Liebe Gemeinde!
In diesem Gottesdienst feiern wir das Fest der Goldenen-, Diamantenen- und Eisernen Konfirmation,
ein Fest also, dass in jeder Hinsicht nachdenklich macht, für das alle, die es in unserer Mitte
heute feiern dürfen, gar nicht dankbar genug sein können. Mit einem solchen Tag sind ja nicht nur
die Jubilare danach gefragt, was aus einem langen Leben wurde, was aus einem Glauben wurde, zu dem
wir einmal "Ja" gesagt haben? Wir alle, die wir diesen Gottesdienst erleben, sind angesprochen. So
begrüße ich mit Ihnen zusammen alle Jubilare in unserer Mitte. Ich freue mich, dass Sie diesen Tag
erleben dürfen und hoffe, dass er Ihnen, ja uns allen, einen gedanklichen Impuls schenkt, der über
diesen Tag hinaus reicht. Dein Wort, Herr, bleibt in Ewigkeit,..., und deine Wahrheit währet für
und für (Psalm 119,89).
Herr, guter Gott! Du hast uns alle in dieser Stunde zusammengeführt als dein Volk, als Teil der einen,
weltweiten, für alle Menschen offenen Kirche. Wir danken dir für diesen Tag in unserem Leben, für all
das, was uns mit unserem Leben geschenkt wurde. Nachdenklich bedenken wir, was uns schon alles genommen
wurde. Wir haben den Glauben an dich oft verraten, waren nicht immer dankbar für die unzähligen Gaben
unseres Lebens, unsere Menschenfreundlichkeit hat Grenzen. So schenke uns heute deinen guten Geist,
dass wir dein Wort hören und dankbar jeden neuen Tag aus deiner Hand nehmen lernen.
Amen.
Der HERR selbst wird vor dir herziehen. Er wird dir helfen und dich niemals im Stich lassen.
Hab keine Angst und lass dich von keinem Gegner einschüchtern!
Am vergangenen Reformationstag war ich in der Marktkirche in Hannover, um dort einen Gottesdienst mit der Bischöfin der Hannoverschen Landeskirche, Margot Käßmann, zu erleben. Ja, es war ein Erlebnis, nicht nur weil dieser Gottesdienst auch von der H-Moll Messe von Johann Sebastian Bach umrahmt wurde. Die Bischöfin begann ihre Predigt mit den Worten: "Liebe Gemeinde, wir sind ein Land auf der Suche. Sie kennen sicher DSDS? Deutschland sucht den Superstar. Und kaum hatten wir ihn endlich gefunden - wie hieß er noch, Matthias, Andreas, nein, Alexander, da suchten wir schon den nächsten oder die beste Popband oder den Tabellenführer oder den Millionär von Günther Jauch. Und das ZDF, das sucht den größten Deutschen, ganz seriös wohl. Obwohl mir Bedenken kamen, als ich gesehen habe, dass Johann Sebastian Bach mit Dieter Bohlen konkurriert.
Ganz ernsthaft suchen wir allerdings auch einen neuen Bundespräsidenten und Konzepte für die Rente, die Gesundheitsreform und wir suchen neue Kinder, die das Land braucht. Ein Land auf der Suche... Es wankt und sucht, es fragt und ist irritiert. Was braucht das Land?" [1]
Ein wenig anders klang es vor einigen Tagen in einem Kommentar der Badischen Zeitung. Dort wurde gefragt: "Was will eigentlich das Volk? Das kann man in einer Demokratie durchaus mal fragen. Man darf nur keine Antwort erwarten, zumindest keine, mit der man etwas anfangen kann. Ein renommiertes Meinungsforschungsinstitut hat das Volk jetzt gefragt. Die Antwort lässt sich wie folgt zusammenfassen: Das Volk will Reformen, aber keine, die wehtun. Es will stabile Renten, aber keine Nullrunden oder Beitragserhöhungen. Es will die SPD nicht mehr, glaubt aber nicht, dass die Union es besser kann... Und es will, dass weniger gejammert wird - zum Beispiel über Nullrunden... Deshalb wäre sie (Anm.: die Regierung), sagt das Volk, weg vom Fenster, wenn am nächsten Sonntag Wahl wäre. Zum Glück ist aber am Sonntag noch nicht Wahl, denn sonst würde sich die Regierung nicht mit allen anlegen und alles bliebe wie es ist. Das würde das Volk auch wieder nicht wollen, behauptet es jedenfalls." [2]
Liebe Gemeinde! Sie sind heute in diesen Gottesdienst gekommen, doch warum? Was erwarten, was suchen Sie?
Ein Jubiläum, dazu noch eines, das an die lange zurückliegende Konfirmation erinnert, lässt uns ja einmal
inne halten, danach fragen, wo bin ich eigentlich mit meinem Leben angekommen, - wo haben sich die Hoffnungen
und Träumen meiner Jugend verwirklicht, - was gelang oder misslang, - wo habe ich mehr oder weniger unverdientes
Glück geschenkt bekommen oder wo musste ich ein leidvolles Unglück erleben?
Mit genau diesen Fragen sind wir mitten in dem kleinen Bibelwort, das ich dieser Predigt voranstellte: "Der
HERR selbst wird vor dir herziehen. Er wird dir helfen und dich niemals im Stich lassen. Hab keine Angst und
lass dich von keinem Gegner einschüchtern!" Mose nimmt Abschied und er bestellt sein Haus. Zu seinem Nachfolger
bestimmt er Josua vor den Augen der Öffentlichkeit. Die gerade erlebte Vergangenheit war schwer, oft
bedrückend, - die Zukunft ist ungewiss. Manchmal spürte man die Gegenwart Gottes in den Wüsten, die es zu
durchwandern gab, vor den schier unüberbrückbaren Bergen, die sich dem wandernden Gottesvolk in den Weg stellten.
Mal verbrannte die Sonne einem die Haut, ein anderes mal warfen dunkle Täler beängstigende Schatten.
Immer wieder hatte Mose seinem Volk die Nähe Gottes zugesagt, die Menschen wussten um die Gebote, die sie als eine große Befreiung von den zahllosen Göttern und Götzen Ägyptens und der heidnischen Umwelt empfanden, Gebote, die das Volk in seine innere, gedankliche Freiheit führen sollten. Sie alle waren in jeder Weise entwurzelt, heimatlos, unterwegs, doch im Kopf hatten sie noch den Traum einer neuen Heimat, aus der man nicht mehr vertrieben werden und wo auch der Glaube gelebt und erlebbar werden könnte. Doch zwischen den Erfahrungen der Vergangenheit und einer offenen unbegreiflichen Zukunft wechselten auch der Glaube und der Zweifel wie Tag und Nacht und die Gezeiten eines Jahres, die man durchlebte. Erfahrungen, die wohl auch der eine oder die andere von uns im Verlauf seines Lebens gemacht hat.
Nun, vor seinem Abschied und seinem nahen Tod stellt sich Mose noch einmal vor sein Volk und schenkt ihm Worte des Vertrauens und der Perspektiven. Auch er könnte resignieren, an seinem Volk und an Gott zweifeln, ja verzweifeln, doch genau das tut er nicht. Kraftvoll sagt er seinem Volk zu, dass Gott da sein wird, so wie er es in der Vergangenheit auch war. Dabei weiß auch er, dass Gott nicht immer und in allen Lebenslagen zu spüren ist, so dass der Mensch immer wieder einmal über sich selbst hinausfragen fragen muss, um ihm begegnen zu können.
Modern könnten wir heute sagen: "Gott ist nicht katholisch, Gott ist nicht evangelisch, Gott ist nicht orthodox. Gott ist nicht einmal christlich. Gott ist nicht jüdisch, Gott ist nicht muslimisch. Gott ist nicht buddhistisch. Gott ist nicht der Gott dieser oder jener Religion." Sondern: "Gott ist Gott!" [3] Und weil er eben das ist, darum ist er für uns Menschen nicht zu fassen, nicht zu begreifen. Dieses Unfassliche, Unbegreifliche ist es, das uns den Glauben oft so schwer macht, denn wir möchten uns alle ganz gern unseren Gott in die Tasche stecken können, wie Brot, Butter oder Bier beim ALDI in den Einkaufswagen.
Das Volk muss sich entscheiden, es wird von Josua gefragt werden: "Gott oder die Götter, denen eure Väter
dienten (Josua 24, 14+15)?" Und mit dieser Frage leben ja auch wir, wenn wir denn überhaupt noch nach Gott
fragen. All unser Suchen und Fragen, all unsere Verunsicherungen, die sich mit den weitreichenden
gesellschaftlichen Fragen verbinden, zeigen, wie sehr auch wir unterwegs sind. Doch die entscheidende Frage ist,
wohin wir eigentlich ganz persönlich mit unserem eigenen Leben aber auch auf unsere Gesellschaft bezogen
zusteuern wollen? Unsere Verweigerungen - und eben das spüren wir - führen uns in die Wüste, vor unüberwindbare
Berge und in dunkle Täler.
Wir können nicht mehr nur jammern und werden es zu lernen haben, dass der Luxus, den wir jahrzehntelang haben
durften, jetzt mehr von uns selbst als vom Staat zu zahlen sein wird. Was Mose hoffnungsvoll, tröstend und
perspektivisch seinem Volk als Vermächtnis zusagt, das wird aber auch uns gesagt.
Es gibt wirklich keinen Grund zum Verzweifeln, zur Resignation, weder für die Jugendlichen, die lernen müssen, ihr Alter anders als bisher abzusichern, noch für die älteren Menschen unter uns, die trotz der einen oder anderen Nullrunde immer noch in einem Sozialstaat leben. Was wir wohl aber alle lernen müssen, ist diese veränderte Situation gedanklich konstruktiv anzunehmen und anzugehen. Wenn die Trümmerfrauen Deutschlands nach dem 2. Weltkrieg auf den Steinen ihrer zerstörten Häuser sitzen geblieben wären, ohne die Steine in die Hand zu nehmen und neue Häuser zu bauen, würden wir heute noch mit einem offenen Dach in dieser Kirche sitzen - und frieren.
Nein, Gott schenkt unserem Leben auf alle Fälle nicht nur Zukunft, sondern eben auch Perspektiven, eine Hoffnung, die trägt. Bischöfin Käßmann sagte weiter in ihrer Predigt: "Sünde nennt man (...), dass ich denke, ich verdanke mich mir selbst und meiner Leistung. Sünde ist vor allem Gottesferne, nahezu flächendeckend erkennbar heute. Das ist die Haltung, die fragt: wozu brauche ich Gott? Ich bin mir selbst genug, kann alles, darf alles, ich bin Gott. Oder eben die Selbstgerechtigkeit: ich bin ein guter Mensch, ohne Sünde, Gott muss mir nichts vergeben und nichts schenken. Ja, sagt Luther, dann können auch unsere guten Werke Todsünden sein... Gottesferne, diese Selbstüberschätzung, die meint, das eigene Leben verdanke sich der Mensch selbst, muss letzten Endes in eine menschliche Katastrophe führen... Denn die Gottesferne kann entsetzlich einsam und verzagt machen, gerade wenn das Leben nicht so blendend verläuft, wie ich dachte, wenn Beziehungen zerstört sind, wenn das Leben zu Ende geht..." [4]
Liebe Jubilare, liebe Gemeinde! Wir feiern das Jubiläum Ihrer Goldenen-, Diamantenen- und Eisernen Konfirmation, wir alle feiern diesen Gottesdienst miteinander, wir alle sind gefragt, wonach wir suchen, um unserem Leben angesichts großer persönlicher und gesellschaftlicher Herausforderungen einen Grund und Halt zu geben, der verlässlich ist und trägt. Was könnten Christen, die von der Reformation herkommen, sinnvolleres tun, als die Bibel in die Hand zu nehmen und Gott dort zu suchen, wo er zu finden ist und ihm im Gottesdienst die Ehre zu geben, die nur ihm allein zukommt. Der Weg, den wir eingeladen sind, zu gehen, ist der Weg aus der Gottesferne zurück in die Nähe Gottes, denn dort sind wir alle mit unserem Leben und aber auch Sterben gut aufgehoben.
Ein Fest holt uns aus unserem Alltag heraus und lässt uns einmal wieder nachdenklich werden, jeder Gottesdienst
ist so ein Fest. Erinnern wir uns noch einmal an den Tag unserer Konfirmation und was wir damals versprachen,
glaubten, vom Leben erwarteten. Und fragen wir uns noch einmal, was aus diesem Glauben wurde? Jeder Tag ist ein
guter Tag, wo wir Gottes verheißungsvolles Wort für die Höhen, wie aber auch für die Tiefen unseres Lebens hören
und ihm zu vertrauen lernen dürfen - wie Israel damals: Der HERR selbst wird vor dir herziehen. Er wird dir
helfen und dich niemals im Stich lassen. Hab keine Angst und lass dich von keinem Gegner einschüchtern!
Amen.