Evangelische Kirchengemeinde Kenzingen

Weihnachten, Lukas 2,15-20

Begrüßung:

Liebe Gemeinde! Wir alle spüren es, dass Weihnachten ein bewegendes Fest ist, ein Fest, das viele Menschen auf den Weg bringt. Gerade angesichts der zahllosen offenen Fragen, die uns in diesem Jahr bewegen, stehen wir aber auch vor der Frage, wohin uns ein solches Fest im Jahresablauf, im Leben überhaupt gedanklich bringen kann und ob es nicht vielleicht doch einmal gelingen könnte, mehr aus diesem Fest wachsen und reifen zu lassen, als Freude oder Enttäuschung an erhaltenen Geschenken, den obligatorischen, oft aber gefürchteten Begegnungen mit der Großfamilie, - ein Fest der gefühlsmäßigen Ausnahmesituation? Hören wir heute daher noch einmal hinein in die alte, uns seit Kindesbeinen an bekannte Weihnachtsgeschichte mit der neugierigen Frage: wie lebt man eigentlich noch mit Gott angesichts all der Herausforderungen, denen wir uns mit unserem Leben zu stellen haben?

Er, das Wort, wurde ein Mensch, ein wirklicher Mensch von Fleisch und Blut. Er lebte unter uns, und wir sahen seine Macht und Hoheit, die göttliche Hoheit, die ihm der Vater gegeben hat, ihm, seinem einzigen Sohn (Joh. 1, 14).

Gebet:

Herr, guter Gott! Wir haben dein Wort aus der Ferne der Zeit gehört, doch lass es nun in uns selbst auch wirklich ankommen. Schenke uns in jede Lebenssituation hinein eine Antwort auf die Frage: "Wie lebt man mit Gott - trotz allem?"

Herr, lass uns dich finden, in den Gesichtern der Menschen, die du uns in unseren Lebensweg hineinstellst, armselige Orte finden sich auch heute noch genug an denen du selbst Mensch werden willst. So sei bei allen Menschen, die unzufrieden leben, im Unfrieden mit sich selbst und der Welt, - bei allen, die ihren Glauben an dich verloren haben. Herr, komm so in uns zur Welt, dass wir auf die Einsamen unter uns achten, die Traurigen, die ihres Lebens müden, damit sie alle, die bedrängt, verfolgt, gequält und erniedrigt leben müssen, Frieden finden - auch durch uns.

Herr, wir können nur darum bitten: Sei kein ferner, distanzierter Gott in irgendeiner Höhe, sondern ein Gott unserer Tiefen, ein Gott der uns bewegt, ein Gott, der uns zeigt, was es bedeutet, menschlich leben zu können, weil du in unserer Menschlichkeit Hände und Füße bekommst, Augen und Ohren. Herr hab Dank für die Geburt deines Sohnes Jesus Christus in unser Leben hinein. Amen.

Text:

Als die Engel in den Himmel zurückgekehrt waren, sagten die Hirten zueinander: »Kommt, wir gehen nach Bethlehem und sehen uns an, was da geschehen ist, was Gott uns bekannt gemacht hat!« Sie liefen hin, kamen zum Stall und fanden Maria und Josef und bei ihnen das Kind in der Futterkrippe. Als sie es sahen, berichteten sie, was ihnen der Engel von diesem Kind gesagt hatte.

Und alle, die dabei waren, staunten über das, was ihnen die Hirten erzählten. Maria aber bewahrte all das Gehörte in ihrem Herzen und dachte immer wieder darüber nach. Die Hirten kehrten zu ihren Herden zurück und priesen Gott und dankten ihm für das, was sie gehört und gesehen hatten. Es war alles genauso gewesen, wie der Engel es ihnen verkündet hatte.

Lukas 2, 15-20


Liebe Gemeinde!

Vielleicht haben auch Sie es am Heiligen Abend wieder einmal gespürt, wie sehr Weihnachten uns aufgeklärte Menschen herausfordert? Wir hören die großartigen Worte der Weihnachtsgeschichte aus dem Lukasevangelium, doch was bewegt uns, in diesen Worten mehr zu hören, als es uns von klingenden, tönenden Kaufhausdecken und guten Marketingabteilungen in Szene gesetzt in unser Leben schallt? Was bewegt uns, in diesem Fest mehr zu sehen, als traditionelle Familienfeiern? Was bewegt uns, all das, was wir von Kindesbeinen an mit Weihnachten verbinden, aus oftmals wunderschönen doch überladenen Gefühlen für unser Leben jenseits von Weihnachten herauszuretten? Weihnachten ist so gesehen eine ganz große Herausforderung an unser Fühlen und Denken.

Ich lese gerade ein Buch: "Gottes grausamer Spaß? - Heinrich Heines Leben mit der Katastrophe". Dort wird die hochaktuelle Frage aufgeworfen: "Wie aber lebt man als aufgeklärter Mensch mit Gott in der Katastrophe? ... Wie lebt man mit Gott - trotz allem? ... Kurz: Wie lebt man vor Gott, mit Gott, gegen Gott - jedenfalls nicht ohne Gott, angesichts einer persönlichen und politischen Katastrophe ...?" [1] Schaue ich mich um, so sehe ich die Menschen mit ihren persönlichen Sorgen und höre ich zu, so höre ich, was viele unter uns in diesem Jahr bewegt. Doch was ich dabei auch wahrnehme, das ist, dass Gott in unserer eigenen Welt, die ebenso groß, wie klein ist, eigentlich keinen Platz (mehr) hat.

Und gerade darum möchte ich die alten Worte der Weihnachtsgeschichte auch als Worte hören, die mich in meinem Leben, in meinen Sorgen und Nöten, meiner Angst und Traurigkeit ganz unmittelbar angehen. Immer wieder höre ich zur Zeit die Sorge um einen Krieg im Irak in den wir hineingezogen werden könnten, - um Probleme in Beziehungen, der Schwere eines Abschiedes, - von der Sorge um die Zukunft unserer sozialen Sicherungssysteme. Wir alle, so denke ich, haben Weihnachten als Herausforderung nötig, wir haben es nötig, weil wir eine Antwort auf die Frage finden müssen: "... Wie lebt man mit Gott - trotz allem?"

In unserem Text aus dem Lukasevangelium ist alles in Bewegung: Engel kehren an ihren angestammten Ort zurück, Hirten kommen und gehen, sie laufen, um sich anzuschauen, was da wohl Bewegendes geschehen sein mag und sie kehren wieder um, zurück an ihren Arbeitsplatz, in ihre Welt. Oft sind es Kleinigkeiten, die wir gern überlesen, überhören, die dann aber dennoch ihre eigene Bedeutung haben.

Wir müssen jetzt nicht darüber spekulieren, wie wohl der Engel ausgesehen haben mag, dessen Wort die Hirten damals auf den Weg brachte? Auch können wir kaum erahnen, wie sie das himmlische "Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und allen Menschen Gottes Wohlgefallen" gehört und erlebt haben? Entscheidend ist, dass ein Wort, eine unglaubliche Erfahrung sie in Bewegung setzt. Sie können nicht einfach unbewegt bleiben, sie müssen sich auf den Weg machen und davon reden. Sie erfahren, dass Gott sie nicht irgendwo, sondern in den Tiefen ihrer Existenz, an ihrem Arbeitsplatz, in ihrem Lebensraum anspricht.
Ist es für uns kühl berechnende, denkende Menschen nicht eine unglaubliche Botschaft, dass die "Heerschar der Gottesboten" (E. Drewermann) sich in den Himmel, also in die Gegenwart Gottes zurückziehen, während einfache Hirten zu Boten Gottes werden? Sie halten sich gerade nicht lange damit auf, darüber zu rätseln, wie sie wohl, ein jeder für sich selbst, den einen Engel und dann die vielen anderen erlebt haben, sondern, sie bringen das Erlebte sofort mit Gott in Verbindung.

Für die Erfahrung, dass wir es an bestimmten Punkten in unserem Leben mit Gott zu tun haben, braucht es das richtige Hören und Sehen, das Wahrnehmen einer Wahrheit und Wirklichkeit, die mit unserem Verstand und menschlicher Logik kaum zu erfassen ist. Hier sprengt Gott unsere Möglichkeiten rationaler Erkenntnis, doch lässt er sich jenseits dessen erfahren, was wir aus unserer ganz und gar menschlichen Welt kennen. Eben hier wird ja deutlich, dass Gott Gott ist, und der Mensch immer ein Mensch ist und bleibt. In dieser unendlich wichtigen Unterscheidung erhält dann ein jeder seine eigene Würde und Ehre Gott und der Mensch.

Die Hirten machen sich auf den Weg und begegnen diesem Kind mit seinen Eltern von dem die Engel geredet haben. Was sie sehen sind Menschen, Menschen wie wir, allein in etwas unwirtlichen Umständen. Ein neugeborenes Kind in einem Stall, in einer Futterkrippe, das widerspricht unseren Hygienevorstellungen ganz entschieden. Da ist kein königlicher Hofstaat, keine Philosophen oder Startheologen, die das Ereignis erklären und deuten könnten. Einfache Hirten, Lohnabhängige, bezeugen, dass der Mensch es hier - in diesem Kind - auf eine ganz besondere Weise mit Gott zu tun bekommen hat. Darum erzählen sie weiter, was sie von diesem Kind gehört haben und setzen damit alle in Erstaunen.

Nein, Bethlehem ist nicht Jerusalem, der Stall kein Palast. Joseph ist Handwerker und kein Monarch, Maria eine normale junge Frau und keine Prinzessin. Der Tempel, an dem die Gegenwart Gottes ehrfürchtig geglaubt wird, sieht wirklich anders aus, als diese vermutete Berghöhle in den Feldern von Bethlehem, in die man damals nachts die Tiere hineintrieb, um sie zu schützen. Was wird eigentlich den Hirten und allen, die das damals so erlebten damit zum Ausdruck gebracht? Ist es denn nicht so, dass sie alle hier die Unfasslichkeit, die Unbegreifbarkeit Gottes erleben, den qualifizierten Unterschied zwischen Gott und Mensch?

Hier wird der Gott der Väter und Mütter im Glauben so ganz anders erfahren, als Menschen es sich vorstellen könnten. Ein Gott in einem Futtertrog, fernab von den Metropolen der Welt, - ein Kind, das sprengt jedes menschliche Verständnis - schon damals. Und eben dies weist uns den Weg zu dem ganz anderenGott, und lässt uns immerhin eine Antwort auf unsere eingangs gestellte Frage: "Wie lebt man mit Gott - trotz allem" erahnen. Eugen Drewermann versucht folgende Antwort zu geben:

"Jesus war kein Priester, der im Tempel seinen Dienst verrichtete. Er lernte Gott nicht in den Schriftrollen der Tempelarchive, aber ihm leuchtete Gott entgegen aus den Augen einer Dirne, ihm flüsterte er zu aus dem Mund eines Bettlers, ihm streckten sich seine Hände entgegen in den zitternden Fingern eines Kranken. Überall wo Menschen leiden, arm sind und ausgestoßen, wohnte für Jesus Gott. Er wollte, dass Menschen gegen all ihre Unterdrückung und Verurteilung den Mut zum eigenen Leben zurückgewinnen könnten.
Er wollte Räume öffnen, in denen Menschen wachsen könnten in dem Vertrauen zu sich selber, in der Liebe zum Leben, auf das ihr Herz weit würde und groß, fernab aller Enge und Engstirnigkeit. So schlug Jesus Brücken zwischen den Menschen und Gott ..." 2)

Die Weihnachtsgeschichte erzählt mir, dass wir es eben nicht mit einem über den Wolken thronenden Gott zu tun haben, fernab von allem, was uns in den Tiefen unseres Lebens bewegt. Das schenkt mir den Mut, ja die Freude zum Glauben an diesen Gott - eben: trotz allem! Dass unser Gott ein Gott in der Lebenswirklichkeit unserer Welterfahrung ist, das ist die wirklich tröstliche, ermutigende Botschaft, das macht mir Gott für mein Leben wichtig. Das ist die bewegende Erfahrung der Hirten damals, dass es das gibt, dass der Himmel die Erde berührt und sei es mitten an den nächtlichen Lagerfeuern um Bethlehem herum, bei der Arbeit, im Schlaf, jedenfalls nirgendwo anders als mitten im Leben. Und von dieser Begegnung und Erfahrung erzählen sie in bewegender Weise, sie erzählen so davon, dass alle, die es hören, sich wundern. Wie könnten wir die Botschaft, dass Gott Mensch wird, anders hören?

Die Frage dagegen bleibt, wie sie uns selbst bewegt, wie und ob wir uns innerlich und äußerlich bewegen lassen, und anderen davon erzählen, dass Gott irgendwann und irgendwie auch in unserem Leben wichtig war, in der Tiefe unserer Existenz, unserer Arbeit, den Sorgen, der Traurigkeit, der Angst.

So sicher, wie es Weihnachten wird, so sicher kommt DER SPIEGEL rechtzeitig zum Fest mit einer neuen Story zu Kirche und Glaube heraus, diesmal mit der vermutlich skandalträchtigen Aufmachung: "Die Erfindung Gottes". [4] In diesem Jahr geht es nun um einen Frontalangriff auf das Alte Testament. Liest man den Artikel, so findet sich dort allerdings nichts, was man - nur entschieden fundierter - schon vor Jahrzehnten in theologischen Vorlesungen gehört und in Seminaren diskutiert hätte. Stellt unsere historisch-kritische Forschung an biblischen Texten denn "Gott" wirklich in Frage und müsste es nicht auch DER SPIEGEL inzwischen erfahren haben, dass es eine noch ganz andere Wahrheit und Wirklichkeit auch in der Welt gibt, als jene, die wir erforschen könnten?

Martin Luther sagte einmal in einer Predigt zu unserem Text: "Die Frommen vernehmen’s (nämlich das "Ehre sei Gott") allein, bedenkn’s und glauben’s im Herzen. Die Gottlosen orgeln, pfeifen und singen’s auch. Allenthalben zersingt man diesen Lobgesang: Ehre sei Gott in der Höhe!" ... [3] Wie modern, man könnte meinem, Luther hätte unsere weihnachtlichen Städte, Kaufhäuser und öffentlichen Rituale der Advents- und Weihnachtszeit erlebt.

So möchte ich immer wieder neu einzustimmen lernen, in dieses "Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und allen Menschen Gottes Wohlgefallen ...", denn dann könnte es endlich Weihnachten werden mitten unter uns - und durch uns für immer mehr Menschen. Erst in einem solchen Prozess, das Leben anzudenken und neu nach den Fundamenten eines persönlichen Glaubens zu fragen, werden wir wohl eine letztendlich tragfähige Antwort auf die Frage finden: "Wie lebt man mit Gott - trotz allem?" Gott sei Dank, dass wir ihn so mitmenschlich und solidarisch in unser Leben hineingeboren erfahren dürfen! Darum: lasst auch uns von Gott reden, ihm Lob und Dank dafür sagen, dass er sich so menschlich auch an unsere Seite stellt, ohne danach zu fragen, wer oder wie wir sind.
Amen.


Literatur:

  1. Kuschel, K.-J., Gottes grausamer Spaß? -
    Heinrich Heines Leben mit der Katastrophe, Düsseldorf 2002, S. 10
  2. Drewermann, E., Der offene Himmel, Düsseldorf 1990, S. 131
  3. Luther, M., Hrsg. E. Mühlhaupt, Martin Luthers Evangelien - Auslegung, 1. Band,
    Göttingen 19845, S. 222
  4. Schulz, M., DER SPIEGEL, Nr. 52, 21.12.2002, S. 136f
Letzte Änderung: 09.01.2003
Pfr. Hanns-Heinrich Schneider