Evangelische Kirchengemeinde Kenzingen

6. Sonntag nach Trinitatis, 1. Kor. 1,18-25 [Predigttext vom 5.Sonntag nach Trinitatis]

 

 

 

Die Botschaft, dass für alle Menschen am Kreuz die Rettung vollbracht ist, muss denen, die verloren gehen, als barer Unsinn erscheinen. Wir aber, die gerettet werden, erfahren darin Gottes Kraft. Gott hat doch gesagt: »Ich will die Weisheit der Weisen zunichte machen und die Klugheit der Klugen verwerfen.« Wo bleiben da die Weisen? Wo die Kenner der Heiligen Schriften? Wo die gewandten Diskussionsredner dieser Welt? Was für diese Welt als größter Tiefsinn gilt, das hat Gott als reinen Unsinn erwiesen. Denn obwohl die Weisheit Gottes sich in der ganzen Schöpfung zeigt, haben die Menschen mit ihrer Weisheit Gott nicht erkannt. Darum beschloss er, durch die Botschaft vom Kreuzestod, die der menschlichen Weisheit als Torheit erscheint, alle zu retten, die diese Botschaft annehmen.

 

Die Juden fordern von Gott sichtbare Machterweise; die Griechen suchen in allen Dingen einen Sinn, den die Vernunft begreift. Wir aber verkünden den gekreuzigten Christus als den von Gott versprochenen Retter. Für Juden ist das eine Gotteslästerung, für die anderen barer Unsinn. Aber alle, die von Gott berufen sind, Juden wie Griechen, erfahren in dem gekreuzigten Christus Gottes Kraft und erkennen in ihm Gottes Weisheit. Gott erscheint töricht - und ist doch weiser als Menschenweisheit. Gott erscheint schwach - und ist doch stärker als Menschenkraft.


 

 

Liebe Gemeinde!

 

Man muss ja nicht unbedingt Fußball spielen, gar ein Fan sein, um nicht doch gerade bei den vergangenen Fußball-Europameisterschaften beobachtet zu haben, dass bekannte Fußballer das Kreuz schlugen, wenn sie den Platz betraten oder ein Tor schießen konnten. Das Kreuz begegnet uns überall im Leben: auf Kirchtürmen, an Straßenrändern und auf Friedhöfen, als Halsketten, umstritten diskutiert in Schulklassen und in Gerichtssälen, spektakulär und begeistert gefeiert als neues Turmkreuz auf der Dresdner Frauenkirche. Es begegnet uns, doch was sagt, was bedeutet es uns noch?

 

Erinnern Sie sich? Der große dänische Dichter Jens Peter Jacobsen beendet seine Erzählung "Die Pest in Bergamo", mit den eindrucksvollen Worten:

 

„Da wurde Gottes hochgeborener Sohn zornig in seinem Herzen und sah, dass sie die Erlösung nicht wert waren, die Menschenhaufen, die die Erde anfüllen, und er riss seine Füße über den Kopf des Nagels, und er ballte seine Hände um die Nägel in den Händen und zog sie heraus, so dass sich die Arme des Kreuzes spannten wie ein Bogen, und er sprang herab auf die Erde und riss seinen Rock an sich, so dass die Würfel den Abhang von Golgatha hinabrollten, und er warf ihn sich über mit dem Zorn eines Königs und fuhr auf zum Himmel. Und das Kreuz blieb leer zurück, und das große Werk der Versöhnung wurde nie vollbracht. Es ist kein Mittler zwischen Gott und uns, es ist kein Jesus für uns am Kreuz gestorben, es ist kein Jesus für uns am Kreuz gestorben...!“

 

Wie sähe die Welt wohl aus, wenn Jesus von Nazareth nicht an einem Kreuz gestorben wäre, wenn er damals zum Beispiel, wie von Judas Ischarioth und anderen gewünscht, eine Revolution gegen die Römer ausgerufen hätte? Wie sähe sie aus, wenn er als irgendein religiöser Spinner unter vielen anderen einfach sang und klanglos von der Bildfläche verschwunden wäre? Es fällt nicht sehr schwer, sich diese Welt – ohne den christlichen Glauben – vorzustellen, wenn sie schon mit ihm oft so unmenschlich und menschenverachtend ist. Das Kreuz hat also seine Bedeutung, seine unbestreitbare Wirkung, obgleich es wohl niemals so ganz verstanden wurde, jedenfalls kaum in seiner existentiellen Bedeutung für uns Christen.

 

Paulus zeigt uns mit seinen provokativen Äußerungen zum Kreuz, dass selbst in der jungen Kirche und mit ihrer damaligen Umwelt eine ernsthafte Auseinandersetzung stattfinden musste, denn es geht ja um den Kern des christlichen Glaubens im Unterschied zu allerlei Weltweisheit und vielfachen religiösen Strömungen bis in die Neuzeit hinein. Wir spüren aus jeder Zeile heraus, wie tiefgreifend die Auseinandersetzungen gewesen sein müssen. Denn natürlich musste ein Glaube, der auf einer Kreuzigung aufbaute eine riesige Dummheit sein und ein gekreuzigter Gott war – gerade für die Weisheit der Griechen – zum Todlachen. Damit konnte wirklich niemand etwas anfangen, was für den persönlichen Glauben von Bedeutung gewesen wäre, sprengte es doch alle Vorstellungen von der Gottheit eines Gottes. Dennoch setzte sich das Christentum durch, mit und unter gerade diesem Symbol und gerade wegen eines Gekreuzigten. Rational ist das wirklich schwer zu verstehen, denn sind wir nicht selbst diese Weltweisen, bei denen der Verstand dem Glauben nur allzu oft im Wege steht?

Wir taufen heute zwei Kinder, dabei werden sie mit dem Zeichen des Kreuzes bezeichnet. Aber warum bringen heute Eltern ihre Kinder noch zur Taufe, wenn der Glaube selbst doch so fremd geworden ist? Warum melden sich Jahr für Jahr Jugendliche zum Konfirmandenunterricht an, die kaum wissen, welche der beiden Kirchen in Kenzingen die Evangelische Kirche ist oder wo unser Gemeindezentrum steht? Einen Gottesdienst haben diese Jugendlichen kaum je besucht, weil ja schon ihre Eltern keinen besuchen. Warum lassen sich viele junge Menschen kirchlich trauen? Warum gehen heute immer noch unzählige Menschen in Deutschland zum Gottesdienst?

 

Natürlich gibt es viele unterschiedliche Gründe dafür, die Traditionen, gesellschaftliche Zwänge, ein undefinierbares Gefühl, das einen drängt. Hier und da will halt auch die Oma, dass ein Enkel getauft oder konfirmiert wird. Wenn wir aber unterstellen, dass Erwachsene trotz allem ziemlich genau wissen, was sie wollen und was sie tun, wenn sie ein Kind taufen, sich trauen lassen oder einen Gottesdienst besuchen, dann steckt mehr dahinter. Man hat oft gar nichts gegen die Kirche, nur mangelt es an Beziehungen, Kontakten, der Möglichkeit zur Auseinandersetzung. So beginnt oft gerade an den Schwellen des Lebens ein ganz neuer Weg in die Kirche, den Glauben hinein.

 

Das Kreuz ist für Paulus so wesentlich wie der Gekreuzigte selbst, denn das unterscheidet unseren Gott von den Göttern der Griechen oder der Römer, von all jenen Göttern, die wir uns heute machen. Das Kreuz und der Gekreuzigte begründen den christlichen Glauben – daher die scharfe Polemik gegen die Weisheit der Welt, gegen die der gewandten Diskussionsredner. Wird bei uns heute denn nicht auch jede Ausrede dafür gesucht, warum man eigentlich ganz gut allein, ohne Kirche, ohne Konfession, ohne Bibel und Gottesdienst glauben kann? Höre ich das denn nicht in jedem zweiten Gespräch, jeder Religions- oder Konfirmandenstunde? Geht es aber um die rationale Auseinandersetzung, um die Begründung des Glaubens als „christlichen“ Glauben dann wird es still, weil sofort gemerkt wird, man hat sich aus unterschiedlichen Gründen, oft aber ziemlich gedankenlos, längst seine eigene Religion zurecht gelegt, was allemal bequemer ist - und doch falsch bleibt.

 

Das ist die klare Front des Paulus, der, als perfekter Diskutant, ja nun wirklich nichts gegen den Verstand des Menschen hat. Doch dort, wo der Verstand den Glauben behindert, muss er Position beziehen. Römer und Griechen konnten sich keinen  Gekreuzigten als Gott vorstellen, das war zu viel, das ging einfach nicht, da sperrte sich alles. Ein Kreuz ist unästhetisch, das riecht nach Schweiß, Blut und Tod, nicht aber nach Bildung, Weisheit und den schönen Künsten, zu denen der Mensch fähig ist. So kann dann sehr viel später ein hochgebildeter Friedrich Nietzsche sagen: „Ich will der Dichter meines Lebens sein...“ [1], der Nietzsche, der einen Generalangriff auf das Christentum, ja auf Gott selbst unternimmt. Er hasst das Christentum dafür, dass es dem Menschen „einen absoluten Wert“ und allem Leid und Übel der Welt „einen Sinn“ gibt. [2] Und eben das ist es, warum Menschen sich um das Kreuz herum sammelten. Nietzsche trifft mit seinem Angriff den Kern der Sache, er ist der moderne Hohepriester des Nihilismus, obgleich er von seinen unbedarfteren Anhängern ja kaum wirklich verstanden wird. Richard Wagner und Adolf Hitler konnten sich an ihm begeistern. Dieser Geistesweg führte in den Nationalsozialismus, den Krieg und in die unsäglichen, menschenverachtenden Gaskammern hinein.

Im Zeichen des Kreuzes muss also der Angriff auf den jeweiligen Zeitgeist gewagt werden, führt dieser eine Gesellschaft in einen beliebigen Markt der Möglichkeiten, wo ein jeder sich seinen Glauben so zurechtlegen und zusammen mischen kann, wie es ihm passt, doch gerade das macht den christlichen Glauben dann beliebig, billig und führt in eine Religion der Selbstgefälligkeit in der Gott, Jesus Christus, das Kreuz, die Kirche oder gar die Bibel nicht mehr vorkommen, geschweige denn der Gottesdienst am Sonntagmorgen. Ja, „Ich will der Dichter meines Lebens sein...“, so ist es dann eben nicht mehr weit - und auch da bietet Nietzsche uns seine Vorlage – dass ich mich selbst zum Gott meines Lebens mache.

 

Am Kreuz scheiden sich die Geister, das spürte Paulus schon sehr bald, doch gerade das Kreuz hilft uns dazu, unsere menschlichen Grenzen zu erkennen, die Solidarität Gottes empfinden zu lernen und die eine Welt barmherziger zu sehen. Nicht wir sind Gott, aber wir sind verantwortlich dafür, was aus dieser Welt wird und da wird es, wir spüren es alle, höchste Zeit den Glauben wieder ernst zu nehmen und andere Antworten auf die unzähligen offenen Fragen der Zeit zu suchen. Es gibt keine Patentrezepte auch dem Glauben und dem Glaubenden nicht. Aber der Gott, der sich am Kreuz in das Elend der Welt hineinleidet, lässt uns seine Nähe spüren, er ist da, wo wir traurig sind, uns einsam fühlen, verletzt, resigniert, wo Auswege uns verschlossen sind. Unser Gott ist gerade auch ein Gott der Tiefe, er ist da Gott, wo wir Menschen mit unserem Leben sind, wo seine Schöpfung ist – oder wir brauchen keinen Gott.

 

Die Welt ohne das Kreuz ohne den Gekreuzigten? Nein danke! Gott sei Dank ist Jesus nicht vom Kreuz heruntergestiegen, doch Gott in unsere oft so gottlose, menschenverachtende, rätselhafte, dunkle Welt. Samuel Beckett hat in seinem Drama „Warten auf Godot“ das vergebliche Warten zweier Landstreicher auf einen gewissen Herrn Godot beschrieben. Beide warten und warten, aber Godot kommt nicht. Sie wollen schon ihr Leben aufgeben, doch sie scheitern damit. So fragt der eine: „Und wenn er kommt?“ „So sind wir gerettet“, antwortet der Andere. [3 Darauf dürfen auch wir warten und hoffen. Amen.

 

 

 

Literatur:

 

1) Safranski, R., Nietzsche, München, 2000, S. 335

2) Safranski, R., a.a.O., S. 307

3) Beckett, Samuel, edition suhrkamp 3, 19685, S.114

 

Rüttgardt, J.O., Calwer Predigthilfen, 1997/1998, Reihe II/2, Stuttgart, 1998, S. 73

 

 

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