14. Sonntag nach Trinitatis, 1.Thess 1,2-10
Begrüßung:
Liebe Gemeinde! Aus Gottes Sicht ist jede Gemeinde ein Bild der Erwählung ohne Rücksicht auf Erfolge, Zahlen oder Spenden. Das macht uns innerlich frei, unseren Glauben unbeschwerter leben, uns unserer Welt stellen zu dürfen, so, wie sie ist, so wie wir sie aus den Medien erfahren. Paulus dankt für eine solche Gemeinde und schenkt uns damit ein Beispiel, auch für unsere eigene Kirche und Gemeinde dankbar zu sein. Was wird uns nicht alles mit und in ihr geschenkt, was wir im Grunde zu selbstverständlich nehmen? Seien wir dankbar füreinander, denn auch wir haben allen Grund dazu.
Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.
(Ps. 103,2)
Gebet:
Herr, guter Gott! Täglich nehmen wir die Zeitung in die Hand und lesen darin, was es aus der Nachbarschaft und aus der weiten Welt zu berichten gibt, wir freuen uns über gute Nachrichten und sind besorgt über die Krisen in der Welt. Lass uns die Zeitung neben der Bibel lesen, damit unser Glaube zu einem Kommentar zur Weltlage werden kann, geprägt von der Liebe zum Leben und der Hoffnung für eine Welt, die sich nicht aufgeben muss. Herr schenke es uns, dass wir dankbar leben, dankbar auch für all das, was in der Mitte unserer Gemeinde geschieht, damit wir tagtäglich neu in unserem Glauben bestärkt werden, wo sonst würden wir denn von unserem Glauben hören und ihn konkret teilen können, wenn nicht in ihr? Darum bitten wir dich immer wieder neu in unsere Gegenwart hinein. Amen.
Wir danken Gott immerzu für euch alle, wenn wir in unseren Gebeten an euch denken. Vor Gott, unserem Vater, erinnern wir uns stets voll Dank daran, was als Frucht eurer Gemeinschaft mit Jesus Christus, unserem Herrn, bei euch herangereift ist: wie bewährt euer Glaube ist und wie aufopfernd eure Liebe und wie unerschütterlich eure Hoffnung. Gott liebt euch, Brüder und Schwestern, und wir wissen, dass er euch dazu erwählt hat, ihm zu gehören. Denn als wir euch die Gute Nachricht verkündeten, geschah das nicht nur mit dem Wort, sondern zugleich mit Taten, in denen sich die Macht Gottes zeigte, mit dem Beistand des Heiligen Geistes und mit großer Überzeugungskraft. Ihr wisst ja, wie wir unter euch gelebt und gewirkt haben, um euch die Rettung zu bringen. Ihr aber seid unserem Beispiel gefolgt und damit dem Beispiel unseres Herrn. Obwohl ihr schwere Anfeindungen ertragen musstet, habt ihr die Botschaft mit der Freude angenommen, die der Geist Gottes schenkt. So seid ihr ein leuchtendes Vorbild für alle Glaubenden in Mazedonien und Achaia geworden. Und nicht nur dorthin ist die Botschaft des Herrn von euch aus gelangt; es hat sich auch überall sonst herumgesprochen, dass ihr euch Gott zugewandt habt. Wir brauchen niemand etwas davon zu erzählen. Wo wir auch hinkommen, sprechen sie davon, was für ein segensreiches Wirken wir unter euch entfalten konnten. Überall erzählen sie, wie ihr euch von den Götzen abgewandt habt und dem wahren und lebendigen Gott dient - und wie ihr nun vom Himmel her seinen Sohn erwartet, den er vom Tod auferweckt hat: Jesus, der uns vor dem bevorstehenden Gericht rettet.
Liebe Gemeinde!
Als Pfarrer habe ich gelernt, die Zeitung neben der Bibel liegen zu haben, meinen Glauben also mit der Welt ins Gespräch zu bringen. Denn wer die Welt nicht so sehen will, wie wir sie uns nun einmal gemacht haben und an der wir alle ja tagtäglich mit unserem Leben beteiligt sind, der betreibt eine für den Glauben unzulässige Weltflucht. Dass Gott Mensch wurde, weist uns unmissverständlich den Weg unseres Glaubens. Und so habe ich die Zeitung vom vergangenen Montag einmal neben unseren Predigttext gelegt und dabei gesehen, dass die Lektüre von Zeitung und Bibel uns gar nicht herausfordernder ansprechen könnte. In der Zeitung konnten wir lesen:
„Es ist der Tag, der nicht vergehen will. Und es sind die Bilder, die unauslöschbar eingebrannt sind in das Gedächtnis der Menschheit: Der 11. September 2001 mit seinen tausenden Terroropfern hat auf unheimliche Weise Weltgeschichte geschrieben – und auf unheimliche Weise die Welt verändert.“ Lesen wir noch ein wenig weiter: „08.46 Uhr: Ein Flugzeug rast in den nördlichen der beiden Türme des World Trade Centers in New York. 09.03 Uhr: Ein zweiter Jet schlägt in den Südturm ein. 09.37 Uhr: Ein drittes Flugzeug rast in das amerikanische Verteidigungsministerium in Arlington bei Washington... 09.59 Uhr: Der Südturm des World Trade Centers stürzt zusammen... 10.03 Uhr: Ein viertes Flugzeug stürzt südlich von Pittsburgh nach einem Kampf im Cockpit auf freiem Feld ab... 10.28 Uhr: Der zweite, nördliche Zwillingsturm stürzt ein...“ [1] So konnten wir es lesen, fünf Jahre danach.
Ich blättere in meiner Zeitung ein wenig zurück und lese: „Die Predigt des Papstes: `Glaube in Freiheit´... Es gibt eine Schwerhörigkeit Gott gegenüber, an der wir gerade in dieser Zeit leiden. Wir können ihn einfach nicht mehr hören, zu viele andere Frequenzen haben wir im Ohr ... Die Völker Afrikas und Asiens bewundern zwar die technischen Leistungen des Westens und unsere Wissenschaft, aber sie erschrecken vor einer Art von Vernünftigkeit, die Gott total aus dem Blickfeld des Menschen ausgrenzt und dies für eine Art von Vernunft ansieht ... Nicht im christlichen Glauben sehen sie die eigentliche Bedrohung ihrer Identität, sondern in der Verachtung Gottes und in dem Zynismus, der die Verspottung des Heiligen als Freiheitsrecht ansieht...“ [2] Heute wissen wir längst, dass das eine mit dem anderen zu tun hat.
Neben diesen Artikeln aus der Badischen Zeitung lese ich nun wieder unseren Predigttext: „Wir danken Gott immerzu für euch alle, wenn wir in unseren Gebeten an euch denken. Vor Gott, unserem Vater, erinnern wir uns stets voll Dank daran, was als Frucht eurer Gemeinschaft mit Jesus Christus, unserem Herrn, bei euch herangereift ist: wie bewährt euer Glaube ist und wie aufopfernd eure Liebe und wie unerschütterlich eure Hoffnung...“
Seit zweitausend Jahren hören Christen diesen herzlichen Gruß des Paulus an die junge Gemeinde in Thessalonich. Es ist ein Gruß, so wurde es einmal beschrieben, wie ein Liebesbrief: „Wie schön, dass du da bist. Ich danke Gott, dass es dich gibt...!“ [3] Da dankt Paulus zwar keinem persönlich, nein, die ganze Gemeinde spricht er mit seinem Dank an, weil sie durch ihren Glauben, ihre Liebe und ihre Hoffnung überzeugt. Dabei hat es die Gemeinde nicht leicht.
Thessalonich ist eine Hafenstadt, für die Römer sehr bedeutsam, eine Landeshauptstadt, militärisch wichtig und wirtschaftlich aufblühend. Die vielen hier lebenden und wohlhabenden Juden ärgern sich über die Christen in ihrer Mitte. Immer wieder versuchen sie Menschen zu gewinnen, die sich gegen die Christen aufwiegeln lassen, Unruhen anzuzetteln, die man dann der jungen Gemeinde anlasten kann. Schon bei seinem Besuch fand Paulus unter ihnen kaum Gehör. Es waren viel eher die Griechen, interessierte, vermutlich recht gebildete Frauen und Heiden, welche seine Botschaft vom christlichen Glauben hörten. Wie Paulus die Stadt fluchtartig verlassen musste, so wird nun die junge Gemeinde bedrängt und verfolgt.
Wir lesen über den Terror vom 11. September, der ja ein unvorstellbarer Angriff auf die Symbole westlichen Denkens und Fühlens war, Symbole wirtschaftlicher Potenz mit einem fast grenzenlosem Wohlstand. Die beiden himmelwärts strebenden Türme des World Trade Centers standen sichtbar für den modernen Glauben der USA, der Glaube an das Machbare, die schier grenzenlose wirtschaftliche, aber auch militärische Potenz, verbunden mit dem Anspruch unvergleichlich in der Welt zu sein. Gegen ein solches Denken setzten religiöse Fanatiker ihr unseliges Fanal.
Bei einer zunehmenden Religiosität gerade auch in der westlichen Welt erinnert uns der Papst in München an unsere eigene „Schwerhörigkeit Gott gegenüber“. Ja, wir werden religiöser, aber woran glauben wir wirklich? Halten wir uns unseren biblischen Liebesbrief vor Augen, wofür könnte Paulus uns danken, wenn er unseren Glauben, unser Christsein sieht? Er dankt in unserem Brief für einen bewährten Glauben, eine aufopfernde Liebe und eine unerschütterliche Hoffnung.
Wer von uns heute die Zeitung und die Bibel nebeneinander legt, spürt sehr genau, wo wir noch einmal ganz neu anzufangen hätten, Gott in die Welt hinein zu buchstabieren, weil es dem christlichen Glauben gerade nicht um ein Bauchgefühl geht, um ein wenig Religion fürs „fromme Gemüt“. Im Gefolge der Aufklärung konnte der berühmte Theologe Friedrich Daniel Schleiermacher schon 1799 über die „Religion“ sagen: „Ihr Wesen ist weder Denken noch Handeln, sondern Anschauung und Gefühl...“ [4] Das prägte Generationen von Theologen und damit natürlich auch den Glauben unzähliger Menschen im 19. Jahrhundert. Wir wissen, dass es so eben nicht geht, weil der Glaube mehr sein muss, als ein Gefühl für Gott zu haben. Gefühle können täuschen, in die Irre führen, so, wie wir es gerade auch am Glauben religiöser Fanatiker in allen Religionen und Konfessionen sehen können.
Darum kommt es dem Papst zunächst so sehr auf dieses „Hören“ an, dem dann alles andere folgen muss. Wer sich auf den Glauben einlassen will, muss zunächst einmal hören wollen. Denn es ist ja zu fragen, woran, an wen oder was ich eigentlich glauben möchte? Die ersten Christen am Anfang des Christentums konnten sich angesichts ihres Alltags so wenig auf ihren Bauch verlassen, wie wir es eben heute immer noch nicht können. Jede Zeit hat ihre eigenen Fragen, ihre Herausforderungen, die es im Gespräch mit der Zeitung, also der Weltlage und der Bibel zu bedenken und dann als Christen in der Welt zu leben gilt.
Und so kommt es dazu, dass Paulus für einen bewährten Glauben danken kann. Es ist eine begründete Dankbarkeit: Der Glaube der jungen Gemeinde in Thessalonich hat sich trotz aller Widerstände und Schwierigkeiten bewährt. Er musste sich einer harten Bewährungsprobe stellen, weil er ja mit allen Mitteln bekämpft wurde.
Erst in der lebensnotwendigen Konfrontation mit der Welt konnte sich dieser Glaube bewähren und zu einer aufopfernden Liebe hinführen. Sie war ja das Kennzeichen der frühen Kirche, das Argument, um überhaupt Christ zu werden. Oft haben wir das in den Herausforderungen unseres Alltags vergessen. Es ist eine Liebe, die dem Glauben folgt, die wirklich lebt, was Menschen glauben und so ist sie seine soziale Außenseite. So gibt es kein Christsein ohne dieses Hören auf das Wort Gottes und es gibt kein Christsein, ohne dass der Glaube sich in einer bestimmten Art und Weise seiner ganz konkreten Welt zuwendet. Mit jedem Menschen bekommt der Glaube oder der Unglaube so ein menschliches oder leider oft eben auch unmenschliches Gesicht.
Und Paulus dankt für die unerschütterliche Hoffnung in dieser jungen Gemeinde. Wie oft mögen auch sie verzweifelt gewesen sein, es fehlte ja alles, was diesen Glauben zukunftsfähig machte – und doch half der Glaube dabei, mit einer Hoffnung zu leben, die über das Grau und Dunkel des Alltags hinweg tröstete. Mit einer solchen Hoffnung konnte man leben, ganz gleich, wie bedrängt der konkrete Tag aussah und wie chancenlos der eigene Glaube in einer solchen Umwelt.
Ich denke, dass wir spüren, wie gut es ist, wenn uns gerade ein deutscher Papst wieder einmal an unsere „Schwerhörigkeit Gott gegenüber“ erinnert. Wobei der Besuch des Papstes in Bayern gerade in der Evangelischen Kirche eben auch kritische Anmerkungen zulassen muss, wie z.B. einen „mangelnden Respekt vor Grundüberzeugungen evangelischer Theologie“ [5], wie es Bischof Huber sagte. Man kann ja schlecht „Toleranz“ [6] einfordern, sie selbst aber auf verschiedenen Gebieten in der eigenen Kirche, anderen Kirchen, Konfessionen und Religionen gegenüber versagen.
In seinen Überlegungen zur „Ehrfurcht vor dem Leben“ hat Albert Schweitzer immer wieder einmal die Notwendigkeit der Dankbarkeit betont. Bedenken wir doch einmal, wofür wir danken könnten, wenn wir an unseren Glauben, ja, vielleicht auch an unsere eigene Gemeinde heute denken. Die Zeitung liegt auf dem Tisch, aber der Terror in der Welt hat nicht das letzte Wort, denn es gibt bessere und hoffnungsvollere Worte. Es kommt für uns darauf an, sie zu hören und aus ihrem Geist heraus zu leben. Denn mit jedem Wort der Zeitung sind wir gefragt, wie unsere Fragen und unsere Antworten ausfallen, wenn wir sie erst einmal mit unserem Glauben, der Liebe und der Hoffnung in ein Gespräch hineingeführt haben.
Als Christen schulden wir uns der Welt. Denn unsere Antworten auf die großen Fragen der Zeit werden anders ausfallen müssen als durch Großspurigkeit, Rechthaberei, Überheblichkeit und Gewalt im Durchsetzen von Zielen. Sie werden auch dort anders ausfallen, wo wir uns ganz konkret begegnen: In der Nachbarschaft, auf der Straße, im Beruf oder im Verein, vor allem aber auch in unserer Gemeinde. Die Antworten auf Fragen unsers Glaubens müssen aber geradezu da anders ausfallen, wo wir in ökumenischer Gemeinschaft Kirche Jesu Christi sind oder wir verspielen unsere Glaubwürdigkeit als Christen in der Welt. Nehmen wir sie also wieder einmal in die Hand unsere Bibel, ich glaube, dass es sich lohnt, weil sie uns den Blick für den Glauben, wie für die Welt, die wir miteinander teilen, schärft. Amen.
Literatur:
1) Badische Zeitung, Montag, 11. September 2006, S. 4
2) Badische Zeitung, a.a.O., S. 2
3) Huber, W., Bürger, W., Calwer Predigthilfen, 1999/2000, Reihe IV/2, S. 144
4) Schleiermacher, F.D., Über die Religion, Leipzig, 1920, S. 34
5) Huber, W., in: http://www.kipa-apic.ch/meldungen/sep_show_de.php?id=3212
6) Badische Zeitung, a.a.O., S. 2
Schweitzer, A., Predigten, 1898 – 1948, München, 2001, S. 1307 ff
Reicke B., Rost, L., Biblisch-Historisches Handwörterbuch, Göttingen, 1966
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