18. Sonntag nach Trinitatis, Markus 12, 28-34
Begrüßung:
Liebe Gemeinde! Ich freue mich, dass wir diesen Gottesdienst miteinander hier in der St. Andreaskirche in Hecklingen feiern dürfen. Es ist ein Entgegenkommen, das wir nicht als selbstverständlich ansehen und ein Zeichen unseres engen, guten ökumenischen Verhältnisses. Um das Miteinander wird es heute in diesem Gottesdienst gehen, nämlich darum, dass wir erst dann im Glauben wachsen und reifen, wenn wir den Glauben teilen, ihn vorurteilslos ins Gespräch bringen. In diesem Sinne wünsche ich uns allen einen nachdenklichen Gottesdienst, der in uns unseren Glauben vertieft und festigt.
Was wir gehört haben und wissen und unsere Väter (und Mütter) uns erzählt haben, das wollen wir nicht verschweigen ihren Kindern. (Ps. 78, 3-4).
Gebet:
Miteinander, Gott, dürfen wir leben. Aufeinander achten und füreinander da sein. Einander ernst nehmen und einander annehmen, wo es geboten ist. Deinem Willen entspricht es, dass wir teilen, uns einander mitteilen, ins Gespräch kommen über Dich, Gott und die Welt, doch auch über unsere Fragen und Zweifel, unsere Freude und unser Glück, unsere Zeit und unsere Energie. Niemand soll mit seinen Fragen allein bleiben, niemand hoffnungslos suchen. Lass uns einander offen begegnen, damit einer dem anderen dort im Leben hilft, wo er Hilfe braucht – über alle Grenzen hinweg, alle Andersartigkeit und Fremdartigkeit. Segne uns in unseren Kirchen und schenke uns einen ökumenischen Geist, einen Geist der Offenheit, einen Geist der Liebe, so dass wir in unseren Konfessionen lernen, unseren Glauben zu teilen, um ihn dann der Welt mitzuteilen in Worten und Taten. Amen.
Und es trat zu ihm einer von den Schriftgelehrten, der ihnen zugehört hatte, wie sie miteinander stritten. Und als er sah, dass er ihnen gut geantwortet hatte, fragte er ihn: Welches ist das höchste Gebot von allen? Jesus aber antwortete ihm: Das höchste Gebot ist das: »Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der Herr allein, und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und von allen deinen Kräften« (5.Mose 6,4-5). Das andre ist dies: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst« (3.Mose 19,18). Es ist kein anderes Gebot größer als diese.
Und der Schriftgelehrte sprach zu ihm: Meister, du hast wahrhaftig recht geredet! Er ist nur einer, und ist kein anderer außer ihm; und ihn lieben von ganzem Herzen, von ganzem Gemüt und von allen Kräften, und seinen Nächsten lieben wie sich selbst, das ist mehr als alle Brandopfer und Schlachtopfer. Als Jesus aber sah, dass er verständig antwortete, sprach er zu ihm: Du bist nicht fern vom Reich Gottes. Und niemand wagte mehr, ihn zu fragen.
Liebe Gemeinde!
Die Frage ist: Wissen wir immer, was der andere meint, wenn er uns etwas sagt? Wie oft benutzen wir uns allen bekannte Begriffe, doch ein jeder von uns versteht darunter etwas ganz anderes – und darum kommt es auch so oft zu Missverständnissen. Wenn ich Ihnen jetzt das Wort Mutter in Erinnerung rufe und Sie bitte, doch einmal ganz kurz an sie zu denken, dann sehen Sie natürlich Ihre Mutter und nicht die Ihres Nachbarn in der Kirchenbank. Schon bei einem so bekannten Begriff wird deutlich, dass wir mit unserer Sprache immer von ganz unterschiedlichen Voraussetzungen ausgehen, weshalb es sinnvoll und geboten wäre, uns am Anfang eines Gespräches darüber zu verständigen, über was wir eigentlich reden.
Wie viel mehr gilt das für Glaubensfragen! Wer weiß denn schon, was ein anderer unter Glaube, Gott oder Kirche versteht, wie er sich den Menschen Jesus von Nazareth in seiner Zeit vorstellt oder den Christus seines Glaubens. Da tun sich Welten auf und doch muss ja über den Glauben, die Religion, geredet, notfalls auch einmal in einem ganz konstruktiven Sinne gestritten werden. So tragen evangelische Christen ja den Namen „Protestanten“, weil die Anhänger der `neuen´ Lehre Martin Luthers auf dem Reichstag zu Speyer 1526 mit ihren Protestationen erstmals vor dem Reich als Bekenner dieser neuen Lehre auftraten. Zunächst aber wurde der ursprünglich politische Begriff „Protestanten“ von den Gegnern dieser Lehre verwendet und negativ verstanden. 1)
Gerade evangelische Christen stehen in der guten Tradition, dass der Glaube ins Gespräch gehört, da muss um die Wahrheit des Glaubens, die niemand für sich gepachtet hat, gerungen werden. Darum kann es in der Evangelischen Kirche auch keinen Papst, keinen Bischof und keine Synode geben, die letztgültige Wahrheiten für den Glaubenden festlegen könnten. Wir erinnern uns, wie Martin Luther auf dem Reichstag zu Worms die Mächtigen seiner Welt aufforderte, die Wahrheit in Glaubensfragen allein an den Worten und dem Geist der Heiligen Schrift zu messen. Und so sehen wir uns heute hinein genommen in dieses Gespräch zwischen einem Schriftgelehrten und Jesus.
Kerngedanke dieses Gespräches ist die Frage nach dem höchsten Gebot: „Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der Herr allein, und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und von allen deinen Kräften“ (5.Mose 6,4-5). Das andre ist dies: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (3.Mose 19,18). Es ist kein anderes Gebot größer als diese.
Aber ich möchte heute nicht schon wieder die Frage nach dem höchsten Gebot aufgreifen, um das es in dem Gespräch zwischen Jesus und dem Pharisäer geht, da wir ja erst vor wenigen Wochen ausführlich darüber nachgedacht haben. Ich denke, dass es auch einmal wichtig ist, darüber nachzudenken, was Gespräche bewirken können, wofür uns Jesus ja viele Beispiele vorgelebt hat, Gespräche über den Glauben, die ihre weitreichende Bedeutung hatten. Erinnern wir uns zuvor ganz kurz, was wir erst kürzlich über das Doppelgebot der Gottes – und der Menschenliebe hörten: Für Jesus ist beides untrennbar miteinander verbunden, wie es zuvor aber auch schon einige große Lehrer des jüdischen Glaubens vertreten hatten. So sind es für ihn eben auch keine nebeneinander stehenden Sätze mehr, sondern sie bilden eine untrennbare Einheit und das ist eine massive Zuspitzung dessen, was allgemein bis dorthin aus den beiden Sätzen heraus gehört wurde.
Für Jesus geht es nicht um eine ethische Frage, sondern um einen Glauben, der seinen Weg ins Leben findet. Es geht um die Gottesbeziehung des Menschen, aus dem sich dann ein entsprechendes Handeln ableitet. 2)
Aufgeschlossen geht der Schriftgelehrte in das Gespräch hinein, nachdem er zunächst nur zugehört hatte. Aber es bleiben Fragen offen. Denn auch wenn Jesus ihn lobt: „Du bist nicht fern vom Reich Gottes!“, so bekommen wir nicht zu hören, wie der Gelehrte sich künftig zu Jesus selbst verhalten hat und ob das Gespräch dazu führte, dass er gerade durch die Begegnung mit Jesus, Gott in der Welt zu erkennen lernte. Doch immerhin, es wird geredet, ein Gedankenaustausch über den Glauben findet statt, man kommt sich in der Sache näher. Und so stellt sich uns an diesem Beispiel die Frage, reden wir über Religion, über unseren Glauben und worum geht es uns dann? Ist unser Austausch eine Diskussion bei der ich meinen Standpunkt vertrete, ohne ihn aufgeben zu müssen – oder eben doch eher ein Gespräch, in dem ich offen bin für die Argumente eines anderen?
Ohne die Auseinandersetzung um den Glauben, das gemeinsame Ringen um die Wahrheit dessen, was wir aus dem biblischen Wort heraus hören, werden wir niemals in ein wirklich tieferes Verständnis des Glaubens gelangen. So sagt Martin Luther einmal über sich und seinen Freund Philipp Melanchthon: „Ich bin dazu geboren, dass ich mit den Rotten und Teufeln muss kriegen und zu Felde liegen, darum meiner Bücher viel stürmisch und kriegerisch sind. Ich muss die Klötze und Stämme ausrotten, Dornen und Hecken weghauen, die Pfützen ausfüllen und bin der grobe Waldrechter, der die Bahn brechen und zurichten muss. Aber Magister Philippus fahret säuberlich und still daher, bauet und pflanzet, säet und begießt mit Lust, nach dem Gott ihm hat gegeben seine Gaben reichlich.“ 3)
Ohne das Gespräch dieser beiden, die manchmal tagelang um die richtige Übersetzung eines Bibelverses gerungen haben, hätte Luthers Bibelübersetzung wohl kaum die Bedeutung erlangt, die sie dann bekam. Es war das Gespräch, das diese beiden Männer miteinander verband, das Gespräch über die Bibel und ihren Glauben. Und es ist bekannt, dass es Melanchthon neben dem Mann Luther nicht nimmer einfach hatte. Luther selbst aber Melanchthon in seiner Bedeutung für ihn nie unterschätzte.
Unser Bibelwort aus dem Markusevangelium führt uns in ein Gespräch hinein und so wurde einmal gesagt: „Das Gespräch ist der Geburtsort aller Theologie, und zwar das Gespräch über die Verkündigung...“ 4) Da geht es nicht um ein Gerede, das oberflächlich und damit unverbindlich bleibt, sondern es geht um das je tiefere Verständnis des Glaubens, das sich aus dem biblischen Wort heraus ableitet und versteht. Woher wollen wir denn wissen, worum es unserem Glauben geht, wenn nicht aus der Schrift? Jesus redet mit den Menschen seiner Zeit über den Gott, den sie aus ihrer Bibel her kennen. Das Problem ist, dass wir uns heute dieser Auseinandersetzung gern entziehen. Da ist uns anderes wichtiger und so ist uns gar nicht mehr bewusst, dass dort, wo uns das Wort Gottes nicht mehr begleitet, Gott selbst uns fremd wird.
1799 erscheint ein Buch, das Epoche machen wird. Friedrich Daniel E. Schleiermacher veröffentlicht es mit dem Titel „Über die Religion – Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern“. Mit seinen Überlegungen möchte er angesichts der Aufklärung zu einem neuen Nachdenken über den Glauben einladen.
Religion, das war nichts mehr für die Gebildeten, Religion damit mochten sich die Ungebildeten, die einfachen Menschen abgeben, die eines jenseitigen Trostes bedurften. Doch mit seinem Buch erreichte dieser große Theologe des 19. Jahrhunderts Menschen, für die der Glaube eine erledigte Sache war. So schreibt er: „Religion ist Sinn und Geschmack fürs Unendliche... Vom Anschauen muss alles ausgehen, und wem die Begierde fehlt, das Unendliche anzuschauen, der hat keinen Prüfstein und braucht freilich auch keinen, um zu wissen, ob er etwas Ordentliches darüber gedacht hat... 5) Mit seiner kurzen Darstellung des theologischen Studiums von 1830 hat er Generationen von Theologen geprägt.
Ludwig Feuerbach greift mit seinen „Vorlesungen über das Wesen der Religion“ in diese Auseinandersetzung ein, in dem er aber den Glauben als eine menschliche Illusion ansieht. Gott ist eine Erfindung des Menschen, der einen Gott braucht. Es ist die Zeit, in der immer wieder nach dem Wesen und Wirken Jesu gefragt wird und es ist die Zeit großer innerer Auseinandersetzungen um die Frage wozu überhaupt der Glaube gut sein soll. So ist und bleibt das Gespräch der Geburtsort aller Theologie, so wie wir es bei Jesus in seiner Auseinandersetzung mit den gebildeten Glaubenslehrern seiner Zeit erleben.
Und auch im letzten Jahrhundert war es das Gespräch, das letztendlich ein neues theologisches Denken in Gang setzte, das Gespräch der beiden Schweizer Theologen Karl Barth und Eduard Thurneysen über den Römerbrief. Spuren dieser Theologie finden wir noch heute und damit ja auch die Einladung an alle Christen, auf ihre je eigene Weise nach dem Grund des Glaubens zu fragen und für sich einen Glauben zu finden, der Hoffnung schenkt, ermutigt, tröstet, letztendlich einen Glauben, in dem das Doppelgebot der Gottes- und der Nächstenliebe erfahrbar gelebt wird. Wie soll denn die Welt Gott erkennen, wenn wir Gott nicht in die Welt hinein tragen?
Wie unerlässlich das Gespräch gerade in Glaubensfragen ist, zeigt dieser evangelische Gottesdienst in dieser katholischen Kirche hier in Hecklingen. Allein, weil wir inzwischen unsere konfessionellen Grenzen selbstkritischer hinterfragen und uns für den Glauben der jeweils anderen Kirche öffnen, ist in den vergangenen Jahren die Ökumene so weit vorangekommen. Nur auf diesem Weg wird der christliche Glaube auch als glaubwürdig und nicht mehr als rechthaberisch verstanden. Die Arbeit am Frieden zwischen allen Religionen und Konfessionen bleibt eine unaufgebbare Aufgabe, weil sie dem Weltfrieden dient.
Und so darf es natürlich auch nicht allein darum gehen, dass sich einige Theologen über den Glauben unterhalten und theologische Entwürfe erdenken. In unserem Beispiel redet Jesus mit einem Glaubenslehrer seiner Zeit, an unzähligen anderen Stellen im Neuen Testament mit gerade dem Menschen, der ihm jetzt begegnet. Und das sind die Spuren, denen wir folgen dürfen, nämlich den Glauben immer wieder neu ins Gespräch zu bringen, um Menschen mit Gott zu konfrontieren. Dieses Gespräch muss am Kinderbett beginnen und darf am Arbeitsplatz nicht zu Ende sein. Am Ende aber steht die Frage: Woran glauben wir und um das herauszufinden brauchen auch wir das Gespräch über unseren Glauben, über Gott und die Welt. Amen.
Literatur:
1) Wolf, E., in: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, Fünfter Band,
Tübingen, 19613, S. 647ff
2) Schneider, H.-H., 13. Sonntag nach Trinitatis 2009, in:
3) Badische Pfarrvereinsblätter, 4, April 1997, Philipp Melanchthon, der andere
Wittenberger Reformator
4) Bohren, R., Prophetie und Seelsorge, Neukirchen-Vluyn, 1982, S. 77
5) Schleiermacher, F.D.E., Über die Religion, Hersg. Otto Braun,
Leipzig, 1920, S. 36
Block, J., 18. Sonntag nach Trinitatis, Göttinger Predigtmeditationen, 2009, 63. Jhrg., Heft 4, Göttingen, S. 441ff
Drewermann, E., Das Markusevangelium, Zweiter Teil, Freiburg, 19914,
S. 284ff
Wir weisen darauf hin, dass Sie alle unsere Predigten im Internet nachlesen können. Sie finden sie unter:
http://www.evangelische-kirchengemeinde-kenzingen.de – oder:
http://www.predigten.de/ (Powersearch anklicken, Text oder Name eingeben)