Begrüßung:
Liebe Gemeinde! Der Sonntag „Trinitatis“ galt einmal als sehr hoher Feiertag der Kirche, da an ihm an Gott, den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist, den Dreieinigen Gott gedacht wurde. Gerade an diesem Festtag der Kirche können wir sehen, was aus Feiertagen geschehen kann, wenn sie öffentlich nicht mehr wahrgenommen werden. Wir, die wir den Sonntag Trinitatis miteinander feiern, wollen es daher ganz bewusst, ebenso dankbar, wie fröhlich tun, gerade weil es um die Gottheit unseres Gottes geht. Heilig, heilig, heilig ist Gott, der Herr und alle Lande sind seiner Ehre voll.
Gebet:
Gott, wie sollen wir dich ansprechen, wie dich loben, wie dir danken? Unbegreiflich nennen wir dich, weil wir deine Gottheit inmitten unserer kleinen Götter gar nicht erfassen können. Und doch brauchen wir Begriffe, um uns Vorstellungen von dir machen zu können. Gott, suche uns auf in unserem begrifflichen Denken. Suche uns auf und entsteige den festgelegten Formeln, die wir für dich fanden. Lass dich dabei aber gedanklich nicht einfach fesseln und binden. Suche uns auf in unserem Fragen und Suchen und schenke uns ein Staunen, das dich ganz neu lobt und ehrt. Amen.
Liebe Gemeinde!
Wer bin ich und wozu lebe ich, was bestimmt mein Leben und was gibt meiner Existenz seinen unverwechselbaren Wert und Sinn? Reicht es, dass ich einfach da bin, als Teil einer Familie lebe, einen Beruf ausübe, meine Freizeit irgendwie verbringe? Reicht es anderen Menschen wie auch immer zu begegnen, weil ja kein Mensch allein und isoliert leben kann? Nicht einmal ein Tier lebt zweckfrei, es hat innerhalb seiner Tierwelt, seiner Gattung und darüber hinaus Funktionen, wie sollte da ein Mensch einfach nur so allein vor sich hin leben können? Indem wir einander und damit der Welt begegnen, stellt sich die Frage unserer Berufung, nach einem Leben, das sich nicht allein lebt, das auch darum Sinn macht, weil es ein verantwortetes Leben ist.
Niemand von uns wird ein Berufungserlebnis wie Jesaja vorweisen können, doch fast jeder von uns hat sich in seinem Leben schon einmal dazu berufen gefühlt, etwas ganz Bestimmtes zu tun, sei es die Wahl seines Berufes oder eines sozialen Engagements in der Freizeit. Warum haben wir diesen oder jenen Beruf erwählt, uns für eine ganz bestimmte Sache eingesetzt? Sich zu etwas berufen zu fühlen hat Konsequenzen, da spüren wir den Ernst einer Anforderung, einer Herausforderung, der wir uns kaum entziehen können. Wir setzen uns für etwas ein, wovon wir überzeugt sind, dass es wichtig ist, oft ganz unabhängig von der Frage, ob es sich für uns lohnt.
In den Erzählungen der Chassidim, einer jüdischen Glaubensrichtung, lautet „die Frage aller Fragen“: „Vor dem Ende sprach Rabbi Sussja: `In der kommenden Welt wird man mich nicht fragen: Warum bist du nicht Mose gewesen? Man wird mich fragen, warum bist du nicht Sussja gewesen?´“ [1] Die alte chassidische Weisheit weiß darum, dass man sein Leben verfehlen kann, wenn man es nicht gelebt hat, sondern passiv gelebt wurde oder seinen Träumen nachjagte, anstatt gerade dort wirklich aktiv und bewusst zu leben, wo man durchaus die Gelegenheit dazu hatte. Bei dem Gefühl zu einer Sache berufen zu sein, da geht es um mich, allein und ausschließlich um mein Reden und mein Tun und das mit allen Konsequenzen.
Jesaja berichtet von seiner Berufung im Jahr 735 v. Chr. In einer unaussprechlichen Vision begegnet ihm die Gottheit Gottes. Engelwesen umgeben ihn. Von ihrem Gotteslob erzittern die Grundfesten des Tempels, der sich mit Rauch füllt, um das Allerheiligste zu verdecken. Kein Mensch kann sich vorstellen, was Jesaja uns hier im Rückblick auf seine Berufung schildert. Im Gegenüber zu den himmlischen Wesen die Gott mit ihrem „Heilig, heilig, heilig ist der Herr, der Herrscher der Welt...“ anbeten, ist er von einer abgrundtiefen Lebensangst erfüllt. Ihm fehlen die Worte, um Gott angemessen anbeten zu können, er weiß angesichts seines Erlebens um seine menschlichen Grenzen, sein Versagen, seine Nichtigkeit vor der Gottheit Gottes. Einer der himmlischen Wesen reinigt seine Lippen mit glühender Kohle. Wir können kaum erahnen, was Jesaja damit ausdrücken will, der von einer unaussprechlichen Erfahrung berichtet.
Zu fragen bleibt: Was singen wir denn eigentlich, wenn wir in der Abendmahlsliturgie eben dieses dreimalige „Heilig, heilig, heilig“ anstimmen, das allein Gott die Ehre gibt? Zu fragen bleibt, wie unsere eigenen Gotteserfahrungen aussehen und wie wir selbst über, von und mit Gott reden
Jesaja hört, wie in den Raum hinein gefragt wird: „Wen soll ich senden? Wer ist bereit unser Bote zu sein?“ Und er stellt sich seiner Berufung: „Ich bin bereit, sende mich!“ Es klingt, als würde Gott eine Stelle ausschreiben, Mitarbeiter suchen für sein Werk in der Welt.
Berufungserfahrungen gibt immer wieder einmal. Menschen, die Gott zwar nicht so unmittelbar wie Jesaja erleben, sich aber dennoch angesprochen und zu einer Aufgabe im Dienst Gottes berufen fühlen. Heute erleben wir es fassbarer, dass es die Kirche ist, die Menschen zu einem Dienst beruft: Kirchengemeinderäte, kirchliche Mitarbeiter, Pfarrer oder Bischöfe. So lautet die Anfrage im Rahmen der Ordination in den Pfarrdienst: „Bist du bereit, dich in den Dienst der öffentlichen Verkündigung berufen zu lassen...?“ [2] Dennoch stellt sich die Überlegung nach einer Berufung eben nicht allein durch einen offiziellen Akt der Kirche, was nach der Ordination in der Anrede an die Gemeinde deutlich wird, wenn es dort heißt: „... Dabei sollt ihr bedenken, dass wir alle auf Grund der Taufe zum Zeugnis und Dienst in der Welt berufen sind...!“ [3]
Ziel der Berufung Jesajas ist Zeuge zu sein für das, was Gott dem Volk zu sagen hat. Ziel einer jeden Berufung ist dieser Zeugendienst in der Welt. Wobei das, was Jesaja nun vermitteln wird unvorstellbar ist: Israel hat sich mit der kommenden Weltmacht Assur verbunden, um dem Untergang zu entgehen. Assur, das ist brutaler Militarismus pur, es verfügt über alles, was Angst und Schrecken verbreitet, da ist es gut, diese Weltmacht nicht zum Gegner zu haben. In dieser Situation, in der Israel auf Sicherheit setzt, wie bekannt uns das doch vorkommen muss, sagt Jesaja sein Wort. Nichts, aber auch gar nichts wird Israel von dem erkennen und verstehen, was ihm von Gott her gesagt wird, die Ohren werden zu sein, die Augen verklebt. Und auf die Frage Jesajas „Wie lange, Herr?“, kommt die vernichtende Antwort: „Bis die Städte zerstört sind und die Häuser leer stehen und das ganze Land zur Wüste geworden ist. Ich werde die Menschen fortschaffen, und das Land wird leer und verlassen sein...“
Gott sei Dank bekommt nicht jeder von uns einen solchen Auftrag, mit dem er sein eigenes Leben für seinen Glauben aus Spiel setzt, aber ein jeder von uns ist nach seiner Berufung, nach der Lebendigkeit seines Glaubens heute gefragt. Und so werden wir – so fremd uns das klingen mag – auch den Ernst spüren, mit dem Gott sein eigenes Volk dem Gericht überlässt, - ein Volk, das seinen Gott längst anderen Göttern geopfert hat, sich militärischer Stärke versichert und eben dadurch der Vernichtung anheim fällt. Wie hören wir ein solches Wort, wie mögen es die Militär- und Machtpolitiker der Welt hören, wenn sie als Christen unter ihren Kanzeln sitzen?
Angesichts der oft populistischen Machtpolitik, die alles zum Terrorismus erklärt, was sie dafür hält, erfahren nun aber auch wir die Grenzen militärischer Macht – wir brauchen ja nur die Tagesschau anzusehen und sollten gewarnt sein. Das Grausige ist, dass die „Sendung des Propheten darin besteht, dass die Gottesbotschaft nicht ankommt!“ [4] Hier steht einer gegen alle und er spricht nicht von einer kleinen Buße, die Gott über das Volk verhängen wird, sondern er spricht vom vorläufigen Ende Israels. Israel muss schmerzhaft erkennen, dass es ein zu spät im Leben gibt.
Nur ein Trost bleibt: Ein kleiner Rest soll überleben, so, wie aus einem Baumstumpf neues Leben sprosst, so wird es die Wenigen geben, die leben zur Ehre Gottes. Spiegelt das nicht heute schon unsere Wirklichkeit wieder? Wie lebendig ist unsere Kirche, unser Glaube? Die Zahl der Kirchenmitglieder ist weit höher als die Zahl derer, die ihren Glauben wirklich leben und in ihren Kirchen aktiv sind. Kirchliche Feiertage werden in Frage gestellt, weil sie längst nicht mehr zur Ehre Gottes, sondern für die Pflegeversicherung und anderes gebraucht werden, auch wirtschaftliche Argumente zählen.
Es bleibt der Trost, dass Jesaja uns einen Weg weist, wie wir mit Gott und gegen die falschen Götter in der Welt, wie immer sie heißen mögen, leben und weiterleben können. So ist das Ziel unserer eigenen Berufung heute: Zeuge zu sein, zu Botschaftern Gottes in der Welt zu werden. Das beantwortet dann schon einige der eingangs gestellten Fragen nach dem „wozu“ unseres Lebens für uns selbst, für unseren Glauben, wie für die Welt, in der wir leben. Dietrich Bonhoeffer erzählt in einem Brief an einen Freund von einem Gespräch mit einem jungen Pfarrer, das er vor Jahren in Amerika geführt hatte. „Wir hatten uns“, so erzählt er, „ganz einfach die Frage gestellt, was wir mit unserem Leben eigentlich wollten. Da sagte er: Ich möchte ein Heiliger werden (...), das beeindruckte mich damals sehr. Trotzdem widersprach ich ihm und sagte ungefähr: ich möchte glauben lernen...[5]
Ein Kind, das getauft ist, ist ein Christ und doch muss es in sein Christsein erst noch hineinwachsen; ein Jugendlicher, der konfirmiert wird, ist ein Gemeindeglied mit fast allen Rechten, aber dennoch wird er auf seinem weiteren Weg erst lernen müssen, was das nun ganz praktisch im Alltag für ihn persönlich, für seine Mitmenschen, für seine Kirche bedeutet. Wir alle müssen glauben lernen, so, wie die ersten Schritte, die ersten Worte, die erste Liebe als wegweisende Schritte ins Leben erlernt werden müssen.
Auch ein Prophet muss lernen. Und Jesaja lernt schmerzhaft, was es heißt, das Wort Gottes weiterzugeben, auch und gerade als ein unbequemes Wort, ein Wort des Gerichtes. Jeder Glaube bleibt ein Lernprozess mit dem man ein Leben lang durch alle Erfahrungen hindurch unterwegs ist – und es gibt Augenblicke, da scheint auch uns Gott sehr weit weg, verdunkelt, fremd. Wer von uns könnte da schon so einfach sagen: „Ich bin bereit, sende mich!“. Jeden Tag, gerade aber am Sonntag Trinitatis, an dem wir der Dreieinigkeit Gottes gedenken, sind wir eingeladen, auch das noch zu erlernen, nämlich Gott die Ehre zukommen zu lassen, die ihm allein zusteht, um dann unserem Gott mit unserem ganzen Glauben und Leben die Ehre zu geben. Vielleicht manchmal auch nur als ein kleiner Rest, aber immerhin, denn aus ihm wächst neues Leben: „Heilig, heilig, heilig ist der Herr, der Herrscher der Welt...“ Amen.
Literatur:
1) Buber, M., Die Erzählungen der Chassidim, Zürich, 1949, S. 394
2) Agende für die Evang. Landeskirche in Baden, Band V,Karlsruhe, 1987 S. 35
3) Agende, a.a.O., S. 39
4) Sauter, G., Calwer Predigthilfen, 1998/1999, Reihe III/2, Stuttgart, 1999, S. 35
5) Hirsch-Hüffel, Th., Und siehe – er lebt, in: Deutsches Pfarrerblatt 5/2005, S. 245
Barth, K., Die Kirchliche Dogmatik, IV/3, 2. Hälfte, Zürich, 1959, S. 665 f
§ 71, „Des Menschen Berufung“
Drewermann, E., Tröstet, tröstet mein Volk, Zürich, 1999, S. 181 ff
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