6. Sonntag nach Trinitatis, 5.Mose 7,6-12
Denn ihr seid ein Volk, das ausschließlich dem Herrn gehört. Der Herr, euer Gott, hat euch unter allen Völkern der Erde ausgewählt und zu seinem Eigentum gemacht. Das tat er nicht etwa, weil ihr größer seid als die anderen Völker - ihr seid vielmehr das kleinste unter ihnen! Nein, er tat es einzig deshalb, weil er euch liebte und das Versprechen halten wollte, das er euren Vorfahren gegeben hatte. Nur deshalb hat er euch herausgeholt aus dem Land, in dem ihr Sklaven ward; nur deshalb hat er euch mit seiner starken Hand aus der Gewalt des Pharaos befreit. Er wollte euch zeigen, dass er allein der wahre Gott ist und dass er Wort hält. Er steht zu seinem Bund und erweist seine Liebe bis in die tausendste Generation an denen, die ihn lieben und seine Gebote befolgen. Aber alle, die sich ihm widersetzen, bestraft er auf der Stelle und vernichtet sie. Er wird nicht zögern, sondern jeden auf der Stelle vernichten, der ihn missachtet. Darum haltet euch stets an seine Weisung, an die Gebote und Rechtsbestimmungen, die ich euch heute verkünde! Wenn ihr dem Herrn, eurem Gott, treu bleibt und auf seine Gebote hört und sie befolgt, wird auch er treu sein und zu den Zusagen stehen, die er euren Vorfahren gegeben hat.
Liebe Gemeinde!
Gibt es eine Liebe, die vom Himmel fällt, einfach so, eine Liebe auf den ersten Blick? Die Liebe Gottes zu seinem Volk Israel ist eine solche Liebe. Israel hat ja nichts Aufregendes getan, um sich die Liebe Gottes zu sichern, Israel konnte zunächst aber auch gar nichts für diese Liebe tun. Gott war und bleibt zunächst der Handelnde, der Werbende, der Liebende und so steht Israel immer in dieser besonderen Beziehung zu seinem Gott, gerade auch in der Art und Weise, wie es auf die Liebe Gottes antwortet.
Die Erwählung Israels ist also kein Verdienst für besondere Leistungen, sondern es ist ein unverfügbares, unbegreifliches Geschenk, wie jede Liebe, die einem Menschen geschenkt wird. Dennoch klingt unser Text für unsere Ohren ungewöhn-lich, und so schön er sich für das alte Israel anhörte, so sehr befremdete er seine Hörer. Wer möchte schon einem anderen gehören, zum Besitz eines anderen zählen. Das klingt doch sehr nach den Sklaven Amerikas, die einmal gekauft, ihrer Herrschaft gehörten und mit denen diese dann tun und lassen konnten, was den Sklavenhaltern gefiel.
Auch für die Liebe, in der wir uns einem anderen Menschen eigentlich unauflöslich verbunden fühlen, gilt ja, dass wir damit einem anderen nicht einfach gehören, zum Besitz werden. Unsere Liebe braucht immer die Freiheit der Entscheidung, das exklusive Ja, das uns dann zwar bindet, aber eben in Freiheit und nicht im Sinne eines verfügbaren Besitzes. Gleiches gilt für alle Bindungen in einer Familie. Kinder gehören ihren Eltern nicht, dennoch sind sie ihren Eltern ein Leben lang unauflösbar verbunden. Ich kann meinen Eltern ja keine Kündigung schicken, wenn es in der Pubertät einmal kriselt. Umgekehrt gehören aber auch die Eltern ihren Kindern nicht und doch bleiben auch sie in dieser lebenslangen, ganz besonderen, Verbindung.
Israel wird nicht zum Sklaven Gottes, aber Gott zeigt seinem Volk die Besonderheit seiner Existenz durch diese Gottesbeziehung auf. Und aufgefallen ist Israel in der langen Geschichte mit seinem Gott ja immer wieder, dass diese Verbindung eine sehr exklusive Beziehung darstellt. Der Glaube an eben diesen erwählenden Gott lässt Israel bis auf den heutigen Tag überleben, aber umgekehrt gilt auch, dass das Volk Gottes seinen Gott bis heute immer wieder aus den Augen verlor und anderen Göttern folgte. Gott weiß also, warum er sein Volk warnen muss, will es seine Identität unter den Völkern und seine besondere Beziehung zu seinem Gott nicht verlieren.
Aber unser Text erweitert sich ja über das Volk Israel hinaus in unser Leben hinein, denn mit dem Leben Jesu sind ja nun auch wir angesprochen und gemeint. Gottes Liebe sucht den Menschen weltweit dort, wo er lebt, er ist an keine Grenzen eines Kontinents, eines Landes, der Hautfarbe oder Bildung gebunden. Nach Israel sind auch wir angesprochen. Es fragt sich nur, wie nun auch wir auf unsere Erwählung, auf die Liebe Gottes zu uns, antworten? Gerade angesichts der Erweiterung Europas hören wir ja immer wieder von den Werten des christlichen Abendlandes, aber was meinen die so redenden Politiker damit? Meinen sie bestimmte Traditionen, kulturelle Entwicklungen und Standards oder wirklich den christlichen und nicht irgend einen Glauben?
Hier müssen Christen mehr als kritisch hinhören, damit beliebige Werte und entstandene Traditionen, so schön sie auch sein mögen, nicht mit dem christlichen Glauben verwechselt werden. Werte und Traditionen sind eine Sache, die Antwort auf die Erwählung Gottes und seine Liebe zu uns ist eine ganz andere. Das aber ist der Maßstab, der gilt und sonst gar nichts anderes. Denn was „christlich“ ist, entscheiden keine Verfassungsväter und Mütter, keine Parteiprogramme, sondern das ist nachzulesen im biblischen Wort – und dort allein.
Wir alle spüren damit den hohen Anspruch, den der Glaube stellt, aber wie könnten wir auf die Liebe Gottes anders reagieren, als mit einer solchen Ernsthaftigkeit unserer Auseinandersetzung. Ich habe jetzt wieder einmal Konfirmandinnen erlebt, die sich ernsthaft gefragt haben, ob sie das Ja zum Bekenntnis ihres Glaubens denn überhaupt versprechen könnten, wenn doch noch so viele Fragen offen und unbeantwortet sind? Eine solche Ehrlichkeit und Fähigkeit zur kritischen Rückfrage an den eigenen Glauben fehlt in der volkskirchlichen Frömmigkeit, wie im öffentlichen Leben oft, uns reichen da zumeist die frömmelnden Floskeln, so lange sie sich gut anhören.
Die Theologin Dorothee Sölle erzählt: „Einmal hat ein Hörer meiner Vorlesung vor 330 Leuten etwas sehr Ehrliches gesagt. Etwa so: `Ich fühle mich eigentlich ganz wohl. Ich habe keine Fragen. Zugleich bin ich unbefriedigt, weil ich keine Fragen habe. Sie haben eben über den geistlichen Hunger gesprochen, das hat mich erschreckt. Ich wäre gern hungrig, bin es aber nicht.´ Mit dem Gotteshunger, so Sölle weiter, ist es so, dass er zwar wie der leibliche immer wieder kommt, dass er aber ganz leicht abgelenkt und umfunktioniert werden kann. Dann vergisst man ihn, schlägt sich den Bauch mit anderen Sachen voll und erklärt `Ich bin nicht religiös.´ Dieser triviale Satz hört sich für mich ungefähr so an, als wenn einer sagte: `Es macht mir nichts, dass meine Schwester vergewaltigt wird und mein Bruder in einem psychiatrischen Krankenhaus eingeht, ich bin sowieso auf beiden Augen blind..., ich bin eben nicht religiös...´ Gott brauchen wir aus Schmerz, Angst und Wut, das sind die verstoßenen Geschwister der Liebe. Wenn wir Schmerz, Angst und Wut wieder an uns heran lassen, dann kommen wir heraus aus der Anspruchslosigkeit...“ [1]
Die immer wieder gestellte Frage ist dann aber, wie bei unseren Konfirmandinnen, wie das denn ganz praktisch im Leben angehen kann, so sagt sie dann weiter: „Gott wird nicht gefunden wie ein kostbarer Stein oder die blaue Blume, sondern Gott ereignet sich. Gott geschieht... Was in der Gottesbegegnung geschieht, ist nicht, dass das Suchen durch Finden beendet wird, sondern durch Gefundenwerden... Mir scheint die oft gestellte Frage: Glaubst du an Gott? Meistens oberflächlich. Wenn es nur bedeutet, dass in deinem Kopf ein Extrafach ist, wo Gott sitzt, dann ist Gott keineswegs ein Ereignis, das dein ganzes Leben verändert, wie Buber es über die wirkliche Offenbarung, aus der ich nicht unverwandelt herauskomme, sagt. Wir müssen eigentlich fragen: Lebst du Gott?“ [2]
Noch einmal, es ist also wie in der Liebe, die wir ja auch nicht einfach in einem Extrafach im Kopf haben, wenngleich sie natürlich im Gehirn verortet ist. Natürlich suchen, fragen, ringen wir um Liebe in unserem Leben, kein Mensch möchte schließlich ungeliebt leben. Aber auch hier gilt, dass es um dieses fast unverfügbare Gefundenwerden geht und die Frage, ob und wie wir diese Liebe zum geliebten Mitmenschen erfahrbar leben? Alles andere bliebe Theorie, Betrug am anderen Menschen oder ein Selbstbetrug an mir selbst.
Auch die Liebe hat ja einen exklusiven Anspruch auf den geliebten Menschen. Wir lieben die eine und nicht manch andere Frauen oder Männer und werden eben so geliebt. Liebe schließt aus, grenzt sich ab, denn wir können und wollen nicht jeden so lieben, wie es in der Ehe geschieht oder in der Liebe zwischen uns und unseren Kindern und umgekehrt unseren Kindern und uns. Aber: Spiegelt sich dieses falsche Verständnis von einer falschverstandenen, romantisierenden Liebe nicht in den hohen Ehescheidungsquoten in unserer Gesellschaft wider? So, wie ja auch der Glaube in der volkskirchlichen Frömmigkeit oftmals erstarrt ist, weil ich mir meiner Erwählung, ja der Liebe Gottes, gar nicht mehr bewusst bin.
Bei der Liebe, wie dem Glauben sind oft schon die Voraussetzungen falsch, in denen es ja als ein Beziehungsgeschehen, um das Vertrauen und die Treue geht, weshalb dann weder die Liebe im Alltag einer Ehe, noch der Glaube der Wirklichkeit einer sich wandelnden Zeit und des entsprechenden Zeitgeistes standhalten können. Wie reden wir, was denken wir: Da wird einem Bundeskanzler auf seine dringende Bitte hin das Vertrauen entzogen, wobei ihm gleichzeitig, aber hinter vorgehaltener Hand, gerade das Vertrauen seiner Anhänger ausgesprochen wird. Die Oppositionsführerin lobt nachdrücklich diesen Schritt, denkt dabei aber natürlich an etwas ganz anders. Hintersinnigkeiten und Doppelbödigkeiten gerade in Bezug auf eine Vertrauensfrage, die deutlich werden lassen, wie es in Deutschland um Wahrheit und Verlässlichkeit eines Wortes steht, ganz zu schweigen von einem Volk, das nach Reformen verlangt, aber eben nur auf Kosten anderer.
Israel hört dieses Wort am Ende eines langen Weges mit seinem Gott, und es hört daher auch die Warnungen und Mahnungen dieses Textes im kritischen Rückblick auf seine Geschichte. Immer wieder hat man nach fremden Göttern geschielt und so erlebte man dann die politischen Rückschläge und Katastrophen als Zeiten der Abwesenheit Gottes. Doch nicht Gott hatte sich abgewandt, sondern das Volk selbst suchte sich seine Götter und ist an diesem Zwiespalt im persönlichen, wie im politischen Leben gescheitert.
Wir kommen also gar nicht darum herum, den ernsten Anspruch Gottes an unser ganzes Leben zu hören und wer das ganz konkret tun möchte – und dazu sind wir ja immer wieder eingeladen – der sollte noch einmal anfangen, nach Gott zu fragen, Fragen an den eigenen Glauben zuzulassen, Antworten zu suchen und zu versuchen, um dann schließlich und endlich in der eigenen Gottesbeziehung etwas von diesem unverfügbaren „Gefundenwerden“ zu erahnen. Es ist Gott, der uns in unserem Christsein erwählt hat, so, wie er sein Volk Israel erwählte. Es liegt an Israel und an uns, wie unser Glaube gelebt wird, denn: Leben wir Gott? Dort jedenfalls, wo Gott unter uns gelebt wird, da hat der Glaube Konsequenzen bis in das Zusam-menleben unter uns und bis in politische Fragestellungen und Entscheidungen hinein. Gott lässt sich auch im Alltag nicht einfach ausblenden und ausklammern, wenn er wirklich von uns gelebt wird.
Bewahren wir uns also diesen geistlichen Hunger, der sich gerade nicht billig abspeisen lässt und der es wagt, mit seinem Glauben, seinen Fragen und Zweifeln, seinen Träumen und Hoffnungen unterwegs zu bleiben, immer in der Hoffnung, dass Gott uns dann einmal findet, wer immer wir sind und wo immer wir leben. Amen.
Literatur:
1) Sölle, D., Den Rhythmus des Lebens spüren, Freiburg, 2001, S., 186
2) Sölle, D., a.a.O., S. 183
Grötzinger, A., Calwer Predigthilfen, 1998/1999, Reihe III/2, Stuttgart, 1999, S., 76 ff
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