Estomihi, Sonntag vor der Passionszeit, Lukas 10, 38-42

 

 

Begrüßung:

 

Liebe Gemeinde! Gibt es in der Bibel typische Männer- oder Frauentexte, bei denen ich als „Mann“ oder als „Frau“ dann nicht mehr zuhören oder mich angesprochen fühlen müsste? Wenn es um das rechte Hören und das richtige Tun geht, dann geht das uns allerdings alle an. So sind wir heute dazu eingeladen, einmal kritisch danach zu fragen, wer wir eigentlich im Gegenüber zu Gott und Welt sind.

 

Ich befehle meinen Geist in deine Hände; du hast mich erlöst, du treuer Gott (Psalm 31, 6).

 

 

Gebet:

 

Herr, guter Gott! Du hast mit uns vielfach in der Menschheitsgeschichte ge-sprochen, wir sind selber seit unserer Taufe die Angesprochenen, doch was haben wir gehört, gelernt, getan? Sind wir nicht immer wieder ausgewichen, haben unsere Termine vorgeschoben, den Zeitdruck, die Verhältnisse, nur um möglichst nicht von deinem Anspruch an unseren Glauben gefordert zu sein? So schenke uns nun, dass wir noch einmal ganz neu zuhören und dann lernen, unseren Glauben Schritt für Schritt auch besser leben zu können. Das geht nur mit deinem guten Geist, darum kommen wir zu dir und bitten: Herr, erbarme dich

 

Text:

 

Als Jesus und seine Jünger weiterzogen, kamen sie in ein Dorf, in dem er von einer Frau namens Marta gastlich aufgenommen wurde. Sie hatte eine Schwester mit Namen Maria, die setzte sich vor den Füßen des Herrn nieder und hörte ihm zu.  Marta dagegen  hatte alle Hände voll zu tun , um ihn zu bedienen. Sie trat zu Jesus und sagte: „Herr, kümmert es dich nicht, dass mich meine Schwester die ganze Arbeit allein tun lässt? Sag ihr doch, dass sie mir helfen soll!“ Der Herr antwortete ihr: „Marta, Marta, du sorgst und mühst dich um so viele Dinge, aber nur eines ist notwendig. Maria hat das Bessere gewählt, und das soll ihr nicht weggenommen werden.“

 

 

 

Liebe Gemeinde!

 

 

Wer sind wir, wenn wir uns diese beiden Frauen aus dem Neuen Testament ansehen? Sind wir aktiv handelnd, wie die gastfreundliche, kaum zur Ruhe kommende Marta oder doch eher, wie diese Maria, die hörend und sich bildend zu Jesu Füßen sitzt? Für Martin Luther verkörpern sie noch die zwei Grundthemen der Theologie schlechthin, nämlich „Glaube“ und „Werke“, wobei natürlich der Glaube höher angesehen wird, als die Werke.

 

Jesus wurde von einer Frau in ihr Haus eingeladen. Stellen wir uns vor, er wäre dort nicht mit aller Gastfreundschaft gewürdigt worden? Das hätte damals im Judentum, mit all den Menschen, die ihm folgten, mit Sicherheit einen Skandal gegeben, denn die Gastfreundschaft war ein hohes Gut. Marta musste sich für ihren Gast und sein Gefolge verantwortlich fühlen, wenn sie nicht als unfreundlich gelten wollte. Ganz und gar unkompliziert hätte Jesus doch einfach mit in die Küche gehen können, um Kartoffeln zu schälen. Als zeitweiliger Single-Mann weiß ich, dass man sich auch in Küchen ganz gut unterhalten kann – sogar über Glaube und Theologie. Jesus hätte damit einen weiteren Maßstab gesetzt und unser Predigttext würde mit einem anderen Themenschwerpunkt ganz anders klingen.

 

Noch vor wenigen Jahren hätten sich Männer auf der Kanzel schwer getan, diesen Text überhaupt auszulegen, zu sehr war er von Frauen für Frauen besetzt. Er wurde als ein Dokument der Befreiungsgeschichte der Frau gehört. Dort, wo Menschen sich aus Abhängigkeiten befreien wollen, wird es immer auch konfliktträchtig zu- gehen. Kein Mensch, kein Mann, gibt gern eingeschliffene Gewohnheiten preis. Zumindest in diesem Text, wie Lukas ihn im Rückblick schildert, bleibt auch Jesus selbst in seiner Rolle gefangen. Aber geht es darum?

 

Die Rolle der Frau wird von Jesus an anderen Stellen des Neuen Testamentes in einer beispielhaften, für  damalige Verhältnisse einmaligen Art und Weise gewürdigt, so dass es in diesem Text faktisch um etwas anderes gehen muss, als um die Rolle der Frau zwischen Küche und Herd einerseits und Bildung andererseits.

 

Wir wissen, dass viele Frauen Jesus begleiteten. In seiner Nachfolge verließen sie mit ihren Männern für einen bestimmten Zeitraum ihre Großfamilien, andere waren unverheiratet und ohne familiäre Verpflichtungen. Gerade im Zusammenhang von Tod und Auferstehung werden vor allem Frauen erwähnt und nicht der bekannte Jüngerkreis. Der Hintergrund unseres Textes ist eine bestimmte Wahrnehmung des Lukas von Frauen in der jungen Gemeinde, ganz sicher auch in der Auseinandersetzung mit Paulus. Frauen hatten Führungspositionen in der jungen Kirche inne: Sie leiteten Hausgemeinden, waren Diakoninnen und Apostelinnen oder in der aktiven missionarischen Verkündigung tätig. Zur geringen Freude von Paulus beteiligten sie sich sogar kritisch an Lehrgesprächen.

 

Diese für das damalige Frauenverständnis einmalige Rolle der Frau begründete sich in der Taufe, sie förderte die „soziale Integration“ der Frauen in die neue Gemeinschaft“ durch die „emanzipierende Kraft der Jesusnachfolge.“ [1] Worum geht es Lukas denn mit seinem Bericht über diesen Hausbesuch Jesu bei Marta und Maria?

 

Bei genauem Zuhören kritisiert Jesus Martas Aktivität nicht, sondern die Art und Weise, wie sie sich von ihrer Arbeit gefangen nehmen lässt. Das alles Entschei-dende ist zu erkennen, was jetzt wichtig und notwendig ist. Es hat eben alles seine bestimmte Zeit und seine Stunde (Prediger 3). Und nur insofern wird das zuhörende Verhalten von Maria dem aktiven Handeln der Marta gegenüber gerechtfertigt. Jesus selbst verweist uns auf das Erkennen der rechten Zeit für Hören und Tun, Glaube und Werke, aber beide Seiten gehören untrennbar zur gleichen Münze. Was wäre denn ein Glaube, ohne dass sich aus ihm ein entsprechendes Leben ableiten ließe? Was sind alle unsere Handlungen denn überhaupt ohne den Glauben?

 

Ich denke, dass Christen nicht zwischen diesen Verhaltensweisen zu wählen haben, weil beide für den Glauben und unser Tun in der Welt notwendig sind. Wir berufen uns heute sehr schnell darauf, dass wir doch im Grunde recht anständige Menschen sind: wir stehlen nicht (jedenfalls nicht offensichtlich), - wir töten keinen Menschen (wobei wir oft vergessen, dass auch Worte töten können), - wir Lügen natürlich nicht (wobei unsere Lügen als Notlügen deklariert werden), - und über die gesellschaftlich längst hingenommenen Seitensprünge (übrigens zunehmend auch von Frauen), mit denen Ehen zerstört werden, reden wir lieber nicht. Die geheimen Umfragen zu diesem Thema in Deutschland sind erschreckend. Wir leben gekonnt mit einer Doppelmoral, womit deutlich wird, wie sehr wir im Alltag faktisch ohne den Glauben, von dem Jesus redet, leben.

 

Maria und Marta stehen für die Zusammengehörigkeit von Glaube und Leben, vom Hören auf das Wort, das Jesus uns von Gott gesagt hat und das wir aus der ganzen Bibel heraus hören, sowie dem Willen, diesen Glauben nun auch mit Leben zu erfüllen, so dass Wort und Tat wieder übereinstimmen. 

 

Am vergangenen Mittwoch war ich mit unseren Konfirmandinnen und Konfirmanden in dem Film über Dietrich Bonhoeffer, in dem sehr gut deutlich gemacht wird, was Glaubwürdigkeit einen Menschen kosten kann. Bonhoeffer fühlte sich aus seinem Glauben heraus in die Pflicht genommen, sich für die Juden und alle, vom nationalsozialistischen System verfolgten und terrorisierten Menschen, einzusetzen. Er forderte „dem Rad in die Speichen zu fallen...“ [2] und stellte unumstößlich für Christen fest: „Nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen...“ [3] Diesen Einsatz für seinen gelebten Glauben bezahlte Bonhoeffer mit dem Tod, wobei er in seiner Gefängniszelle in Berlin in einem Gedicht fragt: „Wer bin ich?“ [4]

 

Die geschilderte Situation im Hause von Marta und Maria leitet dazu an, dass auch wir einmal so fragen, denn wer sind wir im Verhältnis zu Gott und im Verhältnis der uns anvertrauten Welt, hören wir auf die Worte des Glaubens, leben wir sie? Beide Schwestern geben ein Beispiel dafür, wie unser Glaube recht verstanden und gelebt wird, wobei weder das Hören noch das Tun fehlen darf, gerade das Tun im alltäglichsten Alltag. Es braucht beide Verhaltensweisen.

 

Natürlich hätte ich mir gut vorstellen können, dass Jesus selbst auch in dieser Situation aktiver geworden, weil es uns Männern eine Hilfe gewesen wäre, die Frauen in der Mitte von Kirche und Gemeinde von Anfang an ernster zu nehmen. Das hätte dann – schon in der ganz frühen Kirche - allen heidnischen Verhaltens-weisen sie an Kinder und Küche zu binden, widersprochen. Vermutlich wären keine Frauen als Hexen verbrannt worden und es wäre von Anfang an, auch nach Paulus, selbstverständlich gewesen, dass Frauen auf der Kanzel stehen.

Dennoch bleibt, dass gerade das Neue Testament uns vielfach schildert, dass Jesus und die junge Gemeinde selbst anders mit Frauen umgingen und lebten, als es die sie umgebende Gesellschaft eben noch nicht konnte.

 

Wichtig ist, für uns selbst zu erkennen, wann etwas zu tun oder zu lassen ist, wann es auf das Hören oder auf das Tun ankommt. Der Gottesdienst ist der große Freiraum, einmal zur Ruhe zu kommen, um das eigene Leben vom Wort Gottes her begleiten und motivieren zu lassen, das dann im Alltag aktiv und glaubwürdig zu leben ist. Wer bin ich? Bin ich der, der es schafft, immer wieder neu auf Gott zu hören, um dann nach Gottes Wort und Geist zu leben? Bin ich der, dem man es abnimmt, was er sagt und tut? Bin ich der, der mitten in der Welt eine Spur aufzeigt, die uns mit Gott und der Welt verbindet? Wer bin ich?

 

Schenke uns Gott, dass wir darauf einmal eine Antwort finden. Die Geschichte Jesu mit Marta und Maria könnte uns dabei helfen. Amen. 

 

 

 

Literatur:

 

1) Rothermund, J., Calwer Predigthilfen, 1998/1999, 1. Halbband,

    Stuttgart, 1998, S. 128

2) Bonhoeffer, D., Gesammelte Schriften, Bd. 2, München, 1965, S. 48

3) Bethge, E., Dietrich Bonhoeffer, München, 1978, S. 685

4) Bonhoeffer, D., Widerstand und Ergebung, München, 1966, S. 242

 

 

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