Weihnachten, 25.12.06, Lukas 2, 1-14 (Lesung) + 15-20
Begrüßung:
Liebe Gemeinde! Jedes Fest hat seine Ursprungsgeschichte, so natürlich auch das Weihnachtsfest. Was für ein Einfall: Hirten durch Boten Gottes aus ihrer Ruhe wecken zu lassen und auf den Weg durch eine stoppelige Bergwüste zu einer Krippe in einem Stall zu schicken; - was für ein Einfall, dass unser Gott ein Mensch wird. Die Ursprungsgeschichte des Weihnachtsfestes ist, dass Gott Mensch wird, damit wir menschlicher werden; - dass Himmel und Erde sich noch einmal ganz neu miteinander verbinden; - dass sich Spuren des Paradieses schon in der Welt finden lassen – hier unten bei uns. Was für ein Einfall! Davon erzählt die Weihnachte.
Er, das Wort, wurde ein Mensch, ein wirklicher Mensch von Fleisch und Blut. Er lebte unter uns, und wir sahen seine Macht und Hoheit, die göttliche Hoheit, die ihm der Vater gegeben hat, ihm, seinem einzigen Sohn. Gottes ganze Güte und Treue ist uns in ihm begegnet. (Joh 1,14).
Gebet:
Herr, guter Gott! Der Heilige Abend ist vorbei. Die Geschenke sind getauscht und ausgepackt, doch was bleibt nun? Was bewegt uns noch am Tag danach, am Weihnachtsfest? Lass uns selbst so in Bewegung kommen, wie die Boten Gottes, Hirten und Weise, Eltern und Freunde durch dieses Kind – damals - in Bewegung kamen. Lass uns spüren, was es für uns bedeutet, dass uns zugesagt ist, dass unser Gott ein Mensch wird, uns ein Stück des Himmels zur Welt bringt, die oft so dunkel und verletzend ist und wo der Friede so fern scheint. Darum kommen wir zu dir und bitten dich um deinen guten Geist über das Weihnachtsfest hinaus. Amen.
Liebe Gemeinde!
„Von einem Generaldirektor einer großen Firma las ich kürzlich, dass er sich im Warteraum der Entbindungsstation eines Krankenhauses befand. Während andere erwartungsvolle Väter nervös in Zeitschriften blätterten oder im Gang auf- und abliefen, saß er an einem Tisch bis an die Ohren in einem Berg Schriftstücke vertieft, die er seiner dicken Aktentasche entnommen hatte. Nach ein paar Stunden kam eine Schwester zu ihm: „Es ist ein Junge, Herr Direktor!“ „Fragen Sie ihn, was er will“, sagte er, ohne von seiner Arbeit aufzublicken...“ [1]
will“, sagte er, ohne von seiner Arbeit aufzublicken...“ [1]
Die Geschichte ist fast zu schön, um wahr zu sein, aber in ihr finden wir uns alle wieder – gerade heute an Weihnachten. Wochenlang bereiten wir uns auf das Fest vor, da werden die Straßen und Geschäfte geschmückt, Gewinnerwartungen veröffentlicht, Geschenke gekauft, gebastelt, verschenkt und erhalten. Unsere Wohnzimmer sehen anders aus als sonst im Jahr und eine Weihnachtsfeier folgt der nächsten – und dann? Dann ist Weihnachten und danach ist alles vorbei: „Fragen Sie ihn, was er will“, sagte er, ohne von seiner Arbeit aufzublicken.“
Ein Kind ein Störfall? Auch wir kommen nach all den Vorbereitungen auf das Fest sehr schnell wieder in unserem Alltag an: Die Geschenke werden verstaut und mehr oder weniger in das Leben integriert, der Tannenbaum abgeräumt, die Engel in dunkle Kisten verpackt, wie die übrige weihnachtliche Dekoration. Was fragen wir da noch nach Weihnachten, nach einer Botschaft, die sich mit einem Kind verbindet? Es will doch - um Himmels Willen - nicht etwa etwas von mir, jetzt, wo ich doch mitten in der Arbeit stecke – oder - endlich einmal meine Ruhe haben will?
Als die Engel im Himmel verschwunden waren, sagten die Hirten und Hirtinnen zueinander: „Kommt, gehen wir bis Bethlehem und sehen uns an, was da geschehen ist und was der Lebendige uns hat wissen lassen.“ Sie eilten davon und fanden Maria und Josef und das Neugeborene, das in einer Futterkrippe lag. Und als sie es sahen, teilten sie alles mit, was ihnen über dieses Kind gesagt worden war. Und alle, die es hörten, wunderten sich darüber, was die Hirten und Hirtinnen zu ihnen sagten. Maria aber bewahrte alle Worte und erwog sie in ihrem Herzen. Die Hirtinnen und Hirten kehrten zurück, sie rühmten und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten, genau wie es zu ihnen gesagt worden war.
(Bibel in gerechter Sprache)
Das waren eben noch Zeiten, als man alles stehen und liegen lassen konnte, um sich ein neugeborenes Kind anzusehen und seine Eltern zu beglückwünschen. Fremde berichten den erstaunten Eltern, was sie gerade erlebt und wie sich in ihrer Wahrnehmung der Himmel selbst über ihnen geöffnet hatte, so dass sie gar nicht anders konnten, als sich auf den Weg zu machen und von all dem zu berichten, was sie erlebten. Wie anders konnte die Reaktion ausfallen, als Verwunderung auszulösen, denn wo immer sich uns der Himmel öffnet, werden wir nur noch staunen können. Für Momente des Lebens sind wir aus dem Alltag herausgerissen, und wie frisch Verliebte möchte man sein unendliches Glück in die Welt hinaus rufen.
Da gibt es kein Geheimnis und nichts hält einen mehr. Das Glück des Besonderen, das Glück, das mich den Alltag und all das Alltägliche vergessen lässt, wird mitgeteilt. Nur so konnten die Menschen damals mit der Geburt dieses Kindes umgehen, die Eltern, Hirten und dann auch noch die Weisen. Sie fühlten sich dem Himmel nahe, der trotz aller ersichtlichen Armseligkeit auf die Erde gekommen zu sein schien.
Der Journalist Ralph Ludwig schreibt: „Vielleicht begreift man erst mit der Zeit, dass Weihnachten als Fest noch etwas anderes in uns anklingen lässt, was wir sonst leicht überhören. Zu keiner Zeit des Jahres wird uns so deutlich, wie groß unsere Ohnmacht ist. Die Botschaft der Liebe inmitten einer lieblosen Welt, die Botschaft des Friedens inmitten einer friedlosen Welt wirft uns auf uns selbst zurück. Sie zeigt uns unbarmherzig, dass unser Leben im Grunde das armselige Gesicht eines Stalles trägt, in dem nicht liebende Menschen, sondern Ochsen und Esel zuhause sind. Das der Erlösung bedarf, die erst kommt, auch wenn sie sich längst angekündigt hat...“ [2]
Insofern können wir Weihnachten gern als einen glücklichen Störfall ansehen. Wir erkennen gerade an diesem Fest, wie weit wir im Grunde von unseren eigenen Wüschen und Sehnsüchten entfernt sind. Aber wir unfertigen Menschen sind mit der Botschaft dieses Festes eingeladen, uns selbst gedanklich auf den Weg zu machen.
Niemand muss bleiben wie er war und was er war, wo er sich mit dem Himmel konfrontiert sieht. Weihnachten bewegt uns recht verstanden, wie die Hirten – damals – in die Welt hinein und sei es unsere naheste Umwelt. Die Hirten liefen ja auch nicht nach Jericho oder Damaskus, sie liefen nach Bethlehem, allenfalls noch in das nahe Jerusalem. Sie liefen in ihr Leben, in ihren Alltag zurück, um von all dem zu erzählen, was sie erlebt hatten. Daher ist Weihnachten ein Glücksfall, denn wir werden an unsere Möglichkeiten erinnert.
Dieser Tage verbot Kardinal Joachim Meisner „multireligiöse“ Feiern an den Schulen seiner Diözese. Hat dieser hohe Kirchenführer einmal darüber nachgedacht, wer da eigentlich zum Stall gelaufen kam: Jüdische Hirten, vermutlich eher der Natur verbunden, als dem jüdischen Kultus; Weise aus dem Morgenland, auf alle Fälle Heiden, alles andere als fromme Christenmenschen. Wer stand dann später unter dem Kreuz und legte ein erstes christliches Bekenntnis ab: Ein römischer Heide und wer feierte die täglichen Gottesdienste der jungen Kirche, wenn es denn nicht Juden und Jüdinnen gewesen wären und Heiden aus aller Welt? Erst durch die Begegnung mit dem Wort Jesu und die Menschenfreundlichkeit der Jünger und Freunde Jesu wurden sie zu Christen. Dieses Verbot verpasst die Weihnachtsbotschaft, denn wir müssen uns fragen, fragen lassen: Wie erfahren Muslime uns Christen hier in Deutschland, wie all jene, die anderes glauben als wir oder sich der Kirche auf ihrem Lebensweg entfremdet haben?
„Im katholischen Kindergarten St. Anna in Köln“, so konnten wir es jetzt unter der Überschrift „Der strenge Kardinal“ lesen, „sagte eine Kindergärtnerin gegenüber einer Zeitung: `Maria und Josef können bei uns auch Muslime sein´ - ebenso wie die Hirten. Ja, was denn sonst? Soll die Kindergärtnerin die muslimischen Kinder vor die Tür schicken? Dann käme das Krippenspiel aus Personalmangel wahrscheinlich gar nicht zustande...“ [3]
Statt einzuladen und offen zu sein für Andersartigkeit und Fremdheit, wird in den Kirchen immer noch zu oft abgegrenzt und ausgegrenzt. Ganz anders der Freiburger Weihbischof Paul Wehrle, der in der Weihnachtsbotschaft sagt: „Die Weihnachtsbotschaft – Gottes unverbrüchliches Ja zum Menschen in Jesus von Nazareth – ist einerseits Differenz zu anderen Religionen, andererseits aber zugleich die entscheidende Brücke zu einer authentischen Praxis in wechselseitigem Respekt und Verständnis. Dies ist um des Friedens willen aller Mühe und allen Einsatzes wert...“ [4]
Weihnachten, das ist die Begegnung Gottes mit seiner Welt, mit der Welt da ganz tief unten, jenseits allen Glanzes. Auch den musste Gott ja noch für sich und diese Geburt in Bethlehem selbst mitbringen. Und die Menschen? Nur darum empfinden wir dieses Fest doch verlockend für uns, weil es zumindest für ein paar Stunden Grenzen aufhebt oder überwindet. Es verweist uns alle auf ein ganz anderes Menschsein, ein Menschsein, dass sich an der Seite Gottes versteht.
Die Menschen der Weihnachtsgeschichte sind neugierig geworden: „Kommt, lasst uns nach Bethlehem gehen und sehen, was da geschehen ist...“ So laufen sie los, lassen ihre Arbeit liegen, nichts hält sie mehr und dann erzählen sie den jungen Eltern von all dem, was sie erlebt haben. Erst danach kehren sie zurück an ihre Arbeit, Menschen zurück lassend, die nur noch staunen können.
Ja, dieses Kind will etwas von uns, wie das ganze Weihnachtsfest etwas von uns will, nämlich dass wir uns auf den Weg machen, uns unserer menschlichen Möglichkeiten immer wieder neu bewusst zu werden. Wir sind noch nicht am Ende, auch wir sind unterwegs – nur so unfertig, brüchig, einsichtig kann Weihnachten auch bei uns gelingen. Und eben dafür kam Gott zur Welt. Da kann man doch nur staunen! Und wenn wir nach zweitausend Jahren Christenheit schon nicht loslaufen, um davon zu berichten, so können wir doch für uns selbst den Weg unseres Glaubens bedenken. Das wäre dann kein Rückzug mehr in eine religiöse Gefühlswelt, keine Flucht hinter schützende Kirchenmauern, sondern wo das geschieht, wird vielleicht auch in unserer Mitte Gott ganz neu und anders gehört werden. Das wäre das Weihnachtsfest, das ich uns allen wünschen möchte. Ja, Weihnachten kann auch heute noch gelingen, aber es liegt an uns, was wir aus der Botschaft hören und wie wir sie mit Leben füllen, denn danach bleiben wir gefragt. Amen.
Literatur:
1) Dannowski, H.-W., Die Zeit und das Ende, in: Zeitschrift für Gottesdienst und
Predigt, Gütersloh, 8. Jhrg., Heft 6/1990, S. 14
2) Ludwig, R., Nah dran, Engelshaar und stille Rührung,
in: standpunkte 12/2006, S. 7
3) Arnegger, N., Der strenge Kardinal, Badische Zeitung,
Samstag, 9. Dezember 2006, S. 4
4) Wehrle, P., Geschenk für die Gesellschaft, Badische Zeitung, 23.12.2006, S. 4
Wir weisen darauf hin, dass Sie alle unsere Predigten im Internet nachlesen können. Sie finden sie unter:
http://www.evang-kirche-kenzingen.de oder:
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