8. Sonntag nach Trinitatis, Jesaja 2,1-5

 

 

 

 

Begrüßung:

 

Liebe Gemeinde! Haben wir noch Visionen in einer Zeit, wo es scheinbar nur noch um das Schnelle, Überschaubare und Machbare geht? Doch wenn uns die Visionen für die Zukunft unseres eigenen Lebens fehlen, wie wollen wir dann die Zukunft angehen, ohne zu resignieren, wenn die Dinge einmal anders, als erhofft, laufen? Visionen helfen uns auf allen Ebenen unserer Gesellschaft konstruktiv in die Zukunft hinein zu leben und sie aktiv zu gestalten.

           

            Lebt als Kinder des Lichts; die Frucht des Lichts ist Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit (Epheser 5, 8+9).

 

 

 

Gebet:

 

Herr, guter Gott! Weil es uns oftmals an Visionen mangelt, darum leben wir so plan- und orientierungslos. Wir lassen uns durch unser Leben treiben und fühlen uns aus der Bahn geworfen, wenn das Leben einmal anders verläuft, als wir es uns vorstellen. Wo aber wollen wir mit unserem Leben einmal ankommen, was ist es uns wert, uns dafür einzusetzen, uns zu engagieren, zu arbeiten und zu leben? Herr, wir bitten dich, dass unser Glaube uns maßstäblich wird, weil dein Wort und Geist unser Leben und das Zusammenleben in unserer Welt für alle Menschen freundlicher und lebenswerter macht. Führe einen jeden von uns zu dem Ziel, das letztendlich dann in deiner Gegenwart endet. Darum Bitten wir. Amen.

 

 

 

In einer Offenbarung empfing Jesaja, der Sohn von Amoz, folgende Botschaft über Juda und Jerusalem:

 

Es kommt eine Zeit, da wird der Berg, auf dem der Tempel des Herrn steht, unerschütterlich fest stehen und alle anderen Berge überragen. Alle Völker strömen zu ihm hin. Überall werden die Leute sagen: »Kommt, wir gehen auf den Berg des Herrn, zu dem Haus, in dem der Gott Jakobs wohnt! Er soll uns lehren, was recht ist; was er sagt, wollen wir tun!« Denn vom Zionsberg in Jerusalem wird der Herr sein Wort ausgehen lassen. Er weist die Völker zurecht und schlichtet ihren Streit. Dann schmieden sie aus ihren Schwertern Pflugscharen und aus ihren Speerspitzen Winzermesser. Kein Volk wird mehr das andere angreifen, und niemand lernt mehr das Kriegshandwerk. Auf, ihr Nachkommen Jakobs, lasst uns in dem Licht leben, das vom Herrn ausgeht!

 

 

 

Liebe Gemeinde!

 

„Es kommt eine Zeit...!“, mit diesen Worten beginnt die große Vision einer Völker-wallfahrt des Propheten Jesaja. Alle Menschen werden, wenn es so weit ist, auf den Berg des Herrn und zu dem Haus ziehen, in dem der Gott Jakobs wohnt. Vom Zionsberg in Jerusalem aus wird Gott die Völker lehren, allen Streit schlichten, so dass sie die Schwerter zu Pflugscharen schmieden und aus Speerspitzen Winzer-messer herstellen; kein Volk wird mehr ein anderes angreifen und das Kriegshand-werk wird niemand mehr erlernen... Das ist der Stoff, aus dem menschliche Träume sind.

 

Doch sofort hören wir, gerade von unseren Politikern, dass man mit der Bibel schließlich keine Politik machen könne. Und weil das angesichts unserer Welt ja sehr glaubwürdig klingt, braucht man sich dann auch gar nicht mehr darum zu bemühen, sich vom Wort und Geist Gottes in seinen Entscheidungen leiten zu lassen. Dabei gibt es ja trotz den gegenwärtigen Kriegen, dem weltweiten Terror-ismus, vielfacher Verfolgung und Unterdrückung eine Fülle von einschneidenden politischen Veränderungen in der Welt, die mit einer Vision begann. Sie wurden einmal vom Glauben und in der Hoffnung auf andere, als gewaltvolle Mittel, geistig begründet und angestoßen.

 

Die eindrucksvollste Vision an die manche von uns sich noch gut erinnern werden hatte wohl Martin Luther King, der im August 1963 - vor dem Marsch auf Washington - von seinem großen Traum öffentlich sprach. Er sagte damals: „Ich habe einen Traum, dass eines Tages auf den roten Hügeln von Georgia die Söhne früherer Sklaven und die Söhne früherer Sklavenhalter miteinander am Tisch der Brüder-lichkeit sitzen können. Ich habe einen Traum, dass meine vier kleinen Kinder eines Tages in einer Nation leben werden, in der man sie nicht nach ihrer Hautfarbe, sondern nach ihrem Charakter beurteilen wird... Ich habe einen Traum, dass eines Tages jedes Tal erhöht und jeder Hügel und Berg erniedrigt wird. Die rauen Orte werden geglättet und die unebenen Orte begradigt werden. Die Herrlichkeit des Herrn wird offenbar werden, und alles Fleisch wird es sehen. (Jesaja 40,4+5)

 

Das ist unsere Hoffnung... Mit diesem Glauben werde ich fähig sein, aus dem Berg der Verzweiflung einen Stein der Hoffnung zu hauen. Mit diesem Glauben werden wir fähig sein, die schrillen Missklänge in unserer Nation in eine wunderbare Symphonie der Brüderlichkeit zu verwandeln. Mit diesem Glauben werden wir fähig sein, zusammen zu arbeiten, zusammen zu beten, zusammen zu kämpfen, zusammen ins Gefängnis zu gehen, zusammen für die Freiheit aufzustehen, in dem Wissen, dass wir eines Tages frei sein werden...“ [1]

 

Auch wenn in den USA und anderswo in der Welt der Rassismus immer noch nicht endgültig ausgerottet ist, so hat sich doch unendlich viel bewegt. Auch Mahatma Gandhi veränderte seine konkrete Welt, weil er als religiöser Mensch an die `Einheit allen Lebens´ und die damit gegebene `Übereinstimmung aller menschlicher Interessen´ glaubte. [2] Wir können aber auch an Willi Brand denken, der mitten im Kalten Krieg den Begriff der „Versöhnung“ in die politische Debatte einführte, hart bekämpft von seinen politischen Gegnern. Doch gerade auch seine Vision wurde politisch umgesetzt in den - der Wiedervereinigung von 1989 vorangegangenen - Ostverträgen. Visionen geben ein Ziel vor, auf das man zu leben und hinarbeiten kann.

Auch wenn die Botschaften wie bei Mahatma Gandhi, Martin Luther King oder Willi Brand für die Hörer zunächst noch eine unerfüllbare Zukunftsmusik waren, so wurden sie dennoch schließlich eine Realität. Oder denken wir noch an die Umwelt-bewegungen der letzten Jahrzehnte, wie Greenpeace, Robin Wood und auch die Kirchen weltweit, die sich der „Bewahrung der Schöpfung“ offensiv angenommen haben. Dadurch wurde sehr konkret zu einem Umweltbewusstsein beigetragen, um das Politiker weltweit heute nicht mehr so ganz einfach herum kommen, und ähnliches gilt durchaus auch für die oft belächelte Friedensbewegung. Wie sähe es heute in Deutschland aus, wenn wir uns in den unseligen Krieg im Irak hätten hinein ziehen lassen?

 

Man sollte sich also hüten, Visionen zu belächeln, nur weil die reale Gegenwart solche Träume scheinbar noch nicht zulässt. Liegt die Misere unserer heutigen Politik bei Regierungen und Oppositionen in Bund und Ländern nicht vielleicht auch an dem Verlust von Visionen, denn wenn ich keine Visionen mehr formulieren kann, mit welchen weiterreichenden Hoffnungen könnte ich dann leben? In der Bibel heißt es einmal: „Ein Volk ohne Visionen geht zugrunde“ (Sprüche 29,18). Ohne Visionen kann die Tagespolitik nur noch kurzatmig die Gegenwartsfragen, Sorgen und Nöte verwalten. Das aber, wir spüren es alle, reicht heute nicht mehr aus, und manch einer von uns weiß sehr genau, dass sich die Welt durchaus anders regieren und die politische Wirklichkeit mutiger gestalten ließe.

 

Auch wir werden einmal von unseren Kindern gefragt werden, was wir uns dabei gedacht haben, auf ihre Zukunftschancen und Kosten gelebt zu haben? Und gerade Eltern werden sich ja Gedanken darüber machen, was sie ihren Kindern mitgeben möchten, was weiter reicht, als bis zu einer guten Versorgung und Ausbildung. Was schulden wir unseren Kindern, wenn wir sie in die Kirche bringen, um sie taufen zu lassen? Was wir ihnen schulden ist genau dieser andere Geist, der sich nicht mutlos machen lässt in den Stürmen des Lebens. Wir schulden ihnen die Vision eines gelingenden Lebens und weil uns das allein gar nicht möglich ist, darum ist es nötig, die Worte der Bibel, als Worte der Hoffnung, immer wieder neu zu hören.

 

Jeder der es hören will muss sich auf den Weg machen, er muss, was für ein Bild, den Berg hinauf zum Haus des Herrn. Jeder bekommt dieses gute Wort geschenkt, aber man muss es sich schon abholen, denn wer zu Hause bleibt, wird auch bei sich selbst bleiben und kaum bei Gott ankommen. Beten kann ich natürlich auch in dem berühmten „stillen Kämmerlein“ oder, wie man es mir oft erzählt im „Wald“. Nur zu wem bete ich denn, wenn ich mich dem Wort meines Gottes gar nicht mehr stelle, und was sind das für selbstgemachte und selbsterdachte Götter und Götzen? Unser Leben und die gesellschaftliche Situation von Zukunftsangst und Resignation zeigt doch in vielerlei Hinsicht, dass wir noch weit davon entfernt sind, in „dem Licht zu leben, das vom Herrn ausgeht...!“

 

Da mag man Gott so oft im Munde führen, wie man will und „christliche“ Werte beschwören, wer nur sich selbst hört und seine Meinung und gerade nicht auf das Wort Gottes, der wird aus dem Kreislauf um sich selbst und die eigenen goldenen Kälber nicht herauskommen und die Welt wird bleiben, wie sie ist. Nein, Jesaja macht Mut, weil er das Vertrauen hat, über dunkle Lebenserfahrungen hinweg zu verweisen, er weiß, dass die Zukunft des Menschen anders aussehen wird, wenn man Gott zu vertrauen lernte.

Und eben davon hat Jesus uns allen eine Spur aufgezeigt. Er hat seinem Volk Israel vorgelebt, wie es aussehen kann, wenn kein Mensch mehr ausgegrenzt und ausgeschlossen wird: Kein Sünder, keine Hure, kein Zöllner, kein Fremder, kein Römer, kein Kranker, kein Kind. Das aber ist dort möglich, wo Gott im Leben und Zusammenleben wichtig geworden ist. Er ermutigt zu dem Frieden, zu dem wir Menschen aus uns selbst heraus nicht fähig sind.

 

Jesaja sieht alle Völker vereint und er sieht sie visionär auf Gott hören. Manches hat sich in unserer Gegenwart bereits erfüllt. Die Völker der Welt sind in den letzten Jahrzehnten immer enger zusammen gerückt, so dass jeder Konflikt in einer Region der Welt auch an ganz anderen Orten zu spüren ist; - die Wirtschaft oder die Kommunikationstechniken kennen keine Grenzen mehr, so wenig wie die weltweit operierenden Banken und Börsen. Ein Produkt, wie z.B. die elektrische Zahnbürste `Elite 7000´, so konnten wir es jetzt lesen, wird von 4500 Mitarbeitern in zehn Ländern, drei Kontinenten und fünf Zeitzonen produziert. Bis zur Endmontage hat diese Zahnbürste etwa 30.000 km zurück gelegt. [3] Jeder von uns weiß, dass wir nur noch global existieren und durch die Globalisierung überleben können. Und doch sind wir noch weit weg von der Erfüllung der Vision des Propheten Jesaja.

 

Eine solche Vision erfüllt sich nicht von allein. Gott kann Israel, er kann uns einladen, uns auch im Hören auf sein Wort zusammen zu schließen, und die im Bekenntnis ihres Glaubens verbundenen Kirchen sind dieser weltumspannende Ort, an dem das geschieht. Nun kommt es für alle Christen, Juden und Moslems darauf an, aufzuzeigen, was es heißt, an eben diesen Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs zu glauben. Immer wieder haben es einzelne Menschen und Gruppen geschafft, das Gesicht ihrer Umwelt nachhaltig zu verändern, es gibt heute keine Ausreden mehr, wenn wir nicht selbst damit anfangen: In der Familie, dem Betrieb oder Verein, auf der Straße, in der Nachbarschaft und zwischen konkurrierenden Parteien im Wahlkampf. Das sind die Orte, an denen sich zeigen wird, welche Kraft der Glaube hat oder wie ohnmächtig er den Eigeninteressen des Menschen ausgeliefert ist.

 

Leben wir uns unserem Gott entgegen, über die Berge, die uns im Weg stehen hinweg und durch Täler hindurch, in bedrängender Not und Traurigkeit, aber auch in der Freude, die uns geschenkt ist. Jede psychische und physische Erfahrung kann uns zum Ort der Gottesnähe oder der Gottesferne werden. Wer sich gedanklich nicht bewegt, sich nicht auf den Weg zu Gott macht, der wird Gott niemals erfahren. Und so ist dann mit der Taufe unserer Kinder nichts zu einem guten Ende gekommen, sondern Sie, die Eltern, Paten und Familien sind, wie wir alle mit unserem Glauben täglich neu an einen Anfang gestellt. An den Anfang, sich mit Ihrer Familie auf den Weg zu machen, dorthin, wo wir Gott hören, im ganz alltäglichen Leben und bis in unsere Gottesdienste hinein.

 

Wo das geschieht, können Visionen mit Leben erfüllt werden und wir, wie unsere Kinder, dürfen uns existentiell getragen und begleitet wissen, was bedeutend mehr ist als materieller Wohlstand und soziale Sicherheit in der Gegenwart und für die Zukunft. Ja, „es kommt eine Zeit...!“, lassen auch wir uns einladen auf das verheißungsvolle Wort Gottes zu hören, denn es kann uns verändern und mit und durch uns dann auch die Welt. Amen.

 

 

 

Literatur:

 

 

1) Veröffentlicht am: 28. August 2003 auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw.

    von "Michael Schmid" - "Martin Luther King" - "Bürgerrechtsbewegung"

2) Schultz, H.J., Von Gandhi bis Camara, Stuttgart, 1971, S. 24 ff

3) Hoppe, R., Die Weltbürste, in: DER SPIEGEL, Nr. 26, 27.6.05, S. 108 ff

 

 

Gärtner, H., 8. Sonntag nach Trinitatis 2005, Deutsches Pfarrerblatt, Heft 6, 2005,

http://www.deutsches-pfarrerblatt.de/

Drewermann, E., Tröstet, tröstet mein Volk, Zürich, 1999, S. 137 ff

Hausmann, J., Calwer Predigthilfen, 1998/1999, Reihe III/2, Stuttgart 1999, S. 91 ff

 

 

 

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