12. Sonntag nach Trinitatis, ApG 9, 1-9
Begrüßung:
Liebe Gemeinde! Aus dem Urlaub zurück, freue ich mich, diesen Gottesdienst mit Ihnen feiern zu dürfen. Viele Gemeindeglieder sind unterwegs und genießen ihren Urlaub mit neuen Erfahrungen und hoffentlich auch der nötigen Ruhe. Wir werden mit unserem Predigttext heute nach Damaskus geführt, eine quick lebendige Großstadt in Syrien. Dort erlebt Paulus das, was wir eine Bekehrungsgeschichte nennen, auf alle Fälle aber eine radikale Umkehr seines Lebens. Lassen wir uns einladen, einmal nach dem Weg unseres Glaubens zu fragen, ganz gleich, wo wir gerade sind und wie wir selbst unseren Glauben erleben.
Die Augen der Blinden werden aus Dunkel und Finsternis sehen und die Tauben werden hören die Worte des Buches (Jes. 29,18).
Gebet:
Herr, guter Gott! Wir danken dir für dein Wort, für deinen guten Geist, der uns in diesem Gottesdienst zusammengeführt hat. Wir bitten dich, schenke auch uns mit einem tragfähigen Glauben ein neues Bewusstsein für unser Leben und alles Leben in der Welt. Lass uns aufhören, uns selbst bewusst oder unbewusst zu Göttern unseres Lebens zu machen, damit unsere Welt wieder menschlicher wird, Hoffnung und Zukunft möglich ist. So beten wir für alle Menschen, die in ihrem Unglauben gefangen sind, für alle, die von Zweifeln gequält werden. Schenke uns allen eine sinnstiftende Umkehr zu einem Glauben, der uns wirklich trägt, zu einer Hoffnung, die aller Resignation Grenzen setzt und zu einer Liebe, die neues, schöpferisches Leben schenkt, Phantasie und Kreativität.
Wir danken dir für alle Menschen unter uns, die uns mit ihrem Glauben ein Vorbild sind und die sich in unserer Gemeinde und Kirche mit ihrem Engagement einbringen. Vor dir bringen wir nun auch voller Dankbarkeit alle Menschen in Erinnerung, die uns den Weg zu dir vorangegangen sind – und beten für uns, unsere Gemeinde, die St. Laurentius Pfarrei, unsere kleine Stadt und für die ganze Welt.
Saulus verfolgte die Jünger und Jüngerinnen des Herrn weiterhin voller Wut und mit schweren Drohungen. Er ging zum Obersten Priester und ließ sich Briefe an die jüdischen Gemeinden in Damaskus geben. Darin wurde ihm die Vollmacht erteilt, auch dort nach Anhängern der neuen Lehre zu suchen und sie gegebenenfalls - Männer wie Frauen - festzunehmen und nach Jerusalem zu schaffen. Auf dem Weg nach Damaskus, kurz vor der Stadt, umstrahlte ihn plötzlich ein Licht vom Himmel. Er stürzte zu Boden und hörte eine Stimme: »Saul, Saul, warum verfolgst du mich?« »Wer bist du, Herr?« fragte Saulus. Die Stimme sagte: »Ich bin Jesus, den du verfolgst! Aber steh auf und geh in die Stadt! Dort wirst du erfahren, was du tun sollst.« Den Männern, die Saulus begleiteten, verschlug es die Sprache. Sie hörten zwar die Stimme,
aber sie sahen niemand. Saulus stand von der Erde auf und öffnete die Augen - aber er konnte nichts mehr sehen. Da nahmen sie ihn an der Hand und führten ihn nach Damaskus. Drei Tage lang war er blind und aß nichts und trank nichts.
Liebe Gemeinde,
wie wird man eigentlich vom Saulus zum Paulus - und macht eine solche Erfahrung heute noch einen Sinn? Kennen Sie aus Ihrem Leben vergleichbare „Bekehrungsgeschichten“, wie sie uns hier von Paulus berichtet wird, eine Bekehrung mit Ort und Zeit, wie wir sie ja aus pietistischen Kreisen, vor allem auch aus amerikanischen Freikirchen kennen? Erst der ist ein richtiger Christenmensch, der sagen kann, wann er sich für Gott, für den Glauben entschieden hat. Nur der gehört wirklich dazu, der um die Stunde seiner Bekehrung weiß, mit der ein neues Leben beginnt.
Von Gerhard Tersteegen, dem wir ja einige Lieder in unserem Gesangbuch verdanken, wissen wir, dass er nach seiner Bekehrung mit seinem eigenen Blut eine Erklärung schrieb, „in der er versprach, sein Leben künftig voll und ganz dem Dienst Christi zu weihen.“ [1]. Kennzeichen einer solchen Religiosität ist eine Überbetonung der Innerlichkeit, verbunden mit dem Glauben, dass die Bibel ein wortwörtliches Diktat Gottes ist. Der große Philosoph Immanuel Kant der 1804, also vor genau 200 Jahren starb, empfand seine pietistisch geprägte Schulzeit als eine besonders „harte Form von Sklaverei, die nicht nur nicht sehr nützlich, sondern ausgesprochen schädlich war. In der Schule herrscht ein Zwang, Mechanismus und ein Gängelwesen der Regeln, das den Menschen oft alle Kühnheit nimmt, selbst zu denken...“ [2]
Wie also sind Erfahrungen denkbar, wie sie uns hier von Paulus oder anderen berichtet werden, und kann es den Glauben auch ohne vergleichbare Erlebnisse geben? Hier stellt sich ja die Frage, woran sich der Glaube als `christlicher´ Glaube entscheidet. Paulus war ein hochgelehrter römischer Bürger, doch weist sein Name Saulus darauf hin, dass er jüdischer Herkunft ist. Paulus verfolgt als Pharisäer alle, die sich dem jüdischen Glauben entfremdet haben, so auch die ersten Christen in ihren kleinen Gemeinden. In dem, was er dort in Damaskus auf seiner Dienstreise für seinen Glauben erfährt, geht es nun aber ganz anders als im Pietismus eben nicht darum, dass er sich zu Christus bekehrt, sondern umgekehrt, dass er eine Erfahrung macht, für die er gerade nichts kann.
Paulus ist ein „Seiteneinsteiger“ in den Glauben, der sich mit Christus verbindet. Und es ist heute sicher ganz besonders hilfreich, das genau zu hören. Viele Menschen, auch Menschen, die ich aus unserer Kirche gut kenne, glauben an die Bedeutung ihrer Entscheidung, die sie nun zum oft wirklich engen und einengenden Maßstab für andere machen. Ihre Entscheidung zum Glauben begründet ihren Glauben, anstatt umgekehrt glauben zu dürfen, dass es ja gerade Gott ist, der sich für mich und mein Leben entschieden hat. Das wird in der Taufe, mit der wir ja in eine Beziehung, ein Verhältnis zu Gott gesetzt werden, deutlich.
Gott handelt an uns, worauf wir nun mit unserem Glauben antworten. Und so erlebt es Paulus. Nicht er macht sein Erlebnis in Damaskus zum Maßstab für andere, sondern er erfährt Gott mitten in seinem Leben, so, wie es Menschen in allen Zeiten und auf unterschiedlichste Weise erlebt haben und auch in Gegenwart und Zukunft erleben werden. Da mag es besondere Glaubenserfahrungen geben oder auch nicht, entscheidend ist aber allein Gott und nicht etwa das Wie oder Wann meiner persönlichen Entscheidung zum Glauben. Der Jude Paulus erfährt, dass er es nun in seinem Leben mit Christus zu tun bekommen hat. Er ist es, der sein Leben nachhaltig verändert.
Dennoch ist und bleibt es bedeutsam, dass man sich seines Glaubens bewusst ist und aller Konsequenzen, die mit ihm verbunden sind. Zunächst einmal gilt ja, dass jeder Mensch an irgend etwas glaubt, es wird sogar so sein, dass immer noch unzählige Menschen selbst in Deutschland an (so etwas wie) Gott glauben, aber dieser Gott ist weit von dem Gott entfernt, der uns in der Bibel bezeugt ist, auf den wir unsere Kinder einmal taufen ließen und den wir im Glaubensbekenntnis bekennen. Da finden Menschen ihren Gott in der Natur, sie ersetzen Gott durch das Schicksal oder gar die Vorsehung, sie reden vom Wettergott und spüren gar nicht mehr, dass sie sich ein ganz eigenes Gottesbild zurechtgelegt haben. Ein Bild von Gott das den biblischen Gott selbst längst ersetzt hat.
Besonders deutlich wird diese Religiosität unserer Zeit dadurch, dass wir Menschen selbst uns zu Göttern unseres Lebens machen. Der Machbarkeitswahn blüht, es ist uns alles erlaubt, was möglich ist, Grenzen in Bezug auf Wissenschaft und Forschung gibt es nur für andere, nicht aber für mich selbst. Jugendlichkeits- und Schönheitswahn machen es uns heute schwer, eine Krankheit anzunehmen, das Altwerden und selbst den Tod im Leben zu akzeptieren, ganz zu schweigen von den Möglichkeiten der Gentechnologie und so machen wir uns scheinbar selbst zu Schöpfern unseres Lebens.
Seit der Aufklärung vor gut 200 Jahren ringt der Mensch mehr oder weniger um seine Autonomie, um die Freiheit seiner Selbstbestimmung, aber es wurde ihm immer schwerer, diese mit dem Glauben an Gott zu verbinden bis dann schließlich Friedrich Nietzsche den „Übermenschen“ propagierte. Er sagte: „Ich lehre euch den Übermenschen. Der Mensch ist etwas, das überwunden werden soll... Der Übermensch ist der Sinn der Erde! Euer Wille sage: der Übermensch sei der Sinn der Erde! Ich beschwöre euch, meine Brüder, bleibt der Erde treu und glaubt denen nicht, welche euch von überirdischen Hoffnungen reden! Giftmischer sind es, ob sie es wissen oder nicht. Verächter des Lebens sind es, Absterbende, selber vergiftete, deren Erde müde ist: so mögen sie dahinfahren.“ [3]
Hier wird der Mensch zu seinem eigenen Gott gemacht und Gott im Grunde unnötig. Dieser Geist mündete schließlich auf mehr oder weniger krummen Wegen in den unsinnigen Überlegungen der Nazis vom „arischen Menschen“, in die - an der Würde des Menschen gemessenen Unmöglichkeit - eine Atombombe auf belebte Städte abzuwerfen oder ganz aktuell, die durchaus berechtigte weltweite Terrorbekämpfung unsinnig mit einem Kreuzzug zu vergleichen. Dies sind Beispiele dafür, dass sich der Mensch scheinbar selbst zu seinem Gott gemacht hat, Herrschaft in Anspruch nimmt, die ihm so nicht zusteht. Dieser Geist mündet schließlich auch in einer Haltung, in der wir alle uns Gotteserfahrungen verschließen, unsere Wege an einem tragfähigen und wirklich verlässlichen Glauben vorbei suchen, und nun dabei sind, uns wie der Baron Münchhausen an den eigenen Haaren aus dem Sumpf herausziehen wollen. Aber auch unsere Gedankenlosigkeit und Gleichgültigkeit führen uns gedanklich den falschen Göttern zu.
Und da sind wir modernen Menschen nun mit einem Glauben, der seine Wurzeln zu verlieren scheint, wenn wir uns nicht jeden Tag neu daran erinnern und vielleicht auch daran erinnern lassen, was denn der eigentliche Grund unseres Glaubens ist:
Der biblische Gott, der in seinem Sohn Jesus von Nazareth Mensch wurde mitten in seiner Zeit und Welt und der uns mit seinem Geist auch heute noch so nahe kommt, dass wir hier sind, um miteinander Gottesdienst zu feiern.
Fragte ein Mann wie Kant noch danach: „Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen?“ [4], so geht es uns heute allzu oft nur noch um mich, um mich und noch einmal um mich selbst, und damit oft um reine Oberflächlichkeiten, den einfachsten Weg, den geringsten Aufwand. Umkehr ist nötig, so nötig, wie eine Besinnung darauf, was das Leben trägt, ihm seinen Sinn gibt, jenseits von einer selbst zerstörerischen Ichbezogenheit und dümmlichem Glamour.
Aus Paulus, einem Verfolger der Christen, wird schließlich ein Verfolgter wegen Christus. Es ist der Herr unseres Glaubens der ihn anspricht und dem er nun folgen wird. Ein unerwarteter Anstoß, ein Impuls von außen. Diese Erfahrung ist ihm spürbar bis in körperliche Reaktionen hinein. Erst jetzt beginnt sein eigentlicher Dienst, die Erfüllung seines Lebens. Gerade durch seinen Glauben bleibt er Gott und der Erde treu. Seine Geschichte ist exemplarisch dafür, dass Gott sehr unterschiedlich in das Leben des Menschen und durch ihn dann auch in das Leben der Welt eingreift. Es kann sehr unterschiedlich sein, wie Menschen von Gott angesprochen werden, entscheidend ist dabei ja nur, dass Gott auch heute noch spricht und wir wieder einmal das Hören lernen.
Was bleibt, ist für uns auf alle Fälle danach zu fragen, wie es denn um unsere eigene Gottesbeziehung steht, die Erfüllung unseres Lebens? Wir brauchen keine Bekehrungsgeschichte und wem sie dennoch einmal geschenkt wurde, der mag dankbar dafür sein. Was wir aber alle brauchen, ist ein Glaube, der trägt, ein ganz neues Bewusstsein für das Beziehungsgeschehen zwischen Gott und seinem Menschen und dem Menschen und seinem Gott. Dann würde es aufhören, dass wir uns selbst zu Göttern unseres Lebens machen, ein richtiger Schritt zu einem verantwortlichen Leben vor Gott und für unsere eine Welt. Amen.
Literatur:
1) Musell, G., Die Geschichte der Christlichen Spiritualität, Oxford, 2001, S. 180
2) Kühn, M., Kant, eine Biographie, München, 20044, S. 63
3) Nietzsche, F., Also sprach Zarathustra, Vorrede Nr. 3, Kröner, Leipzig, 1918, S.13
4) Kühn, M., a.a.O., S. 281
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http://www.evang-kirche-kenzingen.de und
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