16. Sonntag nach Trinitatis, Johannes 11, 1-3,17-27,41-45

 

 

 

Begrüßung:

 

Liebe Gemeinde! Wir feiern Gottesdienst und freuen uns, dass wir in ihm unsere neuen KonfirmandInnen vorstellen dürfen. Es ist ja nicht selbstverständlich, den Konfirmandenunterricht zu besuchen und darum begrüßen wir Euch ganz besonders herzlich in unserer Mitte. Zudem möchten wir uns aber auch daran erinnern lassen, dass wir heute in unserem Land Wahlen haben. Gerade auch wir Christen sind gegen alle Besserwisserei, Vorurteile und Resignation dazu aufgerufen, zur Wahl zu gehen und so unsere Mitverantwortung für unsere Gesellschaft wahrzunehmen. Vieles scheint fragwürdig, perspektivlos, ohne Zukunft. Da ist es gut, uns vom Wort Gottes her, gerade in solchen Zeiten, Perspektiven der Hoffnung aufzeigen zu lassen.

 

Herr, ich traue auf dich; enttäusche nicht mein Vertrauen! Rette mich, befreie mich, wie du es versprochen hast! (Psalm 71,1)

 

 

 

Gebet:

 

Herr, guter Gott! Man könnte meinen, dass die Vorstellung unser neuen KonfirmandInnen und der Wahlsonntag nichts miteinander zu tun haben, aber es geht doch bei den anstehenden Wahlen immer um die Politik der nächsten Jahre, die uns durch alle Generationen hindurch betrifft und ebenso durch alle sozialen Schichten, die Großen und Starken, wie die Kleinen und Schwachen. Herr weise uns auch mit diesem Gottesdienst Wege, die wir gehen können, damit wir uns nicht von der Resignation und der Unzufriedenheit, gefangen nehmen lassen. So wünschen wir uns allen, vor allem aber unseren KonfirmandInnen, dass ihnen gute und gangbare Wege ins Leben hinein geschenkt sind. Dir, guter Gott, vertrauen wir. Amen.

 

Lazarus aus Betanien war krank geworden – aus dem Dorf, in dem Maria und ihre Schwester Marta wohnten. Maria war es, die später die Füße des Herrn mit dem kostbaren Öl übergossen und dann mit ihrem Haar getrocknet hat; deren Bruder war der erkrankte Lazarus. Da ließen die Schwestern Jesus mitteilen: »Herr, dein Freund ist krank.«

 

Als Jesus nach Betanien kam, lag Lazarus schon vier Tage im Grab. Das Dorf war keine drei Kilometer von Jerusalem entfernt, und viele Leute aus der Stadt hatten Marta und Maria aufgesucht, um sie zu trösten. Als Marta hörte, dass Jesus kam, ging sie ihm entgegen vor das Dorf, aber Maria blieb im Haus. Marta sagte zu Jesus: »Herr, wenn du hier gewesen wärst, hätte mein Bruder nicht sterben müssen. Aber ich weiß, dass Gott dir auch jetzt keine Bitte abschlägt.« »Dein Bruder wird auferstehen«, sagte Jesus zu Marta. »Ich weiß«, erwiderte sie, »er wird auferstehen, wenn alle Toten lebendig werden, am letzten Tag.« Jesus sagte zu ihr: »Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer mich annimmt, wird leben, auch wenn er stirbt, und wer lebt und sich auf mich verlässt, wird niemals sterben, in Ewigkeit nicht. Glaubst du mir das?« Sie antwortete: »Ja, Herr, ich glaube, dass du der versprochene Retter bist, der Sohn Gottes, der in die Welt kommen soll.«

 

Da nahmen sie den Stein weg vom Grab. Jesus blickte zum Himmel auf und sagte: »Vater, ich danke dir, dass du meine Bitte erfüllst. Ich weiß, dass du mich immer erhörst. Aber wegen der Menschenmenge, die hier steht, spreche ich es aus – damit sie glauben, dass du mich gesandt hast.« Nach diesen Worten rief er laut: »Lazarus, komm heraus!« Der Tote kam heraus; seine Hände und Füße waren mit Binden umwickelt und sein Gesicht war mit einem Tuch verhüllt. Jesus sagte: »Nehmt ihm das alles ab und lasst ihn nach Hause gehen!« Viele Leute aus der Stadt, die zu Maria gekommen waren und alles miterlebt hatten, kamen zum Glauben an Jesus.

 

 

 

 


Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden,

liebe Gemeinde!

 

 

Was soll das, so könnten wir fragen, bei einer Konfirmandenvorstellung und einem Wahltag ausgerechnet einen solchen Text zu bedenken, die Auferweckung eines Toten? Wer tot ist, ist tot! Und doch lohnt es sich, sich einmal ein wenig Zeit und Ruhe für unseren Text und die beiden Anlässe zu nehmen.

 

Bei der diesjährigen Firmung in St. Laurentius, fragte Domkapitular Andreas Möhrle die jungen Menschen: Woran merke ich, dass ich lebe? Kaufen bis ich sinnlos glücklich bin? Konsum bis zum Koma? Pendeln zwischen Panik und Picknick, Blaulicht und Partylicht? Leben wir wie in einer Attrappe, wie in einem falschen Film? Wie sieht es aus das Drehbuch Eures Lebens 1) und was werden Euch die Politiker servieren, die heute in den Bundestag zu wählen sind, über dessen Zusammensetzung ja auch Eure Eltern mit ihrer Wahl entscheiden? Sie werden Weichen stellen müssen, die Euch und Eure Zukunft unmittelbar betreffen. Geht es in unserem Leben also nicht immer ein wenig um Leben oder Tod? Und dazu müssen wir eigentlich gar nicht erst an Winnenden oder Ansbach denken, wo junge Menschen mit der Absicht zu töten in ihre alten Schulen liefen – mitten im Leben so vieler junger Menschen - Spuren des Todes hinterlassend, wie jetzt gerade auch in München auf einem Bahnhof.

 

Darum glaube ich, dass unser biblisches Wort gerade heute so gut passt, denn wir können uns das Leben in dem wir leben, ja kaum selbst aussuchen und sind, so jung wie wir sind, doch immer auch mit Fragen konfrontiert, die Antworten verlangen, auch dann, wenn sie oft jetzt noch gar nicht oder manchmal vielleicht auch nie zu geben sein werden. Immerhin dürfen wir aber mit unseren Fragen auf dem Weg bleiben und dazu dient ja auch der Konfirmandenunterricht. In Euren zum Teil interessanten Briefen habt Ihr uns Fragen mitgegeben, auf die wir Antworten suchen wollen. So habt Ihr u.a. geschrieben:

 

„Da mein Großvater vor nicht allzu langer Zeit gestorben ist, hoffe ich auch neue Ideen zu bekommen, wie man sich das Leben nach dem Tod vorstellen kann, denn wie auf Bildern oftmals dargestellt, mit Harfe spielenden Engeln, kann ich mir das Jenseits nur schwer vorstellen? – Wie konnte man die Bibel eigentlich so lange überliefern? – Ich möchte mehr über Gott erfahren und auch wissen, was der Glaube eigentlich bedeutet? – Ich würde auch gern mehr über die Geschichte von Jesus und der Evangelischen Kirche herausfinden? – Weshalb gibt es so viele verschiedene Religionen und warum ist jede davon überzeugt, die richtige zu sein? – Ich will lernen, mit anderen Menschen über Gott zu reden! – Ist denn der Glaube – vor allem die Predigt – nicht nur etwas für Erwachsene? Und was bedeutet es, den christlichen Glauben in meinem (Schul-)Alltag zu leben?“ ... Fragen, mit denen wir uns auseinandersetzen werden, weil dahinter für Euch ja vor allem auch die Frage steht: „Passt das zusammen, Glaube und Leben?“ 2)

 

Wir wollen heute nicht über das Wunder nachdenken, über das uns berichtet wird, weil es dazu viele Gelegenheiten in Gottesdiensten gibt, aber wir wollen einmal den Bildern nachspüren und die Kernaussagen des Textes bedenken. Jesus wird von zwei Schwestern gerufen, die zu seinem Freundeskreis gehören, weil ihr Bruder Lazarus sehr krank war.

Jesus geht aber, wohl auch sehr bewusst, nicht sofort nach Betanien und als er dort ankommt, ist Lazarus schon vier Tage tot. Natürlich wird ihm der Vorwurf gemacht, nicht sofort gekommen zu sein, dann würde der Bruder noch leben. Aber Jesus sagt nun diesen alles entscheidenden Satz, den wir auch bei jeder Beerdigung auf dem Friedhof hören: „... Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer mich annimmt, wird leben, auch wenn er stirbt, und wer lebt und sich auf mich verlässt, wird niemals sterben, in Ewigkeit nicht...“ Dann befiehlt er den Stein von der Grabhöhle zu nehmen, betet und ruft Lazarus aus seinem Gab zu kommen – und der kommt heraus, so, wie man ihn beerdigt hatte.

 

Wie hören wir, vor allem ja auch Ihr KonfirmandInnen, heute einen solchen Bericht - und noch einmal: Passt das zusammen, Glaube und Leben? Denn soll der Glaube Sinn machen, müsste er ja dem Leben dienen. Wenn Ihr jungen Leute in Euer Leben hineinschaut, so werdet Ihr schon die Erfahrungen gemacht haben, die ja auch Eure Eltern kennen, dass uns manches im Leben einfach stinkt. Es stinkt uns, weil wir oft keinen Sinn erkennen, weil uns manches doch so unsinnig, fragwürdig, ja tot erscheint.

 

Aber, wenn wir einmal bedenken, dass an einem Wochenende in Deutschland mehr Menschen einen Gottesdienst besuchen, als die erste Bundesliga, dann muss das ja einen Grund haben. Bei einem Fußballspiel geht es um ein Spiel und ein Spiel ist und bleibt ein Spiel, auch wenn noch so hart gekämpft wird und es um viele Millionen Euro dabei geht. In einem Gottesdienst, wo vom Baby bis zum Greis, gesunde und behinderte, arme und reiche Menschen zusammen kommen, geht es um das ganze Leben von der Lebensfreude bis hin zu Kummer und Leid. Und das gelingt ja nur, weil alle diese Menschen glauben, ja sogar wissen, was ihnen der Glaube schenkt und dass er Sinn macht. Aber diese Erfahrung kann man natürlich erst dann machen, wenn man sich mit Glaube und Kirche auseinander gesetzt hat und dazu dient auch der Konfirmandenunterricht und der Gottesdienst. Wie wollte ich denn das Fußballspielen erlernen, wenn ich zu Hause vor dem Fernseher sitzen bleiben würde? Auch für ein Fußballspiel muss ich ja trainieren, um ein wirklich guter Fußballer zu werden und ebenso ist es mit dem Glauben.

 

Viele Menschen erfahren heute ihr Leben wie in einer Grabhöhle: Man lebt vom wirklichen Leben abgeschlossen und sieht nur noch die problematische Gegenwart, nicht aber die Zukunft mit all ihren Möglichkeiten. Der Blick bleibt nach innen gewendet. Alles ist wie von einem dicken Grabstein verschlossen. Und gerade da greift der Satz Jesu: „... Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer mich annimmt, wird leben, auch wenn er stirbt, und wer lebt und sich auf mich verlässt, wird niemals sterben, in Ewigkeit nicht...“ Die Menschen, denen Johannes sein Evangelium schreibt, konnten auch nicht glauben, was ihnen gesagt wurde und erst nach und nach und ja auch niemals allen, erschließt es sich, was Jesus gesagt und getan hat und warum.

 

Was wird aus einem Menschen, wenn er keine Perspektiven mehr sieht – schon gar nicht über seinen Tod hinaus, wenn das ganze Leben ihm - wie eine von einem dicken Stein verschlossene Höhle - erscheint: Dem Arbeitslosen, der keine Arbeit findet; dem alten Menschen, dem die Rente nicht zum Leben reicht, obgleich er immer gearbeitet hat; den Eltern, die den Kindergartenplatz nur schwer finanzieren können und ihr Kind doch so gern dort unterbringen würden; der alleinerziehenden Mutter, die kaum Zeit für ihre Kinder findet und sich selbst leise Vorwürfe macht, ohne die Möglichkeit, aus eigener Kraft ihre Situation zu verändern;

den Familienangehörigen, die sich für eine Langzeitpflege aufopfern, zeitlich aber eben auch finanziell große Lasten tragen müssen; dem Mutlosen, der keine Hoffnung mehr hat; dem Schüler, der sich unverstanden fühlt? „Wir haben heute mehr zu essen, mehr Kleider im Schrank, fahren mehr Auto, leben in komfortableren Wohnungen“, stellt der britische Ökonom Richard Layard fest,“ dennoch sind wir nicht glücklicher...“ 3)

 

So können Menschen mitten in ihrem Leben schon Anzeichen des Todes erfahren. Natürlich kann der Glaube an Gott keine Krankheit aufheben oder finanzielle Belastungen beseitigen, aber er kann durchaus helfen, das Leben in all seinen Höhen und Tiefen, den Herausforderungen, den Schmerzen erträglicher zu machen. Das ist die geschilderte Begegnung zwischen der Grabhöhle und dem Tod auf der einen Seite und dem Herrn unseres Glaubens auf der anderen. Dort, wo wir dem Wort Gottes vertrauen und aus seinem Geist her das Leben leben lernen, werden wir dem Tod und den Todesstrukturen der Welt eben nicht das letzte Wort lassen. Unser Glaube hilft uns jetzt zu leben, wirklich zu leben, aber hinter allem Leid, aller Vergänglichkeit, ja sogar dem Tod, noch mehr zu erwarten als den Tod. Und eben das meint Jesus, wenn er sagt: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer mich annimmt, wird leben, auch wenn er stirbt...“ Wo der Glaube unser Leben leitet und begleitet, werden wir also schon immer etwas von dieser anderen Welt Gottes erahnen, von diesen ganz anderen Möglichkeiten und Fähigkeiten, die uns geschenkt sind. Wo wir unser Leben so erfahren, da wird es dann auch sinnvoll und sinnstiftend für uns selbst wie für unsere Mitmenschen erfahren werden, denn unser Glaube bleibt nicht wirkungslos für diese Welt.

 

Aber – und das muss gerade an einem Wahlsonntag nun auch gesagt werden – das entlässt uns nicht aus der Verantwortung unseren Politikern ein Mandat zu geben. Wer nicht zur Wahl geht, hat resigniert und überlässt anderen die Verantwortung. Bei allem Verständnis für manche Kritik an unseren Politikern, vielleicht auch Enttäuschungen, weil man sich von der Politik immer mehr verspricht als sie leisten kann, bleiben wir gefordert, unsere Politiker zu begleiten, mit ihnen das Gespräch zu suchen und verantwortlich zu wählen. Die Politiker sind an ihre Verantwortung zu erinnern und an die Grenzen ihrer Machtausübung. Jeder Politkentwurf hat dem Leben zu dienen, für Gerechtigkeit zwischen den Generationen, aber auch den sozial starken und schwächeren Menschen zu sorgen. Protestwahlen und Verweigerung helfen niemandem in unserem Land und schon gar nicht der Zukunft unserer Kinder.

 

Auf diese Weise vertrösten wir uns nicht auf ein Jenseits, über das wir nichts wissen und zu dem wir daher kaum etwas sagen können, sondern umgekehrt: Gott selbst kommt schon jetzt in unsere Welt, in seine gute Schöpfung hinein. Er bringt nicht erst übermorgen oder wann auch immer den Himmel auf die Erde, sondern schon jetzt, hier mit diesem Gottesdienst. Und das verändert das Leben ohne jedes Wenn und Aber. Um es noch einmal im Bild unseres Bibelwortes zu sagen: Der Felsstein ist weg, der Weg aus den vielfältigen Höhlen, die uns gefangen halten, ist frei. Wie Lazarus dürfen wir das Leben ganz neu leben und erleben lernen - und uns auf den Weg machen, so, wie wir geführt werden, so wie wir ihn gestalten - und Gott geht mit uns, darauf dürfen wir uns verlassen. Amen.

 


 

 

Literatur:

 

1) Möhrle, A., Firmpredigt in St. Laurentius, Kenzingen/Br., 17. Juli 2009

2) Möhrle, A., a.a.O.

3) Jung, A., in: DER SPIEGEL, Nr. 39/21.9.09, S. 79

 

 

Drewermann, E., Das Johannesevangelium, Zweiter Teil, Düsseldorf, 2003, S. 13ff

 

 

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