Ewigkeitssonntag, Jesaja 65,17-25

 

 

Begrüßung:

 

Liebe Gemeinde! Der Ewigkeitssonntag beendet das vergangene Kirchenjahr, mit dem nächsten Sonntag beginnt die Adventszeit, ein neues Kirchenjahr. Solche Zäsuren machen Sinn. Sie lassen uns noch einmal innehalten und darüber nachdenken, was war und was die Zukunft bringen wird? Zu all dem, was uns an einem Sonntag wie diesem bewegt, gehört, uns an all jene zu erinnern, die unser Leben teilten, aber im vergangenen Jahr verstorben sind. Abschiede gehören zu unserem Leben, doch mit jedem Abschied ist ein Anfang verbunden, der unserem Leben auferlegt ist. Bei aller Betroffenheit dürfen wir uns daran erinnern lassen, Gott für ein jedes Leben dankbar zu sein.

 

Im vergangenen Jahr verstarben 31 Gemeindeglieder im Alter zwischen 47 und 96 Jahren, von denen Angehörige auch aus unserer Gemeinde Abschied nehmen mussten.

           

            Ich erinnere uns noch einmal an das schöne Wort aus dem Buch von Elisabeth Lukas: „In der Trauer lebt die Liebe weiter“, wo sie schreibt:

 

„Reichtum beinhaltet nicht die Fülle dessen, was wir sowieso hinter uns zurücklassen müssen. Wahrer Reichtum ist erfülltes Leben – in Hingabe und in vielen wunderbaren Wertebezügen. In Wertebezügen, die, wenn sie enden, betrauert werden müssen. In der Trauer spiegelt sich unser Reichtum wider. Arm ist derjenige, der nichts und niemals etwas zu betrauern hat. Er kann nichts verlieren, weil nichts da ist, wofür sein Herz schlägt. Er ist der Ärmste von uns allen...“

 

In diesem Sinne denken wir an alle, die im vergangenen Jahr aus unserer Mitte verstarben und an alle, die einen Angehörigen verloren haben. Bestärken wir uns in dem Vertrauen, dass in unserer Trauer auch unsere Liebe weiterlebt. In Psalm 30 heißt es:

 

Ich aber, Herr, hoffe auf dich. Du bist mein Gott! Meine Zeit steht in deinen Händen (Psalm 30, 15+16a).

 

 

 

Gebet:

 

Herr, du guter, aber oft so unverständlicher Gott! Du hast uns allen unser Leben geschenkt, du begrenzt es durch unseren Tod. Es fällt uns schwer, uns das vorzustellen, aber es fällt uns ebenso schwer, Abschied zu nehmen, von Menschen, die uns vertraut waren, die wir liebten. So schenke jedem Tod einen Sinn und jedem unserer Abschiede einen Anfang mit dem wir leben können. Schenke uns eine Vision von Leben, die ihm seinen tragenden Wert und Sinn verleiht – durch ihn unseren Bruder und Herrn Jesus Christus. Amen.


 

Alles mache ich jetzt neu: Einen neuen Himmel schaffe ich und eine neue Erde. Dann sehnt sich niemand nach dem zurück, was früher einmal gewesen ist; kein Mensch wird mehr daran denken. Freut euch und jubelt ohne Ende über das, was ich nun schaffe! Ja, schau: Ich schaffe der Stadt Jerusalem Lachen und ihrem Volk Freude. Ich selbst will an Jerusalem wieder Freude haben und über mein Volk glücklich sein. Niemand wird mehr weinen und klagen.

 

Es gibt keine Kinder mehr, die nur ein paar Tage leben, und niemand, der erwachsen ist, wird mitten aus dem Leben gerissen. Wenn jemand mit hundert Jahren stirbt, wird man sagen: 'Er war noch so jung!' Selbst der Schwächste und Gebrechlichste wird ein solch hohes Alter erreichen. Sie werden sich Häuser bauen und auch darin wohnen können. Sie werden Weinberge pflanzen und selbst den Ertrag genießen. Sie sollen nicht bauen und pflanzen und sich lebenslang mühen, nur damit andere den Gewinn davon haben. Alt wie Bäume sollen sie werden, die Menschen in meinem Volk, und den Lohn ihrer Arbeit selbst genießen!

 

Sie werden sich nicht vergeblich abmühen. Die Frauen gebären ihre Kinder nicht länger für eine Zukunft voller Schrecken. Sie sind mein Volk, ich segne sie; darum werden sie mit ihren Kindern leben. Noch ehe sie zu mir um Hilfe rufen, habe ich ihnen schon geholfen. Bevor sie ihre Bitte ausgesprochen haben, habe ich sie schon erfüllt. Wölfin und Lamm werden einträchtig weiden, der Löwe wird wie das Rind Stroh fressen, und die Schlange nährt sich vom Staub der Erde. Auf dem Zion, meinem heiligen Berg, wird keiner mehr Böses tun und Unheil stiften. Ich, der Herr, sage es.

 

 


 

Liebe Gemeinde!

 

Der „Ewigkeitssonntag“ ist der letzte Sonntag im Kirchenjahr. Er lässt uns noch einmal an all jene denken, die wir auf unserem Lebensweg verloren haben, Menschen, die für uns da waren, für die wir da sein durften und die uns wichtig wurden. Dieser Sonntag erinnert uns schmerzhaft an unsere Abschiede, vor allem aber die endgültigen Abschiede, die unser Leben begleiteten, gegen die wir uns nur allzu oft aufbäumen, die wir nicht wahrhaben wollen, deren Schmerz wir kaum ertragen. Dabei begann schon unser Leben mit einem lebensnotwendigen Abschied [1], dem Abschied in das Leben hinein. Denn nur so, nur durch unsere Geburt und das Geborenwerden können wir Mensch werden, auch wenn wir damit so etwas, wie die schützende Geborgenheit verlieren, für das bildlich das „Paradies“ steht. Es ist ein Ort der Geborgenheit, des Friedens und weit entfernt von all dem, was unser Leben oft dunkel, vielfach schmerzhaft bedroht, beängstigt, verletzt und schließlich einmal beendet.

 

Der Freiburger Philosoph Martin Heidegger spricht vom großen „Vorbei“ dass der Tod für uns ist. „Mit ihm sind wir bekannt, nicht nur weil die anderen sterben, sondern weil wir in jedem Augenblick das „Vorbei“ erleben können: den Fluss der Zeit – lauter kleine Abschiede, lauter kleine Tode...“ [2]

 

Zwischen dem „Paradies“, das wir in der Menschheitsgeschichte verloren haben, auch mit unserer Geburt und unseren Träumen von dieser wirklich letztendlich heilen, aber eben zukünftigen Welt, von der wir ja immer nur eine Ahnung haben, liegt unser ganzes Leben. Diese Visionen kommen wie aus einer anderen Welt, „durch sie überschreiten wir die so genannte Normalität und konstruieren eine größere Wirklichkeit..“ [3] Und davon reden die Propheten in visionären Bildern, davon redet unser Text, der uns in unserem Nachdenken am Ewigkeitssonntag zur Seite stehen will, um uns eine Perspektive, eben eine Vision über den Tag und alle dunklen Lebensgefühle hinaus zu schenken.

 

Israel ist im Exil, die Heimat scheint verloren und damit auch Gott. Wie sollte man denn Gott im fernen Babylon glauben können, wenn man doch gelernt hatte, dass der Ewige seine Wohnung im Tempel zu Jerusalem hat? Wie sollte man Gott glauben können, wenn er zusehen konnte, wie die Vertriebenen an den Wassern zu Babel klagten und ohne jede Hoffnung waren? Das ist die Situation in die hinein der Prophet sein Wort sagt: Alles mache ich jetzt neu: Einen neuen Himmel schaffe ich und eine neue Erde. Dann sehnt sich niemand nach dem zurück, was früher einmal gewesen ist; kein Mensch wird mehr daran denken. Freut euch und jubelt ohne Ende über das, was ich nun schaffe! Ja, schau: Ich schaffe der Stadt Jerusalem Lachen und ihrem Volk Freude...

 

Der Prophet tröstet die Vertriebenen mit einer Vision der Hoffnung. Real war das nicht, die Situation stellte sich ja ganz anders da und niemand konnte ahnen, dass es einmal eine Zeit der Rückkehr geben würde, eine Zeit wie eine Neugeburt. Und so übersteigt er mit seinem visionären Gedanken auch die Sehnsucht nach Heimkehr, nach Frieden, nach Geborgenheit, ja, auch nach einer Geborgenheit im Glauben, den man ja leichtfertig aufs Spiel gesetzt hatte.

 

Er spricht nun von einem ganz „neuen Himmel“ und einer ganz „neuen Erde“, was darin gipfelt, dass „Wölfin und Lamm einträchtig miteinander weiden werden und der Löwe, wie das Rind Stroh frisst.“ Glauben konnte man so etwas nicht, dagegen stand einfach zu schmerzlich die Wirklichkeit, aber eine solche Vision trug dazu bei, alle Hoffnungen und damit sich selbst nicht aufzugeben.

 

Und so erleben wir es ja bei jeder Trauerfeier, in der wir mit dem Glauben versuchen, Worte zu finden, wo wir eigentlich ja nur sprachlos sind, uns in unserer Trauer zu verlieren drohen. Wir versuchen mit dem Abschied eine neue Perspektive zu erlangen für eine veränderte Zukunft. Von Gott her ist es immer eine Gegenwelt, es ist mehr als eine kleine Reparatur oder Reform unseres traurigen Zustandes. Nur so sind die Worte des Propheten von einem neuen Himmel und einer neuen Erde zu verstehen. Wir sind an die Schöpfung erinnert, den Anfang der Welt und eben auch an ihre Zukunft.

 

Wir brauchen solche visionären Bilder, wollen wir etwas verändern können, sollen wir nicht einfach in unseren Verhältnissen gefangen bleiben. Beginnt jemand mit einer Vision wird er verspottet und nicht ernst genommen, später im Rückblick erst wird er zu einem Propheten, zu einem Heiligen, zu einem Friedensnobelpreisträger. Ich denke an Martin Luther King, Mahatma Gandhi, Willi Brandt und viele andere. Sie hatten eine Vision und damit mussten sie vertrautes Terrain zurück lassen, Abschied nehmen von eingefahrenen Wegen, um aus der Gegenwart heraus, die Zukunft zu gestalten. Zunächst sind es immer Einzelne, denen sich dann Mitstreiter anschließen, um eine Situation zu verändern – und immer sind es menschlicherseits schmerzhafte Prozesse.

 

So ist es auch mit unserer persönlichen Trauer. Jeder muss sie für sich selbst und ganz allein ertragen, doch immer sind Menschen da, die ein gutes Wort finden, die Nähe spüren lassen und so den Trauernden nach und nach aus dem Gefängnis ihrer Trauer heraus helfen. Ich weiß, wie schwer das ist, aber nicht umsonst haben die Psychologen immer wieder einmal von „Trauerarbeit“ gesprochen. Es ist ja meine Trauer über einen sehr konkreten Verlust und die kann mir niemand abnehmen.

 

Aber diese durchaus berechtigte, ja lebensnotwendige Trauer darf mich umgekehrt nun nicht gefangen nehmen, ich muss aus ihr heraus kommen, um das Leben weiterhin gestalten zu können. Da helfen uns die vertrauten biblischen Bilder, das Wort Gottes, gerade auch durch Visionen von einer Zukunft, die sich einerseits der Vergangenheit stellt, sich des Verlorenen bewusst bleibt, andererseits aber aus dem Abschied einen Anfang macht, der uns leben lässt.

 

Dorothee Sölle schrieb einmal: „Ich möchte hier einen Grund nennen, warum ich die Kirche brauche und ihre Tradition liebe. Sie ist ein Raum langfristiger Erinnerung der Geschichten vom möglichen Leben. Die Kirche stellt einen Raum dar, in dem solche Geschichten erzählt werden. Ich muss mich nicht nur auf meine Hoffnung verlassen, nicht nur meine Glaubenskraft stark machen. Über zweitausend Jahre lang werden buchstäblich Tag für Tag in den Einrichtungen der Synagoge und dann der Kirche die Geschichten vom Geist Gottes erzählt, vom Charme der Gnade, vom Gott der Armen, von der Bergung des verlorenen Lebens. Es wird erzählt, dass die Weinenden lachen werden, dass die Tyrannen gestürzt werden und dass die Lahmen einmal springen werden wie Hirsche.

Es wird nicht verschwiegen, was dem Leben versprochen ist und wie es sein soll. Tag für Tag, Sonntag für Sonntag werden die Geschichten vom Zusammengehören, von der Geschwisterlichkeit erzählt...“ [4]

 

Ich denke, dass es genau das ist, was wir an einem Tag wie diesem, in Situationen unserer Trauer und eines Abschiedes brauchen: Bilder der Hoffnung, ja vielleicht eine Vision einer anderen Zukunft und Menschen, die uns auf unserem Weg begleiten. Nirgendwo setzten sich Visionen von alleine um, man muss ihnen vertrauen, an ihnen arbeiten, sich für sie einsetzen auch gegen innere und äußere Widerstände. So schwer es uns am Anfang und am Ende fällt: Wir brauchen also diese lebensnotwendigen Abschiede, einmal um überhaupt leben zu können, dann aber um auch durch das Ende eines anderen Lebens selbst bedachter zu leben, uns unserer eigenen Endlichkeit bewusst zu werden.

 

Und dazu brauchen wir eben auch unsere Mitmenschen, eine Gemeinschaft, die uns zu verstehen und zu spüren gibt: Du bist jetzt nicht allein. Erst so bekommt der Trost, den wir einander geben oder voneinander erhalten, „Spuren von Festigkeit, Zuversicht, Vertrauen...“ 5) Wo wir in einer Christengemeinde einander zu einem solchen Trost werden, da kommt es zu dieser Geschwisterlichkeit von der D. Sölle spricht und anders geht es eigentlich auch gar nicht, wenn wir unseren Glauben leben wollen. Wir leben ihn ja nicht für uns, sondern mitten in der Welt, und so schulden wir uns der Welt, wie wir ihr Visionen des Glaubens und Perspektiven einer tragfähigen Hoffnung schulden.

 

Das Paradies steht noch aus, gerade Trauernde spüren das schmerzhaft. Aber wir haben das Wort des Propheten, wir haben sein Wort dafür, dass unsere Trauer hier eben nicht das letzte Wort sein wird und darauf dürfen wir vertrauen – trotz allem. Erst im Rückblick können wir zwar um Todes-, Abschieds und Trauererfahrungen reicher, dann doch vielleicht wieder einmal einfach nur dankbar werden für all jene, die uns auf unserem Lebensweg begleiten durften. Sie waren ein Geschenk auf Zeit. Was uns bleibt ist: Erinnerung. Mit dieser dürfen wir uns nun auch an unsere Zukunft erinnern lassen und die wird an der Seite Gottes so sein, dass kein Bild und keine Vorstellung ausreicht, weil uns dafür die Worte fehlen. Das ist eine Hoffnung, die uns bei allen Abschieden zu leben hilft. Gott begleite uns bei allen unseren lebensnotwendigen Abschieden und Anfängen. Amen.

 

 

 

Literatur:

 

1) Jörns, H.-P., Notwendige Abschiede, Gütersloh, 20052, S. 269

2) Safranski, R., Ein Meister aus Deutschland, München, 1995, S. 182

3) Hartlieb, G., u.a. Hrsg., Spirituell leben, Freiburg, 2002, S. 364

4) Sölle, D., Den Rhythmus des Lebens spüren, Freiburg, 2001, S. 223

5) Langenhorst. G., Trösten lernen, Ostfildern, 2000, S. 17

 

 

Drewermann, E., Tröstet, tröstet mein Volk, Zürich, 1999

Herlyn, O.,      Calwer Predigthilfen, 1999/2000, Reihe IV/2,

                        Stuttgart, 2000, S. 225

Funke, G.,      Letzter Sonntag des Kirchenjahres, in:

                        http://www.pfarrverband.de/pfarrerblatt/predigthilfen.html

 

 

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