Jubilate, 2.Kor 4,16-18
Begrüßung:
Liebe Gemeinde! Der dritte Sonntag nach Ostern trägt den Namen „Jubilate!“, jubelt, jauchzt! Das klingt so ein wenig nach dem Bayern im Himmel, der laufend frohlocken soll, aber schließlich gar keine Lust mehr dazu hat. Unser Leben ist oft nicht so, dass wir Gründe zum Jubeln hätten. Und gerade darum geht es in diesem Gottesdienst: Angesichts unserer Lebenswirklichkeit, dennoch nicht zu vergessen, wie viele Gründe wir haben, Gott Dank zu sagen – dennoch und trotz allem, was uns das Leben manchmal schwer macht.
Jubelt Gott zu, alle Völker der Erde! Singt zur Ehre seines Namens, rühmt ihn mit eurem Lobgesang! (Psalm 66,1-2)
Gebet:
Herr, guter Gott! Wie oft sind wir niedergeschlagen, verletzt und traurig, weil unser Leben anders verläuft, als wir es uns wünschten: Sorgen bedrängen uns um die krisengeschüttelte Ehe, eine scheiternde Beziehung; Konflikte in der Familie machen uns ratlos; die Arbeitslosigkeit lässt uns am Sinn des Lebens zweifeln, wie umgekehrt, der Stress im Beruf. Lehrer und Schüler verstehen einander oft nicht mehr, so wie Nachbarn aus unterschiedlichen Kulturen. Wir kommen mit unserem Älterwerden nicht zurecht, mit einer Krankheit und dem Tod. Es gibt so vieles, was wir uns anders wünschten, so viele Bitten um gangbare Wege, so viele Träume von Gelingen und Glück. Vergib uns, Herr, wenn wir uns, einander und dir im Wege stehen. Darum schenke uns deinen guten Geist zu einem vertrauenden Leben. Amen.
Darum verliere ich nicht den Mut. Die Lebenskräfte, die ich von Natur aus habe, werden aufgerieben; aber das Leben, das Gott mir schenkt, erneuert sich jeden Tag. Die Leiden, die ich jetzt ertragen muss, wiegen nicht schwer und gehen vorüber. Sie werden mir eine Herrlichkeit bringen, die alle Vorstellungen übersteigt und kein Ende hat. Ich baue nicht auf das Sichtbare, sondern auf das, was jetzt noch niemand sehen kann. Denn was wir jetzt sehen, besteht nur eine gewisse Zeit. Das Unsichtbare aber bleibt ewig bestehen.
Liebe Gemeinde!
Anfangs der vergangenen Woche erhielt ich einen Brief mit folgenden Überlegungen: „Seit ein paar Wochen (verstärkt seit Ostern) begleiten mich folgende Fragen: Wie kommt es, dass in unseren Kirchen der Gekreuzigte hängt? Warum zeigen wir (Christen) nicht den Auferstandenen? Was ist unsere Botschaft? Glauben wir in Wahrheit an den Tod oder an das Leben? Warum predigen wir Erlösung für die Zukunft? Warum nicht im Jetzt? ... Unser Augenmerk scheint mir viel zu sehr auf der Kreuzigung, dem Tod zu liegen und dort hängen zu bleiben...“ [1]
Hinter diesem Brief und seinen Anfragen, auch in Bezug auf unsere Gottesdienste und was sie ausstrahlen, steht, wie könnte es anders sein, natürlich eine Biografie, ein ganzes Leben, mit unendlich vielen Erfahrungen von Gelingen, wohl auch von Misslingen, von Freude und Glück, aber auch den dunklen, oft leidvollen Schatten des Lebens. Wie hätte Paulus wohl auf diesen Brief geantwortet? Ja, könnte unser Predigttext eine Antwort sein, und wenn sie so versucht würde, käme sie dann überhaupt an?
Alles, was Paulus uns in all seinen Briefen schreibt, ist erfüllt von der Erfahrung von Kreuz und Auferstehung, vom Leid des Karfreitags und dem erst langsamen Begreifen der Jünger, dass der tot Geglaubte längst nicht mehr unter den Toten zu suchen ist. In dieser Spanne erfährt ja auch er selbst sein ganzes Leben. Immer wieder hat er sich für seinen Glauben eingesetzt. Er ging bis an seine körperlichen Grenzen, wurde verfolgt, gefangengenommen und geschlagen. Mitten im Leben begegnete er dem Tod, und eine Reaktion im Rückblick auf sein Leben ist unser Predigttext. Das Christentum kommt gedanklich nicht am Kreuz vorbei, es bleibt nur zu fragen, was wir in dem Gekreuzigten sehen?
Natürlich haben wir es heute durchaus in mancherlei Hinsicht schwerer als Paulus, wenngleich sicher nicht in jeder. Aber Paulus konnte über sein Leben und Leiden so reden und schreiben, weil er daran glaubte, dass die Wiederkehr des Auferstandenen unmittelbar bevorsteht und dass dann – in der Gegenwart Gottes – alles Leid ein Ende haben würde. Was macht da schon das irdische Leiden aus? Wir wissen heute, dass alles Leiden im Leben bis ans Ende auszuhalten ist. Daher ist die eingangs gestellte Frage so berechtigt und zwingend für unseren Glauben, denn wenn die Auferstehung nichts mit unserem Leben zu tun haben würde, warum sollten wir uns dann noch Christen nennen und das Wagnis des Glaubens auf uns nehmen?
Wir alle sind mehr oder weniger von unserem Leben herausgefordert. Wir werden wohl kaum wegen unseres Glaubens verfolgt, gequält und terrorisiert und dennoch begleiten uns die Schatten des Lebens. Wir erleben die zerstörenden Konflikte in unseren Familien; die ratlosmachenden Spannungen an unseren Schulen; die Not unzähliger Arbeitsloser; wir erleben das Sterben zu junger Menschen und die grenzenlose Trauer über den Verlust von Mitmenschen. Wir erleben unsere Müdigkeit, das Gefühl ausgebrannt zu sein und wissen sehr genau, dass jeder Fehler und alles Versagen, die wir uns leisten, Folgen haben wird. So erfahren wir die kleinen Höllen des Lebens, welche unsere Hoffnungen immer wieder in Frage stellen.
Paulus schreibt: „Darum verliere ich nicht den Mut...!“ Er verliert ihn nicht, weil er auf eine „Herrlichkeit“ hofft, die er zwar jetzt noch nicht sehen kann, die aber mit Gewissheit kommen wird. Das Sichtbare ist ihm nicht so wichtig und all das, was er tagtäglich erlebt, doch das Unsichtbare, woran er glaubt, und wo er ganz sicher ist, dass es kommen wird, darauf lebt er zu, darauf vertraut er. Das ist eine Hoffnung, die sich, wir spüren es alle, im Glauben begründet. Dieser Glaube lässt in ihm keine Resignation aufkommen, sondern einen Mut, mit dem er das Leben und alle Lebenserfahrungen meistern kann. Darum geht es für uns – am Beispiel des Paulus – also durchaus um eine Erlösung im Hier und Jetzt und nicht erst in der Zukunft.
Gerade im Leben und vor dem Tod muss sich das Zeugnis von Ostern wiederfinden und bewähren, soll der Glaube nicht eine inhaltsleere Theorie bleiben. Aber wie kommen wir von unseren Lebenserfahrungen zu einem solchen Vertrauen? Vor Jahren schrieb Albert Schweitzer in einem Aufsatz über „Religion“: „Wir verstecken unsere Religion! ... Was jetzt Not tut, ist, dass die Menschen unserer Zeit die Menschen unserer Zeit wieder auf den Weg des Denkens bringen, dass sie als fragende und wollende Menschen auf das Wissen vom Leben losgehen.
Denken ist nicht etwas Gelehrtes, das man mit der Wissenschaft lernt, sondern etwas, auf das man Acht haben muss... Das Denken um das Wissen vom Leben ist die elementarste Funktion des Lebens, die darin besteht, dass man nicht ruht, bis man seinem Leben einen Sinn und einen Wert abgerungen hat... [2]
In allen Krisen, die wir zur Zeit spüren, wird deutlich, dass uns unsere geistigen und geistlichen Fundamente weggebrochen sind, wir zwar hier und da Antworten suchen, aber noch unterwegs sind. Sinn und Orientierung wird unser Leben immer nur dadurch erhalten, dass wir Suchende und Fragende bleiben und wo wir uns dem noch verweigern, zu Suchenden und Fragenden werden. Wer sich dem Denken verweigert, wird in seinem Glauben nie verwurzelt sein können. Denn wie will man die Solidarität Gottes mit seiner bedrängten Welt auch nur erahnen, die ja gerade im Kreuz sichtbar wird, wenn wir die Auseinandersetzung darüber verweigern?
Bischof Huber antwortete vor kurzem auf einige Fragen, hinsichtlich der Attraktivität von Gottesdienst und Kirche, er sagte dort: „Wir stellen heute wieder sehr deutlich heraus, dass Gottesdienst, Frömmigkeit, gefeierter und gelebter Glaube die Kernkompetenz der Kirche bilden... , eine möglichst gute kirchliche Praxis in Gottesdienst und Seelsorge, in Bildungsangeboten und (in der) Aktivierung der Menschen. Sie werden fragen“, so Bischof Huber: „Was ist ein guter Gottesdienst? Gute Gottesdienste zeichnen sich aus durch eine qualitätsvolle Liturgie, sie zeichnen sich dadurch aus, dass man sie lebendig kirchenmusikalisch gestaltet, dass man die Menschen willkommen heißt, dass man gute Predigten hält...“ [3]
Sicher, das darf man von seiner Kirche erwarten, doch um solche Erwartungen haben zu können, muss ich mich meiner Kirche und ihren Gottesdiensten auch stellen. Schweitzers Aufforderung zum Denken, gerade wenn es um die so existentiellen Fragen nach Sinn und Wert des Lebens geht, und Bischof Hubers Hinweis auf die „Kernkompetenz“ der Kirche machen doch deutlich, dass es das alles nicht ohne Teilhabe, nicht ohne die ernste und andauernde Auseinandersetzung gibt. Wer sich verweigert, wird vorschnell auf offenen Fragen sitzen bleiben, hier wird das Leben dann oft einfach zu billig gelebt und erlebt.
Ich weiß, dass es uns Paulus oft nicht leicht macht und wir seine Begeisterung daher auch nicht immer sofort teilen können. Doch, wenn wir uns sein Leben anschauen, sein Ringen um den Glauben und dann begreifen, wie tief er in ihm verwurzelt ist, dann kann er auch uns zu einem überzeugenden Vorbild werden.
Schnell vergessen wir heute aus der großen zeitlichen Distanz, die wir zu ihm haben, wie unendlich schwer sein Leben gewesen sein muss. Gerade er hat sich das Denken und die tiefe Auseinandersetzung mit dem Gott seines Glaubens nicht erspart und nur so können wir dann verstehen, warum er so zuversichtlich reden kann. Paulus lebte aus dem Gottesdienst heraus und konnte dadurch schon mitten im Leben etwas von seiner Erlösung erahnen.
Ich denke, dass wir Christen eben diese Erfahrung unserer Welt schuldig sind. In dem eingangs angesprochenen Brief heißt es zum Schluss: „Ich wünsche mir, dass viel mehr Fröhlichkeit, Heiterkeit, vertrauende Gelassenheit, trostspendende Hilfe in unseren Kirchen und somit in unserem alltäglichen Leben zum Tragen kommt...“ Dazu können uns unsere Gottesdienste in ihren unterschiedlichen Formen von Fest und Feier immer wieder ermutigen. In unserem Leben muss sich der Glaube mit seinen Hoffnungen für die Welt erweisen, jeden Tag neu.
Der große reformierte Theologe Johannes Calvin sagte einmal: „Täglich wird die Kirche gekreuzigt, täglich steht sie wieder auf!“ [4] Hier wird etwas spürbar von einem vertrauenden Trotz mit dem ein jeder von uns seinen Glauben leben darf – gerade dort, wo er lebt und gerade da, wo die Kreuze dieser Welt uns das Leben und die Freude am Leben nehmen wollen. Nehmen wir diese fröhliche Zuversicht mit auf unsere Lebenswege, denn dann geben auch wir das Glaubenszeugnis in dem uns Paulus so unendlich weit voraus ist. Und wo uns das gelingt, da erfüllen wir den Namen dieses Sonntags schließlich mehr und mehr: Jubilate! Jubelt! Letztendlich haben wir viele gute Gründe dafür – bedenken wir sie doch einmal. Amen.
Literatur:
1) N.N., Persönliches Schreiben an Pfarrer Hanns – Heinrich Schneider, Mai, 2006
2) Schweitzer, A., Vorträge, Vorlesungen, Aufsätze, Werke aus dem Nachlass,
München, 2003, S. 256 und 264
3) Huber, W., in: DER SPIEGEL, 18/2006, Wir leisten Widerstand, S. 48ff
4) Uhle-Wettler, M., Calwer Predigthilfen, 1999/2000, Stuttgart, 1999, S. 227
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