15. Sonntag nach Trinitatis, Lukas 18,(18-23) 28-30
Begrüßung:
Liebe Gemeinde! Es ist ja kaum vorstellbar und erschüttert unser Gottesbild und das Bild, das wir uns von Jesus Christus machen immer wieder einmal, doch gerade Jesus wird für uns von Gott her zu einem „Guten Widerspruch“ gemacht. Sein Leben, Reden und Tun stellt vielfach in Frage, was uns in unserem Leben wichtig und entscheidend ist, weil er dem Menschen Wege zum Glauben, zu Gott weisen wollte. So werden wir heute danach gefragt, welche Prioritäten wir uns für unser Leben setzen und welche Bedeutung dann unser Glaube heute (noch) für uns selbst und für unsere Welt hat?
Befiehl dem Herrn die Wege für dein Leben; vertrau doch auf ihn, er macht es richtig! (Psalm 37,5)
Gebet:
Herr, guter Gott! Wir kennen keine Armut, aber wir sind arm: arm an Freude, arm an Lebensinhalt, arm an Idealen. Wir essen uns jeden Tag satt, aber wir leiden an Hunger: Hunger nach Verständnis, nach Geborgenheit, nach Zuversicht. Wir sind übersättigt mit materiellen Gütern, aber sie können unseren Hunger nicht stillen. Wir ersticken im Überfluss, innerlich aber sind wir oft leer. Gott, wir haben wirklich alles, aber uns fehlt so viel. Lass uns arme Reiche nicht verhungern! Amen.
Ein einflussreicher Mann fragte Jesus: »Guter Lehrer, was muss ich tun, um das ewige Leben zu bekommen?« Jesus antwortete: »Warum nennst du mich gut? Nur einer ist gut, Gott! Und seine Gebote kennst du doch: Du sollst nicht die Ehe brechen, nicht morden, nicht stehlen, nichts Unwahres über deinen Mitmenschen sagen; ehre deinen Vater und deine Mutter!« »Diese Gebote habe ich von Jugend an alle befolgt«, erwiderte der Mann. Als Jesus das hörte, sagte er zu ihm: »Eines fehlt dir noch: Verkauf alles, was du hast, und verteil das Geld an die Armen, so wirst du bei Gott einen unverlierbaren Besitz haben. Und dann komm und folge mir!« Als der Mann das hörte, wurde er sehr traurig, denn er war überaus reich (Lukas 18,18-23).
Diesem Bericht aus dem 18. Kapitel des Lukasevangeliums folgt nun unser Predigttext, dort heißt es weiter:
Da sagte Petrus: »Du weißt, wir haben unser Eigentum aufgegeben und sind dir gefolgt.« Jesus wandte sich seinen Jüngern zu und sagte: »Ich versichere euch: Niemand bleibt unbelohnt, der irgendetwas aufgibt, um die Gute Nachricht verkünden zu können, dass Gott jetzt seine Herrschaft aufrichtet. Wer dafür etwas zurück lässt - Haus, Frau, Geschwister oder Eltern oder Kinder -, wird schon in dieser Welt ein Vielfaches davon wiederbekommen und in der kommenden Welt das ewige Leben.«
Liebe Gemeinde!
Gern würde ich einmal wissen, was sich wohl die Frau von Petrus und seine Schwiegermutter gedacht haben, als sie von dieser Rede Jesu hörten? Da verlässt ein Mann einfach so seine Familie, seine Boote, seine verdienstvolle Arbeit, er verzichtet auf jedes Einkommen, womit er den Lebensunterhalt seiner Familie in Frage stellt, nur um einem ihm ziemlich unbekannten Menschen zu folgen, der ihm den Himmel verspricht. Natürlich ist es ein Märchen, dass alle Schwiegermütter böse sind, dass aber die Schwiegermutter von Petrus einen guten Grund hatte, auf ihren Schwiegersohn sauer zu sein, das verstehe ich gut, ganz zu schweigen von seiner Frau.
Wie kommt Jesus dazu, seine Erwartungen, die ja seinen eigenen Glauben widerspiegeln, so radikal zu formulieren? An wen richtet sich diese Forderung? Ganz sicher spiegelt sie den Ernst der Nachfolge Jesu bis in die ersten, jungen Christengemeinden wieder. Wer es mit diesem Mann aus Nazareth zu tun haben wollte, der musste sich in vielfacher Weise auf den Weg machen, er musste zwangsläufig lernen, zurück zu lassen, Verzicht zu leisten, um anderes dafür zu bekommen. Wie sollte man denn die gute Botschaft Jesu hören, seine Taten wahrnehmen und sein Leben teilen, wenn man unbewegt und taub zu Hause blieb? Die ganze, so zu sagen bürgerliche Existenz, die ja schon Jesus selbst aufgeben musste, um seinem Auftrag nachzukommen, zwang auch alle anderen in eine solche Sonderexistenz. Wer dann später in Jerusalem, Rom oder sonst wo auf der damals bekannten Welt Christ wurde, musste also wirklich viel aufgeben und verlassen, um seinen Glauben in dieser neuen Glaubens-Gemeinschaft leben zu können.
So konkret Jesus die Menschen in seiner Nachfolge anspricht und ihnen deutlich macht, was dieser Glaube, wird er erst einmal ernstgenommen, für sie bedeutet, so sehr stellt er uns vor die Frage, was uns heute denn eigentlich wichtig und entscheidend ist, für den Sinn und Wert unseres Lebens? Spielt da der Glaube noch eine Rolle? Was prägt unser Leben, unsere Entscheidungen, welche Beziehungen und Abhängigkeiten sind wichtig, vielleicht sogar entscheidend für uns? Worauf müssten oder sollten wir umgekehrt aber endlich einmal verzichten lernen, wenn es uns nicht mehr um den oberflächlichen Schein, sondern um unser ganz existentielles Dasein ginge?
„Die Entscheidung für uns heute heißt nicht: Verlassen wir unsere Ehefrauen, vor allem, wenn unsere Ehe ohnehin nicht so gut, - unsere Familien, wenn diese eh´ ein wenig anstrengend für uns geworden, - unsere Arbeit, wenn sie uns schon lange nicht mehr recht ist. Nachfolge Jesu bedeutete für die Jünger damals wirkliche Aufgabe ihrer bürgerlichen Existenz. Von uns heute wird das nicht gefordert. Was will unser Text uns aber dann sagen? So alt er ist, so konsequent führt er uns in eine sehr moderne Fragestellung hinein: Was bringt mir das, was ich glaube, wofür ich meine Freizeit einsetze, mich finanziell und ideell engagiere? Was bringt mir die Kirche im Verhältnis zu dem, was sie mich an Kirchensteuern kostet? ... Was nutzt es mir, wenn ich an Gott glaube, wenn ich ihn ja ohnehin nicht sehe? ... Jeder von uns definiert, was für ihn einen Sinn und damit einen Wert besitzt und was nicht, was also sinn-voll oder sinn-los, wert-voll oder wert-los ist. Ständig be-werten wir gedanklich etwas, in dem wir uns eine Meinung bilden, abwägen, messen, ausloten, urteilen, doch was heißt das für unseren Glauben?“ [1]
Eugen Drewermann erinnert uns in diesem Zusammenhang an Barbara Hutten, die „amerikanische Woolworth-Erbin und Leiterin eines Wirtschaftsimperiums der 50er Jahre mit mehr als zweieinhalbtausend Einzelhandelsgeschäften und mehr als eineinhalb Milliarden Dollar. Alles nur Wünschbare lag dieser reichsten Frau der Welt zu Füßen, sie überhäufte ihre Angestellten buchstäblich mit Perlen und Edelsteinen, sie lebte in einer Welt, in der alles: Menschen, Gegenstände, Beziehungen, Meinungen, Entscheidungen, Pressedarstellungen, Bälle und Veranstaltungen, kurzum: alles für Geld zu kaufen war; sie selbst aber erstickte förmlich in dem Gefühl, wertlos und ungeliebt zu sein. Dass alle Menschen ihr Geld wollten, niemand aber sie selber, dieses Empfinden zerfraß ihre Seele ein Leben lang bis zum Sterbebett. `Reiches armes Mädchen´ hieß deshalb ein Film, den ein amerikanischer Regisseur über sie gedreht hat (...) – ein erschütterndes Drama über den Zusammenbruch eines Menschen, der in Kindertagen schon weder Liebe noch Wärme, nur Geschenke und Surrogate erhielt. Am Ende hat ein Mensch alles getan, was er konnte, er hat alles erreicht, was zu erreichen war, und er hat doch nur alles vertan und verloren – sich selbst!“ [2]
Wer Geld hat, in einem relativen Wohlstand leben darf, kann gut über die Armut reden. „Geld macht nicht glücklich...“ wir kennen solche Sätze, aber dennoch ist es gut, genug davon zu haben. Barbara Hutten lebte in einer Märchenwelt, in einer Welt der Illusionen. Trotz all ihres Reichtums fand sie aber keinen Weg in ein sinnvolles Leben hinein. Und Jesus warnt zu Recht davor, am Leben vorbei zu leben, weil man in seinem Streben nach lauter Äußerlichkeiten, die Sorge um seine eigene Innerlichkeit vergessen hat.
Erinnern wir uns doch nur an die unzähligen Berichte aus dem Neuen Testament, die uns vor Augen führen, dass Jesus selbst ein Mann aus dem Volk war: in einem Stall geboren, wurde er später Handwerker wie sein Vater. Er suchte sich seine Freunde unter den Fischern vom See, unter den so genannten „einfachen“ Leuten. Er verkehrte mit den verhassten Zöllnern, die im Dienste Roms standen und er setzte sich, neben anderen gesellschaftlichen Randgruppen, sogar für Dirnen ein. Viel tiefer kann man ja in seinem Umgang gar nicht sinken. Aber für ihn war kein Mensch zu gering und so richtete Jesus sein Wort an die scheinbar Starken, sie forderte er in ihrem fragwürdigen Denken und Tun heraus. Und damit sind eben nun auch wir in unserem relativen Wohlstand, unserem ständigen Sorgen um Sicherheit und unseren vielfältigen Abhängigkeiten angesprochen, die es uns so schwer mit unserem Glauben machen.
Selbstkritisch müssen wir aber auch sagen, dass viele Pfarrer bis in die Neuzeit hinein das Ideal der Armut predigten, weil sie nur so den Unternehmern, die sie bezahlten, den Rücken freihalten konnten. So versprach man den abhängigen Arbeitern einen jenseitigen Himmel für irdisches Wohlverhalten. Das „Jammertal“ musste ausgehalten werden, im Vertrauen auf himmlischen Lohn. Wir wissen, dass die Kritik von Karl Marx an einer solchen Kirche und an einer derartig verfälschten Lehre Jesu im 19. Jahrhundert sehr begründet war und zu Recht geäußert wurde. Wo Jesus selbst sich der Schwächsten annahm und sich gerade ihnen zuwandte, schwieg die Kirche, sie schwieg zu den Missständen am Arbeitsplatz, zu krankmachenden und tötenden Verhältnissen, zur Ausbeutung der Arbeitnehmer. Jesus geht es also nicht um ein Lob der Armut, um der Armut willen, nicht um eine billige Kritik an den Reichen, um des Reichtums willen, sondern er fragt nach den Prioritäten, die wir uns setzen.
Wie oft leben wir am Leben vorbei, pflegen unsere Masken und lassen uns von Dingen gefangen nehmen, die zu oberflächlich, zu getüncht, zu geschminkt und aufgetragen sind, als könnten sie einen wirklichen, einen tragenden Wert haben. Und dann wundern wir uns darüber, dass es so unendlich viel Resignation und Depression unter uns gibt, dass vielen Menschen die Hoffnung und die Perspektive für eine sinnvolle Zukunft fehlen, dass wir uns Krankreden lassen, anstatt wahrzunehmen, dass Europa, die westliche Welt überhaupt, zu den Teilen der Welt gehört, wo der Wohlstand und sei er noch so relativ, die gesundheitlichen Voraussetzungen und die soziale Sicherheit so günstig sind, wie kaum sonst in der Welt. Das ganze Leben Jesu, sein Reden und Handeln ist für uns also kaum etwas anders als wie ein „Guter Widerspruch“ Gottes (P. Eicher) zu unserem Leben, unseren Wünschen und Zielsetzungen.
Der Weg der Jünger Jesu ist sicher nur ein Weg, Glaube und Nachfolge zu leben. Sie lebten zwar in dieser Welt, aber eben doch unter ganz anderen Verhältnissen. Jeder von uns muss nun aber seinen Weg finden, wie sein Glaube wieder zum christlichen Glauben werden kann, wo Vertrauen und Treue Gott und den Mitmenschen gegenüber wieder möglich sind. Wir leben oder wir verweigern die Nachfolge Jesu. Unser Einsatz ist nicht mehr der, unser Haus, unsere Frau, die Geschwister, Eltern oder Kinder verlassen zu müssen, - was wir zurück zu lassen haben, ist ein Verhalten, das dem Glauben widerspricht. Wir dürfen mit dem Glauben also ein Loslassen lernen, das uns frei macht für ein Leben, in dem Gott seinen Ort und seine Zeit hat, wo für uns der Himmel auf die Erde kommen kann und die sattsam bekannten Höllen, die wir einander nur allzu gern bereiten, endlich der Vergangenheit angehören.
Das ist die Vision einer neuen Welt mitten in der alten. Aber es wäre eine Welt voller Perspektiven und Hoffnung für einen jeden von uns. Amen.
Literatur:
1) Schneider, H.-H., Nur im kleinen Kreis veröffentlichte Predigt vom 15. Sonntag
nach Trinitatis, Kenzingen, 1999
2) Drewermann, E., Das Matthäusevangelium, Teil 2, Düsseldorf, 1994, S. 494
Labahn, A., Deutsches Pfarrerblatt, Heft 7/2005, 15. Sonntag nach Trinitatis,
http://www.deutsches-pfarrerblatt.de
Handschuh, U., Calwer Predigthilfen, 1998/1999, Reihe III/2, Stuttgart1999, S. 142f
Barth, K., Jesus Christus und die soziale Bewegung, 1911, in: Gesamtausgabe,
Vorträge und kleinere Arbeiten, 1909 – 1914, Band 22, S. 392 f
Barth, K., Der reiche Jüngling, Hrsg. P. Eicher, München, 1986, S. 49 ff
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