12. Sonntag nach Trinitatis, Markus 7, 31-37

 

 

 

 

Begrüßung:

 

Liebe Gemeinde! „Im Chinesischen, einer der großen und alten Kulturen, ist das Schriftzeichen für den Begriff „weise“ oder „Weiser“ aus einem großen Ohr und einem kleinen Mund zusammengesetzt. Ein Weiser ist einer mit einem großen Ohr und einem kleinen Mund. Großes Ohr, der hört nicht nur, der lauscht und „horcht“. Ein kleiner Mund, der schweigt.“ 1) Heute wird es durch die Begegnung mit Jesus, dem Herrn, um das Wunder des Hörens und Sprechens gehen und damit auch um unser hören und sprechen.

           

Wenn Israel seinen Glauben bekennt, spricht es mit den Worten der Heiligen Schrift: „Höre, Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr allein!“ (5. Mose 6,4)

 

1) Engelsberger, G., Gottesdienst – alltäglich, Gütersloh, 2004, S. 83

 

 

 

 

 

Gebet:

 

Herr, gute Gott! Wir danken dir für dein Wort, das uns hilft, Wege zu dir und zueinander zu finden, Wege, die ins Leben führen und dem Frieden dienen. Wir danken dir für unsere Ohren, für all das Gute, das sie aufnehmen dürfen: Worte der Zärtlichkeit der Liebe und der Dankbarkeit, Worte, die uns helfen unser Leben leben zu lernen. Herr, lass uns bedacht reden, dass wir kein Unrecht reden und uns der Lüge und all den Halbwahrheiten verweigern, die das Leben so oft verdunkeln und unsere Beziehungen stören.

 

So danken wir dir heute für alle Menschen unter uns, die uns mit ihrem Glauben ein Vorbild sind und die sich in unserer Gemeinde und Kirche mit ihrem Engagement einbringen. Vor dir bringen wir nun auch voller Dankbarkeit alle Menschen in Erinnerung, die uns den Weg zu dir vorangegangen sind – und beten für uns, unsere Gemeinde, für unsere katholischen Mitchristen, unsere kleine Stadt und für die ganze Welt. Amen.

 

Jesus verließ wieder das Gebiet von Tyrus und zog über Sidon zum See von Galiläa, mitten ins Gebiet der Zehn Städte. Dort brachten sie einen Taubstummen zu ihm mit der Bitte, ihm die Hände aufzulegen. Jesus führte ihn ein Stück von der Menge fort und legte seine Finger in die Ohren des Kranken; dann berührte er dessen Zunge mit Speichel. Er blickte zum Himmel empor, stöhnte und sagte zu dem Mann: »Effata!« Das heißt: »Öffne dich!« Im selben Augenblick konnte der Mann hören; auch seine Zunge löste sich und er konnte richtig sprechen. Jesus verbot den Anwesenden, es irgendjemand weiterzusagen; aber je mehr er es ihnen verbot, desto mehr machten sie es bekannt. Die Leute waren ganz außer sich und sagten: »Wie gut ist alles, was er gemacht hat: Den Gehörlosen gibt er das Gehör und den Stummen die Sprache!«

 

 

 

 

 

Liebe Gemeinde!

 

„Was bedeutet es eigentlich, nicht hören, was, nicht reden zu können? Aber: Was hören und was reden wir selbst? Sollten wir es nicht immer wieder einmal wagen, den Telefonstecker herauszuziehen und die Türschelle abzustellen, um Ruhe zu finden und (einmal wieder) nichts hören und nichts reden zu müssen? Sind denn unsere Ohren nicht längst verstopft vom Lärm-Müll unserer Umwelt, und das, was wir oft reden eigentlich nur überflüssig? Wo wird das Wort zur vernichtenden Waffe gegen andere und unser Ohr, als das Tor zur Welt, zum Kanal für Leid, Trauer und Schmerz? Schon auf den ersten Seiten der Bibel ist ja, als menschliche Urerfahrung beschrieben, wie unsere Sprache in Unordnung geraten ist, und nun neben allen positiven Möglichkeiten eben auch Unheil stiftet,“ 1) mit diesen Gedanken begann ich vor sechs Jahren die Predigt zu unserem Text aus dem Markusevangelium.

 

Für die meisten von uns ist es selbstverständlich, hören zu können. Man wäscht sich gelegentlich die Ohren, aber ansonsten achtet man nicht so sehr auf sie und wer schlecht hört, bekommt durch Hörgeräte eine Hörhilfe. Wir Menschen können im guten Fall einander anhören und zuhören, wer das tut, schenkt dem anderen sein Ohr, Zeit und Zuwendung. Wir können auf etwas hören oder weghören, wenn uns etwas missfällt oder langweilt. Wer einem anderen Menschen seine Liebe bekennt, hofft darauf erhört zu werden. Die Innenminister des Bundes und der Länder möchten Verdächtige möglichst schnell abhören können, ein Einbruch in die Intimsphäre des Menschen, was wirklich nur im Notfall zu rechtfertigen wäre.

 

Wer sich bedingungslos anderen Menschen, Meinungen und Parolen ausliefert, kann hörig werden, da gibt es dann keine eigene Meinung mehr, sondern es gilt die, die man übernommen hat, man wird verführbar. Und ähnlich bedeutsam ist für uns ja die Möglichkeit, sprechen zu können, Kontakt mit anderen aufnehmen, unsere Meinungen, Wünsche, Hoffnungen, aber auch Sorgen und Ängste aussprechen zu können. Immer und überall sind wir auf unsere Sprache angewiesen und sei es, dass wir mit Händen und Füßen reden müssen, aber nur so können wir uns mitteilen, Probleme und Konflikte lösen, auch wenn sie oft zunächst ja durch unser Sprechen ausgelöst wurden.

Allein dadurch dass wir Hören und Sprechen können, ist ein tieferer Gedankenaustausch möglich, erst so lernen wir voneinander und werden reif für ein mündiges Leben. Wer mit seinem Kind nicht redet, trägt dazu bei, dass es in seiner Entwicklung gehemmt wird. Kein Fernsehen (obwohl ja auch dort gesprochen wird) ersetzt das Vorlesen durch die Eltern, kein Walkman das abendliche Gespräch am Kinderbett.

 

Man muss sich das alles vor Augen führen, um zu verstehen, was der Taubstumme aus unserer Geschichte zu erleiden hatte. Aber er hat Menschen, die ihn begleiten, auf ihn acht haben und für ihn sprechen und so wird er zu Jesus gebracht. Mitten in einem heidnischen Gebiet, vertrauen sich Menschen Jesus an. Sie wagen es, ihn zu bitten, gerade diesem Mann die Hände aufzulegen. Nicht mehr und nicht weniger, eine Segensgeste. Und Jesus wendet sich ihm zu bis in die Körpersprache hinein. Seelsorge braucht manchmal auch diese Formen der Zuwendung. Wo ein Wort nicht mehr ausreicht, kann es hilfreich sein, dem anderen einmal die Hand zu geben, ihn spüren zu lassen, dass ich ihm jetzt ganz nah bin. Und eben das macht Jesus.

 

Er führt den Taubstummen zur Seite, weg von der Menge und betet. So steht er zwischen seinem Gott und diesem Menschen und spricht ihn an. Was nun geschieht, übersteigt unsere Vorstellungen, so dass wir das Wunder dem Geheilten lassen. Da gibt es für uns nichts zu spekulieren, als nun unsererseits hören zu lernen, dass Gott Dinge möglich sind, die sich unserem Verstand entziehen. Jesus holt Gott in den Schmerz der Welt hinein und wenn Heilung nicht möglich ist, weil Krankheit und Leid ja auch zu unserem Menschsein gehört, so sollen wir doch die Nähe Gottes spüren dürfen, dennoch und trotz allem!

 

Immer wieder müssen wir uns klarmachen, dass die Wundergeschichten der Bibel sehr viel mehr aussagen wollen, als dass einem Menschen vor langer Zeit einmal geholfen wurde. Die Wunder verweisen uns darauf, dass etwas in unserer Welt nicht stimmt, in Unordnung geraten ist, jenseits davon, dass wir Gottes Schöpfung als eine gute verstehen könnten. In diese Unordnung der Welt, in Krankheit, Leid und Tod, in Unrecht und Ungerechtigkeit bricht nun ein Zeichen hinein, dass das alles eben nicht das letzte Wort ist. Wir erleben Spuren der Nähe Gottes, die immer wieder einmal und ja auch immer noch, unsere Wahrnehmung sprengt und Wunder ermöglicht, wo wir schon aufgegeben haben. Wunder sind möglich, aber es liegt an uns, sie auch als solche zu erkennen.

 

Hören und Sprechen sind ja auch die Voraussetzung dafür, dass wir überhaupt glauben können. Gott spricht uns an, wir erleben seinen Segen, doch was kommt bei uns an? Was haben wir als Eltern unseren Kindern erzählt und vorgelebt, damit diese glauben können, welche Wege haben wir sie geführt, um Kirche zu erleben? Natürlich mache ich mir Sorgen, wenn ich sehe, wie viele Jugendliche, die nun wieder zum Konfirmandenunterricht gehen, keinen Bezug zur Kirche haben. Wie haben sie gelernt, den Gottesdienst als etwas sinnstiftendes zu erfahren, wenn sie ihn nie erlebt haben? Ein anderes Beispiel: Ich feierte im Urlaub einen wunderschönen Gottesdienst mit einer Mozartmesse, als mehrfach die Musik durch laute Klingeltöne eines Handies gestört wurde. Wie wichtig sind wir eigentlich, dass wir ständig erreichbar sein müssen? Hören, Zuhören will heute also ebenso neu gelernt sein, wie ein weiterführendes Sprechen.

 

Ein letztes Beispiel:

Wir erleben zur Zeit einen merkwürdigen Bundestagswahlkampf. Aus lauter Sorge falsches zu sagen, wagen viele Politiker keine Aussagen zur künftigen Politik mehr, andere verweigern die harte Auseinandersetzung um der Sache willen, weil man nicht weiß, was nach dem Wahlsonntag kommt und wieder andere versprechen Dinge, von denen wir schon heute wissen, dass sie nicht eingelöst werden können. Kurz: Was wird uns im Wahlkampf gesagt oder verschwiegen, was bekommen wir zu hören, um verantwortlich wählen zu können? Klar aber ist ganz unmissverständlich, dass Christen die Politik und die Politiker nicht den Interessenverbänden überlassen dürfen und all jenen, die nicht wählen gehen. Wer nicht weiß, was er wählen will, hat die vergangenen Jahre versäumt, sich mit politischen Fragen zu befassen, denn wir haben nun wirklich Entscheidungsmöglichkeiten. Wer nicht wählt, verweigert seinerseits die Mitverantwortung für unseren Staat, für unsere Gesellschaft.

 

Unsere biblische Geschichte kann auch dafür stehen, dass wir aufmerksam gemacht werden, wie wir heute anderen Menschen zuhören und was wir sagen, wenn wir schon den Mund aufmachen. Können wir überhaupt noch hören und zuhören und ist unsere Sprache noch menschlich oder stimmt da etwas nicht mehr? Die Krankheit der Entfremdung entsteht ja durch ein oberflächliches Hören und Sprechen. Wir hören, aber wir hören ganz oft nicht mehr zu, wir reden, aber wir reden aneinander vorbei. So sind gerade wir die Menschen, die in der Nachfolge Jesu einander Gott schenken müssen. Wir sind es, die Gott füreinander in unser Leben bitten dürfen, damit auch in unserer gottfernen Welt, Heil und Heilung möglich werden. Als immer wieder gesegnete Menschen dürfen wir selbst anfangen unsere Ohren aufzumachen für die Not der Welt und wenn uns das zu weit weg ist, dann für die Not, die uns umgibt. Wir dürfen anfangen, nicht nur zu reden, sondern so zu reden, dass unsere Sprache menschlich wird.

 

So ist es, wenn wir das Wort Jesu an uns selbst hören, uns Gott in unser eigenes Leben hinein schenken lassen und Glaube und Vertrauen keine Leerformeln mehr sind, sondern mit Leben erfüllt werden. Auf diese Weise können dann auch wir teilhaben am Wunder eines ganz neuen Hörens und Sprechens.

 

Jetzt, am Anfang seiner Verkündigung und großen Taten, bittet Jesus darum, dass man über diese Wundererfahrung noch schweigen solle. Auch er brauchte Zeit. Doch es ist verständlich, dass die Menschen ihm dankbar waren und über diese wunderbare Erfahrung sprachen. Für uns sieht das heute natürlich ganz anders aus, denn wir dürfen unseren Glauben bekennen, wir dürfen über das, was wir von Gott hören, nun auch dankbar reden. Und wo das geschieht, wird das Leben noch einmal ganz anders erlebt werden, trotz dessen, was uns immer wieder die Ohren verstopft und den Mund verstummen lässt. Danken wir Gott, dass er auch uns teilhaben lässt an den Wundern seiner guten Schöpfung. Amen.

 


 

 

 

 

Literatur:

 

1) Schneider, H.-H., 12. Sonntag nach Trinitatis, 2003, in: http://www.predigten.de/

 

Conrad, J., Göttinger Predigtmeditationen, 2009, 63. Jhrg., Heft 3, Göttingen, S. 391

Meier, G., 12. Sonntag nach Trinitatis, http://www.deutsches-pfarrerblatt.de/

Früchtel, U., Mit der Bibel Symbole entdecken, Göttingen, 1991, S. 210ff

Drewermann, E., Das Markusevangelium, Erster Teil, Olten, 19917, 492ff

Drewermann, E., Und legte ihnen die Hände auf, Düsseldorf, 1993, S. 119ff

 

 

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