Herr, wir danken dir für dein Wort. Wir leben ja viel zu gleichgültig, wenn es um den Anspruch, den Ernst, die Tiefe geht, die der Glaube uns schenkt. Wir reden viel zu oberflächlich, unernst, beiläufig von dir und machen dich so zu einer beliebigen Nebensache. Lass uns erkennen, dass du unser Gott bist und was das für ein menschliches Leben zu bedeuten hat. Uns selbst müssen die Worte fehlen, um dich angemessen verehren und loben zu können. So lehre uns, durch dein Wort wenigstens nachdenklicher zu werden, den Glauben an dich wieder stärker in das eigene Leben hineinzudenken, dir mit Herz und Verstand ehrfurchtsvoller zu begegnen und so auch glaubwürdiger zu leben, wo es um unser Christsein geht. Amen.
Die Zehn Gebote GottesDann gab Gott dem Volk seine Gebote. Er sagte: »Ich bin der HERR, dein Gott! Ich habe dich aus Ägypten herausgeführt, ich habe dich aus der Sklaverei befreit. Du sollst keine anderen Götter neben mir haben. Du sollst dir kein Gottesbild anfertigen. Mach dir überhaupt kein Abbild von irgend etwas im Himmel, auf der Erde oder im Meer. Wirf dich nicht vor fremden Göttern nieder und diene ihnen nicht. Denn ich, der HERR, dein Gott, bin ein leidenschaftlich liebender Gott und erwarte auch von dir ungeteilte Liebe. Wenn sich jemand von mir abwendet, dann bestrafe ich dafür auch seine Kinder, sogar noch seine Enkel und Urenkel. Wenn mich aber jemand liebt und meine Gebote befolgt, dann werde ich auch noch seinen Nachkommen Liebe und Treue erweisen, und das bis in die tausendste Generation. Du sollst den Namen des HERRN, deines Gottes, nicht missbrauchen; denn der HERR wird jeden bestrafen, der das tut. Halte den Ruhetag in Ehren, den siebten Tag der Woche! Er ist ein heiliger Tag, der dem HERRN gehört. Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Tätigkeiten verrichten; aber der siebte Tag ist der Ruhetag des HERRN, deines Gottes. An diesem Tag sollst du nicht arbeiten, auch nicht dein Sohn oder deine Tochter, dein Sklave oder deine Sklavin, dein Vieh oder der Fremde, der bei dir lebt. Denn in sechs Tagen hat der HERR Himmel, Erde und Meer mit allem, was lebt, geschaffen. Am siebten Tag aber ruhte er. Deshalb hat er den siebten Tag der Woche gesegnet und zu einem heiligen Tag erklärt, der ihm gehört. Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren. Dann wirst du lange in dem Land leben, das dir der HERR, dein Gott, gibt. Du sollst nicht morden. Du sollst nicht die Ehe brechen. Du sollst nicht stehlen. Du sollst nichts Unwahres über deinen Mitmenschen sagen. Du sollst nicht versuchen, etwas an dich zu bringen, das deinem Mitmenschen gehört, weder seine Frau noch seinen Sklaven oder seine Sklavin, sein Rind oder seinen Esel noch irgend etwas anderes, das ihm gehört.«
Wir kennen das: kein Spiel ohne Spielregeln, - kein Verein ohne Satzung, - keine Gesellschaft ohne fixierte Absprachen des Zusammenlebens, - kein Zusammenleben in einer Familie ohne bestimmte Ordnungen. Die Straßenverkehrsordnung regelt den Straßenverkehr, "DIN-Normen sind Regeln der Technik. Sie dienen der Rationalisierung, der Qualitätssicherung, der Sicherheit, dem Umweltschutz und der Verständigung in Wirtschaft, Technik, Wissenschaft, Verwaltung und Öffentlichkeit." [1] Gesetze regeln unterschiedlichste Lebensbereiche des öffentlichen oder privaten Lebens im Beruf, dem Sport, der modernen Freizeitgestaltung. Sprichwörtlich ist ja die deutsche Regelungswut, mit der alles erfasst wird, was für viele von uns fast undenkbar ist.
Wo Menschen zusammenleben, muss es Regeln geben, die das gemeinsame Leben ordnen, soll ein unwürdiges Chaos vermieden werden, Recht und Unrecht unterscheidbar sein, verbindende und verbindliche Werte Geltung haben. Je zivilisierter eine Gesellschaft, desto mehr Gesetze, Ordnungen und Verordnungen, Regeln und Satzungen wird es geben. Sie hängen mit den Werten zusammen, die das Miteinander regeln. Solche "Werte sind Leitlinien zur Orientierung des Menschen, die Handlungsziele vorgeben und für die Sinnbildung bedeutsam sind ..." [2] Und damit sind wir mitten im Verständnis unseres Textes, den 10 Geboten.
Unvorstellbar für uns, wie sich Gott seinem Volk mit Donner, Blitz und Posaunenklang aus einer dicken Wolkendecke heraus zu Gehör bringt, ein unfassliches Schauspiel, das einem Menschen nur noch die Sprache verschlagen kann. Mitten auf seinen Wanderungen zu dem ihm verheißenen Land wird Israel hier mit dem Gottesrecht konfrontiert, mit kultischen und ethischen Weisungen. Doch Israel hört seinen Gott anders, als wir es heute tun. Nicht als störendes Gesetz, als drohenden Zeigefinger versteht Israel die Worte, die ihnen von Mose vermittelt werden, sondern als 10 große Freiheiten. "Luther hat bekanntlich gesagt: `Niemand erfasst die zehn Gebote recht, der nur das Verbotene aus ihnen heraushört: jenes: du sollst das und das nicht tun". [3]
Was auch bei uns auf Widerwillen, oft auf Ablehnung stößt: "Du sollst dies nicht, Du sollst jenes nicht.." hört Israel ganz anders. Dabei wissen wir heute nicht mehr, was damals tatsächlich geschah und wo sich Gott seinem Volk offenbarte. Sicherlich jedoch nicht auf dem Sinai, wo Touristen oberhalb des Katharinenklosters sich gern an Mose und die 10 Gebote erinnern lassen. Auf einem langen Weg und im engen Kontakt mit anderen Völkern und Völkerstämmen, Kulturen und Traditionen, Regeln, Werten und Rechtsnormen erwächst Israel nach und nach ein neues, eigenes Recht, das nun als verbindliches Wort Gottes gehört und begriffen wird. Gott hat gesprochen!
Regeln die ersten drei Gebote das Verhältnis des Menschen zu seinem Gott, so alle weiteren das Zusammenleben der Menschen selbst. Doch wer die ersten Gebote recht hört: "Ich bin der Herr, dein Gott. Du wirst keineanderenGötter neben mir haben, - du wirst dir kein Bild von Gott machen oder seinen Namen missbrauchen, du wirst den Feiertag, den Tag der Ruhe einhalten ..." , für den werden alle weiteren Gebote selbstverständlich sein.
Die Gebote sagen uns, dass wir Gott ehren, die Eltern lieben und den Feiertag als Ruhetag einhalten sollen, alle anderen Gebote sind so formuliert, dass sie deutlich machen, was wir zu unterlassen haben, wenn wir Gott ehren und keinen anderen Göttern folgen wollen. Der Mensch wird eben nicht, ja er kann gar nicht morden, ehebrechen, stehlen, falsche Aussagen machen, den Nächsten um sein Haus betrügen oder ihm seine Angehörigen entfremden. Aber, warum eigentlich nicht? Die Antwort liegt auf der Hand: Dort, wo ein Mensch Gott liebt, wird er all das aus freien Stücken nicht tun, was die Ehre Gottes und die Würde des Mitmenschen verletzt. Die Gebote Gottes, wie wir sie hören, heute oft aber eben nicht mehr genug hören, werden als Grund menschlicher Freiheit betrachtet.
Ich selbst bin so frei, dass ich entscheiden kann, wie ich mich dazu verhalten will, dass dieser Gott mein (!) Gott ist. Doch, was bedeutet uns Gott noch, seine Ehre, seine Heiligkeit, dieser unendlich qualitative Unterschied zwischen ihm und uns? Verstoßen wir denn nicht tagtäglich gegen die Gottheit Gottes, weil wir unseren Göttern folgen: Geld, Besitz, Erfolg, Macht, vielleicht Jugendlichkeit und Schönheit? Was ist Gott dagegen in unserer Zeit?
Weil es uns aufgeklärten Menschen heute so unendlich schwer fällt, Gott wirklich die Ehre zukommen zu lassen, die nur und allein Gott zukommt, daher verstoßen wir so bewusst, oft aber auch unbewusst gegen die Würde des Mitmenschen. Werte und Orientierungen stehen uns in Frage, es gibt nichts, aber auch gar nichts mehr, was wirklich und letztendlich verbindlich gilt. Das gilt in gleicher Weise auch für den Glauben, was nicht heißt, dass der moderne Mensch religionsloser geworden wäre, denn das ist er gerade nicht. Wir müssen aber unterscheiden lernen, was die Religion des Menschen, sein über-sich-selbst-hinaus-Fragen ist, und was Gott von sich aus dem Menschen zu sagen und der Mensch nun als "Wort Gottes" für sich zu hören hat.
Natürlich fragen wir auf dem Boden der uns vermittelten Werte und Orientierungen: "Was ist richtig, was darf man, was darf man nicht tun? Wofür soll man sich Mühe geben? Wozu soll man Kinder erziehen? Was ist der Sinn des Lebens? Und gibt es etwas, wofür es sich lohnt, sein Leben einzusetzen?" [4] Wir überschreiten sogar gelegentlich die Grenzen unseres Denkvermögens, wenn wir danach fragen, woher das Leben kommt und was dann nach dem Tod auf uns zukommen wird? Auf all diese Fragen werden wir in einem langen Leben Antworten suchen, und erst nach und nach wird sich zeigen, welche Antworten wir finden konnten, vielleicht künftig einmal finden werden.
All dies gehört zu unserem Leben, zu einem
letztendlich wirklich bedachten Leben, doch
wann, wo und wie hören wir auf Gott? Wie
viel Zeit haben wir für Gott in unserem
Leben übrig, und welche Bedeutung schenken
wir ihm? Ist es denn nicht wirklich so,
dass wir Gott dann ansprechen, wenn wir
ihn brauchen, vielleicht, wenn wir ihm einmal
danken möchten? Wo bekommt Gott aber in
unserem Leben die Ehre, die nur ihm allein
und ausschließlich zusteht? Die sieben Bitten
des Vaterunser enden ja sehr bewusst mit
einer Doxologie, einem Lobpreis Gottes.
Gott ist schließlich nicht der Supermarkt
unserer menschlichen Sehnsüchte und Wünsche.
Das ist der Anspruch, der sich hinter dem
1. Gebot verbirgt: "Ich bin der Herr dein,
Gott, du wirst keine anderen Götter haben
neben mir ..." Weil wir aber gegen dieses
Gebot verstoßen, verletzen wir auch manche
der anderen Gebote.
Wir hängen viel zu sehr an unseren selbstgemachten
und erdachten Göttern und Götzen einer scheinbar
zivilisierten Welt, als wäre der biblische
Gott wirklich und ausschließlich der Maßstab
für unser Leben, für unseren Glauben, für
unser Tun und Lassen am Sonntag und im Alltag.
Als wir am Tag der Deutschen Einheit mit unseren Konfirmanden und einigen Gemeindegliedern die Moschee in Freiburg besuchten, worüber ja in der Presse und sogar im Fernsehen berichtet wurde, fiel uns allen auf, mit welch einer Ehrfurcht - bis in die Körpersprache hinein - die Muslime Gott zu begegnen versuchen. Hier könnten wir lernen, was Ehrfurcht vor Gott überhaupt bedeutet. In den täglichen fünfmaligen Gebeten eines frommen Moslems wird Gott einfach nur, um seiner Selbst willen, zweckfrei angebetet, Bitte und Dank haben einen anderen Ort, eine andere Zeit. Ist es nicht wirklich eben das, was wir verloren haben und neu entdecken dürfen?
Die 10 Gebote sind die 10 großen Freiheiten des Menschen. So entscheiden wir in und mit unserem Leben darüber, welchen Wert sie für uns haben. Daher können wir Gebote übertreten, sie für uns nicht gelten und wirksam sein lassen. Jeden Tag werden wir bewusst oder unbewusst entscheiden, welcher Platz Gott in unserem Leben zukommt und was das dann in unseren Lebensvollzügen für Konsequenzen hat?
Liebe Gemeinde! Gott hier und da für einige mehr oder weniger fromme Anlässe im Leben hervorzuholen, wenn es uns gerade recht ist oder wir ihn brauchen, ist erlebbare Gottlosigkeit, weil wir längst innerlich bei unseren eigenen Göttern angekommen sind, die unser Leben beeinflussen. Das 1. Gebot lässt uns hören, dass Gott unser Gott ist, und daher sind wir jeden Tag neu aufgerufen, uns daran zu erinnern, damit wir eben nicht bei den Göttern landen, die von uns gemacht werden: von der Werbung, den Medien, der Wirtschaft, Parteien, Interessenverbänden, ja, sogar den Kirchen, wenn und wo sie es wagen sollten, über Gott verfügen zu wollen. Genau das geschieht oft genug, wenn wir z.B. auf dem Friedhof zu hören bekommen: Unser Bruder, unsere Schwester, ist nun bei Gott. Woher eigentlich will ein Pfarrer das wissen? Damit verfügt er schlicht und einfach über den Willen Gottes. Was wir wagen dürfen, ist gerade auf dem Friedhof unser Vertrauen zum Ausdruck zu bringen, dass die Liebe Gottes weiter reicht, als unser Verstand.
Auf diese Weise wird selbst auf Kanzeln oft viel zu unbedacht und unreflektiert von Gott geredet. Wer von Gott spricht, muss wissen, dass er es als Mensch tut und dass das eigentlich unmöglich ist. Uns fehlen die Worte, angemessen von Gott zu reden, weil wir Menschen und gerade nicht Gott sind. Wenn wir von dem Gott reden, den wir im Glaubensbekenntnis als den "Schöpfer des Himmels und der Erde" bekennen, dann geht das nur in tiefster Bescheidenheit, Demut und Ehrfurcht. Wo das ganz und gar menschlich versucht wird, dürfen wir Gott dankbar und fröhlich feiern und loben, da darf die Kirche voll von Jubel sein und selbst ein grauer Alltag wird vielleicht ein wenig Farbe bekommen.
So schenke uns Gott den Mut, sein Wort wirklich als ein Wort zu hören, dass uns in die Freiheit der persönlichen Entscheidung stellt: der biblische Gott oder die Götter der Welt, christlicher Glaube oder eine Religion des Menschen? Fangen wir noch einmal ganz neu und unbefangen in unserem Leben mit Gott an, denn auch wir dürfen täglich neu hören: Ich bin der HERR, dein Gott! Geben wir ihm durch unsere Treue eine Antwort auf die Frage nach unserem Glauben. Amen.
außerdem:
Bahr, P., Calwer Predigthilfen, 2000/2001,
Reihe V/2, Stuttgart 2001, S.177
Drewermann, E., Den eigenen Weg gehen,
Predigten zu den Büchern Exodus bis Richter, München 1998