4. Sonntag nach Epiphanias, Epheser 1,15-20, Gottesdienst mit Neuzugezogenen
Begrüßung:
Liebe Gemeinde! Wir alle schreiben Briefe, wenngleich viele Menschen heute schon die Kurzform einer E-Mail oder SMS bevorzugen. Heute hören wir einen Briefgruß des Apostel Paulus an die junge Gemeinde in Ephesus. Selten haben Briefe eine so lange Zeit überdauert und sind nach wie vor im Gespräch, wie die des Neuen Testamentes. Mit diesen Briefen wurden z.T. wichtige Botschaften übermittelt, die Leser in ihrem Glauben und Tun bestärkt, ermutigt, ermahnt. Heute geht es Paulus um den Glauben, die Liebe und die Dankbarkeit dafür, wie beides in Ephesus gelebt wird. In dieser Weise dürfen auch wir uns heute von diesem Gruß des Paulus angesprochen fühlen.
Sehr herzlich begrüße ich alle Mitchristen in unserer Mitte, die im vergangenen Jahr nach Kenzingen zogen. Sie haben, wie wir, ihre eigenen Erfahrungen mit Glaube und Liebe, wie gerade aber auch mit der Kirche. Und so, wie Briefe Botschaften übermitteln, so können es ja auch Menschen tun. Lassen wir daher einander an unserem Glauben teilhaben, tauschen wir ihn miteinander aus, um gemeinsam Kirche zu sein.
Danket dem Herrn, denn er ist freundlich, und seine Güte währet ewiglich.
Gebet:
Herr, guter Gott! Wir danken dir für das Brot und den Wein als Zeichen deiner Gegenwart in unserer Mitte, als Zeichen aber auch der Gemeinschaft, die wir im Glauben miteinander teilen. So lass uns nun auch alle neuzugezogenen Mitchristen herzlich in unserer Mitte aufnehmen und sie spüren, dass sie uns willkommen sind, dass es sich lohnt, in unserer Stadt und Kirche miteinander zu leben und aufeinander zu achten, wo es hilfreich ist.
Herr, wir danken dir auch für dein wegweisendes Wort, das uns als ein Briefgruß erreicht hat. Lass ihn recht bei uns angekommen sein. Wir spüren es ja alle, wie schwer es uns heute fällt, unseren Glauben überzeugend zu leben, darum danken wir dir für alle Menschen unter uns, die uns mit ihrem Glauben ein Vorbild sind und die sich in unserer Gemeinde und Kirche mit ihrem Engagement einbringen.
Vor dir bringen wir nun auch voller Dankbarkeit alle Menschen in Erinnerung, die uns den Weg zu dir vorangegangen sind – und beten für uns, unsere Gemeinde, die St. Laurentiuspfarrei, unsere kleine Stadt und für die ganze Welt. Amen.
Weil das so ist und weil ich von eurem Glauben und eurer Liebe gehört habe - dem Glauben an Gott, der durch Jesus, den Herrn, in euch lebt, und der Liebe zu allen Christen -, darum danke ich Gott unermüdlich für euch, wenn ich in meinen Gebeten an euch denke. Und ich bitte den Gott unseres Herrn Jesus Christus, den Vater, dem alle Macht und Herrlichkeit gehört, euch durch seinen Geist Weisheit zu geben, so dass ihr ihn und seine Heilsabsicht erkennen könnt. Er öffne euch das innere Auge, damit ihr seht, zu welch großartigem Ziel er euch berufen hat. Er lasse euch erkennen, wie reich er euch beschenken will und zu welcher Herrlichkeit er euch in der Gemeinschaft der Engel bestimmt hat. Ihr sollt begreifen, wie überwältigend groß die Kraft ist, mit der er an uns, den Glaubenden, wirkt. Es ist dieselbe gewaltige Kraft, mit der er an Christus gewirkt hat...
Liebe Gemeinde!
Wann haben Sie Ihren letzten Brief geschrieben, so richtig mit Briefumschlag, Adressat, Briefmarke und Postkasten oder doch wenigstens in schnellerer und verkürzender Form als eine E-Mail? An welchen Brief denken Sie – jetzt – der Ihnen eine große Freude machte, weil er so persönlich gehalten war, Ihnen wichtige Informationen vermittelte, sie fröhlich stimmte, dankbar oder doch zumindest nachdenklich?
„Während ein Brief geschrieben wird, ist der Adressat abwesend und der Schreiber einsam. Aus den Zerstreuungen des Tages hat er sich in den engen Bezirk des Schreibtisches zurückgezogen, um imaginär mit dem Entfernten zu sprechen. Dieses Sprechen erfordert einen erhöhten Aufwand: Einen besonderen Entschluss, eine freie Stunde, einen ruhigen Ort, vor allem aber die Mühe der Formulierung... Die Notwendigkeit, sich aufs Wesentliche zu konzentrieren, eröffnen in dieser stillen Stunde dem Schreibenden die Möglichkeit, sein wesentliches Ich, das in den Geschäften des Tages untergegangen war, zu Wort kommen zu lassen...“ [1] Heute, wo Zeit Geld ist, werden die Briefe immer kürzer, der Inhalt oberflächlicher, auf Reisen reichen oft schon bedruckte Postkarten, im Alltag eine SMS
Paulus schreibt Briefe, kürzere und längere, bedeutsame mit schweren theologischen Gedanken, die die Welt bewegt und verändert haben und solche, in denen kleine, fast nebensächliche Bemerkungen enthalten sind. Er reist nicht nur, sondern er schreibt. Da er nicht überall zur gleichen Zeit sein kann, ihm aber das Herz voll ist, schafft er sich auf diese Weise Gehör. In seinen Briefen, das spürt man, ist er ganz und gar bei jenen, denen er diesen Gruß zukommen lässt. Sie sind gemeint in ihrem Alltag, mit all ihren Sorgen und Problemen, ihrer Schuld und ihrem Versagen, doch eben auch mit all dem, was sie tun und was ihnen gelingt. Immer aber – und in all dem – geht es ihm um den Glauben. Davon will und kann er nicht schweigen, davon muss er reden und schreiben, ganz gleich, wo er sich gerade aufhält.
Und so schreibt er einen Brief nach Ephesus, aus dem wir einen kleinen Ausschnitt hörten. Überschwänglich klingen seine Worte, voller Liebe zu den Angesprochenen, zur Gemeinde, die er zwar nicht persönlich kennt, für die er sich aber auf seine ganz persönliche Weise dennoch einsetzt. Lange muss er sich ja mit dieser Gemeinde und den Menschen in ihr beschäftigt haben, um ihnen einen solchen Gruß zukommen zu lassen. Auch offensichtliche Probleme, die er ebenfalls offen anspricht und bedenkt, halten ihn nicht von diesem Gruß ab.
Worum geht es? Paulus hat vom Glauben und von der Liebe in dieser jungen Gemeinde gehört und ist dankbar dafür. Glaube? Liebe? Sind das für uns noch Themen, die uns irgendwie bewegen? Natürlich ist jeder dafür, wer glaubt oder liebt denn nicht? Doch woran liegt denn dann die Entfremdung vom überlieferten Glauben des Christentums und den unzähligen Trennungen und Scheidungen von Beziehungen in unserer Gesellschaft? So klar scheinen die Dinge also gar nicht zu liegen. Für die Christen der ersten Zeit war der Glaube prickelnd, erfrischend neu, eine wirkliche Alternative zu allem, was man bisher glaubte. Dieser Glaube war nicht mehr durch das Gesetz bestimmt und ermutigte zu einer Liebe, die weit über den inneren Kreis der Familie hinaus reichte. Der Glaube sollte und wollte öffentlich erfahrbar sein, Grenzen überwinden und sprengen und sich und anderen wirklich etwas zumuten.
Juden und Heiden erlebten, so weit der christliche Glaube überhaupt schon öffentlich gelebt werden durfte, eine Gemeinschaft, die schier alternativlos schien. Das war etwas neues, unerlebtes und schon von daher einladend.
Wir leben in einer ganz anderen kirchlichen Situation. Liegt nicht auf unserem Glauben der Staub von 2000 Jahren und ist die Liebe nicht längst zur Privatangelegenheit erklärt worden? Sören Kierkegaard bemerkt dazu vor 150 Jahren schon hoch aktuell: „Als das Christentum in die Welt kam, brauchte es nicht selbst darauf aufmerksam zu machen, dass es ein Ärgernis sei, denn dies entdeckte die Welt, welche Ärgernis nahm, ja leicht genug. Aber jetzt, jetzt da die Welt christlich geworden ist, jetzt muss das Christentum vor allem selbst auf das Ärgernis achten... Nur die Möglichkeit des Ärgernisses (...) ist imstande, das eingeschlafene Christentum zu wecken, ist imstande, das verzauberte Christentum zurückzurufen, so dass es wieder es selbst ist... [2]
Kierkegaards Überlegungen gipfeln in dieser Frage in seinem Werk „Der Liebe Tun“ darin, dass er deutlich macht, dass wir Christen einander die Liebe schulden, ja dass dies geradezu die Pflicht des Christen sei. Wir spüren die 2000 Jahre, die zwischen uns und der jungen Gemeinde von Ephesus liegen. Hier ein Glaube, der ganz offensichtlich durch eine überzeugende Liebe erlebbar wird, begeistert und überzeugt, dort ein Christentum, das immer wieder neu daran erinnert werden muss, worum es denn dem christlichen Glauben überhaupt geht.
Liebe, das klingt ziemlich ausgelutscht, wenig attraktiv! So muss man ja in der Kirche reden, wie jetzt in seiner ersten Enzyklika Papst Benedikt XVI: „Deus caritas est", Gott ist Liebe. Aber da hört schon niemand mehr zu, oder haben Sie schon einmal hineingeschaut? Das hängt damit zusammen, weil die Welt eben so ganz anders aussieht, als wir sie uns wünschen; weil heute jeder sehen muss, wie er selbst durchkommt; weil man ständig mit dem Egoismus anderer konfrontiert ist; weil man wohl inzwischen eher zu viel von der `Liebe´ geredet, gesungen, geschrieben, sie aber viel zu wenig gelebt hat. Liebe, das gibt es scheinbar nur noch in zweitklassigen Schlagern und bei Verliebten. Paulus und Ephesus sind weit weg.
Das, was Paulus unter der „Liebe“ versteht, ist nun aber auch etwas ganz anderes, als wir es tun. Es geht ihm hier nicht um die ganz und gar exklusive Zweierbeziehung eines Paares, das gab es immer. Ihm geht es, gerade in der Verbindung mit dem Glauben um eine Liebe, die Grenzen überwindet und das Leben teilen lernt. Standesgrenzen wurden in der jungen Kirche überwunden, Herren und Sklavenhalter daran erinnert, ihre Mitarbeiter nicht nur menschlich, sondern in der menschlichen Achtung wie Geschwister zu behandeln. Das nahm den Reichen nichts weg, schenkte den Armen aber viel. Und auch die Frauen erhielten eine ganz andere Würde. Ja, sie konnten in der jungen Kirche sogar Gemeinden leiten, was man dann, je mehr heidnisch geprägte Männer hinzu kamen, aber bald vergaß. Die Kirchengeschichte zeigt, wohin das geführt hat.
Ein Verhalten, das von Oben nach Unten ausgerichtet war widersprach dem Glauben und Leben der jungen Kirche. Und selbst Aussagen des Apostels Paulus, die sich heute durchaus anders lesen, muss man in ihrem Kontext verstehen. Paulus dankt dieser jungen Gemeinde für ihren Glauben und ihre Liebe von der er gehört hat und er ermutigt sie, weiterhin auf diese überwältigende Kraft zu vertrauen, mit der Gott sie, wie Christus selbst beschenkt.
Wenn wir uns unter uns umschauen, haben wir dann das Gefühl, dass damit auch wir gemeint sein könnten? Würde Paulus auch für unseren Glauben, für unsere Liebe dankbar sein? Ich denke eher, dass er für uns ein bestärkendes, ermutigendes Wort finden würde, weil unsere Welt eben doch so ganz anders aussieht, als seine und unsere Kirche heute, als eine junge Gemeinde vor 2000 Jahren. Das aber mindert den Anspruch des Glaubens ja keinesfalls.
Alle diese Werte von denen wir hören, können uns zu einer Neu-Orientierung unseres Lebens durch den Glauben werden. Ja, ich glaube, dass unsere Kirche auch heute noch eine grenzensprengende Wertegemeinschaft ist, wo wir uns durch unseren Glauben dazu ermutigen und anleiten lassen. Für mich bietet das Christsein, bei aller denkbaren Kritik in Detail, unzählige Chancen angesichts der vielerlei Schatten im Leben. Auch damals glückte nicht jedes Leben, aber jeder durfte sich darauf verlassen, dass Schuld und Versagen kein letztes Wort, kein endgültiges Urteil über das Leben waren. Jeder neue Tag bot die Möglichkeit ganz neu anzufangen, sich zu besinnen, sich anders zu orientieren – und man wusste, dass man damit nicht allein auf dem Weg war.
Wir feiern heute diesen Gottesdienst, um unsere neuen Gemeindeglieder auch in unserer Mitte willkommen zu heißen. 112 evangelische Mitchristen zogen im vergangenen Jahr nach Kenzingen, das jüngste Mädchen mit zwei Jahren, die zwei ältesten Damen mit 90 Jahren, sie kamen aus der Nachbarschaft ebenso wie aus Kasachstan und Australien. Auch ein Umzug bietet die Chance eines Neuanfangs, man lässt zurück, um in einem anderen Lebensraum neue Perspektiven zu gewinnen. Auch die Briefe des Paulus gingen um die Welt, sie bewegten die Menschen, die sie lasen, ermutigten oder ärgerten auch einmal. In jedem Fall bewegten sie etwas.
Was ist mit unseren neuen Gemeindegliedern? Was könnten sie bewegen, was in unserer Mitte einbringen, was nun auch uns bewegt und voranbringt? Wie ein Brief, der geschrieben wird, so hat ja ein jedes Leben seine Botschaft, sein Anliegen. Umgekehrt gilt, dass auch wir als diejenigen, die schon länger in Kenzingen ihre Heimat gefunden haben, durch Glaube und ein geteiltes Leben, eben in dieser Weise verstandener Liebe, interessant und einladend auf unsere neuen Mitchristen wirken sollten. Im Protestantismus gilt ja, dass niemand seine eigene Meinung zum Maßstab für andere machen sollte, das müsste uns eigentlich offen füreinander machen und wo wir es nicht sind, selbstkritisch dazu einladen.
Paulus, man spürt es, ist begeistert von seinen Mitchristen in Ephesus, die ihn durch ihren Glauben und ihre Liebe überzeugen. Natürlich: Wir leben nicht in Ephesus und auch nicht in einer jungen Gemeinde vor rund 2000 Jahren, aber es wäre doch eine ganz große Sache, wenn wir alle den Gruß des Paulus als eine Ermutigung für unseren eigenen Glauben, unsere Liebe lesen lernten. Denn ganz gleich, woher wir kommen und wohin wir gehen, die große weite Welt beginnt ja immer vor unserer eigenen Haustür und dort wird man sehen, ob unser Glaube und unsere Liebe ankommen, wie ein Briefgruß aus Ephesus. Amen.
Literatur:
1) Mattenklott, G., Hrsg., Deutsche Briefe 1750– 950, Frankfurt a.M., 19892, S. 11 ff
2) Kierkegaard, S., Der Liebe Tun, Düsseldorf, 1966, S. 220
Sölle, D. Den Rhythmus des Lebens spüren, Freiburg, 2001
Simon, R., Calwer Predigthilfen, 1999/2000, Stuttgart, 1999, S. 101 ff
Papst Benedikt XVI, „Deus caritas est", http://www.vatican.va/phome_ge.htm
Wir weisen darauf hin, dass Sie alle unsere Predigten im Internet nachlesen können. Sie finden sie unter:
http://www.evang-kirche-kenzingen.de oder:
http://www.predigten.de/ (Powersearch