Sexagesimae, 2.Kor 11,18, 23b – 30; 12,9

 

 

 

Begrüßung:

 

Liebe Gemeinde! In einer Gesellschaft, in der man stark sein und sich behaupten muss, ist es nicht so einfach zu seinen Schwächen zu stehen, ja aus Schwächen vielleicht sogar eine Stärke zu machen. In einer Jahreszeit, wo es närrisch zugeht, wird ein Wort des Paulus aus seiner Narrenrede zu einer wirklichen Herausforderung, weil sie es ernst meint mit dem Glauben. Lassen wir uns mit diesem Gottesdienst zu einer fruchtbaren Auseinandersetzung einladen und Gott mit unserem Glauben wieder die Ehre geben, die allein unserem Gott zusteht.

 

Herr, dein Wort bleibt ewiglich, so weit der Himmel reicht; und deine Wahrheit währet für und für (Ps. 119, 89).

 

 

 

Gebet:

 

Herr guter Gott! Wir danken dir für dein gutes Wort, das uns zusagt, dass du gerade auch dort unser Leben begleitest, wo wir uns gar nicht so stark und klug vorkommen, wo wir an unsere Grenzen stoßen und uns vielleicht sogar einmal zum Narren machen. So bitten wir dich, sei uns nah mit deinem guten Wort und Geist, wo wir einmal wegschauen, wo wir hinsehen sollten; wo wir nicht zuhören, wo unsere Geistesgegenwart nötig wäre; wo wir uns abwenden, wo unsere Hinwendung gefordert wäre; wo wir uns dem Glauben verweigern, wo gerade wir es wären, die ihren Glauben leben sollten. Ja, Herr, wir müssen oft etwas ganz anderes vorgeben, als was wir in unserer Schwäche leben können, darum bitten wir dich auch in unseren Mangel, in das Alltägliche, Oberflächliche hinein, damit du uns geistvoll leben hilfst.

 

So danken wir dir nun für alle Menschen unter uns, die uns mit ihrem Glauben ein Vorbild sind und die sich in unserer Gemeinde und Kirche mit ihrem Engagement einbringen. Vor dir bringen wir nun auch voller Dankbarkeit alle Menschen in Erinnerung, die uns den Weg zu dir vorangegangen sind – und beten für uns, unsere Gemeinde, für unsere katholischen Mitchristen, unsere kleine Stadt und für die ganze Welt. Amen.

 

 

 

 

Aber weil so viele sich auf ihre Vorzüge berufen, will ich es auch einmal tun... Ich habe härter für Christus gearbeitet. Ich bin öfter im Gefängnis gewesen, öfter geschlagen worden. Häufig war ich in Todesgefahr. Fünfmal habe ich von den Juden die neununddreißig Schläge bekommen. Dreimal wurde ich von den Römern mit Stöcken geprügelt, einmal wurde ich gesteinigt. Ich habe drei Schiffbrüche erlebt; das eine Mal trieb ich eine Nacht und einen Tag auf dem Meer. Auf meinen vielen Reisen haben mich Hochwasser und Räuber bedroht. Juden und Nichtjuden haben mir nachgestellt. Es gab Gefahren in Städten und in Einöden, Gefahren auf hoher See und Gefahren bei falschen Brüdern. Ich hatte Mühe und Not und oftmals schlaflose Nächte. Ich war hungrig und durstig, oft hatte ich tagelang nichts zu essen. Ich fror und hatte nichts Warmes anzuziehen. Ich könnte noch vieles aufzählen; aber ich will nur noch eins nennen: die Sorge um alle Gemeinden, die mir täglich zu schaffen macht. Wenn irgendwo jemand schwach ist, bin ich es mit ihm. Und wenn jemand an Gott irre wird, brennt es mich wie Feuer. Wenn schon geprahlt werden muss, will ich mit meiner Schwäche prahlen...

 

Aber der Herr hat zu mir gesagt: »Du brauchst nicht mehr als meine Gnade. Je schwächer du bist, desto stärker erweist sich an dir meine Kraft.« Jetzt trage ich meine Schwäche gern, ja, ich bin stolz darauf, weil dann Christus seine Kraft an mir erweisen kann.

 

 

 

 


Liebe Gemeinde!

 

Haben Sie schon einmal so richtig angegeben, mit Ihren Fähigkeiten geprahlt, dann muss uns diese Rede des Paulus mehr als merkwürdig vorkommen. Es ist ja nicht gerade chick, mit seinen Schwächen anzugeben, wenn es heute doch in allen gesellschaftlichen Bereichen darauf ankommt, sich von seiner besten Seite zu präsentieren, seine Stärken hervorzuheben, sein Können anzupreisen. Einen „Tränenbrief“ in die Welt zu schicken und auf Gehör zu hoffen, das ist mehr als gewagt. Ein Narr, wer sich so auf eine Stelle bewerben wollte, eine Beförderung erhoffen, von seiner Bank einen Kredit erbitten würde. Nein, ins richtige Leben passt ein solcher Gruß nun wirklich nicht.

 

Wir kennen Paulus ja ein wenig aus seinen unterschiedlichen Briefen und wissen, dass er sich sehr genau überlegt, wen er vor sich hat, ansprechen will und mit welchen Mitteln er sein Ziel verfolgt. Er muss bei den Korinthern Gehör finden, sie mit seinen Argumenten überraschen und so wählt er hier sehr bewusst das Narrengewand. Wo andere sich ihrer geistlichen Fähigkeiten rühmen, sich mit ihrem Glauben über andere erheben, sich zum Maßstab für Frömmigkeit machen, da scheut Paulus sich nicht, sie mit einer schier närrischen Rede herauszufordern. Auf alle Fälle haben sie ihn angehört, vermutlich einige recht verärgert, denn Paulus durchkreuzt ihre Ansichten und Absichten, er kommt ihnen nicht mit seinen Ruhmestaten, sondern mit einer Theologie des Kreuzes in die Quere.

 

So müssen sie ihn ernstnehmen und nicht anders. Er lebt ihnen keinen triumphalen Glauben vor, sondern einen sehr alltagsfähigen, bodenständigen, denn hier muss sich jeder Glaube bewähren und nicht in frommen Worten und mit einem überheblichen Geist, der sich über den Glauben und das Leben anderer stellt. Paulus kann mit seiner „Schwäche prahlen“, weil er auf Gott hört, weil er hört, was Gott ihm zusagt: „Du brauchst nicht mehr als meine Gnade. Je schwächer du bist, desto stärker erweist sich an dir meine Kraft.“ Weil Paulus diesem Wort vertraut, kann er so von seinen Schwächen öffentlich reden und sich zum Narren machen.

 

Aber wenn wir in die Bibel hinein schauen, dann erleben wir ja häufiger solche „Anti-Typen“: Johannes, der sich von Heuschrecken ernährt und umgebracht wird; Jesus, der von seiner Familie zu hören bekommt: „Er sei von Sinnen“ und ebenfalls sein Leben lassen muss oder eben Paulus, der sich trotz seiner hohen Intelligenz und Bildung zum Narren macht. Auch er wurde hingerichtet. Anti-Typen, die mit ihrem Glauben die Welt veränderten, etwas in Gang setzten, aber einen hohen Preis dafür zu zahlen hatten. Menschen, denen die Gottesliebe wichtiger war, als das scheinbare Lob, die Zustimmung der Menschen.

 

Oder schauen wir einmal in das Leben des dänischen Philosophen und Theologen Sören Kierkegaard: Schon früh fragt er angesichts der vorherrschenden Philosophie seiner Zeit nach seiner Bestimmung. Er fragt und sucht wegen einer existentiellen Not, die sein Leben von frühester Jugend an begleitet hat. „Sein Vater stammte aus Jütland, aus einer armseligen Kate auf der jütischen Heide. Dort hatte er in seiner Kindheit als Hütejunge ein armes und elendes Dasein geführt. An einem kalten regnerischen Herbsttag war er einmal in der öden Heide auf einen Hügel gestiegen, hatte die Faust gen Himmel gereckt und Gott geflucht, weil er ihn in einem solchem elenden und freudlosen Dasein sich selbst überließ.“ [1]

 

 

Später in Kopenhagen zu Wohlstand gekommen, beschließt er seinen Sohn Sören Gott als Opfer darzubringen, um ihn zu versöhnen. „In einem feierlichen Augenblick überträgt der alte Vater seine Schuld auf den Sohn, der an dieser schier zerbricht. Sören wird sich in seinem Leben seinem Gott nur noch im Bewusstsein dieser Schuld und Last nahen. So bekennt er sehr viel später einmal: „Ich soll wagen zu glauben, dass ich durch Christus gerettet werden kann aus der Gewalt der Schwermut ...“  [2]

 

Das ist kein theologischer, kein theoretischer Lehrsatz mehr, sondern eine Erfahrung, die sich dem Glauben an Gott verdankt und wo ebenfalls gehört wurde: „Du brauchst nicht mehr als meine Gnade. Je schwächer du bist, desto stärker erweist sich an dir meine Kraft.“ Als 42jähriger stirbt Kierkegaard im Frieden mit Gott. Seiner Kirche bleibt er eine Herausforderung bis an den letzten Tag seines Lebens.

 

Wir alle, wirklich ein jeder von uns erlebt ja seine eigenen ganz persönlichen Schwächen; die Schattenseiten, welche ihn bedrücken; die Niederlagen, welche sich wie schmerzhafte Narben in der Biografie niedergeschlagen haben; die Verlusterfahrungen, welche dazu zwingen, sich einer veränderten Lebenssituation zu stellen. Kein Leben verläuft einfach nur erfolgreich und glatt, immer nur auf der Überholspur des Lebens. Und weil das unsere Realität ist, darum müssen wir uns fragen, wie wir damit umgehen, ja wir werden gefragt, wie wir damit auch als Christen leben und welches Zeugnis unseres Glaubens wir gerade auch in solchen Lebensphasen und Lebenssituationen ablegen?

 

Vor kurzem fragte ich meine KonfirmandInnen, was für sie einen Wert habe, was ihnen wichtig in ihrem Leben sei, und sie zählten auf: Familie, Glück, ein Zuhause zu haben. Der Glaube kam als Wert in ihrer Werteskala nicht vor. Warum eigentlich? Sind da nicht wir Erwachsenen gefragt und gefordert?

 

Wir erleben zur Zeit eine große kulturelle Auseinandersetzung um die zwölf Karikaturen, die zu einigen großen Aufständen, zu Protesten in der ganzen islamischen Welt geführt haben. Überlegen wir uns eigentlich genug, wie wir Christen unsere Werte, auf die wir uns ja gern berufen, leben, und was das eigentlich für Werte sind, wenn immer wieder einmal unser eigener Glaube und der Glaube anderer lächerlich gemacht wird? Was sagen wir Christen denn noch, wenn Jesus in Filmen und in der Kunst mehr als zweideutig dargestellt wird? Wir selbst geben doch dadurch, dass wir jenseits der Aufklärung leben, uns scheinbar alles egal ist und jeder machen darf, was er will, die Vorlage zu solchen Entwicklungen.

 

Stürzen über uns Dächer ein oder kommen Menschen durch Natur- und andere Unfälle ums Leben, dann ist die Kirche gefragt, dann wünschen wir einen Rahmen für unsere sprachlose Trauer, immer ernstgenommen und in den Medien positiv aufgegriffen. Doch wie leben wir selbst – alltagsfähig - unseren Glauben, die Werte, die sich auf ihm gründen? In den vergangenen Wochen wurden wir immer wieder einmal an den hundertsten Geburtstag von Dietrich Bonhoeffer erinnert, einem der „modernen Märtyrer“. Er hat, so wird es uns von ihm glaubhaft berichtet, sein „Christsein in dem Spannungsverhältnis von göttlicher Gnade und konkreten gesellschaftlichen Verhältnissen“ [3] begriffen. Er lebte, mit allen, auch den bitteren Konsequenzen, was er glaubte.

Kein Mensch verflucht Gott heute mehr, wie es der junge Kierkegaard von seinem Vater erfuhr, das würde ja noch von einer Auseinandersetzung mit Gott zeugen, nein, es ist viel schlimmer, Gott ist uns gleichgültig geworden, kein Thema mehr für die Fragen und Herausforderungen des Alltags. Das aber hat natürlich Konsequenzen für das Leben und Zusammenleben in unserer Gesellschaft. Gott wird dem modernen Menschen beliebig, denn er wird dann hervorgeholt, wenn er ihn einmal an einer der Schwellen in seinem Leben braucht. Aber immerhin, wenn das schon nicht von einem verwurzelten Glauben zeugt, so doch, dass Gott noch nicht ganz vergessen ist.

 

Wenn Paulus es wagt, sich zum Narren zu machen, um mit seiner Predigt nicht nur bis zu den Ohren, sondern eben auch bis zum Verstand und zum Herzen seiner Hörer zu kommen, so sind wir nun gefragt, was können wir denn tun, um als Christen heute gehört zu werden? Es ist überhaupt eine Anfrage an alle Religionen und Konfessionen, was wir geistig und geistlich noch in das öffentliche Leben einzubringen haben? Wir jedenfalls sollten dem Frieden dienen und nicht neue Konflikte schüren. So nehmen wir den „Dienst“ des Glaubens an der Welt wahr, so erst können wir überzeugen, nicht dadurch dass wir gelegentlich religiös sind und uns der Glaube ansonsten gleichgültig ist.

 

In meinem Dienst erfahre ich immer wieder einmal, dass wir Gehör finden, nicht durch närrische Reden, aber in dem wir Position beziehen, in dem deutlich wird, dass wir zu unserem Glauben, zu unserer Kirche stehen. Ich sehe oftmals erstaunte Gesichter, wenn ich von meiner Gemeinde erzähle und was in ihr alles möglich ist; von den vielen MitarbeiterInnen, die sich in unterschiedlichsten Kreisen und Gruppen engagieren; von unseren Gottesdiensten mit denen wir uns nicht verstecken müssen, von Menschen, die andere besuchen, die krank, alt oder einsam sind, ohne eine Rechnung dafür zu verlangen. Aber vielleicht macht uns ja gerade das heute schon wieder zu Narren, in einer Gesellschaft, in der jeder sich selbst der Nächste ist.

 

Ich glaube, dass wenn wir Paulus recht verstehen, Christsein immer eine Art Sonderexistenz ist, nicht von Mehrheiten bestimmt, sondern von einer Minderheit, die ihren Glauben lebt, auch wenn sie sich damit manchmal zum Narren macht. Aber gerade so wird man auch sie wahrnehmen. Die christlichen Kirchen, die westliche Welt hat also überhaupt gar keinen Grund, sich über andere zu erheben, zu meinen, besser als andere zu sein. Zunächst einmal müsste unser Leben und Zusammenleben ja etwas davon aufzeigen, wie unser Glaube in ganz konkreten gesellschaftlichen Verhältnissen wahrgenommen wird – bis hin zum Umgang mit Fremdheit und Andersartigkeit, die wir in anderen Religionen und Kulturen wahrnehmen. Und da bleibt noch viel für uns, wie für unsere Kirchen zu tun.

 

Mitten in der alemannischen Fasnet ein solches Wort! Bewusst keine Narrenrede heute! Aber im bunten, munteren Trubel dieser Tage bleibt die Anfrage an uns, wie ernst wir unseren Glauben noch nehmen, um so mit vielen Glaubenszeugen vor uns zu Narren in der Nachfolge Jesu zu werden. Zuversichtliche Narren, die etwas von dem Paradies unter uns und in der Welt aufleuchten lassen, das wir scheinbar schon so lange verloren haben. Lassen wir uns ganz neu ermutigen, denn auch zu uns wird gesagt: „Du brauchst nicht mehr als meine Gnade. Je schwächer du bist, desto stärker erweist sich an dir meine Kraft.“ Amen.

 

 

 

 

 

 

Literatur:

 

1) Paulsen, A., Sören Kierkegaard, Hamburg, 1955, S. 19

2) Wolf, E., Festschrift Rudolf Bultmann, Stuttgart, 1949, S. 36

3) Bethge, E., Religion ist nichts, Glaube ist alles,

    Evangelische Kommentare, 8/94, S. 474

 

 

 

Ellwein, E., Hrsg., D. Martin Luthers Epistel-Auslegung, 2. Band, Göttingen, 1968

Bethge, E., Dietrich Bonhoeffer, München, 19784

Schneider, H.-H., Predigt zum 11. Sonntag nach Trinitatis, 1998

 

 

 

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