Septuagesimae, Jeremia 9,22-23
Begrüßung:
Liebe Gemeinde! Es ist banal, aber immer wieder frage ich mich einmal, warum wir Menschen es eigentlich nicht schaffen, unserer Welt ein anderes Gesicht zu geben? Es bleibt bei Oben und Unten, Macht und Ohnmacht, Einfluss und Einflusslosigkeit. Ich weiß, wir hätten die Welt durchaus gern anders, aber wir bleiben wer und wie wir sind. Darum ist es so wichtig, uns vom Wort Gottes durch unser Leben begleiten und wenigstens hier und da auch leiten zu lassen. Weil Gott zu uns spricht, darum bleibt unsere Welt auch unser Auftrag.
Ein neues Lied hat Gott mir in den Mund gelegt, mit dem ich ihn preisen kann, ihn, unseren Gott. Viele sollen es hören und sehen; dann nehmen sie den Herrn wieder ernst und schenken ihm ihr Vertrauen (Ps 40,4).
Gebet:
Herr, guter Gott! Natürlich würde es uns freuen, einmal „weise“ werden zu dürfen, aber lass uns dann nicht stolz darauf sein. Es ist gut in dieser Welt „stark“ zu sein, aber lass durch unsere Stärke dann auch andere stark werden. Wie schön wäre es für viele von uns einmal „reich“ zu sein, dabei vergessen wir oft, wie reich wir im Grunde sind. Herr, lass unseren materiellen und geistigen Reichtum vielen Menschen zu einer Hilfe werden. Lass es uns eine Freude sein, dass wir wissen dürfen, dass wir zu dir gehören und schenke uns einen Glauben, der dir Freude macht. Wir hören dein Wort, immer wieder, lass es uns recht hören und leben.
So danken wir dir nun für alle Menschen unter uns, die uns mit ihrem Glauben ein Vorbild sind und die sich in unserer Gemeinde und Kirche mit ihrem Engagement einbringen. Vor dir bringen wir nun auch voller Dankbarkeit alle Menschen in Erinnerung, die uns den Weg zu dir vorangegangen sind – und beten für uns, unsere Gemeinde, unsere katholischen Mitchristen, für unsere kleine Stadt und für die ganze Welt. Amen.
Liebe Gemeinde!
Die Handlung spielt in Spanien in der schrecklichsten Zeit der Inquisition. „Plötzlich ist er da“, so wird es uns erzählt: „In unermesslichem Erbarmen kommt Er zu ihnen noch einmal in derselben menschlichen Gestalt, in der er einst dreiunddreißig Jahre lang unter den Menschen gewandelt, vor anderthalb Jahrtausenden... Er ist ganz still und unbemerkt erschienen, aber alle – sonderbar ist das -, alle erkennen ihn... Eine unwiderstehliche Macht zieht das Volk zu Ihm hin; es umringt ihn, wächst mehr und mehr um Ihn an und folgt Ihm wohin er geht. Er aber wandelt stumm unter ihnen mit einem stillen Lächeln unendlichen Mitgefühls.... Er streckt ihnen die Hände entgegen, er segnet sie... `Das ist Er, Er selbst´ raunt sich das Volk immer lauter und lauter zu...“, so beginnt Dostojewski seine großartige Erzählung vom Großinquisitor aus dem Roman „Die Gebrüder Karamasoff“.
Und dann erscheint der Großinquisitor. „Er ist ein fast neunzigjähriger Greis, groß und aufrecht, mit vertrocknetem Gesicht, eingesunkenen Augen, in denen aber noch ein Glanz blinkt wie ein Feuerfunke... Ihm folgen in angemessenem Abstand seine finsteren Gehilfen und Diener und die `heilige´ Wache...“ Sofort lässt dieser Kirchenfürst Jesus verhaften, als er bemerkt, wie Jesus noch einmal seine Wunder vollbringt. Im Dunkel der tiefen Nacht besucht er seinen Gefangenen und eröffnet ein Gespräch mit den Worten: „Bist Du es? Du?“ Hier steht die mittelalterliche Kirche mit allen Insignien der Macht in einer gespenstischen Situation noch einmal vor dem menschgewordenen Gott. Er sagt: „Und ich sage Dir nochmals: morgen noch wirst Du diese gehorsame Herde sehen, die auf meinen ersten Wink zu Deinem Scheiterhaufen stürzen wird, um das Feuer zu schüren. Denn auf den Scheiterhaufen bringe ich Dich dafür, dass Du uns stören gekommen bist. Und wahrlich, wenn es einen gegeben hat, der vor allen anderen den Scheiterhaufen verdient, so bist Du es. Morgen werde ich Dich verbrennen!...“
Still hört Jesus zu und schaut dem Großinquisitor ohne etwas sagen zu wollen in die Augen. Dann geht er auf diesen zu und küsst ihn schweigend, „das ist Seine ganze Antwort... Der Greis zuckt zusammen,... er geht zur Tür des gewölbten Verlieses, öffnet sie und sagt zu Ihm: `Geh und komme nie wieder ... komme überhaupt nicht mehr ... nie wieder, nie wieder!´ Und er lässt ihn hinaus auf die dunklen Gassen der Stadt. Und der Gefangene geht hinaus...“ [1]
Der Herr sagt: »Der Weise soll sich nicht wegen seiner Weisheit rühmen, der Starke nicht wegen seiner Stärke und der Reiche nicht wegen seines Reichtums. Grund sich zu rühmen hat nur, wer mich erkennt und begreift, was ich will. Denn ich bin der Herr, der Liebe, Recht und Treue auf der Erde schafft! An Menschen, die sich danach richten, habe ich Freude.« (Jer. 9,22-23).
Das ist der Spannungsbogen menschlicher Existenz: Hier alle Macht der Erde, äußerlich gelebt und öffentlich dargestellt, dort der Mensch Gottes, den der Prophet Jeremia im Blick hat. Auch wir finden uns hier wieder und müssen gar nicht so weit laufen, denn wie leben wir selbst, wie stellen wir uns dar und damit eben oft auch über andere Menschen?
Jeremia leidet unter seinem Volk. Daher fragt er weniger nach dem Menschen schlechthin, als vielmehr danach, warum auch in seinem Volk das Gottvertrauen so oft in Vergessenheit gerät und das eigene Menschsein einen so gefangenhalten kann? Tagtäglich ist mitzuerleben, wie sehr wir Menschen das Paradies verloren haben, gerade weil wir auf unserem Weg durch die Weltgeschichte zunehmend auch Gott aus dem Blick verloren.
Und so redet Jeremia immer unter Berufung auf seinen Gott, auf den Gott Israels: „Der Herr sagt!“ Niemand soll sich später herausreden können, er habe nicht gewusst, was Gott auch ihm zu sagen hatte. Aber, wir müssen zugeben, es war nicht einfach auf einen Propheten zu hören. Sie waren unbequem, lästig, sie störten die eigenen Überzeugungen und Werthaltungen; ständig forderten sie eine Umkehr und Neuorientierung im Bezug auf Gott und in Bezug auf Israel. Sie ließen es einfach nicht zu, dass man sich in seinen Lebensnischen einnistete, es sich bequem machte und Gott Gott sein ließ, so lange er nicht störte.
Aber Gott stört! Und die Propheten, wie später ja auch Jesus von Nazareth wurden zu einem „Guten Widerspruch“ für die Menschen in ihrer Zeit und Welt. Weil sich der Mensch aber nur selten und schwer wirklich ändert, darum bleiben sie ein Widerspruch auch für uns heute. Auch wir sind ja die Menschen, die jenseits des Paradieses zu leben haben und daher immer wieder um uns selbst kreisen. Das wird deutlich gemacht am Beispiel unserer scheinbaren Klugheit und Weisheit, unserer Stärke und unseres Reichtums und sind es nicht diese vermeintlichen Stärken, so sind es andere mit denen wir uns gern über den Mitmenschen erheben: Irgendwie müssen wir doch besser sein als jener, und durch diese Überheblichkeit vergiften wir das Zusammenleben in unseren Lebensbereichen.
Dabei hat Jeremia natürlich sehr konkrete Zustände vor Augen, die Israel ins Gericht stürzen werden, wobei nun auch keine kleineren Reparaturen mehr helfen. Umkehr ist notwendig, eine Neuorientierung im Glauben. „Der sich selbst rühmende Mensch selektiert das eigene und das fremde Leben zu seinen Gunsten: Er stellt sich über andere, provoziert Rivalität und beteiligt sich an der Brutalisierung des Lebens. Die Gotteserkenntnis aber löst uns von uns selbst, führt uns in die Nähe zu den Mitmenschen, lässt uns ihr Leben teilen und gibt darin Gott die Ehre...“ [2] Oder, wie es neulich in einem Fernsehfilm gesagt wurde: „Wir alle leben viel näher am Eingang unserer Hölle, als wir es denken!“ Damit sind natürlich nun auch wir gefragt, woher wir uns in unserem Bewusstsein leiten lassen?
Dostojewskis Geschichte vom Großinquisitor zeigt, dass auch der scheinbar frömmste Mensch nicht davor gefeit ist, sich durch seine vermeintlichen Stärken über andere zu erheben. Darum hat Papst Benedikt sehr bewusst seine erste Enzyklika der „Liebe“ gewidmet. Dort sagt er: „Am Anfang des Christseins steht nicht ein ethischer Entschluss oder eine große Idee, sondern die Begegnung mit einem Ereignis, mit einer Person, die unserem Leben einen neuen Horizont und damit seine entscheidende Richtung gibt...“ Das konnten im alten Israel die Propheten sein, in jedem Fall aber sollte es Gott sein, der Gott, der ihnen Land und Heimat schenkte, der ihnen durch alle Höhen und Tiefen ihrer Existenz als Volk zur Seite stand, so, wie es für uns Christen Jesus Christus ist. Und er sagt weiter: „Mit der Zentralität der Liebe hat der christliche Glaube aufgenommen, was innere Mitte von Israels Glauben war, und dieser Mitte zugleich eine neue Tiefe und Weite gegeben...
In einer Welt, in der mit dem Namen Gottes bisweilen die Rache oder gar die Pflicht zu Hass und Gewalt verbunden wird, ist dies eine Botschaft von hoher Aktualität und von ganz praktischer Bedeutung. Deswegen möchte ich in meiner ersten Enzyklika von der Liebe sprechen, mit der Gott uns beschenkt und die von uns weitergegeben werden soll...“ [3] So sagt Gott ja im zweiten Teil dieser kleinen Rede durch den Propheten: „Grund sich zu rühmen hat nur, wer mich erkennt und begreift, was ich will. Denn ich bin der Herr, der Liebe, Recht und Treue auf der Erde schafft! An Menschen, die sich danach richten, habe ich Freude.“
Wir spüren wohl alle, dass es hier nicht mehr um eine kleine Korrektur unserer Moral und Ethik geht, sondern darum, uns geistlich ganz neu ausrichten zu lassen und das heißt: Von Gott her zu leben, wenn wir den Menschen und die Welt meinen. Uns helfen keine Appelle zu neuen Werten, sondern was hilft, ist den alten Glauben ganz neu zu leben, denn dann werden wir uns nicht mehr über andere erheben, sondern mit uns selbst genug zu tun haben.
Wie viel Unheil könnte in Ehen und Familien, am Arbeitsplatz und in Nachbarschaften vermieden werden, wenn wir das verstehen und leben könnten. Wie viele Kriege zwischen Völkern hätten bis in die Gegenwart hinein vermieden werden können, wenn sich eben nicht einer über den anderen stellen würde, weil er Öl oder Kernwaffen besitzt. Wie offensichtlich haben wir Kirchen versagt, weil wir es gerade nicht geschafft haben, durch unseren Glauben zu einem umfassenden Religionsfrieden beizutragen. Wo wir auch hinschauen, es ist immer das gleiche von Jeremia angesprochene menschliche Grundübel der Überheblichkeit, was zu den unsäglichen Spannungen führt – und nur selten schaffen wir es, unsere Fähigkeiten und Begabungen in den Dienst einer Sache zu stellen. So leben wir in einem ständigen „Kriegszustand“ und sehnen uns dabei doch nach innerem und äußerem Frieden.
Der Konflikt um zwölf Mohamed-Karikaturen zeigt, wie notwendig wir alle, in allen Religionen und Konfessionen, doch auch bei inzwischen religionslosen Menschen eine Neubesinnung unserer Kulturen brauchen. Das Grundrecht auf die Pressefreiheit ist unbestreitbar, dennoch meine ich, dass gerade auch wir Christen den notwendigen Respekt vor dem eigenen und dem Glauben anderer, stärker einfordern sollten. Jede Position, die wir aus Gleichgültigkeit oder fraglicher Toleranz aufgeben, hinterlässt ein Vakuum und wo das hinführt, sehen wir. So stellte der SPIEGEL in einem Artikel kritisch fest: „Die christlichen Kirchen haben den Kampf gegen eine ständig wachsende Gesellschaft von Gotteslästerern längst aufgegeben, seit der moderne Staat Blasphemie nur noch selten verfolgt. Aber die Tabugrenzen sind geblieben, in allen Weltreligionen.“ [4] Das stellt unsere Toleranz nicht in Frage, sondern nimmt diese auch für unsere eigenen Glaubensüberzeugungen wieder einmal in Anspruch, bis dahin, dass wir die Pressefreiheit nicht nur verteidigen, sondern die Presse an mehr Taktgefühl, Sensibilität und Verantwortungsbewusstsein im Umgang mit dem Glauben anderer erinnern, mit dem also, was anderen Menschen „heilig“ ist.
Was wir von Jeremia, wie von den vielen anderen Propheten des Alten Bundes hören und vielleicht auch lernen können, ist, dass sie letztendlich auf Gott hörten, manchmal vielleicht zögerlich, weil die Aufgabe scheinbar zu schwer, der Auftrag zu lästig schien, aber sie hörten. Und dann gingen sie los und sagten des Herrn Wort und lebten es dem Volk Israel vor, wie man in der Welt Gott verbunden sein kann. Weil Gott ja auch zu uns spricht, darum bleibt unsere Welt auch unser Auftrag. Amen.
1) Dostojewski, F.M., Die Gebrüder Karamasoff, München 1980, S. 404ff
2) Ruddies, H., Calwer Predigthilfen, 1999/2000, Stuttgart, 1999, S. 120
3) Papst Benedikt XVI, Enzyklika „Deus caritas est“, 2006, Einführung
4) DER SPEGEL, Der Heilige Hass, Nr. 6, 6.2.06, S. 88
Drewermann, E., Gedanken des Friedens nicht des Leidens, Zürich, 2000, S. 94 ff
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