Sexagesimae, Gottesdienst für Neubürger unserer Gemeinde, Apg 8,26-39
Begrüßung:
Liebe Gemeinde! Mit diesem Sonntag möchten wir alle 106 erwachsenen Gemeindeglieder und 29 Kinder noch einmal sehr herzlich in unserer Mitte begrüßen und willkommen heißen, die im vergangenen Jahr 2004 nach Kenzingen gezogen sind. Wir wünschen es Ihnen, dass Sie nicht nur in unserer Stadt, sondern auch in unserer Kirchengemeinde ankommen können. Wir freuen uns auf Sie, hier im Gottesdienst, wie in den Kreisen und Gruppen unserer Gemeinde.
Heute wird es wohl kaum einen Gottesdienst in Deutschland geben können, an dem nicht der Befreiung aller Gefangenen aus dem Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau am 27.01.1945 gedacht wird. Dorthin wurden durch den unsäglichen Nationalsozialismus Juden, Christen, Kommunisten, Sozialisten, Sinti und Roma verschleppt, erniedrigt, geschändet und ermordet. Wir gedenken aller, die das durch die Kälte unmenschlicher Herzen erleiden mussten.
So spricht der Herr, der dich erschaffen hat: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein (Jes. 43,1).
Gebet:
Herr, guter Gott! Wir Menschen müssen uns in unserem Leben vielfach bewegen, niemand von uns kommt fertig auf die Welt, niemand kann bleiben, wo er einmal war. Wir bitten dich um deinen guten Geist, dass wir mit Gefühl und Verstand ebenso ankommen, wie an den Orten, wo wir leben, arbeiten, unsere Freizeit verbringen. Wege kreuzen unser Leben, wir kreuzen das Leben anderer, schenke uns einen solchen Geist, dass wir unsere Wege fröhlich ziehen können.
Herr, vor dir denken wir an alle Menschen, die durch den unguten Geist anderer in den Konzentrationslagern, den Kriegen, unter Gewaltherrschaft und Terror zu leiden hatten und nach wie vor zu leiden haben. Schenke uns Menschen endlich einen Geist des Friedens und der Versöhnung, damit wir lernen in dieser einen Welt voller Ehrfurcht vor allem Leben miteinander zu leben. Erst so werden wir und alle Menschen unsere Wege fröhlich zu gehen lernen. Herr dazu brauchen wir deinen guten Geist und Menschen, die uns auf unserem Weg begleiten, darum kommen wir zu dir und bitten dich um deinen guten Geist. Amen
Der Engel des Herrn aber sagte zu Philippus: »Mach dich auf den Weg und geh nach Süden, zu der Straße, die von Jerusalem nach Gaza hinabführt!« Diese Straße wird kaum von jemand benutzt. Philippus machte sich auf den Weg und ging dorthin. Da kam in seinem Reisewagen ein Äthiopier gefahren. Es war ein hochgestellter Mann, der Finanzverwalter der äthiopischen Königin, die den Titel Kandake führt. Er war in Jerusalem gewesen, um den Gott Israels anzubeten. Jetzt befand er sich auf der Rückreise. Er saß in seinem Wagen und las im Buch des Propheten Jesaja. Der Geist Gottes sagte zu Philippus: »Lauf hin und folge diesem Wagen!« Philippus lief hin und hörte, wie der Mann laut aus dem Buch des Propheten Jesaja las. Er fragte ihn: »Verstehst du denn, was du da liest?« Der Äthiopier sagte: »Wie kann ich es verstehen, wenn mir niemand hilft!« Und er forderte Philippus auf, zu ihm in den Wagen zu steigen. Die Stelle, die er gerade gelesen hatte, lautete:
»Wie ein Lamm, wenn es zum Schlachten geführt wird, wie ein Schaf, wenn es geschoren wird, so duldete er alles schweigend, ohne zu klagen. Er wurde aufs tiefste erniedrigt; aber mitten in seiner Erniedrigung wurde das Urteil gegen ihn aufgehoben. Wer wird je seine Nachkommen zählen können? Denn von der Erde weg wurde sein Leben emporgehoben.«
Der Mann aus Äthiopien fragte: »Bitte, sag mir doch: Um wen geht es hier eigentlich? Meint der Prophet sich selbst oder einen anderen?« Da ergriff Philippus die Gelegenheit und verkündete ihm, von dem Prophetenwort ausgehend, die Gute Nachricht von Jesus. Unterwegs kamen sie an einer Wasserstelle vorbei, und der Äthiopier sagte: »Hier gibt es Wasser! Spricht etwas dagegen, dass ich getauft werde?« Philippus sagte: »Du kannst getauft werden, wenn du von ganzem Herzen glaubst.« »Ja«, antwortete er, »ich glaube, dass Jesus Christus der Sohn Gottes ist.« Er ließ den Wagen anhalten. Die beiden stiegen ins Wasser hinab, Philippus und der Äthiopier, und Philippus taufte ihn. Als sie aus dem Wasser herausstiegen, wurde Philippus vom Geist des Herrn gepackt und weggeführt, und der Äthiopier sah ihn nicht mehr. Von Freude erfüllt setzte er seine Reise fort.
Liebe Gemeinde,
Menschen machen sich auf den Weg, einem neuen Ziel entgegen, sie lassen zurück, müssen Abschied nehmen, um einen anderen Ort, eine andere Lebenssituation dagegen einzutauschen. Abschied und Neuanfang liegen so nah beieinander und immer sind damit auch veränderte Lebenserfahrungen verbunden. Erst wer aufbricht kann auch neue Erfahrungen machen. 106 erwachsene Menschen und 29 Kinder haben sich im vergangenen Jahr auf den Weg gemacht, um hier in Kenzingen eine neue Heimat zu finden. Vielleicht war es eine berufliche Veränderung, möglicher Weise eine familiäre, auf jeden Fall gab es Gründe dafür, sich noch einmal auf den Weg zu machen. Die ältesten Neubürger waren 96 und 93 Jahre alt, das jüngste Kind 9 Monate. Sie zogen zu uns aus Hannover oder Erxleben, aus Riesa oder Saarbrücken, doch auch aus Herbolzheim oder anderen Orten unseres Landkreises.
Wir heißen Sie alle, nach einem ersten Kontakt mit unserem Besuchsdienstkreis, noch einmal sehr herzlich in unserer Gemeinde willkommen und wünschen Ihnen, dass Sie sich in unserer kleinen sympathischen Stadt mit ihren vielfältigen Arbeitsmöglichkeiten bis nach Freiburg hinüber und ihrem hohen Freizeitwert schnell und gut einleben und wohl fühlen. Wir hoffen, dass Sie auch in unserer recht aktiven Gemeinde eine Stück Heimat finden und sich gern aufgenommen fühlen. Frühere Gemeindeglieder hatten es in einem stark katholisch geprägten Umfeld hier in Kenzingen nicht so einfach, doch heute gibt es enge, freundschaftliche Kontakte zur St. Laurentiuspfarrei.
Wir haben eben eine recht bekannte Geschichte aus dem Neuen Testament gehört. Eine Geschichte, die ich daher herausgesucht habe, weil es dort zum Schluss heißt: „Von Freude erfüllt setzte er seine Reise fort,“ oder, wie Martin Luther die Stelle übersetzt: „Er aber zog seine Straße fröhlich.“ Ich wünsche Ihnen, doch auch uns allen, dass wir diesen schönen Gedanken mit auf unseren eigenen Weg in die Zukunft nehmen können, ganz gleich, wie sie von uns erlebt wird. Wir alle wissen, dass es nicht nur gute Tage und gute Erfahrungen gibt, sondern auch schwere und belastende, wo aber der Grundton von Dankbarkeit und Freude erfüllt ist, da wird dann auch das Belastende besser zu ertragen und zu durchleben sein.
Ein reicher, einflussreicher Mann hat sich auf den Weg gemacht. Es ist nicht der Staatsbesuch eines Finanzministers, auch keine Neckermann Ferienreise, um Urlaub zu machen und sich wieder einmal richtig zu erholen. Er zieht los, weil er etwas sucht, was er zu Hause in seiner Heimat nicht zu finden glaubt. Vermutlich weiß er gar nicht so genau, wonach er sucht. Wir alle kennen das aus unserem Leben, dieses unbestimmte Gefühl, dass es noch etwas anderes, noch mehr geben müsse, als wir haben. An materiellen Fragen kann es nicht gelegen haben, dass sich dieser Mann auf den Weg macht, er sucht etwas Unbestimmtes, etwas, was seinem Leben noch einmal einen ganz anderen Sinn und Wert schenken könnte.
Er macht sich auf den Weg zu einer Wallfahrtsreise, zu einem Gott, von dem er sich etwas verspricht. Vermutlich kennt er sogar die Bibel Israels, in der er liest. Doch die Reise enttäuscht. Er, ein Eunuch, da er ja in einer außerordentlich hohen Position einer Königin dient, darf den jüdischen Tempel nicht betreten, er ist Eunuchen verschlossen.
Dort wollte er den Gott Israels anbeten, Gottesdienst feiern. Er sieht den großartigen Tempel Gottes, doch er bleibt ihm verschlossen. Was er in seinem diffusen Leben sucht ist ein tragfähiger Glaube, ein Gott, der seinem armen reichen Leben einen Halt geben könnte. Doch auch das Wort dieses Gottes bleibt ihm verschlossen, er kann es nicht verstehen, sind es doch Worte einer fernen, fremden Welt. Er liest, doch er versteht nicht, was er liest. Er befindet sich zwischen zwei Welten, doch in keiner von ihnen findet er eine richtige Heimat.
Philippus, ein leitender Mann der Urgemeinde, hört sich auf den Weg geschickt, eine ganz bestimmte Straße aufzusuchen, die von Jerusalem nach Gaza führt. Dort trifft er auf den dunkelhäutigen Äthiopier, der die Bibel lesend, die er nicht versteht, auf der Heimreise ist. Philippus beginnt ein Gespräch, er spürt das innerliche Ringen dieses Fremden und stellt sich ihm zur Seite. Im Dialog um die gute Nachricht, erkennt und versteht der Fremde mehr und mehr von dem ihm unbekannten Gott, den er sucht. Oft haben wir es in der Theologiegeschichte erfahren, dass Menschen „mit dem Heiligen Geist Freunde bekommen und mit den Freunden Geist...,“ denn „das Gespräch ist der Geburtsort aller Theologie...“ [1] Unsere biblische Geschichte lässt uns an einem solchen Prozess der Erkenntnis teilhaben.
Als sie schließlich an einem Wasser vorbeifahren, bittet der Äthiopier darum, getauft zu werden. Und als er auf die Frage von Philippus nach seinem Glauben ein klares Bekenntnis zum Herrn der Kirche ablegt, wird er getauft - und nun erst kann er seine Reise fröhlich fortsetzen.
Dies wäre ja lediglich eine uralte Geschichte aus einer längst vergangenen Zeit, wenn sie uns nicht auch für uns noch mehr mitgeben könnte, etwas, womit wir leben und uns auf die vielen Reisen unseres Lebens machen können. Da steht die Frage im Raum, mit welchen Gedanken machen wir uns auf unsere Wege, aus was für einem Geist heraus lassen wir uns bewegen: in eine neue Stadt, in der wir leben und arbeiten möchten, - in eine andere Lebenserfahrung, nachdem ich vielleicht einen vertrauten, geliebten Menschen verloren habe, - in eine Beziehung, von der ich mir viel verspreche, - oder, wenn ich mich auch nur morgens und abends, auf den Weg zur Arbeit oder Heimkehr mache? Dieser afrikanische Finanzminister und Philippus waren schon damals Verkehrsteilnehmer.
Unsere Gesellschaft ist mobil geworden, wie kaum je eine zuvor. Ja, Mobilität gilt geradezu als ein Qualitätsmerkmal einer modernen Gesellschaft. Dazu gehört die Freiheit als Entscheidung, wohin man will und welches Verkehrsmittel man zum Erreichen des gesteckten Zieles wählt, - Flexibilität, um überall dorthin zu gelangen, wo man sich privat aufhalten möchte oder beruflich sein soll, - und Funktionalität, die sich auf ein verlässliches Verkehrsmittel bezieht. [2] Bei der unzähligen Zahl von Verkehrsteilnehmern heute, die tagtäglich unterwegs sind, ist es ja durchaus berechtigt einmal danach zu fragen, wie wir in unserem Leben unterwegs sind und aus welchem Geist heraus?
Wie sollen wir unsere Wege denn fröhlich fahren oder gehen können, wenn andere uns daran hindern? So, wie der Fremde aus Äthiopien seinen Gesprächspartner findet, der ihm einen tragfähigen Glauben aufzeigt und damit eine Ethik des Lebens, so gilt das auch für uns heute.
Sie werden unzählige Verkehrspolizisten finden, die kopfschüttelnd bis ratlos zusehen müssen, wie Deutschlands Straßen missbraucht und Menschen an Leib und Leben gefährdet werden. Rechthaberei, Unachtsamkeit, doch auch schlichte Unverschämtheit führen zu schweren Unfällen, Verletzten und Verkehrstoten, die bei einem bewussteren, aufmerksameren Verkehrsverhalten noch unversehrt leben könnten. Die oft beklagte gedankenlose Geistlosigkeit, die vielfach unter uns zu finden ist, setzt sich auf der Straße fort, so dass man froh ist, wenn man wieder einmal unterwegs war, heil angekommen zu sein. Wer Gott mit auf die Straße nimmt, wird seine Wege vielleicht eben doch ein wenig bedachter gehen oder fahren. Erst, wer um die Verletzlichkeit des Menschen weiß, wird sich auch im Straßenverkehr ethisch verhalten können. Es ist der Geist aus dem heraus wir unsere eigenen Wege so oder so angehen werden. Es ist ja nicht Gott der unser Auto, Motorrad oder Fahrrad fährt, wir sind es.
Wir alle wollen ankommen, wir möchten hier in Kenzingen angekommen sein, - wir möchten unsere angedachten Ziele im Leben verwirklichen, - wir wünschen uns zu Geburtstagen oder einem Jahrswechsel Gesundheit und Glück, damit würden wir gern unterwegs sein und es wäre leicht, unsere Wege fröhlich zu gehen. Aber wir erfahren ja auch immer wieder auf unserem Lebensweg das Gegenteil davon, Krankheiten, oder ein Un-Glück. Darum ist es so wichtig, in der richtigen Gemeinschaft nach einem Glauben zu fragen, der dann auch im Alltag hilft, nach einem Gott, der mich meine Wege fröhlich ziehen und immer auch ankommen lässt. Wir alle können hier in unserer Gemeinde einander auf diese Weise zur Seite stehen.
Es geht darum, dass Menschen sehr viel einsetzen, sich bemühen und bewegen, um endlich einmal ankommen zu dürfen, innerlich wie äußerlich. Sie stehen all jenen gegenüber, die immer dort stehen bleiben, wo sie schon standen, ohne ernsthaft nach Weg und Ziel zu fragen, nach dem Grund oder dem tieferen Sinn meines Lebens für mich selbst, wie aber auch für die Menschen, mit denen ich mein Leben teile. Wer an Gott glauben will, muss sich in vielfältiger Weise bewegen und immer wieder neu auf den Weg machen, mit Gleichgültigkeit und Gedankenfaulheit werden wir ihn nicht finden. Und wer ihn für sein Leben erkannt hat, der wird sich dementsprechend auf den Weg machen, um dort zu sein, wo man ihn als Christ braucht.
Ihnen, den Neubürgerinnen und Neubürgern unter uns, wünsche ich ein gutes Angekommen sein in Kenzingen, doch nun auch in unserer Gemeinde. Uns allen einen glücklichen Weg auf der Suche nach unseren ganz und gar irdischen Zielen und nach unserem väterlichen wie mütterlichen Gott. Er schenke es uns allen, dass auch wir die Straßen unseres Lebens, die wir ja miteinander teilen, fröhlich ziehen dürfen. Amen.
Literatur:
1) Bohren, R., Prophetie und Seelsorge, Neukirchen-Vluyn, 1982, S. 76
2) Franke, S., Polizeiethik, Stuttgart, 2004, S. 144
Menke, H., Göttinger Predigtmeditationen im Internet, 6. Sonntag nach Trin., 2000
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