Karfreitag, Johannes 19,16-30
Begrüßung:
Liebe Gemeinde! „Sauer sehen und grauer Rock machen keinen Christen!“, so sagte es Martin Luther einmal in einer Passionspredigt. Mit welchen Erwartungen oder Gefühlen sind wir heute in diesen Gottesdienst am Karfreitag gekommen, was bedeutet uns das Kreuz Jesu und die vielen anderen Kreuze, denen wir in unserem Leben begegnen und die uns das Leben so schwer machen? Es muss mehr geben als die Botschaft vom Kreuz und doch kommen wir um sie nicht herum. Darum: „Sauer sehen und grauer Rock machen keinen Christen!“ Lassen wir uns nun einladen, gerade auch durch die Karfreitagsbotschaft, das Evangelium zu hören.
Also hat Gott die Welt geliebt, das er seinen eingeborenen Sohn hergab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben (Johannes 3,16).
Predigttext:
Da lieferte Pilatus ihnen Jesus aus und gab ihn frei zur Kreuzigung. Die Soldaten übernahmen Jesus. Er trug selber sein Kreuz aus der Stadt hinaus, bis zum so genannten Schädelplatz - auf hebräisch heißt er Golgota. Dort nagelten sie Jesus ans Kreuz und mit ihm noch zwei andere, den einen links, den anderen rechts und Jesus in der Mitte. Pilatus ließ ein Schild am Kreuz anbringen; darauf stand: »Jesus von Nazaret, der König der Juden«. Der Ort, wo Jesus gekreuzigt wurde, war nicht weit von der Stadt entfernt, deshalb lasen viele Juden diese Aufschrift. Sie war in hebräischer, lateinischer und griechischer Sprache abgefasst. Die führenden Priester sagten zu Pilatus: »Schreib nicht: 'Der König der Juden', sondern dass dieser Mann behauptet hat: 'Ich bin der König der Juden.'« Pilatus sagte: »Was ich geschrieben habe, habe ich geschrieben.« Nachdem die Soldaten Jesus ans Kreuz genagelt hatten, nahmen sie seine Kleider und teilten sie in vier Teile. Jeder erhielt einen Teil. Das Untergewand aber war in einem Stück gewebt und hatte keine Naht. Die Soldaten sagten zueinander: »Wir wollen es nicht zerreißen; das Los soll entscheiden, wer es bekommt.« So traf ein, was in den Heiligen Schriften vorausgesagt war: »Sie haben meine Kleider unter sich verteilt. Mein Gewand haben sie verlost.« Genau das taten die Soldaten.
Nahe bei dem Kreuz, an dem Jesus hing, standen seine Mutter und deren Schwester sowie Maria, die Frau von Klopas, und Maria aus Magdala. Jesus sah seine Mutter dort stehen und neben ihr den Jünger, den er besonders lieb hatte. Da sagte er zu seiner Mutter: »Frau, er ist jetzt dein Sohn!« Und zu dem Jünger sagte er: »Sie ist jetzt deine Mutter!« Von da an nahm der Jünger sie bei sich auf. Jesus wusste, dass nun alles zu Ende gebracht war. Aber damit die Voraussagen der Heiligen Schriften vollends ganz in Erfüllung gingen, sagte er: »Ich habe Durst!« In der Nähe stand ein Gefäß mit Essig. Die Soldaten tauchten einen Schwamm hinein, steckten ihn auf einen Ysopstengel und hielten ihn Jesus an die Lippen. Jesus nahm davon und sagte: »Jetzt ist alles vollendet.« Dann ließ er den Kopf sinken und gab sein Leben in die Hände des Vaters zurück.
Liebe Gemeinde!
Erinnern wir uns überhaupt noch, denn so hörten wir es kürzlich und so konnten wir es überall in den Medien lesen: Innerhalb von vier Stunden hat der 17-jährige Tim K. 15 Menschen getötet und sich dann selbst erschossen. Mit einer verschlüsselten Lautsprecherdurchsage hat der Rektor vor dem Amokläufer gewarnt, während Tim K. mordend durch Klassenzimmer zog. "Frau Koma kommt", habe der Rektor durchgesagt, berichtete eine Schülerin der Realschule in der ZDF-Sendung "heute". Sie fügte hinzu: "Das heißt ja Amok rückwärts. Dann hat die Lehrerin die Tür abgeschlossen." 1)
Was sagt man den Menschen einer Stadt mit ihren Ortsteilen, in der so etwas passiert. Was hier an Leid, Angst, Verwundung und Tod erlebt werden musste, kann rational ja gar nicht erfasst werden. Und doch müssen wir Christen ja ein Wort gegen den Tod finden, ein Widerwort, das allen Betroffenen hilft, in ihr so verändertes Leben zurück zu finden. Und dieses Wort kann uns nur Gott sagen, der uns ja gerade auch durch die Botschaft des Karfreitags anspricht, ohne dies Wort das letzte Wort sein zu lassen. Winnenden, das geht uns alle etwas an, weil es auch in unserer Mitte hätte geschehen können und geschehen kann. Es geht ja nicht an, dass hinter unseren Schülerinnen und Schülern, den uns anvertrauten jungen Menschen, die Türen verschlossen werden, gehören sie doch ins Leben hinein.
Vor einiger Zeit las ich einmal eine kleine Geschichte, deren Quelle mir längst entfallen ist zum Karfreitag und zum Kreuz: „An jenem Freitag, an dem Jesus ans Kreuz geschlagen wurde, zog es auch Barrabas wie alle Menschen aus der Stadt zum Galgenberg. Dort sah er Jesus am Kreuz hängen. Er erkannte ihn sofort wieder, und wie ein Blitz durchfuhr ihn die Erkenntnis: `Wenn der dort nicht hinge, dann müsste ich dort hängen.´ Auf der Stelle kehrte er um, so dass er das Kreuz im Rücken hatte und die Welt vor sich. Und er sagte zu sich selbst: `Weil er für mich gestorben ist, will ich wenigstens für ihn leben.´
So schön diese Geschichte wäre, vermutlich war es so nicht. Dabei hat dieser - im Austausch für Jesus amnestierte Straßenräuber - die Hinrichtung Jesu sicher mitbekommen, wenn er sich nicht gleich aus dem Staub gemacht hat, um nicht doch noch verhaftet und bestraft zu werden. Irrtümer, auch Justizirrtümer waren und sind ja immer möglich. Wo stehen nun aber unsere Kreuze, haben wir sie schon hinter uns, erleben wir sie in unserem Alltag oder müssen wir in der Zukunft noch mit ihnen rechnen? Wie empfinden, erleiden wir die Kreuze dieser Welt und welche Bedeutung haben sie für uns?
Wir sind in diesen Karfreitagsgottesdienst hinein gekommen, weil uns das Leben und Sterben Jesu nicht gleichgültig ist. Aber sind wir auch mit der Hoffnung in diesen Gottesdienst hinein gekommen, dass es auch für uns den Ostertag geben wird, den Tag, an dem wir das Kreuz hinter uns lassen dürfen, um voller Mut und Vertrauen in unser Leben zu gehen, ganz gleich, wie viele Kreuze da für uns stehen mögen? Schauen wir in die Evangelien hinein, so bekommt man den Eindruck, dass es immer ein anderer Mensch ist, der dort gekreuzigt wird.
Da sehen wir in unserem Evangelium Jesus als den Erlöser der Welt, der seinen Weg selbstbestimmt geht, es ist seine Entscheidung, sein Tod. Er spricht auch das letzte Wort: „Jetzt ist alles vollendet!“ oder in einer anderen Übersetzung: „Es ist vollbracht!“ In den anderen Evangelien hören wir von einem römischen Hauptmann, der sich aber ganz unterschiedlich äußert: Mal ist Jesus bei ihm Gottes Sohn, dann wird sein Wort zu einem ersten Bekenntnis eines Heiden und schließlich sieht er in Jesus einen vorbildlichen Menschen. Bei Lukas hören wir die Bitte Jesu um die Vergebung für seine Peiniger, in anderen Evangelien betet er. Im Lukasevangelium stirbt Jesus ohne die Klage: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“, wie wir sie bei Matthäus und Markus hören.
Jeder der Evangelisten hört vom Tod Jesu, doch immer gefiltert durch seine eigene Biografie und das, was ihm von der Kreuzigung und dem Tod Jesu erzählt worden war. So setzen sie in ihrem Evangelium die Schwerpunkte, die ihnen gerade für ihre Hörer wichtig scheinen. Für Johannes ist es wichtig aufzuzeigen, dass Jesus selbst sterbend zurück greift, auf die Worte und vertraute Bilder seiner Bibel, wenn er sagt „Ich habe Durst“ oder geschildert wird, dass die Soldaten sein Gewand unter sich verlosen. So heißt es in Psalm 22: „Meine Kehle ist ausgedörrt, die Zunge klebt mir am Gaumen, ich sehe mich schon im Grab liegen - und du lässt das alles zu! (Psalm 22,16) oder: „Schon losen sie um meine Kleider und verteilen sie unter sich...“ (Psalm 22,19).
Und wenn geschildert wird, dass die Soldaten Jesus Essig reichen, um seine Lippen zu befeuchten, so wird auch damit auf ein altes, bekanntes Bild zurück gegriffen, denn in Psalm 69 heißt es: „Statt Nahrung haben sie mir Gift gereicht, mir Essig angeboten, um meinen Durst zu löschen...“ (Psalm 69,22). Und selbst im letzten Atemzug wird der enge Bezug zu seiner Bibel noch deutlich, wenn es heißt: „Jetzt ist alles vollendet. Dann ließ er den Kopf sinken und gab sein Leben (seinen Geist) in die Hände des Vaters zurück.“ In Psalm 31 wird gesagt: „In deine Hände befehle ich meinen Geist...!“
Ganz bewusst will Johannes diese betende Nähe des Gekreuzigten zu seinem Gott, dem Gott seiner Väter und Mütter im Glauben deutlich machen. Jesus stirbt im Vertrauen auf die Gegenwart Gottes, gerade jetzt in dieser abgrundtiefen, unmenschlichen und unwürdigen Situation. Im Glauben und Vertrauen auf ihn kann er sterben, kann er nun sein Leben zurück geben. Dabei steht menschlich ja alles gegen ihn. Da gibt es die Verurteilung durch die geistlichen Würdenträger Israels und durch Pontius Pilatus, den römischen Statthalter. Da ist das schreiende Volk, das wenige Tage zuvor noch Hosianna gerufen hat und sich nun am Tod eines am Kreuz hängenden, langsam dahin Sterbenden weidet. Ganz offensichtlich ist er gescheitert, denn selbst seine Jünger sind geflohen oder haben ihn, wie Petrus, verleugnet. Und trotz dessen, weiß Jesus sich in der Hand seines Gottes und seine Aufgabe erfüllt.
Hier leuchtet schon etwas auf von dem kommenden Ostertag, von dem natürlich noch niemand etwas ahnt, denn all das, was Jesus als seinen Auftrag ansah ist vollendet, so dass es nun an Gott selbst liegt, dem Tod seine Grenze aufzuzeigen und diesem Ende einen Neuanfang entgegenzusetzen. Das Kreuz kann nie das letzte Wort sein, wenn wir es mit Gott zu tun haben. Und daher schildert Johannes so ein anderes Sterben als die anderen Evangelisten.
Und dann ist da ja noch die Szene mit Maria und Johannes. Auch mit ihr wird von Johannes deutlich gemacht, dass Jesus bis an sein Ende souverän blieb. Ganz sicher soll damit nicht ausgesagt werden, dass Jesus eine besonders enge Beziehung zu seiner Mutter gehabt hätte, was so nicht bezeugt ist, wenn wir den Spuren der biblischen Überlieferung einmal nachgehen. Ganz davon zu schweigen, was dann später aus ihr gemacht wurde. Aber Maria steht hier für das Volk Israel, für das „Judenchristentum“, unter dem Kreuz, während sein Jünger Johannes für das „Heidenchristentum“ 2) steht. Selbst hier am Kreuz ist es dem Evangelisten wichtig, den sterbenden Jesus als den Vermittler zwischen dem, was war und dem was kommt zu schildern. Versöhnt und vereint stehen die beiden unter dem Kreuz und werden aufeinander verwiesen. Es ist das Bild einer „Versöhnten Verschiedenheit“, wie es dann viel später in der Ökumene einmal heißen wird.
Wieder ist es Karfreitag geworden, doch was bedeutet uns heute dieser Tag mit seiner so ganz besonderen Botschaft vom Tode Gottes? Was wird damit ausgesagt, wenn es gerade von uns Evangelischen Christen ja immer heißt, dass der Karfreitag unser höchster Feiertag sei? Soll die Botschaft dieses Tages wirklich ein letztes, ein endgültiges Wort sein, wie stände es dann um unseren Glauben, um unser Leben?
Soll die Karfreitagsbotschaft wirklich bedeutsam für uns werden, so muss sie weiter gehen. Nichts darf zu Ende sein, ja umgekehrt, mit diesem Tag beginnt ein Prozess, der über das Osterfest zum Pfingstfest führt und damit hinein in das Leben der Kirche, in das Leben der Welt, deren Gesicht von nun an mitgeprägt wird durch den Glauben daran, dass der Tod eben nicht mehr das letzte Wort hat.
Karfreitag stellt uns so gesehen an einen Anfang. Auch wir haben vom Kreuz Jesu gehört, wir haben es hinter uns, doch welche Botschaft hören wir, wie werden wir von diesem Kreuz her unser Leben angehen, soll nicht umsonst gewesen sein, was Jesus hier auf sich nahm?
Die ganze Bewegtheit und Erschütterung über den Tod Jesu wird durch Martin Luther in einer Passionspredigt von 1529 deutlich, wenn er dort sagt: „... Der Teufel hat Gott vom Stuhl gestoßen. Gott ist Teufel geworden und die Hölle wiederum Himmel. Was oben liegen soll, liegt unten und umgekehrt. Das Leben ist jetzt der Tod, der Himmel die Hölle... Alles scheint verkehrt...“ 3) Aber gerade er weiß, dass dies eben nicht das letzte Wort ist. Und so bleiben wir mit der Botschaft dieses Tages unterwegs, auch wir müssen ihn aushalten, um dann gedanklich hinüber zu kommen zu diesem neuen Tag, dem Ostertag, mit seiner so ganz anderen Botschaft.
Wir müssen die Kreuze dieser Welt sehen und dürfen ihnen nicht ausweichen, die Kreuze, die Menschen quälen, unterdrücken, ihren Tag zur Nacht machen. Wie könnten wir in diesem Jahr den Karfreitag bedenken, ohne nicht auch an die Gewalt zu denken, die bis in unsere Familien und Schulen hinein praktiziert wird oder aber auch an das Erdbeben in Italien mit seinen über 270 Toten. So werden auch heute noch mitten in unserer Welt Kreuze nicht nur errichtet, sondern auch vielfach selbst erlebt. Weil wir Menschen sind, die das Paradies verloren haben, die mitarbeiten an all dem Schattenhaften und Dunklen, das die Welt verdunkelt, darum lassen wir uns gerade heute an das Kreuz Jesu und seine Bedeutung für uns erinnern. Unsere Hoffnung aber ist, dass nicht die Kreuze dieser Welt und der Tod unser Leben beherrschen, sondern, dass Gott selbst es ist, der das letzte Wort hat - und davon werden dann am Ostertag hören. Amen.
Literatur:
1) in: www.heute.de/ZDFheute/inhalt/7/0,3672,7533575,00.html
2) Bultmann, R., Das Evangelium des Johannes, Göttingen, 196810, S. 521
3) Mühlhaupt, E., D. Martin Luthers Evangelien-Auslegung, Göttingen, 19694,
S. 100
Drewermann, E., Das Johannes Evangelium, Zweiter Teil, Düsseldorf, 2003, S. 277ff
Drewermann, E., Leben, das dem Tod entwächst, Düsseldorf, 19932, S. 145ff
Haberer, J., Karfreitag, Göttinger Predigtmeditationen, 2009, 63. Jhrg., Heft 2,
Göttingen, S. 209
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