Heilig Abend II, Christvesper, Johannes 1,14a

 

 

 

Begrüßung:

 

Liebe Gemeinde! Wir dürfen diesen Gottesdienst heute, am Heiligen Abend, miteinander feiern. Es ist ja einer der Gottesdienste im Jahr, die uns ganz besonders bewegen, weil das Weihnachtsfest für uns alle ein bewegendes Fest ist, das keinen unbeteiligt bleiben lässt. So wollen wir uns auf das besinnen, was wichtig ist, noch ein wenig Ruhe finden und uns sammeln, bevor dann auch ganz andere Dinge für uns wichtig werden. Erinnerungen dürfen aufkommen und sogar der eine oder andere Wunsch als Symbol menschlicher Nähe oder Liebe in Erfüllung gehen. Der Grund dieses Festes aber ist die Verheißung des Propheten Jesaja:

 

Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell“ (Jesaja 9).

 

 

 

Gebet:

 

Herr, guter Gott! Wir danken dir auch für dieses Weihnachtsfest in unserem Leben, das uns an den Grund unseres Glaubens erinnert, an Jesus Christus. Wir danken dir für alle Menschlichkeit, die du in ihm hast zur Welt kommen lassen, denn er wurde ja ein Mensch wie wir. Er hat geweint und gelacht, er hat gefeiert und war verzweifelt, er wurde geliebt und wurde verfolgt. Gerade mit seiner Geburt verband sich der Himmel mit der Erde, so dass große Hoffnungen mit seiner Geburt verbunden waren. So lass uns gerade heute Abend beides hören: „Friede auf Erden“ und „Fürchtet euch nicht!“ Das ist es, was wir von diesem Fest in unseren Alltag mitnehmen möchten. Amen.

 

 

 

Das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit!

Johannes 1,14a

 

 

 

 

 

Liebe weihnachtliche Gemeinde!

 

„Es war einmal...“, so fangen die uns allen gut bekannten und vertrauten Märchen an: „Es war einmal!“ Texte der Bibel beginnen anders. Da heißt es: „Am Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde!“ (1. Mose 1,1). Oder, wie es zu Abram gesagt wurde: „Verlass deine Heimat, deine Sippe und die Familie deines Vaters, und zieh in das Land, das ich dir zeigen werde! Ich will dich segnen... (1.Mose 12,1-2). Oder wie der Prophet Jesaja seine Berufung erlebt und schildert: „Und ich hörte die Stimme des Herrn, der fragte, wen soll ich senden? Wer will unser Bote sein? Ich aber sprach: Hier bin ich, sende mich!“ (Jesaja 68). Und im Johannesevangelium heißt es schließlich: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott...!“ (Joh. 1,1,). „Es war einmal!“, das wäre dem biblischen Wort und Geist zu wenig, zu rückwärtsgewandt und viel zu wenig zukunftsorientiert.

 

Wir feiern miteinander diesen Heiligen Abend. Natürlich werden da Erinnerungen wach: „Es war einmal...!“ und dann darf erzählt werden, wie man, vielleicht sogar unter besonderen Umständen, die ersten Weihnachten in seinem Elternhaus, der Familie erlebt hat. Erinnerungen haben ihr gutes Recht in unserem Leben, aber für die Botschaft eines Weihnachtsfestes sind sie zu wenig, da fragen wir nach einem Wort, das trägt, das das Gefühl vielleicht sogar einer gewissen Trauer über Vergangenes oder Verlorenes aufgreift und in eine gewisse Zuversicht ummünzt. Heute fragen wir nach einem Wort, das über den Heiligen Abend hinausweist.

 

Nicht umsonst schenken wir uns mit den Geschenken dieses Abends immer auch ein gutes Wort, ein Wort in die Dunkelheit des Abends, die Dunkelheiten des Lebens, dass das Leben dennoch erleuchtet, hell und warm werden lässt. Das Wort aus dem Johannesevangelium ist eine für unseren Geschmack und diesen Abend ganz unweihnachtliche Weihnachtsgeschichte. Ich habe einmal in einem anderen Zusammenhang an die mühevollen Überlegungen erinnert, mit denen Goethes Faust dieses Wort begreifen will. Nachdenklich sinnierend sagt er:

 

„Geschrieben steht: `Im Anfang war das Wort!´ Hier stock´ ich schon! Wer hilft mir weiter fort? Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen, ich muss es anders übersetzen, wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin. Geschrieben steht: Im Anfang war der Sinn. Bedenke wohl die erste Zeile, dass deine Feder sich nicht übereile! Ist es der Sinn, der alles wirkt und schafft? Es sollte stehn: Im Anfang war die Kraft! Doch, auch indem ich dieses niederschreibe, schon warnt mich was, dass ich dabei nicht bleibe. Mir hilft der Geist! Auf einmal seh´ ich Rat und schreibe getrost: Im Anfang war die Tat! - “ [1]

 

Goethe führt uns hier auf eine Spur, die ganz wichtig ist. Denn dort, wo Gott spricht, geschieht auch etwas, wird etwas bewegt, in Gang gesetzt. Die Schöpfungsgeschichten erzählen von diesem er-schaffenden Wort Gottes. Abram oder Jesaja - und mit ihnen viele andere Menschen - werden auf den Weg gebracht. So wird es uns ja auch in der lukanischen Weihnachtsgeschichte erzählt, wo alles unterwegs ist, selbst die unbegreiflichen Mächte des Himmels treffen auf die Ratlosigkeit und Fassungslosigkeit einiger recht erdverbundener Menschen.

 

In dieser unweihnachtlichen Weihnachtsgeschichte zielt von diesem ersten Gedanken: „Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott!“ nun aber alles zu der weiteren Aussage hin, die uns heute in diesen Abend, in das Weihnachtsfest begleiten will, wenn es dann nämlich weiter heißt: „Und das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit! Gott spricht den Menschen an, aber das tiefgreifendste Wort das bei ihm zur Tat wird, ist dass er sich selbst zur Welt bringt, in diesem Kind damals. So, wie es uns erzählt wird, in einem unscheinbaren Stall, vielleicht wohl eher in einer Höhle, in einer absolut unbedeutenden Region dieser Welt.

 

Kaum etwas spricht Menschen so sehr an, wie die Geburt eines Kindes. Sie betrifft ja nicht nur die konkreten Eltern oder Geschwister, Großeltern, Paten, Freunde oder Nachbarn, Kinderspielzeughersteller oder die Nahrungsmittelindustrie, Kinder sind längst eine gesellschaftliche Größe geworden – weit über eine Familie oder Interessenverbände hinaus. Wo es an Kindern fehlt, stellen sich ganz andere Fragen, die tief in das Gefüge einer Gesellschaft eingreifen und über die Gegenwart hinaus weit in die Zukunft weisen.

 

Mit jedem Kind das zur Welt kommt, werden ja auch Hoffnungen geboren. Menschen, die an der Welt zweifeln, die über ihrem Alltag resignieren, werden zumindest freiwillig und bedacht kein Kind zur Welt bringen wollen. Daher ist ja gerade das Weihnachtsfest ein so bedeutsames Fest geworden, weil es mit der Geburt eines Kindes zu tun hat, und wir in diesem Kind die Liebe Gottes zu unserer Welt entdecken. Jeder Geburtstag hat seine Bedeutung, auch wenn Menschen dies hier und da herunterspielen, weil sie nicht gern daran erinnert werden möchten, dass auch sie älter werden oder sie keinen Trubel um ihre Person wollen. Seinen Geburtstag vergisst niemand. Und so erinnert die Christenheit an die Geburt Jesu, daran, dass Gott Mensch wird: „Das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit..!“

 

Wir Menschen brauchen Worte, um uns mitteilen zu können, und wo uns die Worte fehlen, benutzen wir Hände und Füße um uns zu verständigen. Und in jedem Wort wird ein ganz bestimmter, dem Wort entsprechender, Geist deutlich. Viele nachdenkliche Menschen spüren in der neu aufkommenden Wertedebatte, wie gering heute der Wert von Begriffen ist. Selbst im politischen Umfeld werden die christlichen Werte wieder hervorgehoben, ist aber wirklich „christlich“, was uns als solches angeboten wird?

 

Schon vor über 150 Jahren sagte der dänische Philosoph und Theologe Sören Kierkegaard, dessen 150. Todestag wir gerade gedachten: „Wir alle sind Christen – ohne auch nur eine Ahnung davon zu haben, was Christentum heißt... Es war die Absicht des Christentums: Alles zu verändern. Das Ergebnis, das Christentum der „Christenheit“, ist, dass alles, unbedingt alles, geblieben ist, wie es war, nur, dass alles den Namen „christlich“ angelegt hat...“ [2]

Ein aktuelles, nachdenkliches Wort, das nun auch uns vor die Frage stellt, was wir denn Weihnachten – heute - eigentlich noch feiern und wofür? Es kann doch nicht allein um weihnachtliche Gefühle gehen, so schön sie wirklich sind und so sehr auch ich sie genieße. Ein Fest, das sich tief in unseren Traditionen begründet, ein Fest der Familie, das wäre ja auch schon etwas, aber das würde eben noch nicht zu einer wirklich christlichen Begründung gerade des Weihnachtsfestes ausreichen. Und darum lassen wir uns einladen, ob da nicht doch noch etwas ganz anderes zu bedenken wäre?

 

Krippe und Kreuz lassen sich auch am Heiligen Abend nicht trennen, denn beide Pole beschreiben den Weg, den Jesus zu gehen hatte und sind ein Hinweis auf seine unbedingte Menschlichkeit, die unmenschlich an einem Kreuz endete. Sein Glaube forderte, zwang in die Auseinandersetzung hinein, ja zu einer Entscheidung heraus, wie man sich zu dem von ihm geglaubten und verkündigten Gott verhalten soll. Allein daran misst sich der christliche Glaube. Erst dann werden wir schließlich etwas von der Herrlichkeit Gottes in der Welt erfahren, trotz aller Ängste und Dunkelheiten, der Anspannung des Alltags mit all seinen Herausforderungen, die uns immer wieder bewegen.

 

Weihnachten – mit der verkündigten Menschwerdung Gottes in diesem Kind – fragt uns also weniger nach irgendwelchen Werten, denen wir uns gefühlig verbunden fühlen und die jetzt scheinbar wieder einmal auf dem Prüfstand stehen, sondern nach unserem Glauben. Ja, es ist diese Herrlichkeit Gottes, die mit jedem Weihnachtsfest neu unter uns aufleuchtet und uns zu diesem Fest - mit all seiner Freude, aber auch all seiner Nachdenklichkeit - beflügelt. Wo wir glauben, darauf vertrauen, dass Gott wirklich für uns zur Welt gekommen ist, da dürfen wir davon reden und singen, da dürfen wir uns freuen und beschenken, da darf das Wort dieses Heiligen Abends zur Tat werden – das gute Wort zur guten Tat über diesen Abend hinaus. Dann haben wir die Geburt Gottes für unsere Existenz begriffen und unser Glaube wird leben.

 

Soll das biblische Wort also kein mehr oder weniger „moralischer Knigge“ mehr für uns sein, dann dürfen wir uns dazu herausfordern lassen, die Weihnachtsbotschaft von der Gottheit Gottes, die in einem unscheinbaren Kind zur Welt kommt, in uns selbst zur Welt kommen zu lassen - und mit neuem Leben zu erfüllen. So wird unser Glaube ein menschenfreundliches Gesicht bekommen, Hände und Füße. Wir können erleben, wie ein Wort, ein Wort des Glaubens, wenn es gelebt wird, uns vermenschlicht – und das, weil das Wort Fleisch wurde und wir darum etwas von der Herrlichkeit Gottes unter uns erahnen dürfen.

 

Weihnachten? Kein: „Es war einmal!“, keine leeren Worte mehr, schön eingepackt, keine bunten Päckchen, mit einem teuren Inhalt, sondern ein neuer, belebender Glaube, - ein Anfang, wie der bei der Geburt eines Kindes. Das wäre ein Fest, ein Weihnachtsfest, wie ich es uns allen wünschen möchte. Das wäre ein Fest, in dem auch in unseren guten Wünschen und Geschenken füreinander die Freude darüber zum Ausdruck käme, was Gott uns geschenkt hat und schenkt, jeden Tag neu, wo wir ihm seinem Wort und Geist vertrauen. Darum: Ihnen und Ihren Familien ein gesegnetes Christfest. Amen.

 


 

 

Literatur

 

1) Goethe, W., Goethes Werke, III. Band, Faust, Hrsg. Th. Friedrich, Leipzig, S. 43f

2) Kiergegaard, S., Der Augenblick, Düsseldorf, 1959, S. 175 ff

 

Drewermann, E., Das Johannesevangelium, Band I, Düsseldorf, 2003

Drewermann, E., Der offene Himmel, Düsseldorf, 1990

 

 

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