Genesis 32, 23-32, Gemeinsamer Gottesdienst in Sundhouse, Elsass, 28. Juni 2009
Und Jakob stand auf in der Nacht und nahm seine zwei Weiber und die zwei Mägde und seine elf Kinder und zog an die Furt des Jabbok, nahm sie und führte sie über das Wasser, dass hinüberkam, was er hatte, und blieb allein. Da rang ein Mann mit ihm, bis die Morgenröte anbrach. Und da er sah, dass er ihn nicht bezwingen konnte, rührte er das Gelenk seiner Hüfte an; und das Gelenk der Hüfte Jakobs ward über dem Ringen mit ihm verrenkt. Und er sprach: Lass mich gehen, denn die Morgenröte bricht an. Aber er antwortete: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn. Er sprach: Wie heißt du? Er antwortete: Jakob. Er sprach: Du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel; denn du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft und bist obgelegen. Und Jakob fragte ihn und sprach: Sage doch, wie heißt du? Er aber sprach: Warum fragst du, wie ich heiße? Und er segnete ihn daselbst. Und Jakob hieß die Stätte Pniel; denn ich habe Gott von Angesicht gesehen, und meine Seele ist genesen. Und als er an Pniel vorüberkam, ging ihm die Sonne auf; und er hinkte an seiner Hüfte.
Übersetzung:
Jacob se leva la même nuit, prit ses deux femmes, ses deux servantes, et ses onze enfants, et passa le gué de Jabbok. Il les prit, leur fit passer le torrent, et le fit passer à tout ce qui lui appartenait. Jacob demeura seul. Alors un homme lutta avec lui jusqu`au lever de l`aurore. Voyant qu`il ne pouvait le vaincre, cet homme le frappa à l`emboîture de la hanche; et l`emboîture de la hanche de Jacob se démit pendant qu`il luttait avec lui. Il dit: Laisse-moi aller, car l`aurore se lève. Et Jacob répondit: Je ne te laisserai point aller, que tu ne m`aies béni. Il lui dit: Quel est ton nom? Et il répondit: Jacob. Il dit encore: ton nom ne sera plus Jacob, mais tu seras appelé Israël; car tu as lutté avec Dieu et avec des hommes, et tu as été vainqueur. Jacob l`interrogea, en disant: Fais-moi je te prie, connaître ton nom. Il répondit: Pourquoi demandes-tu mon nom? Et il le bénit là. Jacob appela ce lieu du nom de Peniel: car, dit-il, j`ai vu Dieu face à face, et mon âme a été sauvée. Le soleil se levait, lorsqu`il passa Peniel. Jacob boitait de la hanche.
http://www.transcripture.com/deutsch-franzosisch-genesis-32.html
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater und unserem Herrn, Jesus Christus
Liebe gottesdienstliche Gemeinde hier im elsässischen Sundhouse,
Menschen machen sich auf den Weg. Manchmal sind sie auf dem Weg zur Arbeit, zu einer Freizeitbeschäftigung, manchmal aber auch auf der Flucht vor sich selbst oder vor anderen Menschen, im günstigsten Fall sind sie unterwegs, um Zeichen der Versöhnung zu setzen und zum Frieden beizutragen. Auf alle Fälle sind Menschen immer wieder einmal unterwegs.
So auch Jakob, Jakob, einer der Stammväter Israels, Jakob, aber zunächst einmal der Lügner und Betrüger, wie es in seinem Namen anklingt, obgleich dieser eigentlich „Er (Gott) möge schützen“ bedeutet. Nach schwerem Betrug ist er auf der Flucht vor seinem Bruder Esau, den er einst um den Segen des Vaters prellte. Doch nun steht eine erste Begegnung bevor, von der er nicht ahnt, wie sie ausgehen wird. So zieht er sich in die Nacht zurück, um noch einmal allein zu sein, nachdem er seine Familie über den Jabbock geführt hat. Unvermutet beginnt ein Kampf auf Leben und Tod, aber er weiß anfangs noch nicht, mit wem er hier um sein Leben ringt. Er wird angeschlagen, verletzt und bittet – unvorstellbar für uns in einer solchen Situation – nun um den Segen des Fremden. Dieser schenkt ihm den Namen Israel, Gotteskämpfer – ein Name, der sein Leben charakterisiert und zugleich die künftige „leidenschaftliche Gottesbeziehung Israels“ deutlich macht. All das kommt in diesem Namen zum Ausdruck. 1) Und Jakob wird gesegnet.
Es ist ein Leben voller Lüge, Betrug und Versagen, voller existentieller Kämpfe, aber es ist zugleich auch ein Leben, dem Segen zugesagt und geschenkt ist und damit eine Zukunft an der Seite Gottes. Wie bekannt uns das doch vorkommen muss: Jeder Mensch findet sich in den Menschen der Bibel wieder, auch in Jakob. Jeder von uns weiß um seine Biografie, um eigene Schuld und eigenes Versagen und wir kennen diese Kämpfe, die wir in uns austragen, oft ja auch ohne zu wissen, um was oder mit wem wir hier eigentlich kämpfen. Und wie oft sind wir die Menschen, die sich selbst verletzt und angeschlagen fühlen, denen die Nacht kaum zu Ende zu gehen scheint und das Licht eines neuen Tages fern.
Wir alle leben mit unseren Schatten, die uns unser ganzes Leben lang begleiten, sie werden bleiben, auch dann, wenn wir uns ihrer bewusst sind. Nur dann werden sie unser Leben eben nicht mehr stören oder sogar zerstören können. Aber wir denken heute in diesem ersten – grenzüberschreitenden – Gottesdienst unserer Gemeinden nicht nur an all das, was uns selbst belastet, sondern auch an das, was unsere Völker über Generationen trennte. Traumatisch war die Geschichte unserer Völker - und unsere Väter und Mütter in Deutschland haben durch die ideologische Verblendung unsägliche Schuld auf sich geladen. Schuld, wie die Schuld Jakobs, durch immer neue Lügen, Betrügereien, Versagen und Kämpfe, die in Kriege hineinführten und Verletzungen schufen, die unsere Beziehungen von Generation zu Generation kennzeichneten und belasteten.
Doch nun sind wir hier. Wir sind über den Rhein gekommen, um deutlich zu machen, dass wir eine andere Geschichte mit unseren Nachbarn wollen, gerade aber auch mit unseren elsässischen Nachbarn, eine Zukunft in einem befriedeten Europa.
Die Schuld der Vergangenheit kann ja nur dann wirklich in eine andere Zukunft führen, wenn man sie einerseits nicht verdrängt, andererseits aber von beiden Seiten her gewillt ist, ein neues Kapitel der Beziehungen aufzuschlagen. Die bekannte Schriftstellerin Marie Luise Kaschnitz schrieb 1949 in der dunklen Zeit nach dem zweiten Weltkrieg die kleine Geschichte: `Adam und Eva´, dort erzählt sie:
„„... Die Kinder", sagte Adam streng, „sind träge und leichtsinnig. Sie wissen nicht, was arbeiten heißt und werden elend zugrunde gehen." „Es wird schon noch etwas aus ihnen werden", sagte Eva. „Und was wird aus uns?“ fragte Adam und stützte seinen Kopf auf die Hand. „Wir bleiben zusammen", sagte Eva. „Wir gehen zurück in den Garten." Und sie legte ihre Arme um Adams Hals und sah Ihn liebevoll an. „Ist er denn noch da?" fragte Adam erstaunt. „Gewiss", sagte Eva. „Woher meinst du denn", fragte Eva, „sollte ich sonst die Reben haben, die ich dir gebracht habe; und woher, meinst du, dass ich die Zwiebel der Feuerlilie hatte; und woher, meinst du, hatte ich den schönen funkelnden Stein?" „Woher hattest du das alles?" fragte Adam. „Die Engel", sagte Eva, „haben es mir über die Mauer geworfen. Wenn wir kommen, rufe ich die Engel und dann öffnen sie mir das Tor." Adam schüttelte langsam den Kopf, weil eine ferne und dunkle Erinnerung ihn überkam. „Gerade dir", sagte er. Aber dann fing er an zu lachen, laut und herzlich, zum ersten Mal seit ach wie langer Zeit.“ 2)
Natürlich leben wir damit, dass wir das Paradies verloren haben, wir leben nicht mehr ohne Schuld und Versagen, ohne unsere Schatten, grenzenlos glücklich und unbeschwert. Und doch: Das Bild, ja, den Traum vom Paradies tragen wir in uns.
Und so erleben wir es wie Adam und Eva in der kleinen Erzählung, dass wir trotz allem Spuren des Paradieses auch in unserem Leben finden, Spuren des Paradieses in der Wüste des Lebens. Auch dieser Gottesdienst ist ein Hinweis darauf! Es darf anders weiter gehen, ein neuer Weg ist uns geschenkt und es liegt nun an uns, ihn auch zu gehen.
Jakob ist angeschlagen, er hinkt. Aber als er mit seinem neuen Namen versehen zu seiner Familie heimkehren will, weiß er, dass er diesen schattenhaften Kampf nicht nur in sich selbst, sondern zugleich mit Gott gekämpft hat, dem Gott, der ihn gesegnet zu seiner Familie heimkehren lässt, und der den zerstrittenen Brüdern einen neuen Umgang miteinander möglich macht. In einem wunderschönen Bild heißt es nun, dass „ihm die Sonne aufging, und er an seiner Hüfte hinkte.“
Jakob bleibt angeschlagen, verletzt und wird sein Leben lang gezeichnet sein, aber gerade so geht ihm nach dieser wohl dunkelsten Nacht seines Lebens die Sonne auf, wie ein Symbol für das Leben und eine neue Zukunft. Jakob, der Gesegnete, soll nun für die Welt ein Segen sein. Aber gilt das dann nicht auch für uns und unsere Beziehungen zueinander, dass wir die Lasten der Vergangenheit mit uns tragen – und dass wir nun doch einander zu einem Segen werden dürfen? Lassen Sie uns miteinander so als Elsässer und Badener nicht von unseren Schatten leben, sondern voller Vertrauen in den neuen Tag und in die Zeit, die Gott uns schenkt, hineingehen. So dürfen wir alle etwas von dem verlorenen Paradies unter uns erleben und für andere erlebbar machen: Einen tragfähigen Frieden und enge und freundschaftliche Beziehungen unserer Kirchengemeinden über historisch trennende Grenzen hinweg. „Ich will euch segnen und ihr sollt ein Segen sein!“ Darum wusste Jakob und damit klingt an, was Gott uns miteinander schenkt und was nun auch unser aller Auftrag bleibt – nämlich, den Mitmenschen ein Segen zu sein. Amen.
Literatur:
1) Söding, Th., Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn,
Bibelarbeit zu Gen. 32,23-33 auf dem ÖKT in Berlin: in: http://www.fba.uni- wuppertal.de/katholische_theologie/welt_der_bibel/bibelarbeiten/p_pics/bip
2) Kaschnitz, M.L., Erzählungen, Hrsg. Marcel Reich-Ranicki,
Deutscher Bücherbund, Stuttgart, S. 57ff
Jehle, F., Karl Barths Predigt über Jakobs Kampf am Jabbock, in:
http://www.frankjehle.ch/Dateien/2001_Karl_Barths_Predigt_ueber_Jakobs_Kampf_am_Jabbok
Jung, C.G., Über den Menschen, Zürich, 1998, S. 17ff
Schweitzer, A., Predigten 1898-1948, München, 2001, S. 1334
Wir weisen darauf hin, dass Sie alle unsere Predigten im Internet nachlesen können. Sie finden sie unter:
http://www.evang-kirche-kenzingen.de oder:
http://www.predigten.de/ (Powersearch anklicken, Text oder Name eingeben)