Weihnachten 2005, Lukas 2,15-20

 

 

 

 

Begrüßung:

 

Liebe Gemeinde! „Eine friedliche Zeit wünscht man sich heute. Oder auch einfach: Ein paar ruhige Tage! Fahren Sie zu den Großeltern? Oder in die Alpen? Ein `gesegnetes Weihnachtsfest´ kommt nur noch wenigen über die Lippen. Man weiß ja nicht - der eine Kollege am Arbeitsplatz ist doch sicher nicht mehr in der Kirche? Und der andere hat doch einen Migrationshintergrund. Fastet er nicht zum Ramadan? In Deutschland feiern 94 Prozent der Menschen Weihnachten, mehr also, als das Land Christen hat. Auch viele Muslime machen mit.“

 

Wir feiern dieses Fest nach ungeschriebenen Gesetzen, den Weihnachtsregeln, die bis ins kleinste Detail festgeschrieben sind (F.A.Z. Frankfurt, 23. Dezember 2004). Wie aber schaffen wir es, Form und Inhalt wieder zueinander zu bringen, um gerade diesem Fest seinen ursprünglichen Sinn zurückzugeben? Nicht irgendwas ist heute zu bedenken oder zu feiern, sondern das Weihnachtsfest, Gott sei Dank!

 

Das Volk, das im Dunkeln lebt, sieht ein großes Licht; und für alle, die im Land der Finsternis wohnen, leuchtet ein Licht auf (Jes. 9,1).

 

 

 

Gebet:

 

Herr, guter Gott! Wir feiern heute Weihnachten, doch ist uns eigentlich noch bewusst, was wir da feiern? Dieses Fest soll anders sein, als andere Feste, die wir feiern, es soll uns herausholen aus unserem Alltag und doch in einer ganz anderen Weise wieder dorthin zurück bringen. Lass uns nicht bei Äußerlichkeiten stehen bleiben, die ablenken, sondern mit der Erinnerung an die Geburt Jesu in unserem Glauben bestärkt werden. Lass lebendig werden, was auf unserem Lebensweg in uns verschüttet wurde.

 

Schenke, dass alle Zeichen und Symbole dieses Festes, alle menschliche Nähe und Liebe zum Kern des Glaubens zurück führen zum Kind im Stall und in der Krippe und zum Mann am Kreuz auf Golgatha, damit es nicht um ein paar gefühlige Erinnerungen geht, sondern um einen Glauben, der den Herausforderungen unseres Lebens standhalten kann. Amen.

 

 

.... Und als die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten untereinander: Lasst uns nun gehen nach Bethlehem und die Geschichte sehen die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat. Und sie kamen eilend und fanden beide, Maria und Josef, dazu das Kind in der Krippe liegen. Als sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, das zu ihnen von diesem Kinde gesagt war. Und alle, vor die es kam, wunderten sich über das, was ihnen die Hirten gesagt hatten. Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen. Und die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt war.

 

 

 

 

Liebe Gemeinde!

 

Wir kennen die Geschichte! Sie beginnt in Rom, beim `Heiland´ der Römer, dem politischen Gottkaiser Augustus... und endet im kleinen Bethlehem, aus dem seit Micha der wahre, messianische Friedensfürst kommen soll. Beide, Augustus und Christus werden als Gegenspieler markiert... [1] Zwei Welten stoßen innerhalb weniger Zeilen in der Weihnachtsgeschichte, wie sie uns von Lukas erzählt wird, aufeinander. Dass so etwas in der Welt nicht gut ausgehen kann ist schon am Anfang absehbar.

 

Der Gott Israels kommt nicht in der Metropole Jerusalem zur Welt, in einem der Paläste des Königs, sondern in einem Stall. Da sind keine Hebammen, hilfreiche Frauen, Weise, Sterndeuter und Hofbeamte, mit einem nervösen Herrscher-Vater, der auf einen Thronfolger wartet. Es ist eine Hausgeburt in der Provinz, dazu noch in einem Stall, also eine eher schwierigere Geburt unter misslichen Umständen, denn welche Frau bringt schon gern ein Kind in einem Stall zur Welt? Da kämpft eine junge Frau, ziemlich allein gelassen mit der Geburt ihres Kindes, denn was wird der junge Joseph schon von einer Geburt verstanden haben? Die Geburt eines Kindes war ja ohnehin immer eine lebensgefährliche Situation, die Geburt Jesu brachte Maria in akute Todesgefahr.

 

Mütterlichkeit war kein Lebensentwurf, zu dem ich mich entscheide, sondern es bedeutete ganz schlicht und einfach eine Selbstverständlichkeit Mutter zu werden, wenn die biologische Zeit und der Mann dazu da waren. Damals wie heute ist „Mütterlichkeit“ so etwas, wie eine „Leidenschaft zum Leben.“ [2] Kein Kind wird leidlos geboren und keine Mutter erfährt das Leben ihres Kindes ohne die Erfahrungen von Schmerzen. Die biblische Weihnachtsgeschichte erzählt uns etwas von der Mütterlichkeit Gottes, von Gottes Leidenschaft zum Leben, das in diesem Kind, Jesus, sichtbar, spürbar und greifbar wird. Gottes Leidenschaft zum Leben schließt sein Mit-Leiden ein, eine Erfahrung, die alle Eltern teilen. Nirgendwo wird die Mütterlichkeit Gottes, angesichts des fast nur väterlich gedachten Gottes so nachdrücklich deutlich, wie gerade in der Weihnachtsgeschichte.

 

Die Hirten auf dem Felde sind die ersten, die von dieser merkwürdigen Geburt in ihrer Nachbarschaft erfahren. Menschen, die ihrer harten Arbeit nachgehen, Menschen, die lohnabhängig arbeiten und auf der sozialen Stufe, sofern sie nicht selbständige Schafzüchter und Herdenbesitzer waren, ganz weit unten standen. Die Stallgeburt und ein solches Umfeld sind sehr bedeutsam, um verstehen zu lernen, was Gott dem Menschen schenken will. Da erscheint kein himmlischer Triumphator, wie die Gottkaiser Ägyptens oder Roms, sondern da wird in alle Unscheinbarkeit hinein ein Kind geboren, in dem in einer unnachahmlichen Weise die Liebe Gottes zum Leben, zur Welt sichtbar wird. Gott lässt sich in eben diese bedrängte Welt in bedrängender Weise zur Welt bringen.

 

Reicht uns die Phantasie aus, um uns die Szene vorzustellen? Die Hirten müssen ja aus allen Wolken gefallen sein, als sich ihnen der Himmel offenbarte und sie spürten, dass sie es mitten in ihrem Leben, in ihrer Arbeit mit dem Himmel zu tun bekommen hatten.

Wie auch immer sie es erlebt haben, diese Erfahrung hatte Konsequenzen für sie, niemand von ihnen konnte unbewegt bleiben. Sofort machten sie sich auf den Weg, um nach Bethlehem zu gehen und sich anzuschauen, was dort passiert ist, denn sie stürmten los, um dieses Kind zu sehen. Auf alle Fälle brachten sie die Geburt dieses Kindes mit dem Himmel in einen Zusammenhang.  Sie finden schließlich ein junges Paar in einem unscheinbaren Stall, eine Frau, die gerade ein Kind zur Welt gebracht hat und das Kind in einer Krippe.

 

Sie erzählen von der wundersamen Begegnung, einem offenen Himmel und von all dem, was ihnen gesagt worden war. All das ist jenseits dessen, was wir rational verstehen können. Aber die Hirten müssen etwas erlebt haben, was sie von ihrer Herde wegtrieb und dann von diesem Kind nicht mehr den Mund halten ließ. Sie redeten so von ihren Erlebnissen, dass Maria und alle, die es hörten nur noch staunen konnten, denn Hirten sind ja Zeitgenossen, die nicht gerade zu übertriebener Sensibilität neigen.

 

Es ist unglaublich viel Bewegung in diesem zweiten Teil der Weihnachtsgeschichte: Da kommt der Glaube ins Gespräch; man macht sich auf den Weg, ja der Glaube bewegt Menschen sogar dazu, ihre Arbeit niederzulegen und los zu laufen. Man redet laut und überall über das Erlebte, ohne die Sorge, ausgelacht und verspottet zu werden. Erst dann kehren sie heim und loben Gott über all dem, was sie gehört, gesehen und erlebt hatten. Lukas erzählt uns die Weihnachtsgeschichte in seinem Evangelium so, wie er sie von anderen überliefert bekommen hat, und man hat den Eindruck, dass ihm das Herz übervoll ist, wenn er an die Anfänge des Lebens Jesu denkt, wenngleich eben auch in einem sehr politischen Zusammenhang. Wie aber lässt sich dieses Fest mit einer derartigen Spannweite heute angemessen feiern?

 

Bischöfin Kässmann schreibt: Deutschland im Dezember – nirgends können wir der Tatsache entkommen, dass Weihnachten ein zentrales Markenphänomen ist. Und gleichzeitig kennen nur noch 53 % der Deutschen die Weihnachtsgeschichte, zudem glaubt angeblich jeder Vierte von diesen, sie stamme von den Brüdern Grimm! Wie können wir bloß Form und Inhalt wieder zueinander bringen? ... Wir sollten unter allen Kitschbergen Advent und Weihnachten neu entdecken... [3] Und auch Papst Benedikt XVI. warnt vor einer „Verschmutzung des Weihnachtsfestes durch zu viel Konsum und Kommerz. Der Geist des Konsums dränge echte weihnachtliche Besinnung und Einkehr immer mehr in den Hintergrund...“ [4] In der gleichen Ausgabe der Badischen Zeitung konnten wir lesen, „dass das Weihnachtsgeschäft gut laufe.“

 

Beide haben mit ihren kritischen Anfragen an unsere Art das Weihnachtsfest zu feiern sicher recht, aber die Kritik ist nicht neu und begleitet uns seit Jahrzehnten. Das Weihnachtsfest ist ja ein recht junges Fest, ein Fest der „bürgerlichen Moderne“, aber es ist das Fest, mit dem selbst junge Menschen noch etwas verbinden. „Es ist das christliche Hauptfest des Jahreskreises der westlichen Welt geworden. Und es ist zugleich auch ein Fest, das in einer Zeit, die sich witterungsbedingt für Einkehr und Innenschau eignet, die moderne Privatwelt feiert: die Familie, die Individualität und das Leben mit den Segnungen der modernen Kultur. Die theologische Konsequenz hieraus steht jedoch noch aus. Wie geht hier beides zusammen, Christentum und bürgerliche Moderne? Wie wird hier in spezifisch moderner Weise christliche Existenz verstanden?“ [5] Das ist wirklich die entscheidende Frage für die Feier des Weihnachtsfestes, wenn wir mitbedenken, dass ja nun sogar schon in Deutschland lebende Moslems dieses Fest feiern.

Eine Besinnung auf dieses Fest der „Mütterlichkeit Gottes“, die sich mit einer „Leidenschaft zum Leben“ verbindet, wird uns nur gelingen, wo wir beidem gerecht werden, dem zentralen Anspruch es den Hirten gleich zu tun und von dem zu reden und das unter das Volk zu bringen, was wir mit den Inhalten dieses Festes für unser Leben und für unseren ganz persönlichen Glauben verbinden. Wir selbst müssen von der Botschaft bewegt sein, dass Gott zur Welt gekommen ist und dass es erst dadurch möglich wurde, dass sich Himmel und Erde in unserer Existenz begegnen. Auch wir dürfen uns nun bewegen lassen, um diesem unglaublichen Ereignis nachzuspüren, dass Gott für uns zur Welt gekommen ist und bedenken, was das für unser Leben bedeutet.

 

Dann darf das Andere hinzukommen: Dem Geschenk Gottes für mein Leben, dürfen dann Geschenke meiner Liebe, meiner Freundschaft zu anderen Menschen folgen. Sie sollen Ausdruck einer ganz anderen Freude sein. Nur sollte diese Reihenfolge stimmen, sonst wird das Weihnachtsfest weiterhin seinem Sinn entleert. Wir werden andere nicht ändern können, weder die vorweihnachtliche marktschreierische Werbung, noch den Einzelhandel, oder die Konsumtempel der Moderne, noch das Konsumverhalten von Mitmenschen, denen der Inhalt eines Festes gleichgültig geworden ist, wenn es nur ein Fest zu feiern gibt.

 

Aber: Wir feiern Weihnachten! So wollen wir uns darüber freuen, dass wir Jahr um Jahr mit diesem Fest an die Menschwerdung Gottes erinnert werden, nicht weltfern, abstrakt – damals – sondern, dass Gott heute und an jedem neuen Tag der uns geschenkt ist, in unserem Glauben zur Welt kommen will. Auch damals stießen Welten aufeinander und die Machthaber saßen nicht an der Krippe in Bethlehem und dennoch bleiben wir gerade an dieses Kind erinnert, das ganz und gar unscheinbar zur Welt kam und über dem sich dennoch der Himmel öffnete, so dass rauflustige Hirten losliefen, um die Geschichte zu sehen, die da geschehen war.

 

Wenn wir Weihnachten recht verstanden haben, dann lassen Sie auch uns loslaufen und mitten in unserem Alltag von all dem erzählen, was Gott für uns getan hat. Das wird sicher helfen, dem Fest seinen Inhalt zurück zu geben. „Und die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt war.“ Ein gesegnetes Fest Ihnen und Ihren Familien. Amen.


 

 

Literatur:

 

1) Morgenroth, M., Weihnachts-Christentum, Moderner Religiosität auf der Spur,

                             Gütersloh, 20023, S. 61

2) Moltmann-Wendel, E., Gott als Hebamme, in: zeitzeichen,

                             Evang. Kommentare zu Religion und Gesellschaft, S. 26

3) Kässmann, M., Naturschutz für Weihnachten, chrismon, 12/2005, S. 12

4) Badische Zeitung, Papst warnt vor „Verschmutzung durch Kommerz“,

                                 Montag, 12. Dezember 2005

5) Morgenroth, M., a.a.O., S. 31

 

 

 

FAZ, 24.12.2004, Nr. 301, S.1, Sagen Sie ruhig “Fröhliche Weihnachten”!

 

 

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