5. Sonntag nach Trinitatis, Lukas 5, 1-11

 

 

Begrüßung:

 

Liebe Gemeinde! Kirche gehört irgendwie dazu, gern lassen wir die Kirche noch im Dorf, von Zeit zu Zeit sehen wir sogar den Pfarrer gern, wenn es ein Kind zu taufen gibt, der Konfirmandenunterricht ansteht, die kirchliche Trauung, eine Beerdigung – aber war es das? Welch tiefere Bedeutung hat das alles für unser Leben? Heute werden wir mit dem Anspruch Gottes an unser Leben konfrontiert und zu einer Nachfolge eingeladen, die das Leben verändern hilft, das ist dann schon etwas ganz anderes, als ein Christ sein, das nur an den Schwellen des Lebens erfahrbar wird. Lassen wir uns dazu einladen, im Wort und Geist Gott selbst zu begegnen.

 

Du, Gott, tust mir kund den Weg zum Leben (Psalm 16,11).

 

 

Gebet:

 

Herr, guter Gott! Wir bitten dich: Lass uns das Loslassen lernen, wenn es dem Leben dient, aus der Hand geben, was uns wichtig ist, wenn es uns fraglich bindet und festhält. Lehre uns zu akzeptieren, das gerade nicht alles beim Alten bleiben kann, einzusehen, das sich etwas ändern muss, auch wenn es unsere Kraft und Zeit fordert. Schenke uns den Mut, uns auch einmal auf Ungewohntes einzulassen, wenn das Vertraute doch nur noch wenig trägt. Gott, so lass uns aufbrechen, um bei dir anzukommen und damit in der Welt, die du uns anvertraut hast. Amen.

 

Es begab sich aber, als sich die Menge zu ihm drängte, um das Wort Gottes zu hören, da stand er am See Genezareth und sah zwei Boote am Ufer liegen; die Fischer aber waren ausgestiegen und wuschen ihre Netze. Da stieg er in eines der Boote, das Simon gehörte, und bat ihn, ein wenig vom Land wegzufahren. Und er setzte sich und lehrte die Menge vom Boot aus.

 

Und als er aufgehört hatte zu reden, sprach er zu Simon: Fahre hinaus, wo es tief ist, und werft eure Netze zum Fang aus! Und Simon antwortete und sprach: Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen; aber auf dein Wort will ich die Netze auswerfen. Und als sie das taten, fingen sie eine große Menge Fische und ihre Netze begannen zu reißen. Und sie winkten ihren Gefährten, die im andern Boot waren, sie sollten kommen und mit ihnen ziehen. Und sie kamen und füllten beide Boote voll, sodass sie fast sanken. Als das Simon Petrus sah, fiel er Jesus zu Füßen und sprach: Herr, geh weg von mir! Ich bin ein sündiger Mensch. Denn ein Schrecken hatte ihn erfasst und alle, die bei ihm waren, über diesen Fang, den sie miteinander getan hatten, ebenso auch Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, Simons Gefährten. Und Jesus sprach zu Simon: Fürchte dich nicht! Von nun an wirst du Menschen fangen. Und sie brachten die Boote ans Land und verließen alles und folgten ihm nach.

 

 


Liebe Gemeinde!

 

Orte sind manchmal so bedeutsam wie Zeiten. Der See Genezareth ist ein so bedeutsamer Ort in Israel und für Israel, denn er sichert heute die lebensnotwendige Wasserversorgung bis hinunter zum Negev. Man kann sich den See gut vorstellen. Er liegt über 200 m unter dem Meeresspiegel und ist von Bergen umgeben, die auf 400 bis 500 m aufsteigen. 46 m ist er tief, 21 km ist er lang und an seiner breitesten Stelle 12 km. Der Wasserreichtum und das warme Klima verwandeln die Orte, die den See umgeben in ein kleines fruchtbares Paradies. Aber, durch die ihn umgebenden Berge hat dieser fischreiche See auch seine Tücken. Durch starke Winde, die urplötzlich auftreten können, verwandelt sich die ruhige See ganz schnell in ein gefährliches, stürmisches Gewässer. So habe ich Eltern erlebt, die ihre Kinder an langen Wäscheleinen zum Baden angebunden haben, damit sie nicht von jähen Stürmen überrascht werden. In der Bibel finden sich ja Geschichten, die davon berichten, wie stürmisch es hier ganz unerwartet zugehen kann.

 

In dieser Region Israels hielt Jesus sich gern auf. Vermutlich war der Heimatort des Simon (Petrus), Kapernaum, auch der Ort, an dem Jesus selbst lebte, nachdem er sein Elternhaus in Nazareth verlassen hatte. Neben Jerusalem hatte gerade Tiberias am See Genezareth eine große strategische Bedeutung. Hier hatte die Besatzungsmacht Rom einen Teil seiner Truppen zusammengezogen und auch das militärische Hauptquartier war hier. Und so spielt gerade der See Genezareth und die Landschaft, die ihn umgibt, eine große Rolle in den Erzählungen des Neuen Testamentes.

 

Wieder einmal verkündigt Jesus hier das gute Wort Gottes, als er in eines der Boote steigt und den arbeitenden Fischer bittet, ein wenig hinaus zu fahren. Und so benutzt er ein Boot als einen ungewöhnlichen Predigtort. Schon das ist merkwürdig: Dass die Fischer ohne Rückfragen oder Preisverhandlungen ihre Arbeit niederlegen, um seiner Bitte zu folgen. Nachdem er seine Botschaft verkündigt hat, lässt er den Fischer Simon auf den See heraus fahren, um erneut die Netze auszuwerfen. Und wieder passiert etwas unerwartetes: Der erfahrene Fischer verweist zwar darauf, dass er die Nacht über vergeblich auf dem See war, aber er tut, was ihm gesagt wird. Man muss sich das vorstellen, ein Zimmermann vom Land, der über Gott spricht, sagt einem Fischer vom See, was er tun soll. Und das erstaunliche geschieht, die Netze zerreißen fast unter der Last der Fische. Die anderen müssen kommen, um zu helfen, den Fang zu bergen.

 

Eine dritte Auffälligkeit wird uns erzählt, nämlich dass Simon Petrus niederfällt und Jesus auffordert, wegzugehen, da er ein sündiger Mensch sei. Normal wäre doch nach einer solchen Erfahrung, diesem Fremden für den Tipp zu danken und ihn zu einem Fischessen einzuladen. Und Jesus reagiert mit dem uns vertrauten Wort: „Fürchte dich nicht!“ und lädt Petrus ein, von nun an zu einem Menschenfischer zu werden. Und was geschieht? Petrus, Jakobus und Johannes bringen ihre Boote an Land und folgten ihm nach. Kein Wort vom großen Fang mehr, der nun auf den Markt muss, um verkauft zu werden. Kein Wort von den Familien, die sie zurück lassen, denn zumindest von Petrus wissen wir, dass er, auf den sich das Papsttum später einmal begründen wird, verheiratet war.

 

 

Man muss sich das vorstellen: Was werden die Angehörigen dazu gesagt haben, die Ehefrauen und Kinder, dass ihre Männer und Väter einem wildfremden Wanderprediger folgen, denn wer sollte nun für die alleingelassenen Familien sorgen – in einer Zeit, in der es ja noch keinerlei soziale Absicherungen gab?

 

Erst wenn wir uns all das klarmachen, werden wir den Anspruch Jesu verstehen, mit dem er auftrat. In der Begegnung mit ihm gab es ein „jetzt“, da war kein Platz für ein „später“ oder „vielleicht“ einmal. Er konfrontiert die Menschen durch sich selbst mit ihrem Gott. Was aber muss passieren, dass Menschen alles stehen und liegen lassen, ihre ganze wirtschaftliche und familiäre Existenz aufs Spiel setzen? Die Begegnung mit ihm muss von ihnen so erfahren worden sein, dass es sich für diesen Mann und seine Freunde lohnte, alles zurück zu lassen. Wer weiß, ob sie jetzt schon ahnen konnten, was dann einmal auf sie alle zukommen würde. Auf jeden Fall war es eine Begegnung von existentieller Bedeutung, die offensichtlich gar keine andere Wahl zuließ - mitten im Alltag und angesichts eines gerade erlebten Misserfolges und einem unerwartet großen Erfolges.

 

Liest man unseren Text einmal genau nach, dann steht man wieder einmal, wie so oft bei der Begegnung mit dem Wort Gottes vor Wort-Bildern, die weit reichend in unser Leben eingreifen und dadurch eine vielschichtige Bedeutung haben. Da ist von der Tiefe die Rede, von der See, von einem Netz, von der Nacht und dem Tag, von einem Aufbruch und einer Heimkehr. Jedes dieser Bilder muss in unser Leben hinein gedeutet werden, um zu begreifen, was hier durch die Begegnung mit dem Gott Jesu geschieht.

 

Jesus lässt Petrus dorthin fahren, wo es tief ist. Erst da, wo wir es wagen, in die Tiefe unserer Existenz hinein zu gehen, werden wir erahnen lernen, was Gott für den Menschen bedeutet. Wer an der Oberfläche bleibt, kommt höchstens bei Michael Jackson an, bei all dem, was uns in unserem Alltag gefangen nimmt. Und dafür steht dann das Bild des Netzes. Wer sich darin verfängt, verliert seine Freiheit, von nun an wird über ihn entschieden. Aber das Bild des „leeren Netzes“ kann auch für die Nichtigkeit unserer existentiellen Erfahrungen stehen. Da gibt es nichts mehr, was Sinn macht, Würde schenkt und das Leben erfüllt. So stehen die vollen Netze dann für das „Wunder der Erfüllung.“ 1) Eugen Drewermann weist darauf hin, dass dies dann ein „... alles verwandelndes Erlebnis“ ist. „Man tut nach wie vor nichts anderes als zuvor, nur verrichtet man es jetzt in einem vollkommen neuen Sinnhintergrund: Man handelt nicht länger ins Nächtliche, Dunkle und Dumpfe...“ 2) In den vertrauten Bildern gedacht, kann der Mensch nun sehen und erkennen, was nur möglich ist, wenn es Tag geworden und hell ist, wenn Situationen des Lebens vielfältig beleuchtet werden.

 

Das Bild der See ist gut zu verstehen, denn wer sich auf einen See, auf ein Meer begibt, muss sich darauf verlassen können, dass das Boot trägt und nicht untergeht. So wird es gewagt, in die Ungewissheit zu starten. Und dann die Bilder vom Aufbruch und der Heimkehr: Nur der wird schließlich und endlich zu neuen Ufern gelangen der es wagt, sich auf den Weg zu machen, so ungewiss die Zukunft auch aussehen mag. Doch wer sich auf einen Weg einlässt, wird sich ja auch fragen, wohin der Weg führen soll und welches Ziel man erreichen will. Hinter den Bildern vom Aufbruch und der Heimkehr steht also viel mehr. Und Jesus weiß das.

 

Er weiß, wohin er aufbricht, als er sich dem Boot des Fischers anvertraut und hat auch ein Ziel vor Augen: Da ist die Predigt vom Reich Gottes und da ist ein Wort zu sagen, das Menschen in die Nachfolge ruft. Erst diese Erfahrung gegen alle Erfahrung führt dazu, dass Petrus, Jakobus und Johannes alles stehen und liegen lassen, um Jesus nachzufolgen. In dieser Konfrontation bleibt der gewohnte Alltag zurück, um an der Seite Jesu den Aufbruch ins ganz und gar Ungewisse zu wagen. Dabei können sie sich aber nicht darauf verlassen, dass sie nun allein das pure Glück, den Himmel auf Erden, erleben werden.

 

Nachfolge Jesu bedeutet für uns heute ja nicht mehr, nun alles stehen und liegen zu lassen – wohin sollten wir auch laufen? Nachfolge Jesu muss sich in den Alltag hinein buchstabieren. Da wo wir leben und arbeiten, wo wir Erfolg haben oder einen Misserfolg erleiden müssen, wo wir im Beruf, in der Familie oder wo auch immer gefordert sind, da muss der Glaube sich bewähren, da muss der Glaube uns tragen, begleiten und führen, da muss er die Maßstäbe setzen, damit wir unsere Aufgaben als Christen in der Welt erkennen.

 

Gerade in der Gegenwart Jesu erkennt Petrus seine ganze Nichtigkeit und eben hier hört er das bekannte Wort „Fürchte dich nicht!“ Weil er um das Leben weiß, auch um Schuld und Versagen, gerade weil er kein Übermensch ist, darum wird er in die Nachfolge gerufen und soll nun dabei helfen, dass auch andere Menschen den menschenfreundlichen Gott finden.

 

Liebe Gemeinde! Wann ist für uns ein Moment gekommen, eine Situation, eine Erfahrung, alles stehen und liegen zu lassen, um uns dem Anspruch Gottes an unser Leben auszusetzen, ohne wieder einmal wegzulaufen? Ich denke, dass es unzählige Situationen und Erfahrungen geben kann, aus denen heraus wir gefragt sind, uns entscheiden können, wie unser Leben weiter geht und wohin es führen soll, um einmal in einem gelingendem Leben anzukommen? Das Entscheidende für uns ist, zu erkennen, jetzt habe ich es mit Gott zu tun, jetzt bin ich gefragt. Von hieraus kann es nicht mehr zurück, sondern nur noch ein vorwärts gehen geben, das uns mit unserem Gott verbindet und mit den uns anvertrauten Menschen und Situationen, in denen wir uns als Christen zu erweisen haben.

 

Wer Gott hört, woher heute auch immer, ist ein gefragter Mensch und wer einmal nach seinem Menschsein gefragt ist, darf die Antwort nicht schuldig bleiben. Nicht umsonst ist ja eine der ersten Fragen der Bibel: „Adam (Mensch), wo bist du?“ Wir sind gefragt, was werden wir antworten und wie werden wir leben? Amen.

 


 

 

 

Literatur:

 

1) Drewermann, E., Das Lukasevangelium, Band 1, Düsseldorf, 2009, S. 276

2) Drewermann, E., a.a.O., S. 276

 

Bronk, K.-U., 5. Sonntag nach Trinitatis, in: Göttinger Predigtmeditationen, 2009, 63. Jhrg., Heft 3, Göttingen, S. 343

Balser, D., 5. Sonntag nach Trinitatis, in: http://www.deutsches-pfarrerblatt.de/

 

 

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