1. Advent, Johannes 1,35-42

 

 

 

Begrüßung:

 

Liebe Gemeinde! Fast erscheint es mir langsam so, als gäbe es inzwischen mehr Menschen, die sich vor der vor uns liegenden Advents- und Weihnachtszeit fürchten, als dass sie sich darauf freuen würden. Zu hoch sind die Erwartungen, der Stress, die gefürchtete Nähe, die nicht kalkulierbaren Gefühle. Gerade die Adventszeit als die Zeit der Hoffnung, dass Gott auch für uns Mensch wird, wird so zu einer Zeit der Flucht. So möchte ich uns wieder einmal dazu einladen, diese Zeit mit seinen geistlichen Chancen und vielfältigen Möglichkeiten für einen gelebten und erlebbaren Glauben ganz neu zu entdecken.

           

Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch, dass der König der Ehre einziehe. (Psalm 24,7).

 

 

 

Gebet:

 

Herr, guter Gott! Wie oft laufen wir in unserem Leben einfach weg, leben fast wie auf der Flucht, weil unser Glaube zu gering ist, unsere Hoffnungen zu klein und unsere Kraft nicht ausreicht. Stelle uns mit diesem 1. Adventssonntag vor einen Anfang, dass wir bedacht in die vor uns liegenden Wochen hinein gehen und dieser besonderen Zeit ihren Sinn für uns und unsere Welt abspüren. Wir wollen nicht von einer nur äußerlichen Gefühlswelt eingelullt werden, die nur oberflächlich bleibt, aber der jeder tiefere Sinn fehlt. Herr, segne und behüte alle, die in dieser vorweihnachtlichen Zeit physisch und psychisch besonders belastet sind, so schenke ihnen und uns allen einen Weg, der uns zu einem wirklich bedachten und begründeten Christfest hinführt. Amen.

 

Am nächsten Tag stand Johannes an derselben Stelle, und zwei von seinen Jüngern waren bei ihm. Als er Jesus vorbeigehen sah, sagte er: »Seht dort das Opferlamm Gottes.« Die beiden hörten es und gingen Jesus nach. Jesus drehte sich um, sah, dass sie ihm folgten, und fragte: »Was sucht ihr?« Sie antworteten: »Wo wohnst du, Rabbi?« »Kommt, dann werdet ihr es sehen!« antwortete er. Sie gingen mit ihm, sahen, wo er wohnte, und verbrachten den Rest des Tages mit ihm.

 

Es war ungefähr vier Uhr nachmittags. Der eine von den beiden, die Johannes reden gehört hatten und Jesus gefolgt waren, war Andreas, der Bruder von Simon Petrus. Als er bald darauf seinen Bruder Simon traf, sagte er zu ihm: »Wir haben den Messias gefunden, den versprochenen Retter.« Dann brachte er ihn zu Jesus. Jesus sah ihn an und sagte: »Du bist Simon, der Sohn von Johannes. Du wirst einmal Kephas (Fels) genannt werden.«

 

 

 

 

Liebe Gemeinde!

 

Es ist schön, dass wir den Beginn der Adventszeit mit diesem 1. Adventsonntag miteinander feiern dürfen. Wir alle haben uns auf den Weg gemacht, um hier Gottesdienst zu feiern. Wir alle sind gerade jetzt in dieser vorweihnachtlichen Zeit unterwegs, suchen, vergleichen, rechnen – Advent, Zeit der Geschenke, Zeit der Erwartungen, Zeit der Freude, aber auch einiger Sorgen.

 

In einer kleinen Western-Stadt verbreitet sich blitzschnell die Nachricht, dass der berüchtigte, furchterregende Donner-Joe im Anmarsch auf die Stadt sei. Sofort machen sich die meisten Bewohner aus dem Staub, schließlich bleibt nur noch der Barkeeper des kleinen Saloons zurück. Und der sieht tatsächlich bald am Horizont eine Staubwolke immer größer werden, einen Reiter auf die Stadt zukommen und mit großem Getöse vor dem Saloon halten: Von einem wilden Bison herab springt  ein angsteinflößender Hüne mit schwarzem Bart, langen wilden Haaren, der ein noch blutiges Grizzlyfell um die Schultern trägt; er wirft die Peitsche – eine Klapperschlange – weg und betritt den Saloon. Zitternd schiebt ihm der Barkeeper ein Glas Whisky hin, doch der Riese nimmt die Flasche, schlägt den Hals am Tresen ab und stürzt den Inhalt mit einem Zug hinunter. Mit schlotternden Knien fragt der Barkeeper, ob er vielleicht noch eine Flasche möchte. „Bist du wahnsinnig?“ röhrt der Mann und schwingt sich wieder auf seinen Bison, „weißt du nicht, dass Donner-Joe kommt?“

 

Auf eine Mischung aus Faszination und Schrecken trifft der Mann in diesem Witz. Und der Witz besteht eigentlich darin, dass er gar nicht der ist, vor dem sich alle so fürchten – er hat am Ende selbst Angst vor dem Erwarteten. 1)

 

 

Geht es heute nicht vielen Menschen ganz ähnlich, dass man vor dieser adventlichen Zeit wegläuft, flüchtet, da gibt zu viele Ansprüche, die erfüllt sein wollen: Zu viele Gefühle, zu viel Nähe, zu viel Familie, man hat Angst vor den Erwartungen, die vielleicht nicht erfüllt werden können und bleibt so ein Getriebener, auf der Flucht vor einem Fest, das schon in der Kindheit seine Wurzeln in uns legte. Trotz aller Schwüre, es in diesem Jahr einmal anders zu machen, fürchtet man, es nicht zu schaffen. Auch wir laufen weg - vor dem, was wir eigentlich erwarten. So bleibt die Frage, ob wir nicht ganz vergeblich auf der Flucht sind, auf der Flucht vor einem Phantom, auf der Flucht vor einer Zeit und einem Fest, das seinem inneren Grund nach etwas ganz anderes will. Nur das wäre zu erkennen und diese adventliche Zeit und das große Fest würden Sinn schenken und Freude machen.

 

Johannes ist mit einigen seiner Jünger aus der Wüste gekommen, vermutlich um Jesus zu sehen. Und als er ihn sieht, verweist er seine Jünger auf diesen Herrn mit dem Hinweis: „Seht dort, das Opferlamm Gottes!“ Es ist offen, woher Jesus kommt und zunächst auch, wozu er kommt. Aber nun ist er da, ein erwachsener Jude, ein Jude wie viele andere jüdische Männer auch. Sofort verlassen die Jünger Johannes, um von nun an Jesus zu folgen. Es wird uns hier kein weiterer Kommentar gegeben, von keinem Abschied erzählt, wie er unter guten Freunden üblich wäre. Die beiden gehen einfach Jesus nach. Sie lassen Bekanntes und Vertrautes zurück, um in eine unbekannte unvertraute Zukunft hinein zu gehen.

 

Wir können uns das heute kaum noch vorstellen, denn es ist nun Jesus selbst, der sich umdreht, um die beiden zu fragen, was sie suchen? Was hier in einem Moment geschieht, kann bei vielen anderen Menschen über Jahre hinweg andauern. Bewusst oder auch unbewusst sind wir auf der Suche, ohne oft recht zu wissen, wonach wir suchen oder worauf wir denn warten? In der Regel ist es schwer, überhaupt zum Ausdruck bringen zu können, was einem denn im Leben, jenseits allen materiellen Wohlstandes, überhaupt fehlt?

 

Was in unserem Leben oft als ein Prozess geschieht, ein langsames Vertrautwerden mit dem Glauben, ein allmähliches Hineinwachsen in die Kirche oder eine bestimmte Gemeinde, das geschieht hier durch die Frage Jesu: „Was sucht ihr?“ Was würden wir da wohl antworten? Und ebenso hilflos fällt die Antwort der beiden Jünger von Johannes aus, wenn sie fragen: „Wo wohnst Du?“ Sie fragen nicht, bist du wirklich der Messias, auf den Israel und unser Freund Johannes so lange gewartet haben? Sie hinterfragen diesen unbekannten Mann nicht, der sich ihnen zuwendet. Und er sagt nur: „Kommt, dann werdet ihr es sehen!“ Und sie gehen mit ihm. Hinter ihrer Frage verbirgt sich wohl mehr als nur nach einer Straße und Hausnummer zu fragen. Ihre Frage geht letztendlich tiefer.

 

Wo ist es, dass wir Menschen innere Ruhe finden, einen Ort, einen Raum, der uns zur geistlichen Heimat wird? Und Jesus wird immer wieder darauf verweisen, dass es für ihn Gott ist. Aus diesem Gott heraus lebt er, diesen Gott liebt er, ja er möchte, dass alle Menschen diesen Gott als einen väterlichen Gott lieben lernen – oder wie es beim Propheten Jesaja einmal angedeutet wird, ganz und gar mütterlich. Doch in diesem Augenblick lädt er nur dazu ein, ihm zu folgen. Da hören die beiden Männer nichts davon, sich bekehren zu müssen, sie vernehmen keine kraftvolle Predigt über die Gottheit Gottes und diesen menschgewordenen Gottesssohn, nichts von alledem. Aber sie folgen ihm. Als später am Tag dann Andreas seinen Bruder Simon trifft, verweist er ihn auf den Messias und bringt ihn zu Jesus.

So, wie Jesus selbst in die Nachfolge einlädt, so können es auch Menschen sein, die andere Menschen zu Jesus bringen oder zum Glauben einladen. Es gibt keine Bekehrungssytematik: Dies oder das musst du tun, damit Du ein rechter Christ wirst. Nicht eine Berufung oder Bekehrung ist entscheidend, sondern wie ich mit meiner Existenz vor Gott stehe und lebe. Denn es gibt viele Wege, die in den Glauben hineinführen, um dort ankommen zu dürfen, wonach die Jünger wohl eher unbeholfen und vielleicht auch unbewusst fragen. Und obgleich Jesus Simon Petrus nicht kennt, spricht er ihn bei seinem Namen an. Er verweist auf seine Zukunft, nämlich ein „Fels“ werden zu dürfen für viele, die den neuen Weg des Glaubens wagen werden – und das trotz aller seiner menschlichen Schwächen, seines Versagens.

 

Mit diesem unscheinbaren Text dürfen wir in den diesjährigen Advent hinein gehen. Wieder stehen wir an diesem Anfang einer ganz besonderen Zeit im Kirchenjahr, die kein Selbstzweck ist. Es ist eine Zeit des Wartens und der Erwartung und rechtverstanden auch eine Zeit, sich auf einen Weg einzulassen, auf einen Prozess, der nur äußerlich im Christfest endet. Das, was wir Christen jeden Tag unseres Lebens neu zu bedenken haben ist doch die Frage, welchen Weg wir selbst gehen möchten, um Gott bei uns ankommen zu lassen. Und so führt uns die Adventszeit gedanklich auf das Christfest hin, die Menschwerdung Gottes. Der Gott Jesu will kein abstrakter Gott sein, kein distanzierter, weltferner und der Welt entrückter Gott, sondern ganz und gar umgekehrt. In Jesus von Nazareth erkennen wir die Menschlichkeit Gottes.

 

Klopft man unser Predigtwort einmal ab und hinterfragt es nach seinen Bildern, so sehen wir dass Johannes seinen Lebensraum, die Wüste, zurück lässt, um Jesus begegnen zu können. Wir erleben mit, wie seine Jünger sich wortlos auf einen anderen Weg einlassen, ohne zu wissen, wohin er sie führen wird und wir erfahren ganz banal, dass Jesus sich nach diesen beiden Männern umdreht und sie anspricht. Erst in dem sie sich in Bewegung setzen, sich auf den Weg machen, ja, sich auf einen Weg einlassen, können sie einander begegnen, Johannes und seine Jünger Jesus und Jesus diesen Menschen.

 

Auch das kann uns heute an diesem 1. Advent zu einem Bild für uns selbst werden: Wer immer dort bleibt, wo er ist, wird nie ankommen. Wer sich im Advent nicht innerlich und wohl auch äußerlich auf einen ganz besonderen Weg einlässt, wird kaum ein sinnstiftendes Christfest erleben. Er wird wieder nur gefühlig vor übervollen Geschenktischen im Trubel der Familie stehen und sich hinterher, wie jedes Jahr fragen, was das sollte? Umgekehrt wird ein Weg daraus: Sich einlassen auf die große Frage nach dem Kommen Gottes in die Welt, nicht irgendwohin, sondern zu uns, hierher in unser Leben, in unsere Mitte.

 

So muss dann niemand von uns mehr fliehen, weil man sich vor dem, was in den kommenden Tagen auf uns zukommt, fürchten müsste, am Ende sogar vor dem Erwarteten. Ich wünsche uns und Ihnen allen eine gesegnete Adventszeit, in der wir bei dem Fest ankommen, das wir uns wünschen, besser: Das Gott sich für uns wünscht. Amen.

 

 

 


Literatur:

 

1) Weinbruch, R., und Fuchs, G.,

    Das große Liturgie-Buch zur Advent- und Weihnachtszeit, Regensburg,

    2006, S. 43

 

Bultmann, R., Das Evangelium des Johannes, Göttingen, 196818, S. 68ff

Drewermann, E., Das Johannesevangelium, Erster Teil, Düsseldorf, 2003, S. 84ff

 

 

Wir weisen darauf hin, dass Sie alle unsere Predigten im Internet nachlesen können. Sie finden sie unter:

 

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