Karfreitag, Lukas 23, 33-50

 

 

Begrüßung:

 

Liebe Gemeinde! Wie können Menschen welche die Karfreitage der Welt am eigenen Leib erfahren zum Osterjubel gelangen? Wie ist es möglich, die erfahrenen Höllen im Leben vielleicht einmal zu überwinden und die Kreuze, die manchem von uns auferlegt sind, tragen zu lernen. Es wird heute keine glatte, aber eine ganz entscheidende Antwort geben und dass ist die, dass Gott uns nicht allein lässt. Das Kreuz wird uns zum Symbol der Mitleidenschaft Gottes.

 

Hör mir zu, Herr, und antworte mir, denn ich bin elend und arm. Schütze mich, denn ich bin dir treu; hilf mir, ..., denn du bist doch mein Gott ( Ps. 86).

 

 

Gebet:

 

Herr, guter Gott! Der Karfreitag zeigt uns, wie sehr wir jeden Tag auf deinen guten Geist angewiesen bleiben, damit den Höllen, die wir selbst uns und anderen bereiten, Grenzen gesetzt werden. Jeden Tag werden Menschen ganz neu ans Kreuz geschlagen – mitleidslos, skrupellos. So schenke uns deine spürbare Mitleidenschaft, den Mut zum Widerspruch, wo Menschen unnötig und ungerechtfertigt zu leiden haben. Lass uns einander nicht festnageln, sondern deinen Geist aneinander und füreinander leben, damit uns auch dieser Karfreitag, recht bedacht, zum Osterfest hinführen kann, dem Tag an dem Du, Gott, dem Tod den Tod angesagt hast.

So danken wir dir für alle Menschen unter uns, die uns mit ihrem Glauben ein Vorbild sind und die sich in unserer Gemeinde und Kirche mit ihrem Engagement einbringen. Vor dir bringen wir nun auch voller Dankbarkeit alle Menschen in Erinnerung, die uns den Weg zu dir vorangegangen sind – und beten für uns, unsere Gemeinde, unsere katholischen Mitchristen, unsere kleine Stadt und für die ganze Welt. Amean.

 


 

Als sie zu der Stelle kamen, die »Schädel« genannt wird, nagelten die Soldaten Jesus ans Kreuz, und mit ihm die beiden Verbrecher, den einen links von Jesus, den anderen rechts. Jesus sagte: »Vater, vergib ihnen! Sie wissen nicht, was sie tun.« Dann losten die Soldaten untereinander seine Kleider aus. Das Volk stand dabei und sah bei der Hinrichtung zu.

 

Die Ratsmitglieder verhöhnten Jesus: »Anderen hat er geholfen; jetzt soll er sich selbst helfen, wenn er wirklich der ist, den Gott uns zum Retter bestimmt hat!« Auch die Soldaten machten sich lustig über ihn. Sie gingen zu ihm hin, reichten ihm Essig und sagten: »Hilf dir selbst, wenn du wirklich der König der Juden bist!« Über seinem Kopf hatten sie eine Aufschrift angebracht: »Dies ist der König der Juden.«

 

Einer der Verbrecher, die mit ihm gekreuzigt worden waren, beschimpfte ihn: »Bist du denn nicht der versprochene Retter? Dann hilf dir selbst und uns!« Aber der andere wies ihn zurecht und sagte: »Nimmst du Gott immer noch nicht ernst? Du bist doch genauso zum Tod verurteilt wie er, aber du bist es mit Recht. Wir beide leiden hier die Strafe, die wir verdient haben. Aber der da hat nichts Unrechtes getan!« Und zu Jesus sagte er: »Denk an mich, Jesus, wenn du deine Herrschaft antrittst!« Jesus antwortete ihm: »Ich versichere dir, du wirst noch heute mit mir im Paradies sein.«

 

Es war schon etwa zwölf Uhr mittags, da verfinsterte sich die Sonne, und es wurde dunkel im ganzen Land bis um drei Uhr. Dann riss der Vorhang vor dem Allerheiligsten im Tempel mitten durch, und Jesus rief laut: »Vater, ich gebe mein Leben in deine Hände!« Mit diesen Worten starb er. Als der römische Hauptmann, der die Aufsicht hatte, dies alles geschehen sah, pries er Gott und sagte: »Wahrhaftig, dieser Mensch war unschuldig, er war ein Gerechter!« Auch all die Leute, die nur aus Schaulust zusammengelaufen waren, schlugen sich an die Brust und kehrten betroffen in die Stadt zurück, nachdem sie gesehen hatten, was da geschah. Alle Freunde von Jesus aber standen weit entfernt, auch die Frauen, die seit der Zeit seines Wirkens in Galiläa mit Jesus gezogen waren. Die Frauen sahen dies alles mit an.


 

 

Liebe Gemeinde!

 

Immer wenn ich über die Karfreitagstexte der Evangelien nachdenke, frage ich mich, wie man solche Texte predigen kann, wie ist es möglich, ein solches Drama zur Verkündigung, zum Evangelium werden zu lassen? Wir alle sind durch die moderne Mediengesellschaft tagtäglich mit Bildern konfrontiert, die uns menschliches Leid und Elend, Terror und Zerstörung, explodierte Autos, zerstörte Häuser oder Straßenzüge und zerschunde Körper vor Augen führen. Auch unsere Welt ist gar nicht so anders, als die aus der Leidensgeschichte Jesu, dafür stehen Namen wie New York oder Madrid, Bagdad, Tel Aviv oder Ramallah, Potsdam oder München. Am Ende gibt es immer jemanden der bereit ist, dem anderen zur Hölle zu werden. So ist die Hölle in jeder Weise grenzenlos geworden und reicht oftmals bis in unser eigenes Leben hinein. Da muss nicht einmal mehr getötet werden, es reicht schon ein wenig Mobbing hier, eine kleine Schadenfreude da oder den eigenen Vorteil zum Schaden anderer zu nutzen.

 

„Da wären wir also!“ So beginnt das düstere Drama Sartres: „Bei verschlossenen Türen“, an das wir uns vielleicht noch erinnern. „Drei Menschen, zwei Frauen und ein Mann treffen in einem Raum zusammen. Sie kennen sich nicht, man versucht ein Gespräch, aber jeder von ihnen hat andere Fragen und Bedürfnisse. Man fällt sich zur Last.

 

Sie sind gestorben. Sie haben alle Hoffnungen begraben und warten. Und bald schon stellen sie fest: Wir sind in der Hölle. Irrtümer sind ausgeschlossen, umsonst wird keiner verdammt. Körperliche Folter gibt es keine und doch: Wir sind in der Hölle. Es kommt auch niemand - niemand. Wir allein bleiben zusammen bis ans Ende. Allerdings einer fehlt: Der Henker. Alle beobachten, wie es im Leben, das sie zurückgelassen haben, weitergeht, ohne dass sie noch einmal eingreifen könnten. Man bringt sich durch seine Andersartigkeit an den Rand, man will raus aus dem Raum und weg von den anderen, - aber die Tür ist verschlossen.

 

Und plötzlich ist die Tür auf! Bei dem Versuch, das Zimmer zu verlassen, scheitern sie jedoch. Der Weg ist frei, aber sie sind unzertrennlich. Sie begreifen endgültig, dass sie in der Hölle sind: Kein Schwefel, Scheiterhaufen, Bratrost ist erforderlich, denn: Die Hölle, das sind immer die anderen. Und das für immer!“

 

„Die Hölle, das sind immer die anderen. Und das für immer!“ Die Hölle bahnt sich einen Weg in jedes Leben, wo es niemanden mehr gibt, der ihr eine Grenze setzt. So ist es gerade der Karfreitag, wie kaum ein anderer Tag im Jahr, der uns anhand der Kreuzigung und des Todes Jesu die Hölle vor Augen führt, um uns aber dennoch eine Spur zu weisen, die weiterreicht, nämlich hinunter bis zur Liebe Gottes zu seiner leidenden Welt, zu seinem bedrängten Geschöpf. Die Schilderung der Kreuzigung Jesu lässt uns die Hölle spüren, doch wir alle wissen, weil wir es selbst vom Kreuz herab hören, dass dies eben nicht das letzte Wort Gottes zu seiner Welt und unserem Leben ist. Wer am Karfreitag den Gottesdienst feiert, ohne Glocken, Blumen, den Paramenten an Altar und Kanzel, den gelöschten Kerzen, der weiß ja dennoch darum, dass der Dunkelheit des Karfreitags die Osterbotschaft folgen wird.

 

„Die Hölle, das sind immer die anderen. Und das für immer!“ Es sind Menschen, ganz konkrete Menschen mit Namen wie Pilatus, Hannas, Judas; es sind Interessengruppen, wie der Hohe Rat oder die Römer; es sind Gauner und Betrüger wie Barabbas oder der Verbrecher am Kreuz und es sind Menschen um das Kreuz herum, die darunter leiden, ja, die durch das Kreuz erahnen, dass es der falsche ist, der an diesem Galgen hängt, wie der andere Verbrecher vom Kreuz oder der römische Hauptmann. Die Bibel ist in der Schilderung des Kreuzestodes Jesu geradezu unbarmherzig realistisch, weil uns damit vor Augen geführt werden soll, dass wir es mit diesem Kreuz zu tun haben, wo immer wir selbst in unserem Leben darunter leiden oder es mit verantworten, wenn andere darunter leiden müssen.

 

Wenn es stimmt, „dass die Hölle, immer die anderen sind. Und das für immer!“, dann liegt es doch auch an uns dafür Sorge zu tragen, dass das einmal aufhört, der Teufelskreis durchbrochen und die Höllen endlich durchkreuzt werden. Die Karfreitagsbotschaft, die uns den eigenen Alltag in die Kirche trägt und vor Augen führt, schreit doch geradezu danach zu fragen, zu suchen, darum zu ringen, wie Erlösung aussehen kann, und es möglich ist, dass den ungerecht Gefangenen Befreiung zuteil wird, den ungerecht Unterdrückten Gerechtigkeit widerfährt, den ungerecht Missachteten Aufmerksamkeit geschenkt, den ungerecht Verfolgten ihre Ruhe zurückgegeben, den Verlachten und Verspotteten mit Ernsthaftigkeit zugehört wird, den Kranken und Leidenden sich jemand an die Seite stellt, die Sterbenden nicht allein sind? Wie ist es möglich den Kreuzen und Gräbern in der Welt nicht mehr das letzte Wort zu überlassen und weiter: Wie ist Erlösung in der Welt möglich, wenn wir nicht in der Nachfolge Jesu selbst anfangen, zur Erlösung beizutragen und damit den Kreuzen und Gräbern zu spotten.

 

Die Passionsgeschichte, wie sie uns Lukas erzählt, schildert uns diesen römischen Hauptmann, einen Heiden, der gerade durch den Gekreuzigten dazu kommt, ein Bekenntnis abzulegen und in seinem Gefolge wohl auch der eine oder andere Zuschauer. Man muss wohl in den Abgrund der Hölle geschaut und gerade dort Spuren des Paradieses entdeckt haben, um anders werden zu können. Nur, wer sich der Wirklichkeit der Welt stellt und gerade dort immer wieder Menschen erlebt, die ihren Glauben leben, wird dazu beitragen können, dass sich der Karfreitag in einen Ostermorgen wandelt. Darum kommt es auf diesen Mann am Kreuz an, darum kommt es auf uns an, wie wir in seiner Nachfolge leben, glauben, hoffen und lieben. Mitten in der Tiefe menschlicher Existenz keimt Hoffnung auf, immer und gerade dort, wo Menschen die Kreuze der Welt durchkreuzen und den menschlichen Höllen Grenzen setzen.

 

Wenn es stimmen sollte, dass „die Hölle immer die anderen sind. Und das für immer!“, so gilt es, diesen Kreislauf geistvoll zu durchbrechen. Auch das Kreuz Jesu war ja nicht das letzte Wort, ihm setzte Gott sein Widerwort entgegen, ein Zeichen der Liebe Gottes dennoch und trotz allem. Aber es liegt nun eben auch an uns, an jedem Einzelnen von uns, wo er steht und ob er dazu beiträgt, die Welt zur Hölle zu machen oder zu einem Ort an dem Gott Heimat findet und der Mensch seiner Bestimmung nachkommen und leben kann. Vom Kreuz her gedacht, wird das Leben zur Aufgabe. Wir haben diesen Weg vom Karfreitag zum Osterfest mitzugehen, wir haben ihn glaubwürdig vorzuleben, in dem wir mit unserem Leben und unserem Glauben bezeugen, dass es eine tragfähige Hoffnung für die Welt gibt, jenseits aller Kreuze, jenseits aller menschlichen Höllen.

Der Karfreitag stellt uns auch vor die Frage nach Gott. „Mit der Frage nach Gott, nach der Liebe Gottes endet die irdische Existenz Jesu von Nazareth – die bittere Konsequenz seiner Liebe. Das Kreuz ist das Zeichen dieser Frage. Doch das Kreuz ist im Sinne des Neuen Testamentes zugleich unendlich mehr: das Zeichen der Antwort – der Antwort der Liebe, von Gott her, von der Konsequenz der Liebe Gottes...“ [1] So gilt, dass Gott eben kein distanzierter Zuschauer bleibt, weder beim Kreuzestod Jesu, noch in den Leiden unserer Tage.

 

Damit ist deutlich, dass wir Christen uns dem Leid der Welt zu stellen haben, es gibt kein Wegsehen, kein Verdrängen, kein Beschönigen, wo ein Kreuz quält und eine Hölle gefangen nimmt. Wir haben in der Nachfolge Jesu die Protestanten zu sein, Menschen, die es wagen durch ihren Glauben, ihre Hoffnung; ihre Liebe am Vertrauen festzuhalten, dass es so etwas gibt, die Gegenwart Gottes schon jetzt und trotz allem, Spuren des Paradieses mitten in der Welt. Wir Christen leben von dieser „Mitleidenschaft Gottes“ (J.M. Lochmann) für die Welt, und wo sie durch uns erfahren wird, setzen wir Zeichen der Hoffnung. Da kann ein neuer Tag anbrechen, da hören wir selbst uns gefragt: „Was sucht ihr den Lebendigen bei den Toten?“ (Lukas 24,5). Doch: Welche Antwort werden wir auf dem Weg von Karfreitag zum Ostersonntag und dann in unserem Leben geben? Amen.

 

 

 

 

Literatur:

 

1) Lochmann, J.M., Von der Mitleidenschaft Gottes, in:

    Evangelische Kommentare, September 1987, S. 505ff

 

Sautter, P.G., Calwer Predigthilfen, 1998/1999, 1. Halbband, Stuttgart, 1998, S. 184

Drewermann, E., Leben das dem Tod entwächst, Düsseldorf, 19932, S. 145ff

Kuschnerus, B., Karfreitag, Deutsches Pfarrerblatt, 2/2005, S. 84

 

 

 

 

Wir weisen darauf hin, dass Sie alle unsere Predigten im Internet nachlesen können. Sie finden sie unter:

           

http://www.evang-kirche-kenzingen.de und

http://www.predigten.de (Powersearch anklicken, Text oder Name eingeben)