Drittletzter Sonntag im Kirchenjahr, Hiob 14,1-6

 

 

 

Begrüßung:

 

Liebe Gemeinde! Jeder von uns kennt „Hiobsbotschaften“; Nachrichten, die tief in das Leben eingreifen, ja das Leben oft schlagartig verändern. Heute geht es in unserem Gottesdienst um einen kleinen Abschnitt aus dem Hiobbuch, das so existentiell ist, so sehr die Grundfragen unseres Lebens in der Frage nach dem „Warum“ aufgreift, dass es vielfach nachgedichtet wurde, so von Johann Wolfgang von Goethe im „Prolog im Himmel“ in seinem Faust-Drama; von Joseph Roth in seinem Hiob-Roman oder von Samuel Becket in seinem eindrucksvollen Drama: Warten auf Godot.

           

Zeige mir, Lebendiger, deinen Weg. In deiner Treue werde ich gehen.

Sammle meinen Sinn, dass ich deinen Namen respektiere (Ps. 85, 11).

 

 

Gebet:

 

Herr, ewiger Gott!

 

Wir kommen mit all unseren kleineren und größeren Fragen zu dir, mit all dem, was unser Leben beschwert und worauf wir oft keine Antwort finden. Wir kommen zu dir und beten für alle Menschen unter uns, die keine Hoffnung mehr haben. Für alle Arbeitslosen, die keine Chancen mehr sehen. Für alle Ehepaare und Partnerschaften, die sich nichts mehr zu sagen haben. Für alle Kinder, denen Fürsorge und Wegweisung fehlt. Herr, wir beten für alle Menschen, die mit ihrem Leben spielen, weil sie alles Vertrauen verloren haben. Lass dich hören, auch in unserem Fragen nach dem „Warum“, in unserem Suchen nach gangbaren Wegen.

 

So danken wir dir für alle Menschen unter uns, die uns mit ihrem Glauben ein Vorbild sind und die sich in unserer Gemeinde und Kirche mit ihrem Engagement einbringen. Vor dir bringen wir nun auch voller Dankbarkeit alle Menschen in Erinnerung, die uns den Weg zu dir vorangegangen sind – und beten für uns, unsere Gemeinde, für unsere katholischen Mitchristen, für unsere kleine Stadt und für die ganze Welt. Amen.


 

 

Was ist der Mensch, von einer Frau geboren? Sein Leben ist nur kurz, doch voller Unrast. Wie eine Blume blüht er und verwelkt, so wie ein Schatten ist er plötzlich fort. Und trotzdem lässt du ihn nicht aus den Augen, du ziehst ihn vor Gericht, verurteilst ihn! Du musst doch wissen, dass er unrein ist, dass niemals etwas Reines von ihm ausgeht! Im voraus setzt du fest, wie alt er wird, auf Tag und Monat hast du es beschlossen. Du selbst bestimmst die Grenzen seines Lebens, er kann und darf sie niemals überschreiten. Darum blick weg von ihm, lass ihn in Ruhe, und gönne ihm sein bisschen Lebensfreude!

 

 

 

 

Liebe Gemeinde!

 

Im alten Israel erzählte man sich die uralte Geschichte von Hiob und seinem Gott, Hiob war von Gott mit allen Gütern gesegnet, mit allem Glück, das sich ein Mensch wünschen kann. Seine Umwelt sah eine unlösliche Verbindung zwischen Hiobs Frömmigkeit und seinem Reichtum. So konnte von Gott nur belohnt werden, wer ohne Sünde lebte. Aber durch ein furchtbares Geschick verliert Hiob schließlich nach und nach alles was er besitzt und die „Hiobsbotschaften“ gipfeln in der Nachricht, dass er auch seine Söhne und Töchter verloren habe. Er selbst wird schließlich vom Aussatz befallen, so dass sein Elend unermesslich ist.

 

All das hat ein Vorspiel im Himmel, wovon Hiob aber nichts weiß. In einer Versammlung der Götterwesen hinterfragt der Satan Hiobs Frömmigkeit: Der ist ja nur darum so fromm, weil es ihm gut geht, ginge es ihm schlechter würde es sich schon zeigen, dass auch er nicht anders als die anderen Menschen ist. So kommt es zu einer Art Wette zwischen dem Satan und Gott. Doch am Ende dieser uralten Erzählung wird geschildert, dass Gott Hiob alles zurück schenkt, was er verloren hatte und noch viel mehr als er früher einmal besaß. Zwischen dieser Erzählung von Hiob, dem Satan und Gott liegen eine ganze Reihe von Kapiteln, wo Hiob mit Gott ringt. Wir sehen einen Menschen vor uns, der seine Gottverlassenheit beklagt, der Gott anklagt, gegen Gott rebelliert, ja Gott lästert bis dahin, dass er einen Richter fordert, der Recht spricht zwischen ihm und seinem Gott. Hiob ist sich keiner Schuld bewusst, er versteht sein Leiden nicht, aber er bleibt auch in seinem Leiden Gott treu und wird dafür schließlich reich belohnt. Ein biblisches Märchen, in dem Grundfragen unseres Menschseins aufgegriffen werden, die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes.

 

Eine dieser Reden Hiobs hören wir heute in unserem Text. Hiob fragt nach dem menschlichen Leben, das doch so kurz ist und plötzlich wieder vergeht. Er klagt Gott an, weil er den Menschen doch sieht und ihn trotz dessen verurteilt, wo er ja um die Grenzen des Menschen wissen müsste. Darum soll Gott ihn in Ruhe lassen und ihm sein bisschen Lebensfreude gönnen. Wer von uns kennt die Hiobsklage nicht, die Frage nach dem „Warum“, danach, wie Gott etwas zulassen kann, was wir nicht verstehen. Das Hiobbuch versucht darauf eine Antwort, ohne sie wirklich zu geben. Hiob erhält sie – doch ganz anders als erwartet. Er kann in seinem Leiden den Gott an den er glaubt, nicht zusammen bringen mit dem Gott, den er hier erfährt. Dabei weiß er aber unerschütterlich, dass es der Ewige ist, der ihm auch jetzt und in der Tiefe seiner Existenz begegnet.

 

Hiob muss sich fragen, was das für ein Gott ist, den er so fern und fremd erfährt, so, wie ja auch wir uns immer wieder einmal in unserem Leben fragen, was das für ein Gott ist mit dem wir es zu tun haben? Verstehen wir das Rätselhafte unseres Lebens? Fragen wir denn nicht danach, warum ein Mensch uralt werden und lebenssatt sterben darf, ein anderer dagegen unfasslich aus dem Leben herausgerissen wird; oder warum einem Menschen scheinbar unverdient so viel Glück geschenkt ist, ein anderer ebenso unverdient ein Leid nach dem anderem erfahren muss? Im Vergleich mit anderen finden wir ja immer etwas, was uns das Leben schwer macht und hier und da eben auch nach einer Gerechtigkeit fragen lässt.

 

In der vergangenen Woche gedachten wir der Pogromnacht, der Nacht in der 1938 jüdische Gotteshäuser verbrannt, jüdische Mitmenschen verfolgt, gequält und zu Unrecht verhaftet wurden. Elie Wiesel, ein Überlebender des Konzentrationslagers Auschwitz schreibt in seinem Buch „Hiob – oder Gott im Gewittersturm“: „Ich glaube, dass wir in einer Welt leben, in der das Leiden dabei ist, allgemein zu werden. Früher war ich derartig fixiert auf das Problem des Leidens des jüdischen Volkes. Aber jetzt werde ich mir mehr und mehr bewusst, dass es, so wie es unserem Volk ergangen ist, bald der ganzen Welt ergeht. Und all das ist zwischen den Zeilen nachzulesen im Buch Hiob, das gleichzeitig ein durch und durch jüdisches Buch ist, wie es ein Buch ist, das das Geschick der ganzen Menschheit betrifft...“ [1]

 

Aber sollte Gott launisch sein, sollte er wirklich tatenlos zuschauen, wie Menschen leiden? Das widerspräche ja der Weihnachtsbotschaft, dass Gott Mensch wird, herunterkommt in die bedrängte Welt des Menschen ebenso, wie dem Zeugnis vom Kreuz, an dem das Mitleiden Gottes für einen jeden fasslich wird. Warum sollte sich Gott ein solches Leid zufügen, wenn nicht aus dieser abgrundtiefen Solidarität heraus, die allein in seiner Liebe begründet ist? Das alles können wir wissen, aber es beantwortet dennoch die Fragen der Leidenden nach dem „Warum“ ihres Leidens nicht. Aber reicht es denn nicht aus, um die Nähe Gottes zu wissen, auch wenn viele Fragen unseres Lebens unbeantwortet bleiben? Ist die Nähe Gottes nicht wichtiger für uns, als die Antwort auf eine offene Frage, - und sei sie noch so existentiell?

 

Die Grundstruktur des Umgehens mit der Welt nennt der große Freiburger Philosoph Martin Heidegger „Sorge“. Er „verwendet den Ausdruck im Sinne von Besorgen, Planen, Bekümmern, Berechnen, Voraussehen... Wir sind sorgende und besorgte Wesen, weil wir die uns geschenkte Zeit als offen erfahren, ... immer auf der Suche nach Haltepunkten und Verlässlichkeiten im Fluss der Zeit...“ [2] Um das zu erklären, zitiert Heidegger eine spätantike Fabel:

 

„Als einst die `Sorge´ über den Fluss ging, sah sie tonhaltiges Erdreich: sinnend nahm sie davon ein Stück und begann es zu formen. Während sie bei sich darüber nachdenkt, was sie geschaffen, tritt Jupiter hinzu. Ihn bittet die `Sorge´, dass er dem geformten Ton Geist verleihe. Das gewährt ihr Jupiter gern. Als sie aber ihrem Gebilde nun ihren Namen beilegen wollte, verbot das Jupiter und verlangte, dass ihm sein Name gegeben werden müsse. Während über den Namen die `Sorge´ und Jupiter stritten, erhob sich auch die Erde (Tellus) und begehrte, dass dem Gebilde ihr Name beigelegt werde, da sie ja doch ihm ein Stück ihres Leibes dargeboten habe. Die Streitenden nahmen Saturn zum Richter. Und ihnen erteilte Saturn folgende anscheinend gerechte Entscheidung:

 

`Du, Jupiter, weil du den Geist gegeben hast, sollst bei seinem Tode den Geist, du, Erde, weil du den Körper geschenkt hast, sollst den Körper empfangen. Weil aber die `Sorge´ dieses Wesen zuerst gebildet, so möge, solange es lebt, die Sorge es besitzen.´“ [3]

 

Auf diese Weise versucht die Antike eine Antwort auf die Frage zu finden, warum der Mensch nicht sorgenfrei leben kann, warum er mit seinem Körper und Geist gebunden bleibt an das, was ihm Sorgen bereitet. Die Fabel ist schön, aber tröstlich ist sie nicht. „Hiob (dagegen) flieht zu dem Gott, den er wegen all dieses Augenscheins anklagt. Er setzt sein letztes Vertrauen auf den Gott, der ihn so furchtbar enttäuscht und in Verzweiflung gestürzt hat. Er sieht seinen Freund in dem Gott, der doch sein furchtbarster Feind ist. Er flieht von Gott zu Gott, wie (es) der Kirchenvater Augustin einmal gesagt hat.

 

Und diese Flucht von Gott zu Gott ist der durch nichts mehr zu überbietende Schritt des Glaubens... Wir stehen hier vor einem unauflöslichen Widerspruch... [4] Hiob klagt und klagt an, nichts nimmt er zurück, aber sein Ansprechpartner bleibt Gott, der Gott, den er in seinem Leid nicht mehr verstehen kann. Aber gerade in dieser abgrundtiefen Klage und Anklage findet sich – so schwer es manchmal fällt, das zu erkennen – ein wenig Trost, ein wenig Hoffnung. Viele Menschen haben es in den dunkelsten Stunden ihres Lebens so erlebt. Das erfahrene Leid bleibt Leid, der erlittene Verlust bleibt ein unwiederbringbarer Verlust, das Schattenhafte des Lebens lichtet sich oft erst sehr viel später, manchmal für uns auch gar nicht. Und dennoch haben wir in der Klage, ja auch in der Anklage gegen Gott ein Ventil für unsere Not.

 

So fliehen dann auch wir immer wieder einmal von einem Gott, den wir nicht verstehen können zu einem Gott, dem wir dennoch vertrauen. Der Verzweiflungsruf Hiobs: „Gott, blick weg von mir, lass mich in Ruhe...“, ist nicht das letzte Wort, auch nicht das letzte Wort Hiobs. Denn auch er findet später, viel später zu einer neuen, ganz anderen Gotteserkenntnis. Diese aber setzte sein Leid und seine Not voraus und so wird sein letztes Wort an Gott zu einem Wort des Vertrauens:

 

„Ich weiß jetzt, dass dir nichts unmöglich ist; denn alles, was du planst, führst du auch aus. Du fragst, warum ich deinen Plan anzweifle und rede ohne Wissen und Verstand. In meinem Unverstand hab ich geredet von Dingen, die mein Denken übersteigen. Du hast mich aufgefordert, zuzuhören und dann auf deine Fragen zu erwidern. Ich kannte dich ja nur vom Hörensagen; jetzt aber hat mein Auge dich geschaut. Ich schäme mich für alles, was ich sagte; in Staub und Asche nehm ich es zurück“ (Hiob 42,2-6).

 

Mit dem nächsten Sonntag, dem “Volkstrauertag“, dem dann der „Ewigkeitssonntag“ folgt, gehen wir auf das Ende des Kirchenjahres zu. Diese Sonntage lassen uns unserer Endlichkeit bewusst werden, sie erinnern an Unrecht, Verfolgung und Leid, sie machen uns bewusst, dass jedes menschliche Leben auf den Tod zugelebt wird. Auch wenn wir es nicht verstehen, warum unser Leben so gelebt und erfahren werden muss, so dürfen wir mit Hiob von einer Hoffnung hören, die „von Gott zu Gott flieht“, einer Hoffnung des Glaubens. Nehmen wir sie mit auf unseren Weg ganz gleich, was uns in unserem Leben begegnen und welche scheinbar unlösbaren Fragen sich noch für uns auftun werden. Amen.

 

 

 

 

Literatur:

 

1) Wiesel/Eisenberg, Job ou Dieu dan s la tempete, S. 16

2) Safranski, R., Ein Meister aus Deutschland, Heidegger und seine Zeit,

                          München, 1994, S. 190 + 206

3) Safranski, R., a.a.O., S. 189

4) Kopf, R., unveröffentlichte Predigt vom Dezember 1978, Schopfheim, S. 2

 

 

 

Hastedt, H.-W., Calwer Predigthilfen, 1999/2000, Reihe IV/2, Stuttgart 2000, S. 200 f

Matthis, K., Drittletzter Sonntag im Kirchenjahr, 2000, in: http://www.predigten.uni-goettingen.de

Bürger, U., Drittletzter Sonntag im Kirchenjahr, 2006, in: http://www.pfarrverband.de

 

 

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http://www.evang-kirche-kenzingen.de oder:

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