Evangelische Kirchengemeinde Kenzingen

Weihnachten 2003, Hebräer 1, 1-3

 

 

Begrüßung:

 

Liebe Gemeinde heute am Weihnachtsfest! Die Geschenke sind ausgepackt, aber fragen wir uns doch einmal, was sich Liebende schenken, wenn sie sich eine gemeinsame Zukunft zutrauen? Ein Versprechen! Auch Gott schenkt uns durch die Zeit hindurch das Versprechen in seinem Wort und mit seinem Sohn bei uns zu sein. Das sichtbare Zeichen dafür ist Weihnachten. Nur, was schenken wir Gott und was wurde aus den vielen Versprechen, die wir ihm und anderen schon schenkten? Es wird Zeit für uns, das Wort wieder beim Wort zu nehmen.

 

So dürfen auch wir hören und glauben: Das Volk, das im Finstern wandelt,

sieht ein großes Licht; und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell.

 

  

Gebet:

 

Danket dem Herrn, denn er ist freundlich und seine Güte währet ewiglich. Ja, Herr, wir wollen dir danken, dass du dich uns auf so unterschiedliche Weise mitteilst, dass du unter uns bist in den Zeichen von Brot und Wein. Lass uns dein Versprechen mit in unser Leben nehmen, dass du unser Herr und Gott bist, der du in der Vergangenheit der Welt warst und der du auch in der Zukunft in jedes Leben hinein kommen wirst (Off.1,8). Schenke uns mit diesem Weihnachtsfest, dass wir dein Wort beim Wort nehmen und uns darauf verlassen lernen, dass du auch für uns in diese Welt gekommen bist.

 

So danken wir dir für alle Menschen unter uns, die uns mit ihrem Glauben ein Vorbild sind und die sich in unserer Gemeinde und Kirche mit ihrem Engagement einbringen. Vor dir bringen wir nun auch voller Dankbarkeit alle Menschen in Erinnerung, die uns den Weg zu dir vorangegangen sind – und beten für uns, unsere Gemeinde, unsere kleine Stadt und für die ganze Welt. Amen.

   


In der Vergangenheit hat Gott in vielfältigster Weise durch die Propheten zu unseren Vorfahren gesprochen. Aber jetzt, am Ende der Zeit, hat er zu uns gesprochen durch den Sohn. Ihn hat Gott dazu bestimmt, dass ihm am Ende alles als sein Erbbesitz gehören soll. Durch ihn hat er auch am Anfang die Welt geschaffen. Die ganze Herrlichkeit Gottes leuchtet in ihm auf; in ihm hat Gott sein innerstes Wesen sichtbar gemacht. Durch sein machtvolles Wort sichert er den Bestand des Weltalls. Nachdem er sein Leben zum Opfer gebracht hat, um uns von unseren Sünden zu reinigen, hat er sich im Himmel an die rechte Seite der göttlichen Majestät gesetzt.

 

   

 

Liebe Gemeinde!

 

Was für ein Text zum Weihnachtsfest. Wir alle kommen aus unseren weihnachtlich geschmückten Wohnungen in diesen Gottesdienst und hören nun einen so merkwürdig anmutenden Predigttext: Da ist keine Mutter mehr mit ihrem Kind, keine Engel und Hirten, kein Jubilieren – und doch, je länger ich über ihn nachdachte, desto weihnachtlicher wurde er mir. Jesus selbst hat ja nie von seiner Kindheit gesprochen, nie von Berichten über seine Geburt erzählt. Und der Evangelist Lukas hatte anderes im Sinn, als uns eine Weihnachtsgeschichte zu erzählen.

 

Was uns heute vorliegt ist ein großartiger Christushymnus, ein Loblied zur Ehre des Gottessohnes und unseres göttlichen Bruders. Der uns unbekannte, hoch gebildete Paulusschüler, der den Hebräerbrief schrieb, spannt einen riesigen Bogen aus der Vergangenheit bis in die Zukunft hinein, von der Schöpfung bis an das Ende unserer Zeit und macht so eindrücklich deutlich, dass jede Zeit von Gottes Wort begleitet war und begleitet bleibt. Gott hat gesprochen, Gott wird sprechen. Und so erhalten wir zum heutigen Weihnachtsfest ein ganz besonderes Geschenk: ein Versprechen!

 

„Ein Versprechen stiftet über einen Zeitraum Verlässlichkeit über das, was unter allen Umständen gelten soll. Das Besondere eines Versprechens ist ja, dass es Vertrauen stiftet für eine Zeit, die vor einem liegt... Ein Versprechen ist so zerbrechlich wie Glas. Das macht das Versprechen so schwach. Aber seine Schwäche ist zugleich seine eigentliche Stärke: Es setzt auf Vertrauen. Vertrauen allein stiftet durch das Versprechen Verlässlichkeit. So wenig man einen anderen in ein Versprechen zwingen kann, so wenig kann es einen Zwang geben, ein Versprechen zu halten. Nur wo Vertrauen die Basis eines Versprechens ist, kann Liebe gedeihen... Im Versprechen riskiert sich der Mensch. Risco (span.) ist die Klippe. An einer Klippe kann man scheitern. Man verspricht etwas, von dem man nicht sicher weiß, unter welchen Bedingungen man sein Versprechen halten muss. Wo diese Fähigkeit zum Versprechen uns abhanden kommt, entpflichten wir uns. Wir entziehen uns unserer Bestimmung...“ [1]

 

Gott selbst hat sich durch Jesus Christus der Welt versprochen, ja verpflichtet. Er hat mit der Geburt seines Sohnes dem Wort eine menschliche Gestalt, einen Namen, einen Kopf, Hände und Füße gegeben. „Die ganze Herrlichkeit Gottes leuchtet in ihm (dem Sohn) auf!“ Unser ganz besonderes Geschenk ist das Versprechen, dass Gott bei uns und mit uns ist - in seinem Wort, in seinem Sohn. Er war es in der Vergangenheit der Welt, er wird es sein am Ende unserer Tage.

 

Und wir? Was ist aus unseren vielen Versprechen geworden, welche wir bei der Taufe, der Konfirmation, der Kommunion oder Firmung, unserer Trauung einmal gaben? Was gilt unser Wort, unser Glaube, was gelten unsere kirchlichen Feste und Feiertage mit ihrer je eigenen Botschaft, was also, liebe Gemeinde feiern wir heute? Wie verlässlich leben wir unseren Glauben? Der Christushymnus lässt uns fast ein wenig atemlos werden, so sprühen und funkeln hier die Aussagen über den Grund unseres Glaubens, über Gott, über „den Sohn“ und über das die Zeit umspannende „Wort“.

 

„Über uns - hat der uns Überlegene seinen Ort. Gott gilt als Inbegriff des uns Überlegenen. Er ist über uns“, so sagt es der Tübinger Theologe Eberhard Jüngel einmal. „Gott gilt aber zugleich als Inbegriff dessen, was uns unbedingt angeht. Ein Gott der uns nichts angeht, wäre eben kein Gott...“ [2] Und dass dieses „Über uns“ eben nicht als ein jenseitiger Ort zu verstehen ist, darum schenkt sich Gott der Welt in einem Kind, darum erspart sich dieser Mensch Gottes in seiner tiefen Solidarität mit uns allen eben auch das Kreuz nicht. Ein Versprechen: Sein stellvertretendes Opfer für unser menschliches Versagen, unsere Schuld, unser Leid, unsere Schatten, die wir mit uns herumtragen bis an das Ende unseres Lebens, all das wird durch ihn vor Gott ins Reine gebracht. Gott kommt in diesem Menschen in eine heruntergekommene Welt. Der uns Überlegene geht uns etwas an, weil unsere Welt sonst noch heimatloser und verlorener wäre.

 

„Verbum Dei manet in aeternum!“ (Dass Wort Gottes bleibt in Ewigkeit!“). [3] Dieser Satz findet sich am Ende der Barmer Theologischen Erklärung von 1934. Die „Deutschen Christen“ hatten den Versuch unternommen die Kirche mit dem nationalsozialistischen Gedankengut zu kombinieren, wogegen die „Bekennende Kirche“ ihr Wort sagen musste. Mit dem alleinigen Bezug auf das Wort Gottes erinnerte man ganz bewusst daran, worauf sich aller Glaube, will er als „christlicher“ Glaube verstanden werden, zu beziehen hat. Da geht es nicht um menschliche Meinungen, politische Überzeugungen, Parteiprogramme, eine Idee vom Reich, vom Volk oder einem Führer, sondern es geht um den im biblischen Wort bezeugten Gott. Es geht um das Wort, das in der Vergangenheit gesprochen wurde und in der Zukunft gesprochen werden wird.

 

Weihnachten versichert uns, dass Gott kein schweigender Gott ist, sondern dass er uns über das Wort der Propheten hinaus mit seinem Sohn ein Wort geschenkt hat, das gilt, das trägt. Gott steht zu seinem Versprechen. Auch wenn in unserem hymnischen Predigtwort Weihnachten einmal so ganz anders – als gewöhnlich – verkündigt wird, sind wir ja dennoch herausgefordert, uns dem gedanklich zu stellen. Was gilt uns dieses Wort von Gott, von seinem Sohn in dessen „Herrlichkeit Gott aufleuchtet“?

 

Wir sind an die ersten Worte des Jonhannesevangeliums erinnert: „Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort...!“ (Johannes 1,1).Es ist eine weitere für unseren volkskirchlichen Geschmack fast unweihnachtliche Weihnachtsgeschichte. Und wir kennen die mühevollen Überlegungen mit denen Goethes Faust dieses Wort begreifen will.


„Geschrieben steht: `Im Anfang war das Wort!´ Hier stock´ ich schon! Wer hilft mir weiter fort? Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen, ich muss es anders übersetzen, wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin. Geschrieben steht: Im Anfang war der Sinn. Bedenke wohl die erste Zeile, dass deine Feder sich nicht übereile! Ist es der Sinn, der alles wirkt und schafft? Es sollte stehn: Im Anfang war die Kraft! Doch, auch indem ich dieses niederschreibe, schon warnt mich was, dass ich dabei nicht bleibe. Mir hilft der Geist! Auf einmal seh´ ich Rat und schreibe getrost: Im Anfang war die Tat! - “ [4]

 

Goethe führt uns hier auf eine Spur, die ganz wichtig ist. Denn dort, wo Gott spricht, geschieht auch etwas, wird etwas bewegt, in Gang gesetzt. Die Schöpfungsgeschichten erzählen von diesem erschaffenden Wort Gottes. Und damit sind wir wieder bei uns, bei unserem Weihnachtsfest, denn wir sind Weihnachtsfest für Weihnachtsfest, Karfreitag für Karfreitag, Ostern für Ostern und Pfingsten für Pfingsten danach gefragt, was dieses eine Wort Gottes in uns bewegt und wozu wir uns heute mitten in unserem Leben, in unserer Zeit noch oder wieder einmal bewegen lassen?

 

Gott hat uns sein Versprechen gegeben! Er hat dies in ganz besonderer, natürlich für uns auch unbegreiflicher Weise mit der ganz und gar menschlichen Geburt Jesu unterstrichen. Gott steht mit seinem Wort zu seiner Welt, zu seiner Schöpfung, er steht auch zu uns. Das ist eine unglaubliche Perspektive, eine Hoffnung, die weiter trägt und tiefer greift, als wir es rational begreifen. Selbst die Schatten unserer Zeit, die vielen offenen Fragen in Bezug auf das, was kommen wird, können dieses verheißungsvolle Wort nicht verdunkeln. Wir können dem ja wirklich nicht allzu viel entgegen setzen, aber wir sind immerhin imstande, einzustimmen in diesen scheinbar so unweihnachtlichen Christushymnus. So loben dann auch wir einmal aus der weltweiten Christenheit heraus unseren väterlichen Gott.

 

Ja, „das Wort Gottes bleibt in Ewigkeit!“ Gott sei Dank. Nehmen wir also das Wort mit in unseren Alltag hinein und lassen auch wir es zur Tat werden, dann könnte es noch einmal in ganz anderer Weise Weihnachten werden – mitten unter uns, mitten in unserer Welt. Wir dürfen uns darauf verlassen, dass er sein Versprechen hält – tun wir es auch! Amen.

 

 

Literaturangaben:

 

  1. Marquardt, R., Predigt zu Weihnachten 2003, www.praedicare.de
  2. Jüngel, E., Entsprechungen: Gott – Wahrheit - Mensch, Tübingen, 2002, S. 202
  3. Barth, K.,  Texte zur Barmer Theologischen Erklärung, Zürich, 1984, S. 24
  4. Goethe, W., Goethes Werke, III. Band, Faust, Hrsg. Th. Friedrich, Leipzig, S. 43f

 

 

Letzte Änderung: 25.12.2003
Pfr. Hanns-Heinrich Schneider