Evangelische Kirchengemeinde Kenzingen

19. Sonntag nach Trinitatis, Epheser 4, 22-32

 

 

Begrüßung:

 

Liebe Gemeinde! Wir alle wissen es, grau ist alle Theorie und die schönsten Vorsätze nutzen gar nichts, wenn sie nicht umgesetzt und mit Leben erfüllt werden. Wir werden heute mit vielem konfrontiert, was unser eigenes Leben, unser Denken und Tun überschattet, und doch soll uns das Wort Gottes ermutigen, damit wir nicht einfach resignieren und die Welt damit sich selbst und ihrem eigenwilligen Denken und Tun überlassen. Es liegt damit auch an uns, was für ein Gesicht unsere Welt bekommt.

 

Heile du mich Herr, so werde ich heil; hilf du mir, so ist mir geholfen.

 

 

Gebet:

 

Herr, guter Gott! Natürlich ist es uns nicht gleichgültig, wenn uns im Leben so viel daneben geht, und wir uns dabei oft selbst anders wünschten, als wir es sind. Viel zu oft tun auch wir das, was unser Leben und Zusammenleben stört, anstatt das, was dem Leben und Zusammenleben dient. Darum haben auch wir Anteil am leidvollen Gesicht unserer Welt, weil unsere Schuld wie eine Krankheit ist, die uns verfolgt und die wir nicht loswerden. Darum hast du uns deinen Sohn Jesus von Nazareth in diese Welt hinein geschenkt, dass uns in seinem Geist, ja in seiner Nachfolge, ein anderes Leben möglich wird. So schenke uns den Mut, zum Glauben, zur Hoffnung und zur Liebe. Amen.

 

 


 

Legt also eure frühere Lebensweise ab! Ja, legt den ganzen alten Menschen ab, der seinen Begierden folgt! Die betrügen ihn nur und führen ihn ins Verderben. Lasst euch in eurem Denken erneuern durch den Geist, der euch geschenkt ist. Zieht den neuen Menschen an, den Gott nach seinem Bild geschaffen hat und der gerecht und heilig lebt aus der Wahrheit Gottes, an der nichts trügerisch ist. Was bedeutet das im einzelnen?

 

Legt das Lügen ab und sagt zueinander die Wahrheit; denn wir alle sind Glieder am Leib von Christus. Versündigt euch nicht, wenn ihr in Zorn geratet! Versöhnt euch wieder und lasst die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen. Gebt dem Versucher keine Chance! Wer vom Diebstahl gelebt hat, muss jetzt damit aufhören. Er soll seinen Lebensunterhalt durch eigene Arbeit verdienen und zusehen, dass er auch noch etwas für die Armen übrig hat. Lasst ja kein giftiges Wort über eure Lippen kommen! Seht lieber zu, dass ihr für die anderen, wo es nötig ist, ein gutes Wort habt, das weiterhilft und denen wohl tut, die es hören. Beleidigt nicht durch euer Verhalten den Heiligen Geist! Er ist wie ein Siegel, das Gott euch aufgedrückt hat, und er verbürgt euch die endgültige Erlösung.

 

Weg also mit aller Verbitterung, mit Aufbrausen, Zorn und jeder Art von Beleidigung! Schreit einander nicht an! Legt jede feindselige Gesinnung ab! Seid freundlich und hilfsbereit zueinander und vergebt euch gegenseitig, was ihr einander angetan habt, so wie Gott euch durch Christus vergeben hat, was ihr ihm angetan habt.

 

 


Liebe Gemeinde!

 

Kennen Sie die kleine Geschichte von dem pädagogisch versiertem Pfarrer? Ein Pfarrer hält Sonntag für Sonntag die gleiche Predigt. Schließlich wird das seinen Gemeindegliedern zu dumm und sie beschweren sich beim Bischof. Daraufhin kommt eines Sonntags ein Oberkirchenrat unangemeldet in die Kirche zum Gottesdienst, setzt sich hinter eine Säule und hört sich das an. Nach dem Gottesdienst erscheint er in Begleitung eines Kirchengemeinderates in der Sakristei. „War das heute wieder die gleiche Predigt?“ fragt er. „Natürlich, Wort für Wort“, antwortete der Pfarrer. „Haben Sie denn etwas dazu zu sagen, dass Sie immer die gleiche Predigt halten?“, wurde er gefragt. Da wendete er sich an die Umstehenden und bat, dass sie doch einmal ein paar Gedanken aus der Predigt wiederholen mögen, doch es folgte ein betretendes Schweigen, und niemand wollte etwas sagen.

 

„Sehen Sie,“ sagte daraufhin der Pfarrer, „wie soll ich zu einem neuen Thema übergehen, solange meine Gemeinde das alte noch gar nicht verstanden hat?“ [1]

 

Da ist `was dran, denn im Grunde muss ja auch uns immer wieder das Gleiche gesagt werden, damit wir unsere „frühere Lebensweise“ ablegen können und zu einer ganz anderen Art von Leben und Zusammenleben unter uns kommen. Wer von uns kennt denn diese menschlich uralten Laster nicht: Lüge, Zorn, Diebstahl, Beleidigungen, Verbitterung, Unbeherrschtheit, lautstarken Streit oder eine feindselige Gesinnung? Jeder von uns weiß auch nach 2000 Jahren Christentum, dass es das alles in der Welt gibt und ein jeder von uns aktiv oder passiv daran teilhat. Deshalb müssen wir uns Sonntag für Sonntag und Predigt für Predigt darin bestärken lassen, anders zu leben, und wir können als Christen anders leben, weil uns der Glaube an den menschenfreundlichen Gott dazu ermutigt und bestärkt. Das ist das Thema um das es in immer neuen und anderen Varianten geht.

 

Wenn Mephistopheles in Goethes Faust dem Dr. Faust sagt: „Du bleibst doch immer, was du bist!“ [2], so steckt darin eine ungeheure Festlegung, ja Verurteilung des Menschen, sich nie wandeln und ändern zu können. Doch was wäre denn die Erziehung eines Menschen wert, wenn nicht die Hoffnung mit ihr verbunden wäre, dass der Mensch in seinem Leben reift, dass er lernt, ja dass er sogar manchmal gerade aus seinen Fehlern lernen kann. Wie recht hat Friedrich Hebbel, wenn er sagt: „Der, der ich bin, grüßt wehmütig den, der ich sein möchte...“ [3] Veränderung ist ja nur da möglich, wo ich mich meinem Leben stelle, auch den Schattenseiten meines Daseins. Und da krankt es in unserer auf Perfektionismus und Funktionalität ausgerichteten Welt, die Schwächen nicht zulassen kann, ganz offensichtlich.

 

Wir trauen unseren Versicherungen, einer Lebensversicherung zum Beispiel, obgleich wir alle ja einmal sterben werden, - einer Krankenversicherung, wobei dennoch keiner von uns je krank werden will oder einer Unfallversicherung, ohne dass wir deshalb darauf hoffen würden, einen Unfall zu bauen. Wir trauen unseren Versicherungen, doch unserem Glauben, Jahrtausende hindurch überliefert, trauen wir kaum noch etwas zu. Wie aber soll ein Mensch sich ändern können, wenn er sich seiner dunklen Seiten gar nicht mehr bewusst ist, sie verniedlicht und beschönigt, wobei sie doch ganz offensichtlich sind?

Unser Glaube müsste ja nicht sofort Berge versetzen, es wäre ja schon viel geholfen, mit ihm und durch ihn den einen oder anderen Stein fraglicher zwischenmenschlicher Beziehungen aus dem Weg zu räumen.

 

In der vergangenen Woche, wir konnten es der Presse entnehmen, starb der Nestor der Psychosomatik in Deutschland Professor Uexküll. Er lehrte jahrzehntelang, dass Körper und Seele sich nicht getrennt behandeln lassen. Ihm ging es in der Medizin „um den Körper und um die Seele des Menschen“ [4], einen Zusammenhang, den heute wohl niemand mehr bestreiten wird. Wie also können wir gesunde, heile Menschen sein, wenn doch so viel Unrechtes, Verkehrtes und Falsches in uns steckt, das nicht nur uns allein immer wieder einmal krank macht, sondern eben auch das Zusammenleben zwischen Menschen stört, so dass er sich oft genug in einer heillosen Welt mit krankmachenden Strukturen wieder findet?

 

Wenn Paulus seinen Mitchristen in Ephesus einen solchen Gruß zukommen lässt, der deutlich macht, wie sehr er den Menschen kennt, so doch nicht darum, um seinen Hörern die eine oder andere kleine Schönheitskorrektur im Verhalten untereinander anzuraten. Der Mensch krankt an sich selbst und das führt dazu, dass die Menschheit so krank, heillos und friedlos ist, bis in die kleinsten Verhältnisse einer Familie, eines Betriebes, einer Schulklasse, einer Stadt hinein. Wie sollte es da in der großen weiten Welt anders aussehen?

 

Bei meiner Vorbereitung las ich eine Predigt von Albert Schweitzer, die er 1919 gehalten hat, in der er zunächst sagt: „Wir sind mürbe geworden...“, um dann fortzufahren: „Unterstützt wird diese Demoralisierung durch die Rolle, die die Unwahrhaftigkeit im öffentlichen Leben spielt. Wohl war dies in irgendeinem Maße von jeher der Fall, aber nicht in dem Umfang wie heute. Wir ... haben es erlebt, wie von Jahr zu Jahr in der ganzen Welt die Unwahrheit mehr gepflegt wurde. Nachrichten und Meinungen, die nicht auf Wahrheit beruhen, aber irgendeinem Interesse dienstbar waren, wurden systematisch verbreitet. Es wurden dafür alle Mächte in Bewegung gesetzt. Das täglich gedruckte Wort stellte sich in den Dienst der Propaganda. Wo die größte Macht war und die größten Mittel aufgeboten wurden, siegte die Meinung, nicht die Wahrheit. Darum haben wir den Glauben an den Sieg der Wahrheit verloren. Die Menge wird bearbeitet, betäubt...“ [5]

 

Wie modern das doch klingt, dabei ist das ja nicht nur - täuschen wir uns nicht - die Realität unter Politikern oder Wirtschaftsleuten, sondern das ist unsere gesellschaftliche Realität, an der jeder auf seine Weise teilhat. Doch wir können deshalb ja nicht einfach aufgeben, resignieren, uns und die Welt einem so unguten Geist überlassen und käme er noch so modisch und werbepsychologisch daher. Wir schulden der Welt etwas anderes.

 

Paulus geht es tatsächlich um mehr, weil er dem Glauben aus dem Geist Gottes heraus einiges mehr zumutet. Und so muss man unseren Briefteil als einen Kommentar zur Taufe hören. Mit der Taufe wird ein Mensch in eine ganz besondere Beziehung mit Gott hineingenommen und von daher sollte ihm ein anderes Leben möglich sein. So benutzt er das plastische und gut verständliche Bild vom An- und Ausziehen eines neuen oder eines verbrauchten Bekleidungsstückes. Höhepunkte oder ganz besondere Zäsuren im Leben werden doch oft gerade dadurch unterstrichen, dass ich mir neue Kleider, einen neuen Anzug anschaffe.

Denken wir doch nur an das Taufkleid eines Kindes, das Brautkleid oder den Anzug eines Brautpaares oder an die aufregende Frage von Jugendlichen und deren Müttern, was soll ich bei meiner Konfirmation anziehen? Die Kleidung ist wichtig, auch wenn Kleider oft nur dem Schein dienen. Mit dem Bild hält Paulus es jedenfalls für möglich, dass wir uns ändern können. Und diese Kraft gilt es auch für uns jeden Tag neu zu entdecken. Weil wir Menschen dieses menschenfreundlichen Gottes sind, darum sind wir an seinen guten Geist, an den Heiligen Geist erinnert, der allem Ungeist entgegensteht. Paulus geht es also faktisch nicht um die eine oder andere Korrektur, eine Schönheitsreparatur an unserem defekten Leben, sondern tatsächlich um die viel grundsätzlichere Frage nach unserer Gottesbeziehung, nach einem Glauben, der Menschen heilen hilft.

 

Als Christen werden wir uns immer wieder einmal danach fragen, was unterscheidet Christen eigentlich von Nichtchristen, was unterscheidet uns von einem Menschen, der an gar nichts glaubt? Die Antwort liegt in den von Jesus Christus vorgegebenen und vorgelebten Orientierungen und Maßstäben für unser Leben, für ein Leben, in dem Schuld und Versagen dann auch nicht mehr verdrängt werden müssen, und wo Vergebung und damit auch die Korrektur verkehrter Verhaltensweisen möglich ist. Wir müssen uns nichts über unser Leben vormachen, sondern wir dürfen ganz und gar hoffnungsvoll in den kleinsten Schritten anfangen, uns zu ändern, damit Situationen sich ändern können und mit uns zusammen dann auch andere Menschen. Wem der Glaube der Bibel fremd geworden ist, dem bleibt kaum etwas anderes übrig, als an sich selbst, den Menschen zu glauben – und wo das hingeführt hat, schildert uns Paulus mit seinem Katalog menschlicher Laster und Schwächen und das sehen und erleben wir Tag für Tag um uns herum.

 

Es geht also um einen Paradigmenwechsel unseres Lebens, um eine ganz andere, neue Weltsicht und eben nicht um die eine oder andere kleine Korrektur. Wer die Welt verändert haben will, muss zuerst bei sich selbst damit anfangen. Und das ist so herausfordernd, wie z.B. die fast existentiellen Entscheidungen mit dem Rauchen aufzuhören, nicht mehr zu trinken oder kein Fleisch mehr zu essen. Erst mit solchen wirklich einschneidenden Schritten, werden wir gedanklich falsch eingeschliffene Lebensweisen ablegen, verändern können. Ja, wir können zu Menschen werden, die humaner, menschlicher leben, weil wir uns von unserem Gott begleitet wissen. Er gibt uns die verändernden Maßstäbe vor, die neues Leben möglich machen.

 

„Körper und Seele lassen sich nicht getrennt behandeln!“ So gilt, dass wir eben nicht mehr nur unserem Körper große Aufmerksamkeit schenken sollten, um schlank, schön, jung, dynamisch oder faltenlos daherzukommen, sondern dass wir uns nun endlich auch einmal um unsere Seele kümmern müssten. Und so, wie es Fitnessräume für den Körper gibt, so finden wir diese im Glauben der Kirche, in unseren Gottesdiensten für unsere Seele. Dann könnte es einmal so sein, „dass der, der ich bin, nicht mehr wehmütig den grüßen müsste, der ich sein möchte...“, weil wir um den Gott wissen, der mit Jesus Christus sein Ja zu uns gesagt hat und eine dem Leben und dem Frieden dienende Vergebung möglich macht. Amen.

 


 

 

 

Literatur:

 

 

1) Quelle unbekannt

2) Goethe, J W v., Faust I, München, 1960, S. 253

3) Kahl, D., Calwer Predigthilfen, 1997/1998, Reihe II/2, Stuttgart, 1998, S. 181

4) Bartens, W., Badische Zeitung, Mittwoch, 06. Oktober 2004, S. 3

5) Schweitzer, A., Predigten 1898-1948, München, 2001, S. 1320

 

 

 

Wir weisen darauf hin, dass Sie alle unsere Predigten im Internet nachlesen können. Sie finden sie unter:

 

http://www.evang-kirche-kenzingen.de und

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