Begrüßung:
Liebe Gemeinde! Der 5. Sonntag nach Ostern trägt den Namen „Rogate“, „Betet“! In einer säkularen Zeit und Gesellschaft fällt uns das Beten oft schwer. Zu sagen hätten wir genug, offene Fragen, Sorgen und Probleme begleiten schließlich ein jedes Leben, aber Gott scheint weit weg und so führen wir die Gespräche mit uns selbst oder mit Menschen, denen wir vertrauen. Heute hören wir die Einladung: „Betet!“, dennoch und trotz allem, Gott wird Euch hören.
Gelobt sei Gott, der mein Gebet nicht abgewiesen hat noch seine Güte von mir wendet (Psalm 66,20).
Gebet:
Herr, guter Gott!. Wir danken dir für dein ermutigendes Wort. Gerade in einer Welt in der keiner mehr allein durchblickt, allein klar kommt, bitten wir dich um deine spürbare Nähe. Dabei wissen wir um unsere Grenzen, denn wir fordern Beweise deiner Existenz, wo unser Vertrauen gefragt ist; wir wollen festhalten, besitzen und bewahren was im Leben geteilt werden muss. Herr schenke du uns deinen guten Geist, damit wir es wagen, dich anzusprechen, auch wenn uns der Mut oder die Kraft dazu fehlen; schenke uns dein Wort, damit wir Worte finden für dich. Lass uns so alltäglich mit dir reden lernen, wie wir mit Eltern, Kindern oder Freunden reden, umgekehrt, wollen wir dich hymnisch loben, wo wir aus der Mitte deiner Kirche mit dir reden.
Wir danken dir für alle Menschen unter uns, die uns mit ihrem Glauben ein Vorbild sind und die sich in unserer Gemeinde und Kirche mit ihrem Engagement einbringen. Vor dir bringen wir nun auch voller Dankbarkeit alle Menschen in Erinnerung, die uns den Weg zu dir vorangegangen sind – und beten für uns, unsere Gemeinde, für unsere katholischen Mitchristen, unsere kleine Stadt und für die ganze Welt. Amen.
Liebe Gemeinde!
Wir alle wissen es: Nicht jeder der um etwas bittet – wird das erhalten, worum er bittet; nicht jeder, der sucht, wird das wiederfinden, was er gesucht hat und nicht jedem, der an eine Tür klopft, dem wird auch geöffnet. Aber spricht eine solche Erfahrung denn schon dagegen, überhaupt den Versuch zu machen, um etwas zu bitten, zu suchen oder an eine Tür zu klopfen? Natürlich nicht, weil wir alle ja auch umgekehrt erfahren, dass uns tagtäglich unverdient viel geschenkt wird, sich uns Möglichkeiten erschließen und Wege eröffnen, mit denen wir selbst gar nicht gerechnet haben.
Stellen wir uns diesen hartnäckigen Freund vor, der die Familie des Freundes in der Nacht heraus klopft, um ein Stück Brot zu bekommen. Er weiß, dass bei der damaligen Bauweise eines Hauses in Israel alle Hausbewohner wach werden, die Kinder nicht zu beruhigen und es lange dauern wird, bis alle wieder eingeschlafen sind. Aber das Gebot der Gastfreundschaft anderen Freunden gegenüber, die plötzlich vor der Tür stehen, verlangt einen solchen Schritt, verlangt, dass man dem Anderen etwas zu Essen und zu Trinken anbietet. Dafür darf man einen Freund schon einmal stören.
Jesus hat hier sehr klug an ein Wort angeknüpft, das unserem vorangeht, nämlich an das Vater-unser mit seiner Bitte um das tägliche Brot. Brot brauchen wir zum Leben. Das Brot im Vater-unser steht ja, wie Martin Luther es in seinem Katechismus erklärt, für alle Dinge im Leben, die uns leben lassen. Er sagt: „ Unser tägliches Brot gib uns heute... Was ist das? Gott gibt täglich Brot, auch ohne unsere Bitte, allen bösen Menschen, aber wir bitten in diesem Gebet, dass er´s uns erkennen lasse und wir unser tägliches Brot mit Dank empfangen... Was heißt denn täglich Brot? Alles, was zum Leben dazu gehört, wie das Essen, Trinken, Kleider, Schuhe, Haus, Beruf, Acker, Vieh, Geld, Gut, einen frommen Ehepartner, fromme Kinder, fromme Mitarbeiter, fromme und treue Arbeitgeber, eine fromme Regierung, gutes Wetter, Frieden, Gesundheit, Anstand, Ehre, gute Freunde, treue Nachbarn und desgleichen...“ [1]
Darum, und um manches mehr bitten wir im Vater-unser, wenn wir um das tägliche Brot bitten. Daran schließt Jesus nun sein Wort vom Bitten und Beten an. Vielen von uns ist das Beten überhaupt fremd geworden. Wir arbeiten, dafür bekommen wir unser Gehalt und damit leisten wir uns dann das, was wir brauchen oder haben möchten. Schon längst bringen wir das, was uns in unserem Leben an ideellen und materiellen Gütern geschenkt ist, nicht mehr mit Gott in Verbindung. Wir haben es uns verdient, so meinen wir es, und müssen niemandem dafür danken. Merkwürdig daran ist aber, dass uns Gott gerade dann in Erinnerung kommt, wenn die Dinge einmal anders laufen, als wir sie uns wünschen, wenn das normale Leben durch eine Erfahrung unterbrochen wird, die wir nicht mehr handhaben können.
Das heißt, dass wir mit der Frage nach dem Beten überhaupt vor der Frage nach Gott stehen. Gibt es für mich jemanden, den ich – ganz gleich in welch einer Lebenssituation ich mich befinde - ansprechen kann und ansprechen darf, ganz gleich wer und wie ich bin? Gibt es diesen ebenso väterlichen wie mütterlichen Gott für mich, der mein Gott ist - auch an den Grenzen und in den Tiefen meiner Existenz? Beten wir noch? Um was und wie beten wir, wenn wir einmal existentiell betroffen sind?
Dürfen wir z.B. angesichts einer unheilbaren Krankheit um ein Wunder beten, wenn eindeutig ist, dass diese Krankheit nun einmal zum Tode führen wird? Für mich würde ein solches Beten in die Nähe einer Versuchung Gottes gehören, weil Gott dann etwas falsch gemacht, was er durch mein Gebet nun zu berichtigen hätte. Gott macht aber keinen Fehler und Krankheit, Sterben und Tod, die vielen, ja auch schweren Lebenserfahrungen, die wir hier und da im Leben zu ertragen haben, sie gehören nun einmal zu unseren Lebenserfahrungen dazu, um die keiner herum kommt.
Ist es da nicht ein ehrlicheres Gebet, Gott immer wieder, sogar drängend, wie der Freund aus Jesu Beispielgeschichte, in die eigene Existenz hineinzubitten – in unsere Krankheit, unsere Not, in die Sorge um den Arbeitsplatz, den leidvollen Abschied, eine Prüfung, das Altwerden oder eine endgültige Trennung? Die Frage ist eben nur, habe ich einen Adressaten für all das Alltägliche oder das Hersausfordernde, wie aber auch für meine Suche nach innerer Ruhe, nach Frieden mit mir und meiner Umwelt? Wer betet muss ja glauben dürfen, dass er gehört wird, auch wenn sich gerade nicht jedes Gebet in unserem Sinne erfüllt.
Diese Erkenntnis ist keine billige Ausflucht, weil es, wie manche meinen könnten, keinen Gott gibt, der überhaupt etwas für mich, einen anderen oder für unsere Welt tut, sondern es zeigt, dass Gott oft anders handelt, als wir es verstehen. Das mag schwer zu verstehen sein – ich weiß es wirklich – aber es ist dennoch ein tiefer Trost, gerade diesen Gott auf meiner Seite zu wissen. Ja, wir dürfen fordernd und unbequem beten, Jesus macht uns ja in seiner Beispielgeschichte darauf aufmerksam. Hiob war ein unbequemer Beter vor Gott – und Jesus selbst betet: „Lass diesen Kelch an mir vorübergehen...“, aber dann weiter: „Nicht mein Wille, dein Wille geschehe...!“ Ansonsten gebrauchen wir das Gebet und Gott als harmlosen Problemlöser, wo unsere Phantasie, Kreativität, unser Verstand, das Gefühl oder die Geduld nicht mehr ausreichen.
Vor Gott darf das ganze Leben zur Sprache kommen, unsere ganze Lebensfreude, unsere Hoffnungen, unser Glück, das Verliebtsein, unser Stolz, wenn uns etwas gelungen ist, wie umgekehrt, unser Unglück, als die quälende Abwesenheit von Glück. Unsere Beziehungslosigkeit und das Verstummen bringen uns in die Nähe des Todes. Gerade in diesen Wochen 60 Jahre nach Kriegsende und der Befreiung unzähliger Gefangener aus deutschen Konzentrationslagern dürfen wir unendlich dankbar sein für das Geschenk des Friedens und der Aussöhnung, gerade auch mit unseren französischen Nachbarn und Israel. Unglaublich eindrucksvoll erzählt – ich habe schon einmal darüber berichtet - Eli Wiesel, der jüdische Schriftsteller und Philosoph, wie er 1944 in Auschwitz erlebt hat, dass ein rabbinisches Tribunal einberufen wurde, um Gott anzuklagen, weil er so viel Elend seinem Volk zugefügt hatte. Er sagte:
„Es ist falsch, Auschwitz ausschließlich als theologisches Problem zu verstehen. Auschwitz wurde nicht von Gott verursacht; es wurde von Menschen veranstaltet gegen andere Menschen. Es ist zuerst und vor allem ein menschliches Problem, menschliche Verantwortlichkeit. Aber Gott herauszulassen ist auch unehrlich. Die Tragödie ist, dass wir uns keine Vorstellung von Auschwitz machen können mit Gott, aber auch nicht ohne Gott ... Die Verhandlungen des Tribunals zogen sich lange hin. Und schließlich verkündete mein Lehrer, der Vorsitzender des Tribunals war, das Urteil: Schuldig. Und dann herrschte Schweigen - ein Schweigen, das an das Schweigen am Sinai erinnerte, ein endloses, ewiges Schweigen.
Aber schließlich sagte mein Lehrer, der Rabbi: Und nun, meine Freunde, lasst uns gehen und beten. Und wir beteten zu Gott, der gerade wenige Minuten vorher von seinen Kindern für schuldig erklärt worden war.“ [2]
Dieser Bericht berührt mich immer wieder, wenn ich ihn lese, denn er besagt: Wir dürfen Gott unser Leid klagen, ihn sogar anklagen, ja verurteilen, aber dabei eben dennoch an ihm festhalten und trotz allem, in der Gottesbeziehung bleiben... Oder wie es der neue Papst Benedikt XVI. in seiner ersten Pressekonferenz ausdrückte: „Ich habe im Konklave darum gebetet, dass ich es nicht werde, aber Gott muss wohl nicht zugehört haben...“ Sicher hat Gott zugehört, aber er hatte mit dem Kardinal Ratzinger wohl einen anderen Plan, als dieser für sich selbst.
Bei jedem Gebet, das wir beten, dürfen wir uns daran erinnern lassen, dass es im Vater-unser heißt, „Dein Wille geschehe...!“ Das ist die Bitte menschlichen Betens schlechthin, weil wir uns damit Gott entgegen beten und damit zugleich akzeptieren, dass uns Menschen Grenzen gesetzt sind, wir sind eben nicht die Götter unseres Lebens und schon gar nicht die anderer Menschen. So darf im Beten unser ganzes Leben vorkommen, unser Glück und unser Leid, unser tiefes Vertrauen, wie unser Zweifel, denn gerade im Gebet machen wir deutlich, wo wir stehen und wie es um uns steht. Wir bedenken unser Leben für uns selbst und inmitten einer ganz konkreten Umwelt, der Familie, den Freunden, der Kirchengemeinde, dem Arbeitsplatz und wir bedenken es im Gegenüber zu unserem Gott. Das ist der Dreiklang von meiner eigenen, ganz persönlichen Existenz, meiner konkreten, fassbaren Umwelt und im Gegenüber zu meinem Gott.
Heute, am 1. Mai, denken wir natürlich an alle Menschen, die sich Sorgen um ihren Arbeitsplatz machen oder ihre Arbeit schon verloren haben. Wenn Menschen Gott um Arbeit bitten, so darum, weil die Arbeit, wie das tägliche Brot zum Leben dazu gehört. Darum sollen wir darüber hinaus auch für alle Arbeitgeber beten, dass sie um ihre wirtschaftliche und soziale Verantwortung und um ihre Humanität wissen - damit diese nicht nur in Sonntagsreden beschworen wird, die keinem hilft.
Jesus erinnert an Eltern, die ihren Kindern ja auch keine Schlange geben, wenn sie um einen Fisch - oder einen Skorpion, wenn sie um ein Ei bitten. Eltern wissen, was Kinder brauchen, so weiß es Gott auch für uns. Aber bei all dem, was wir Gott immer wieder bitten, sollten wir gerade auch unseren Dank nicht vergessen. So darf unser Beten in Form unserer Bitten und unseres Dankes einerseits ganz und gar persönlich und alltäglich sein, wie es dann aber im Gottesdienst der Kirche zu einer gemeinsamen Anbetung Gottes wird – immer wieder in einem nie endenden Lobpreis: „... Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.“
Literatur:
1) Luther, M., Der kleine Katechismus, Berlin, Christlicher Zeitschriftenverlag,
1961, S. 36
2) Hirschler, Horst, Wo war Gott am 11. September, Zeitzeichen 11/2001, S. 14ff
Ziehmann, H.-P., Calwer Predigthilfen, 1998/1999, Stuttgart, 1998, S. 237f
Sölle, D., Den Rhythmus des Lebens spüren, Freiburg, 2001
Barth, K., Hrsg., Erk, W. und Pfändler, M., Registerband, Predigthilfen,
S. 471, Lukas 11, 5-13, III