botschaft von Gott konnte nicht in einer Schreinerei in Nazareth ungehört bleiben. Er musste hinaus auf die staubigen Straßen Palästinas ohne Ziele zu kennen, als nur das eine, seinen väterlichen Gott ins Bewusstsein der Menschen zu bringen. Es gibt jetzt kein Zurück mehr, dabei ahnt er wohl nur, was nun bald auf ihn zukommen wird, als dass er es wüsste. Er ist auf dem Weg, auf seinem Weg. Er muss nach Jerusalem hinein, durch die Masse hindurch.
Ich erinnere mich an die kleine Geschichte von Franz Kafka, „Der Aufbruch“, dort wird erzählt: „Ich befahl, mein Pferd aus dem Stall zu holen. Der Diener verstand mich nicht. Ich ging selbst in den Stall, sattelte mein Pferd und bestieg es. In der Ferne hörte ich eine Trompete blasen. Ich fragte ihn, was das bedeute. Er wusste nichts und hatte nichts gehört. Beim Tore hielt er mich auf und fragte: `Wohin reitest du, Herr?´ `Ich weiß es nicht´, sagte ich, `nur weg von hier, nur weg von hier. Immer fort weg von hier, nur so kann ich mein Ziel erreichen.´ `Du kennst also dein Ziel?´ fragte er. `Ja´, antwortete ich, ich sagte es doch! Weg von hier, das ist mein Ziel!` `Du hast keinen Essvorrat mit´, sagte er. `Ich brauche keinen´, sagte ich, `die Reise ist so lang, dass ich verhungern muss, wenn ich auf dem Weg nichts bekomme. Kein Essvorrat kann mich retten. Es ist ja zum Glück eine wahrhaft ungeheure Reise´“.[1]
Wenn wir Jesus so vor uns sehen, dann wird es ihm vermutlich sehr ähnlich ergangen sein. Er wanderte wohl eher plan- und ziellos umher, und wenn es denn überhaupt ein großes Ziel gab, dann das, Gott in einer ganz ungewöhnlichen Weise unter das Volk zu bringen. Aber er musste sich unbedingt auf den Weg machen, kein Nazaraeth konnte ihn halten, an keinem Ort hielt er es länger aus. Worte wurden durch Taten bezeugt, Taten durch Worte erklärt. Die Liebe Gottes war bei vielen Menschen in der Gestalt dieses Mannes angekommen. Man wunderte sich, staunte, man war begeistert oder ratlos, wie man ihm begegnen sollte? Wo er hinkam, gab es einen Menschenauflauf, was die Religionsführer im Land verunsicherte, störte, ärgerte. Das, was er vom Gott der Väter und Mütter im Glauben zu sagen hatte, klang einfach so anders, so neu, dass man sich dem nicht entziehen konnte. Man war dadurch gezwungen, sich zu entscheiden, für oder gegen ihn zu sein.
Und so läuft nun vor diesem Fest das Volk zusammen und ihm entgegen, weil es gehört hat, dass Er kommt, auf dem Weg in die Stadt ist. Seine Worte und Taten sind gehört und bekannt geworden. Man muss ihn sehen, von einer Begegnung mit ihm Zuhause erzählen können. Sie kommen, aber mit welchem Ziel, welchen Erwartungen? Begeisterung kommt auf, die Masse putscht sich in ihren ungeklärten Gefühlen hoch. Man kennt nur ein Ziel, diesen Mann einmal gesehen zu haben, von dem man so viel gehört, dem man vielleicht sogar schon einmal begegnet war. Die Stimmung steigert sich in diffuse politische Erwartungen. Gerade in Jerusalem stieß man Schritt für Schritt auf die verhassten Römer. Und könnte es denn nicht sein, dass dieser Wundermann, die Kraft hätte, sie wortmächtig zu vertreiben? Ein Wort von ihm und man würde den Aufstand wagen, den verhassten, von Rom eingesetzten König absetzen und ihn zum König machen.
Jesus ahnt etwas von diesen Erwartungen, denen er nicht gerecht werden will. Ihm geht es nicht um eine politische Revolution, um das Vertreiben der Römer aus seiner Heimat, ihm geht es um eine geistliche Revolution. Gott allein sollte wieder König sein in Israel. Ihm sollten die Menschen mit ihren Worten und Taten dienen und damit den Mitmenschen. Und sehr viel später, erst Jahre später, als man von diesem Einzug Jesu in Jerusalem berichtet, fügt man hinzu, dass dieser sich auf einen kleinen Esel gesetzt habe, um nach Jerusalem hinein zu kommen.
Es ist geradezu das Bild eines Anti-Königs. Ein Kriegsherr, dem das Volk huldigt, reitet nicht auf einem jungen Esel daher. So werden noch im Rückblick Erwartungen an Jesus korrigiert und er wird als der gesehen, den schon der Prophet Sacharja für möglich gehalten hatte, wenn er sagte, was allen Juden im Ohr klang: „Freu dich, du Zionsstadt! Jubelt laut, ihr Bewohner Jerusalems! Seht, euer König kommt zu euch! Er bringt Gerechtigkeit, Gott steht ihm zur Seite. Demütig ist er vor seinem Gott. Er reitet auf einem jungen Esel...“ Das ist ein anderer König als man ihn von weltlichen Herrschern her kennt – und es ist für den Augenblick auch enttäuschend, desillusionierend. Mit einem solchen König kann man keine Revolution machen, jedenfalls nicht gegen die Römer, was jetzt noch niemand ahnt, auch die Jünger Jesu nicht. Auch das wird dazu führen, dass die Stimmung innerhalb weniger Stunden kippen wird. Wo heute Jubel aufbrandet und Palmwedel geschwenkt werden, wird bald das „Kreuzige ihn“ Geschrei der enttäuschten, empörten Masse zu hören sein.
Für Jesus hatte der Ruf ihn zum König zu machen, etwas diabolisches, teuflisches. Denn ein König, der sich huldigen ließe, verstellte ja wieder den Blick auf Gott, wieder würden nur Menschenherrschaft gegen Gottesherrschaft stehen und die Gottesherrschaft darüber vergessen. Greifbar und stark sollte ein König sein, so wünschte man ihn sich in seinen Träumen. Er sollte den Römern widerstehen und das Volk in die politische Freiheit führen. Wie oft hatten die Könige Israels versagt, wie unendlich oft hatte man auf die falschen Herrscher gesetzt und Gott darüber vergessen. Der Warnruf unzähliger Propheten war unerhört geblieben – und Jesus wusste darum. Und so schweigt er, kein Wort ist von ihm in dieser Szene überliefert – und selbst die Jünger verstehen im Moment noch nicht, was hier gespielt wird.
„Wer das Leben liebt, wer das Recht will,“ so sagt es Fulbert Steffensky einmal, „muss Macht wollen. Er muss es wünschen, mit dem Leben umzugehen. Man kann sich im eigenen Leben nicht auskennen und man kann dem fremden Leben nicht dienen, wenn man in der Ohnmacht verharrt. Es gibt eine falsche Lebensfaulheit, die sich vor dem Handeln drückt und sich damit selber die Lebenszuversicht untergräbt... Wer liebt handelt. Wer liebt, will Macht. Vielleicht ist das zu sagen gegen alle Verdächtigung der Macht und gegen das Lob einer vornehmen Ohnmacht, in der man nie schmutzig und schuldig wird, weil man sich von allen Handlungen dispensiert und der Welt ihren Lauf lässt. Es kommt nicht darauf an, rein und unschuldig zu bleiben. Es kommt darauf an, die Wahrheit Gottes in dieser Welt voranzutreiben... Die Frage ist, wofür wir Macht benutzen und in wessen Dienst unsere Stärke steht...“ [2]
Vielleicht verwundert es uns, gerade in diesem Zusammenhang von „Macht“ zu sprechen, aber es macht Sinn. Denn so machtlos Jesus uns hier erscheint, so vollmächtig hat er seinen Gottes-Dienst verstanden. Der Jubel des Volkes zeigt, welche Macht er hatte, doch sein Verhalten zeugt davon, dass er sie ganz anders verstand. Gerade er hielt sich ja nicht aus der Welt heraus, er stellte sich dem Leid, der Ohnmacht seines Volkes. Doch das Volk konnte ihn nicht verstehen.
Hart und diffus stoßen hier zwei Welten aufeinander, unterschiedlichste Erwartungen, die enttäuscht und darum nur wenig später gerächt werden. Das Verhalten Jesu kommt seinen Gegnern entgegen. Er hatte ihre Kreise oft genug gestört, war ihnen mit seinem Gott in die Quere gekommen und schon wieder sehen sie, dass „alle Welt ihm nachläuft!“ Allzu groß war ihre Macht ja nicht, aber immerhin, sie hatten notfalls die Römer hinter sich, die schließlich Ruhe im Land wollten und keine Probleme mit religiösen oder politischen Revolutionären. Sie wussten, dass ihre Stunde kommen würde.
Für uns steht die Frage im Raum: Was wir denn eigentlich für Erwartungen an Gott und an die Mitmenschen haben und wem wir mit unseren Erwartungen entgegen oder nachlaufen? Sind wir denn nicht oft genug von Gott und anderen Menschen enttäuscht? Auch wir müssen bedenken, wem wir nachlaufen und welchen Einflüssen wir uns aussetzen. Das Verhalten der Pharisäer ist ja in diesem Jahr so aktuell wie selten zuvor. Man bekämpft mit allen Mitteln, die einem zur Verfügung stehen, was dem eigenen Glauben nicht gerecht wird. Er wird zum Maßstab für den Glauben anderer. Und das führte schon immer zu den unseligen Kreuzzügen dieser Welt, zu religiöser Rechthaberei und zur Gewalt gegen Andersgläubige.
Das Verhalten Jesu lehrt uns einen anderen Weg. Keine „Lebensfaulheit“ hindert ihn daran zu handeln. Aber er benutzt seine Macht als eine ihm von Gott anvertraute Vollmacht, und seine Stärke stellt er in den Dienst seines Gottes – bis hin zu Verrat und Tod. In diesem Sinne bekannte der Liederdichter Gerhard Tersteegen: „Ich bete an die Macht der Liebe, die sich in Jesus offenbart...!“ [3] Wo das in der Welt endlich gehört, geglaubt und mit Leben erfüllt würde, da gäbe es dann schließlich auch keine Karfreitage mehr und aus menschlicher Macht würde eine Vollmacht des Glaubens. So steht nun wirklich die Frage im Raum: „Wem wir mit unseren Erwartungen entgegen oder nachlaufen?“ Denn davon wird abhängen, welches Gesicht wir unserer Welt geben. Der Weg des Glaubens wird für uns, wie er es ja auch für Jesus war, zum Glück zu einer wahrhaft ungeheuren Reise. Es liegt an uns, sie anzutreten. Amen.
Literatur:
1) Kafka, F., Sämtliche Erzählungen, Fischer Bücherei, Frankfurt, 1970, S. 321
2) Steffenski, F., Macht, in: Spirituell leben, Hrsg., u.a., Hartlieb, G.,
Freiburg, 2002, S. 254
3) Tersteegen, G., in: Evangelisches Gesangbuch, Lied 651
Drewermann, E., Das Johannesevangelium, Düsseldorf, 2003, S. 74 ff
Ehlert, Th., Calwer Predigthilfen, 1996/1997, Reihe I/I, Stuttgart, 1996, S. 167
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