Evangelische Kirchengemeinde Kenzingen

Pfingsten 2004, ApG 2, 1-18

 

 

 

Begrüßung:

 

Liebe Gemeinde! Der Pfingsttag erinnert uns daran, dass wir uns in der Welt viele goldene Kälber errichteten, die wir nur allzu gern angebetet haben, doch nun angesichts einer gesellschaftlichen Krise vor deren Trümmern stehen. Wir taten das Machbare, aber oftmals blieb der Geist auf der Strecke und die Geistlosigkeit ließ unseren Alltag grau werden, die Lebensfreude seltener, Glaube, Hoffnung und Liebe rar. Darum wollen wir diesen Tag wie einen Erntedanktag feiern und Gott selbst für seinen guten Geist danken, der da war und da ist - und uns Christen eine Sprache finden lässt, die der Welt Hoffnung schenkt und Mut macht zum Leben.

 

Dies ist der Tag, den der Herr macht; lasst uns freuen und fröhlich an ihm sein (Psalm 118, 24).

 

 

Gebet:

 

Herr, guter Gott! Du hast uns einen Geist geschenkt, der einmal Stumme zum Reden brachte, Lahme auf die Beine stellte, Verängstigte und Verunsicherte auf die Strasse heraus holte. Du hast deinen Geist in die Welt hineinstürmen lassen, so dass er spürbar wurde. Lass uns heute nicht am Damals hängen, sondern schaffe auch in uns diesen neuen Geist, der nun auch uns bewegt, das rechte Wort zu sagen und einen Glauben zu leben, der Mut und Hoffnung schenkt über vielerlei Grenzen, die einzelne Menschen, Nationen. Religionen und Konfessionen, Rassen und Klassen hinweg. Herr, wir danken dir für deinen guten Geist. Amen.

 


 

Als das Pfingstfest kam, waren wieder alle, die zu Jesus hielten, versammelt. Plötzlich gab es ein mächtiges Rauschen, wie wenn ein Sturm vom Himmel herabweht. Das Rauschen erfüllte das ganze Haus, in dem sie waren. Dann sahen sie etwas wie Feuer, das sich zerteilte, und auf jeden ließ sich eine Flammenzunge nieder. Alle wurden vom Geist Gottes erfüllt und begannen in anderen Sprachen zu reden, jeder und jede, wie es ihnen der Geist Gottes eingab.

 

Nun lebten in Jerusalem fromme Juden aus aller Welt, die sich hier niedergelassen hatten. Als sie das mächtige Rauschen hörten, strömten sie alle zusammen. Sie waren ganz verwirrt, denn jeder hörte die Versammelten, die Apostel und die anderen, in seiner eigenen Sprache reden. Außer sich vor Staunen riefen sie: »Die Leute, die da reden, sind doch alle aus Galiläa! Wie kommt es, dass jeder von uns sie in seiner Muttersprache reden hört? Wir kommen aus Persien, Medien und Elam, aus Mesopotamien, aus Judäa und Kappadozien, aus Pontus und aus der Provinz Asien, aus Phrygien und Pamphylien, aus Ägypten, aus der Gegend von Zyrene in Libyen und sogar aus Rom. Wir sind geborene Juden und Fremde, die sich der jüdischen Gemeinde angeschlossen haben, Insel- und Wüstenbewohner. Und wir alle hören sie in unserer eigenen Sprache die großen Taten Gottes verkünden!«

 

Erstaunt und ratlos fragten sie einander, was das bedeuten solle. Andere machten sich darüber lustig und meinten: »Die Leute sind doch betrunken!« Da stand Petrus auf, und die elf anderen Apostel mit ihm, und er rief laut: »Ihr Juden aus aller Welt und alle Bewohner Jerusalems! Lasst euch erklären, was hier vorgeht; hört mich an! Die Leute hier sind nicht betrunken, wie ihr meint; es ist ja erst neun Uhr früh. Nein, hier geschieht, was Gott durch den Propheten Joël angekündigt hat: `Wenn die letzte Zeit anbricht, sagt Gott, dann gieße ich über alle Menschen meinen Geist aus. Männer und Frauen in Israel werden dann zu Propheten. Junge Leute haben Visionen und die Alten prophetische Träume. Über alle, die mir dienen, Männer und Frauen, gieße ich zu jener Zeit meinen Geist aus, und sie werden als Propheten reden...´

 


Liebe Gemeinde!

 

„Im ganz normalen Leben“, so schrieb es vor kurzem Hanno Rauterberg in der ZEIT, „wäre die christliche Kirche ein konkursbedrohter Sanierungsfall. Veraltert das Verkaufskonzept, erodierend der Kundenstamm und die Umsätze im Sturzflug: ein Mischkonzern, der überall investiert hat, im Sozialen, im Kulturellen, im Politischen, der an ewiges Wachstum glaubte und viel zu viele Filialen eröffnete, immer mehr Kindergärten, Gemeindehäuser, immer mehr Kirchen...“ [1] Die Beschreibung passt ja auf viele Bereiche unserer Gesellschaft, wo immer mehr und mehr gefordert und investiert wurde bis hin zu der Erkenntnis, dass es so nun nicht mehr weitergehen wird, auch gar nicht weitergehen kann. Da sind wir also Pfingsten 2004 angekommen, eine Nation in tiefer Depression, der aber – seien wir ehrlich – oft der Blick dafür verstellt ist, wie viel Grund zu einer tiefen Dankbarkeit wir dennoch Tag für Tag haben.

 

Sind wir, so muss man an einem Tag, wie diesem, einmal fragen dürfen, eigentlich von allen guten Geistern verlassen? Sehen wir denn nicht, dass unsere Gesellschaft sich wandelt, sich angesichts der Realitäten wandeln muss, was aber jede Gesellschaft von Zeit zu Zeit zu leisten hat und worin ja auch große, ermutigende Chancen liegen? Ich kenne noch Kirchen aus der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg in denen die Schutthalden meterhoch lagen und in denen heute Sonntag für Sonntag Gottesdienste gefeiert werden, - Städte, wo niemand glaubte, dass es dort wieder einmal Wohlstand und Kultur geben könnte. Ich kenne Regionen in der Welt, in denen den Familien das Trinkwasser zugeteilt wird und Menschen wirklich am Existenzminimum leben müssen, weit von dem Wohlstand entfernt, den wir trotz der sich verändernden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in unserem Land haben dürfen.

 

Das Pfingstfest von dem uns die Bibel berichtet, ist ursprünglich ein jüdisches Erntedankfest gewesen. War Jerusalem in normalen Zeiten eine mittlere Kleinstadt, so wuchs die Stadt zu den Festen, an denen der Tempel Gottes besucht wurde, um Dank zu sagen, enorm an. An einem Erntedanktag schenkt Gott der Welt seinen guten Geist. Stellen wir uns einmal die Jünger Jesu vor: Manche waren aus nackter Angst vor Verfolgung aus Jerusalem geflohen, andere hielten sich versteckt, weil sie nicht als erkannte Freunde Jesu in Mithaftung genommen werden wollten. Niemand von ihnen konnte ahnen, was die Zukunft bringen würde und so saß man verständnislos, verunsichert und scheinbar einer glücklichen Zukunft beraubt beieinander. Sie waren damals so wenig begeistert über ihre Lebenssituation, wie viele von uns es heute ebenfalls nicht sind, wenngleich natürlich aus sehr unterschiedlichen Gründen.

 

Was damals an diesem historischen Pfingstfest geschah, lässt sich heute kaum noch nachvollziehen. Ja, der Schreiber der Apostelgeschichte macht aus einem Ereignis, wie es die Freunde Jesu wohl erfahren haben - drei getrennte: Ostern, Himmelfahrt und Pfingsten. Dennoch gehören die Auferstehung, das Zeugnis davon, dass der Vater und der Sohn eine Einheit bilden und die Gabe des Geistes zusammen. Dabei ist das Pfingstfest ein wenig spröde, da fehlen alle freundlichen Beigaben von Weihnachten und Ostern und doch geht es um etwas ganz entscheidendes, denn es ist ja dieser Geist Gottes, der die verängstigten und verunsicherten Jünger auf die Straße treibt, der ihnen die Angst vor der Zukunft nimmt und sie nun Worte finden, die Menschen unterschiedlichster Herkunft verstehen können. Es ist der Geist, der Menschen in aller Verschiedenheit dennoch verständnisvoll, ja hier und da wohl auch geistvoll leben lässt.

Unsere Sprache, die von Befehl und Gehorsam, Anordnungen und Dienstanweisungen geprägt ist, ist eine, die eigentlich nicht mehr den Menschen im anderen Menschen sieht, sondern ein Rad im Getriebe eines funktionierenden Systems und funktioniert es nicht, wird es ausgetauscht, am besten gleich durch einen Computer. Es ist unsere Sprache, die einem anderen Menschen das Gefühl gibt, ich werde geliebt, verstanden, gebraucht, hier darf ich mich sicher und geborgen fühlen. Die Sprache des Geistes verbindet und eint aus eben einem Geist heraus – das ist die Erfahrung des Pfingstfestes.

 

Unsere Zeit scheint so wenig be-geistert und ist fast unfähig geworden, die Wirklichkeit zu sehen, wie sie nun einmal ist. Ein gesellschaftlicher Wandlungsprozess schmerzt immer, ja, es tut natürlich weh, wenn es wirtschaftlich einmal nicht mehr so geht, wie zuvor und Einschnitte akzeptiert werden müssen. Doch sehen wir denn nicht, auch wenn wir nicht jede politische Entscheidung nachvollziehen oder gar gut heißen können, auf welchem Niveau wir leben dürfen, und hat nicht jede Krise auch ihre Chance auf eine Neubesinnung? In dem oben erwähnten Artikel aus der ZEIT geht es um Kirchen im Osten, die geschlossen, verkauft oder abgerissen werden müssen, weil es einfach nicht mehr genug Menschen gibt, die sich diese Kirchen leisten können. Auch die Kirchen erfahren, dass es in Deutschland zur Zeit zu wenige Geburten gibt – und durch die wirtschaftliche Lage auch die finanziellen Mittel und Möglichkeiten knapper geworden sind.

 

Und doch möchte ich mit der Pfingstgeschichte dagegen halten. Es sind ja – damals - nur ganz wenige gewesen, die übrig geblieben waren, da gab es kein Geld, keine Gotteshäuser und selbst den Tempel hatte man bald verloren. Die junge Gemeinde lebte in kleinen Einheiten, oft heimatlos, manchmal sogar nur im Untergrund, aber sie wuchs und wuchs sich in die Welt hinein. Liebe Gemeinde, wir sind da! Es gibt uns und zwar in enorm großer Zahl. Bedenken wir, wie viele Menschen in Deutschland nach wie vor sonntags zum Gottesdienst gehen, am Abendmahl teilnehmen, wie lebendig unzählige unserer Gemeinden wirklich sind. Da gibt es keinen Grund zur Klage, aber viele Gründe zu einer tiefen Dankbarkeit.

 

Vor vierzehn Tagen war ich im Freiburger Münster bei der Priesterweihe von Rüdiger Kopp, den ja viele von uns kennen und der schon manchen Gottesdienst mit uns zusammen gefeiert hat, da wurde deutlich, wie sehr die Kirche lebt, so, wie ja auch bei der Feier der Primiz (der ersten Feier der Eucharistie) in Hecklingen am vergangenen Sonntag. Und es sind eben nicht nur solche Festtage, die Menschen aus ihren Betten und Häusern holen, nein es ist der ganz normale Alltag in unseren Gemeinden, wo viel mehr Leben ist, als es der Öffentlichkeit bewusst ist. Angesichts der Situation der Kirche sprach Erzbischof Zollitsch einmal von der „Verdunstung des Glaubens...“, [2], doch er tat das nicht resignierend, sondern beschreibend.

 

Viele Menschen suchen sich heute ihren eigenen Weg des Glaubens, weil ihnen ihre Kirche fremd geworden ist. Sie sind für eine bestimmte Zeit ausgewandert aus dem kirchlichen Leben und kehren dann heim, wenn sie ihre Kirche als verlorene Heimat bei der Trauung, der Taufe, der Konfirmation/Firmung der Kinder oder einer Beerdigung einmal brauchen. Aber sie kommen wieder, sie sind da - und hier müssen wir die Worte finden, die es möglich machen, in der Kirche mehr zu sehen, als einen Dienstleister zur Begleitung an den Schwellen des Lebens, so wichtig und richtig das sein mag.

Auch wenn sich heute viele Menschen ihren eigenen Weg suchen, um ihrem Glauben eine Gestalt zu geben, dürfen wir in unseren Kirchen für alles Leben und Engagement überdankbar sein. Es ist der Geist auf den es ankommt, und der uns immer noch und immer wieder Worte finden lässt, der die Türen und Fenster unserer Kirchen und Gemeindehäuser öffnet.

 

Dabei sollen wir als haupt-, ehren, - oder nebenamtliche Mitarbeiter unserer Kirchen einerseits um unseren eigenen Ort in ihr wissen, uns aber andererseits nicht übernehmen. Wir dürfen den „Mut zur Lücke“ (Zollitsch) haben und müssen als Kirche nicht immer alles wollen und mitmachen, das gilt auch für unsere Kinder- und Jugendarbeit, für alle Freizeitgestaltung unter dem großen Dach der Kirche. Es bleibt für uns immer die Frage, wes Geistes Kinder wir sind? Pfingsten darf eben nicht nur ein Festtag im Jahreskreis für uns sein, eine folgenlose Rückerinnerung an ein vergangenes Geschehen, sondern es muss zu einer lebendigen Erfahrung unseres Lebens werden, dass wir vom Geist Gottes beseelt sind und darum – wie die Jünger damals – in einer Sprache reden und einen Glauben leben, der sogar andere immer wieder einmal erstaunt und Glaube und Kirche wieder und wieder ins Gespräch bringt.

 

In den Medien konnten wir jetzt von einer neuen „ökumenischen Leidenschaft“ [3] lesen. Trotz der engherzigen römischen „Instruktionen zur Liturgie“, die man durchaus als kirchentrennend lesen muss, haben die Evangelische Landeskirche in Baden und das Erzbistum Freiburg die Möglichkeit von Partnerschaften in unseren Gemeinden angestoßen. Hier wird der Ökumene ein neuer, wirklich verheißungsvoller Weg gewiesen. Im Kern - dem Verständnis des Amtes und der Eucharistie - verändert sich damit noch nichts, aber es wird immerhin nun die Möglichkeit geschaffen, dass wir vor Ort in unseren Gemeinden stärker und nun auch ganz offiziell in vielen Fragestellungen des kirchlichen Lebens und Alltags kooperieren können. Ich wünsche mir das auch für unsere Gemeinden hier in Kenzingen und bin sehr zuversichtlich, dass wir ebenfalls zu einer solchen Vereinbarung mit der St. Laurentius Pfarrei kommen werden.

 

Es geht um den Geist der Grenzen sprengt und uns in Bewegung setzt, um eine Sprache, die jeder versteht. So durchbricht der Geist unsere Isolation, wie die der Jünger damals und bewegt uns dorthin, wo wir als Christen gebraucht werden und das ist mitten in unsere Gesellschaft hinein, die es sich oft so schwer macht. Sagen wir Gott Dank für seinen guten Geist, für diesen Tag – damals – einem jüdischen Erntedanktag und für all das, was uns nach wie vor so überreich und vielfältig in unser Leben hinein geschenkt ist. Auch damit geben wir ein Zeichen unserer Hoffnung für die Welt, die Gottes Geist so nötig braucht, wie jede Zeit unserer Geschichte. Amen.

 


 

 

Literatur:

 

 

1) Rauterberg, H., DIE ZEIT, „Von allen guten Geistern verlassen“, 04.03.2004, S. 45

2) Zollitsch, R., Erzbischof von Freiburg, Konradsblatt Nr 43, 2003, S. 18

3) Badische Zeitung, Samstag, 29. Mai 2004, S. 4

           „Ein Anstoß zu neuer „ökumenischer Leidenschaft“

 

 

 

Drewermann, E., Dass alle eins seien, Düsseldorf, 1992, S. 58 ff

Roloff, J., Calwer Predigthilfen, 1997/1998, Reihe II/2, Stuttgart, 1998, S. 18ff

 

Wir weisen darauf hin, dass Sie alle unsere Predigten im Internet nachlesen können. Sie finden sie unter:

 

http://www.evang-kirche-kenzingen.de und

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