Ewigkeitssonntag, Markus 13, 31-37
Begrüßung:
Liebe Gemeinde! Dass wir alle einmal sterben werden, das wissen wir nur allzu gut. Aber wie gehen wir mit dem Tod in unserem Leben um, wie mit unserer Trauer, um den Verlust eines uns vertrauten Menschen, wie mit den unendlich vielen Fragen, auf die wir keine Antwort wissen? Was fürchten wir, auf was vertrauen wir angesichts des Todes? „Hinterm Horizont geht´s weiter“, sang Udo Lindenberg einmal, lassen wir das auch für unseren Glauben, unsere Hoffnungen angesichts des Todes in der Welt und unserem Leben gelten? Lassen Sie uns wach werden für einen lebendigen Glauben, heute, morgen und in Ewigkeit.
Ich bin ganz sicher, dass nichts uns von seiner Liebe (der Liebe Gottes) trennen kann: weder Tod noch Leben, weder Engel noch Dämonen, noch andere gottfeindliche Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Himmel noch Hölle. Nichts in der ganzen Welt kann uns jemals trennen von der Liebe Gottes, die uns verbürgt ist in Jesus Christus, unserem Herrn. (Römer 8, 38-39).
Gebet:
Herr, guter Gott! Wir kommen zu dir, mit all unseren Erinnerungen, Erinnerungen, an Menschen, mit denen wir unser Leben bis zu ihrem Lebensende teilen durften, Erinnerungen an gute und an schwere Zeiten, an Augenblicke, die wir unbeschwert genießen durften und an Situationen, die uns belastet und traurig gemacht haben. Wir kommen zu dir, Herr, mit all den Bildern, die wir vor Augen haben. Bilder von Menschen, die unser Leben begleitet haben, mit denen wir unser Leben geteilt, die uns wichtig waren, ja, die wir geliebt haben, die wir vermissen und die uns nun so schmerzhaft fehlen. Wir kommen, Herr, zu dir, mit all den Fragen, die wir im Kopf haben. Fragen, nach dem, was war und nach dem, was wird, aus unseren Verstorbenen und auch aus uns - und unseren Fragen nach Dir, Gott. Herr, Gott, komm uns entgegen. Amen.
Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte vergehen nicht; sie bleiben gültig für immer und ewig.« »Doch den Tag oder die Stunde, wann das Ende da ist, kennt niemand, auch nicht die Engel im Himmel - nicht einmal der Sohn. Nur der Vater kennt sie. Seht zu, dass ihr wach bleibt! Denn ihr wisst nicht, wann der Zeitpunkt da ist. Es ist wie bei einem Mann, der verreist. Er verlässt sein Haus und überträgt seinen Dienern die Verantwortung. Jedem weist er seine Aufgabe zu, und dem Türhüter befiehlt er, wachsam zu sein. So sollt auch ihr wach bleiben, weil ihr nicht wisst, wann der Hausherr kommen wird: am Abend, um Mitternacht, beim ersten Hahnenschrei oder wenn die Sonne aufgeht. Wenn er kommt, soll er euch nicht im Schlaf überraschen! Was ich euch vier Jüngern hier sage, das gilt für alle: Bleibt wach!«
Liebe Gemeinde!
„... Da ist ein ziemlich unbeweglicher junger Mann, der regelmäßig aus seiner Heimatstadt in die entfernte Universitätsstadt mit dem Zug fährt, um seinen nicht ganz klaren Studien nachzugehen. Eines Sonntags stieg er wieder in den bekannten Zug, der überfüllt war und seinem Ziel entgegenrollte. Schon nach einigen Augenblicken fuhr der Zug in einen Tunnel hinein, den der junge Mann bisher noch nie so richtig bemerkt hatte – und er schien ihm länger als gewohnt zu sein. Mit höchster Geschwindigkeit fuhr der Zug durch den Tunnel, der gar nicht enden wollte und der junge Mann ärgerte sich nun, ihn vorher nie beachtet zu haben. Immer wieder schaute er auf seine Uhr, doch der Tunnel hörte nicht auf. Beunruhigt fragte er Mitreisende, ob er denn überhaupt im richtigen Zug sei, was ihm bestätigt wurde. Ja, selbst der Schaffner beruhigte ihn, wusste aber auch nicht, warum der Tunnel so lang war. Schließlich machten sich die beiden, der junge Mann und der Schaffner, auf den beschwerlichen Weg zum Führerhaus des Zuges, da es keine Erklärung für diesen Tunnel gab, der anscheinend keinem Reisenden vorher aufgefallen war.
Mühsam kletterten die beiden auf gefährlichem Wege in die Zugmaschine. Immer schneller raste der Zug, als sie entdeckten, dass das Führerhaus leer, der Lokomotivführer und das Begleitpersonal abgesprungen waren. Gefragt, warum er, der Schaffner, nicht ebenfalls abgesprungen sei, antwortete er: „Ich habe immer ohne Hoffnung gelebt...“... „Wir saßen noch in unseren Abteilen und wussten nicht, dass alles schon verloren war“, dachte der junge Mann. Der Zug brauste immer schneller durch den Tunnel bergab, als der Schaffner den Studenten fragte: „Was sollen wir tun?“ ... und dieser antwortete „mit einer gespensterhaften Heiterkeit: Nichts,“ 1) so schildert es uns Friedrich Dürrenmatt in seiner Erzählung: Der Tunnel.
Wir feiern heute den „Totensonntag“, wie er in unseren Terminkalendern oder den „Ewigkeitssonntag“, wie er in der Kirche genannt wird. Aber was feiern wir an diesem Tag in unseren Gottesdiensten, in denen wir ja die Namen aller Verstorbenen eines vergangenen Jahres ganz bewusst noch einmal verlesen?
Sind wir, wie der Schaffner aus unserer Erzählung, an unsere ganze Hoffnungslosigkeit erinnert und schon mitten im Leben resigniert, wie der junge Mann, der angesichts der kommenden Katastrophe einfach „nichts“ mehr tun will? Wohin geht die Reise unseres eigenen Lebens, wenn doch Jahr für Jahr von vertrauten Menschen Abschied genommen werden muss? Gerade wenn wir die Namen unserer Verstorbenen verlesen und sie in der gottesdienstlichen Gemeinschaft noch einmal hören, werden wir doch an unsere Lebensgeschichte erinnert, an ein kurzes oder über viele Jahre hinweg geteiltes Leben. In dem wir uns erinnern, bleiben die Verstorbenen ja auf eine ganz andere Weise in unserer Mitte, in unserem Leben lebendig: „Nur wer vergessen wird, ist tot,“ 2), so kann man es ja immer wieder einmal lesen und hören.
Wenn wir heute angesichts der Vergänglichkeit von Himmel und Erde auf unsere Wachsamkeit angesprochen werden, so allein aus dem Grund, weil wir selbst und ganz allein für unsere Hoffnungen verantwortlich sind. Doch worauf hoffen wir angesichts der immer wiederkehrenden und erlebbaren Vergänglichkeit, ja, des Todes im Leben von Mensch, Kreatur und Natur? Gibt es für uns einen „Grund zur Hoffnung?“ „Bleibt wach und seid wachsam“ wird uns heute mehrfach zugerufen und es scheint so, als müssten wir uns jederzeit neu daran erinnern lassen, überhaupt erst einmal aufzuwachen, um unser Leben in seinen so begrenzten Dimensionen wahrzunehmen.
Schon die Benennung dieses Sonntages als „Totensonntag“ oder „Ewigkeitssonntag“, weist uns auf das Dilemma unseres Lebens hin: Bleiben wir angesichts des Todes dem Tod verhaftet oder haben wir eine Hoffnung, die weiter reicht als bis zu den Gräbern unserer Friedhöfe, wie ich es dort gelegentlich einmal frage? Der so genannte „Ewigkeitssonntag“ hat natürlich mit dem „Totensonntag“ zu tun, denn ohne den Tod in unserem Leben würden wir ja nicht daran glauben, dass es mehr gibt als unser einmaliges, aber eben doch vergängliches Leben. Nur des Todes zu gedenken und der Toten wäre für Christen zu wenig. Es ist wichtig sich der Tatsache des Todes im Leben zu stellen und den Erinnerungen und Erfahrungen nicht einfach immer nur ängstlich auszuweichen. Denn nur so werden wir mit dem Tod, den wir so unendlich schmerzhaft erfahren, immer zugleich an den Tod der vor uns liegt, erinnert, bleiben aber danach gefragt, mit welchen Befürchtungen, Ängsten oder Hoffnungen wir es tun?
Jesus weiß um den Tod, auch um seinen eigenen. Und so fordert er gerade angesichts all dessen, was auf ihn zukommt, nämlich Verrat, Schmerz und Tod, dazu auf, wachsam zu sein. Seine Jünger und Zuhörer sollen sich nicht vom Leben täuschen lassen, von ihrer Jugend, ihrer Gesundheit, von dem Wahn, als stürben ja immer nur die anderen und nie man selbst. „Seht zu, dass ihr wach bleibt! Denn ihr wisst nicht, wann der Zeitpunkt da ist.“ Für Jesus ist es kein Drohwort, das er seinen Freunden hier sagt, sondern umgekehrt, es ist ein Wort des Trostes und der Hoffnung, ein Wort, das Grenzen sprengt und Horizonte weitet: Udo Lindenberg hat in den 80gern einmal gesungen: „`Hinterm Horizont geht´s weiter.´ Das ist eine banale Feststellung. Und gleichzeitig ein Satz der Hoffnung, die sich zwar erschüttern lässt, die aber nicht stirbt. Hinterm Horizont geht´s weiter.“ 3)
Die Bilder Jesu sind von einer unglaublichen Stärke: „Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte vergehen nicht; sie bleiben für immer und ewig...“
Und der Evangelist Markus wusste, warum er sie aus den Reden Jesu wählte, sie für so wichtig und bedeutsam hielt, dass er sie überliefern musste. Immer wieder hatte er von den Religionsführern seines Volkes gehört, dass es mit der Welt zu Ende gehe, und zudem erlebte er ja den Untergang Jerusalems, die Zerstörung des Tempels, als eine ganz persönliche Katastrophe. Wie sollte es denn mit der Welt weiter gehen, wenn doch das Haus Gottes, der Ort seiner Gegenwart zerstört war? Es war das Wort Jesu, dass ihm einen neuen Horizont eröffnete. Der Tod würde nicht das letzte Wort behalten, aber dazu war es notwendig, wachsam zu bleiben und sich weder von den Unterganspropheten, noch von fraglichen Heilskündern einlullen zu lassen. Die einen halten uns seit ewig den Untergang vor Augen, die anderen verkündigen, dass ja doch alles gar nicht so schlimm sein wird.
Indem Jesus Gott seinen Vater nennt, der allein die Zeit des Endes kennt, stellt er sich voller Solidarität, voller Mitleid neben uns, seine Geschwister. Er verweist uns damit auf den Grund unserer Hoffnungen, auf Gott. Und so kann Jesus zwar jung an Jahren sterben, aber er stirbt, wie es uns überliefert ist, nach einem „erfüllten“ Leben. Sein letztes Wort: „Es ist vollbracht!“ Warum kommt es immer wieder vor, dass selbst alt gewordene Menschen es so schwer haben, mit dem Tod zu leben, von den meisten jüngeren Menschen ganz zu schweigen? Woran liegt es, dass wir ständig und immer wieder den Tod erfahren, aber seiner Wirklichkeit für uns selbst angstvoll ausweichen?
Der Weckruf Jesu: „Wacht auf!“ meint doch wohl, dass wir endlich aufhören sollten, uns zu betrügen. Wach sein im Sinne Jesu heißt, mit einer „fröhlichen Zuversicht“ (Luther) leben zu dürfen und sich nicht vom Tod bannen zu lassen. Das nimmt uns natürlich nicht den Schmerz der Trauer, wenn wir einen Menschen verloren haben, den wir liebten, der uns wichtig war. Nein, diese Trauer gehört zu unserem Abschiednehmen dazu, und doch werden wir mit den Worten Jesu geweckt, herausgerissen aus Trauer und Leid, um nicht mitten im Leben schon tot zu sein. Schlafen heißt, nicht mehr recht am Leben beteiligt zu sein, dem Leben nicht ins Auge blicken zu wollen, sich dem neuen Tag zu verweigern und damit der eigenen Zukunft.
So darf der „Ewigkeitssonntag zum Fest des Lebens mit den Toten werden, die – bei Gott! – in Christus leben“ 4), wie ja auch wir, wenn wir nur wach bleiben und darauf zu vertrauen lernen: „Hinterm Horizont geht´s weiter!“ So sicher der Tod kommt, der Tod hat letztendlich keine Chance, Gott aber bleibt in Ewigkeit. Darum: Bleibt wach! Amen.
Literatur:
1) Dürrenmatt, F., Der Tunnel, Zürich, 1980, S. 21 f
2) Frettlöh, M., Fest der Gemeinschaft von Toten und Lebenden,
Zeitschrift für Gottesdienst & Predigt, 4/2006, Gütersloh, 2006, S. 10
3) Thomé, H.E., „Hinterm Horizont geht´s weiter,
Zeitschrift für Gottesdienst & Predigt, 4/2007, Gütersloh, 2007, S. 29
4) Frettlöh, M., a.a.O., S. 13
Berger, E., Letzter Sonntag des Kirchenjahres, Göttinger Predigtmeditationen, 2007, Heft 4, Göttingen, 2007, S. 473
Drewermann, E., Das Markusevangelium, Zweiter Teil, Olten, 19914, S. 330 ff
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