Karfreitag, Luk. 23, 33-38
Begrüßung:
Liebe Gemeinde! Karfreitag! Der Name dieses Tages kommt aus dem althochdeutsch und bedeutet: „karen“, wehklagen, es ist ein Klagefeiertag, dieser Tag, an dem wir uns an die Kreuzigung Jesu erinnern lassen. Ich wünsche uns, dass uns das Wort vom Kreuz über eine Grenze bringt, weil es eben nicht ein letztes Wort ist.
Denn das Wort vom Kreuz, dass für alle Menschen am Kreuz die Rettung vollbracht ist, muss denen, die verloren gehen, als barer Unsinn erscheinen. Wir aber, die gerettet werden, erfahren darin Gottes Kraft. (1.Kor 1,18)
Gebet:
Herr, wir danken dir, dass Jesus Christus uns zum Mitmenschen, ja zum Bruder wurde, der das Leben aller Menschen teilt, unsere Sorgen, unsere Sehnsüchte, unsere Fragen, unsere Schuld. Wir danken dir, dass er sich stellvertretend zwischen dich, Gott, und uns gestellt hat und sein Leben für unser Leben einsetzte. Darum dürfen wir nun ganz gewiss sein, dass sein Kreuz unsere Kreuze durchkreuzt und sein Wort auch uns gilt: Seht ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende.
So danken wir dir für alle Menschen unter uns, die uns mit ihrem Glauben ein Vorbild sind und die sich in unserer Gemeinde und Kirche mit ihrem Engagement einbringen. Vor dir bringen wir nun auch voller Dankbarkeit alle Menschen in Erinnerung, die uns den Weg zu dir vorangegangen sind – und beten für uns, unsere Gemeinde, alle katholischen Mitchristen in unserer Nachbarschaft, unsere kleine Stadt und für die ganze Welt. Amen.
Als sie zu der Stelle kamen, die »Schädel« genannt wird, nagelten die Soldaten Jesus ans Kreuz, und mit ihm die beiden Verbrecher, den einen links von Jesus, den anderen rechts. Jesus sagte: »Vater, vergib ihnen! Sie wissen nicht, was sie tun.« Dann losten die Soldaten untereinander seine Kleider aus. Das Volk stand dabei und sah bei der Hinrichtung zu. Die Ratsmitglieder verhöhnten Jesus: »Anderen hat er geholfen; jetzt soll er sich selbst helfen, wenn er wirklich der ist, den Gott uns zum Retter bestimmt hat!« Auch die Soldaten machten sich lustig über ihn. Sie gingen zu ihm hin, reichten ihm Essig und sagten: »Hilf dir selbst, wenn du wirklich der König der Juden bist!« Über seinem Kopf hatten sie eine Aufschrift angebracht: »Dies ist der König der Juden.«
Liebe Gemeinde!
So ist die Welt. Da nagelt man jemanden ans Kreuz, dann feilscht man um seinen Besitz, die Masse schaut tatenlos neugierig zu, die Verantwortlichen verhöhnen die Opfer und machen sich über sie lustig. Nein, das Kreuz eignet sich nicht zum Spektakel, der Karfreitag nicht zu einem protestantischen Heldengedenktag.
Wir feiern heute den Karfreitag. In den vergangenen Wochen haben wir viel über den neuen Film von Mel Gibson „Die Passion Christi“ lesen, hören und bereits sehen können. Der Film ist „eine 126 Minuten lange Orgie aus Blut, Folter und Leiden... dröhnende Gewalt von den ersten Minuten an, vom ersten Faustschlag, der Jesus die Gesichtszüge entstellt, bis zur Seitenwunde des toten Jesus am Kreuz, unter der ein Soldat kniet, wie unter einer Blutschande... Mel Gibson fährt auf, was Maske und Tricktechnik im 21. Jahrhundert hergeben, und verwebt seine Bilder mit dem Stampfen der Stiefel, dem Klatschen der Schläge, dem Bersten der Knochen, dem Röcheln der Gemarterten...“ [1] Die Überschriften einiger Presseartikel sagen etwas über diesen Film aus, dort heißt es: „Panorama der Grausamkeiten“ [2], „Falsches Bild von Schuld und Sühne“ [3], „Und von Erlösung keine Spur“ [4].
Es fragt sich, ob wir einen solchen Film heute brauchen, um uns das vorstellen zu können, was damals mit Jesus geschah? Brauchen wir einen solchen Film, um heute wieder einmal empfindsamer zu werden für die Karfreitagsbotschaft? Brauchen wir einen solchen Film für unseren Glauben? Um es ganz kurz und direkt zu sagen: Nein, wir brauchen diesen Film nicht, wir brauchen ihn aus ganz unterschiedlichen Gründen überhaupt nicht!
Der Film schildert das Leiden und Sterben Jesu, da gibt es kein Leben davor und keine den Tag überlebende Botschaft danach. Doch kann man „ein Leben nur von seinem Ende her begreifen?“ [5] Nein, so sagen es viele Kommentatoren, die sich mit diesem Film auseinandergesetzt haben. Das Evangelium kommt zu kurz, der Film ist nur für diejenigen überhaupt zu verstehen, die die Evangelien kennen. Doch brutale Schockerlebnisse in grandioser Hollywoodmanier gedreht, reichen eben nicht aus, um dem Leiden und Sterben Jesu gedanklich folgen zu können.
Ich brauche diesen Film daher nicht, aber ich brauche als Christ und als Theologe die Bibel. Ich brauche – gerade heute – angesichts dessen, was tagtäglich in unserer Welt geschieht, die Worte und Bilder einer befreienden und wirklich erlösenden Botschaft. Ich, ich selbst muss wissen, dass da ein Mensch war, der die Karfreitage anderer Menschen vor Gott brachte, sie durchkreuzte und durchkreuzt bis auf den heutigen Tag. Ich muss glauben dürfen, dass das Kreuz Jesu etwas mit mir, mit meinem Leiden an der Welt zu tun hat, und – viel wichtiger – dass dies eben nicht das letzte Wort Gottes zu unserem Dasein ist.
Im Apostolischen Glaubensbekenntnis heißt es ganz kurz: „... gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben, hinabgestiegen in das Reich des Todes...“ Damit ist zusammenfassend alles gesagt, was uns die Evangelien zum Tode Jesu schildern. Doch im Glaubenbekenntnis werden ja auch noch ganz andere, eben weiterreichende Aussagen gemacht, z.B.: „am dritten Tage auferstanden von den Toten, aufgefahren in den Himmel; er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters...“
Nicht der Karfreitag steht im Zentrum der christlichen Hoffnung, auch wenn dies gut protestantisch so gedacht wird, sondern das Osterfest. Den Karfreitag bekommen wir mit einem Kirchgang schnell hinter uns, doch der Osterglaube fordert uns in unserem ganzen Mensch- und Christsein, da werden wir tagtäglich neu zum Nachdenken herausgefordert, zu einem Glauben, der die Welt zwar nicht anders sieht, als andere Menschen auch, aber ihr dennoch anders begegnet.
Wir alle sehen die „Karfreitage“ unserer Zeit, wir brauchen ja nur die Nachrichten einzuschalten oder die Tageszeitung aufzuschlagen da sehen wir, wozu Menschen fähig sind, sogar Menschen, die – wie damals – alles mit ihrem Glauben und mit Gott zu rechtfertigen versuchen. Erinnern wir uns: Da konnten wir vor wenigen Tagen einen sechzehnjährigen Jungen aus Palästina in den Abendnachrichten sehen, der sich einen Bombengürtel umgeschnallt hatte, um israelische Soldaten zu töten. Da sehen wir wie israelische Soldaten ihnen missliebige Menschen ohne Rechtsgrundlage auf der Strasse töten. Die Kommentare beider Seiten: Die anderen sollen aufhören, dann tun wir es auch. Schuld bleibt Schuld auf beiden Seiten und die Menschenrechte werden mit Füßen getreten und missachtet. Klar ist, dass Gott für keine der beiden Seiten in Anspruch genommen werden kann.
Wir sehen, wie scheinbar demokratische Staaten sich ohne Sinn und Verstand in Kriege verwickeln lassen, um den Terror zu bannen, ohne jedoch zu begreifen, dass sich der weltweite Terror nicht durch Terror bekämpfen lässt, sondern nur mit einer besseren Politik, mit weit mehr Verständnis für die Verhältnisse anderer in der Welt, deren Traditionen und Religionen. Wir sehen gesprengte Züge, Verwundete und Tote in Madrid und sind nun erschrocken, dass sich der Terror, an dem wir selbst weltweit nicht unbeteiligt sind, nun nach Europa kommt.
Nein, wir brauchen einen solchen Film, wie die „Passion Christi“ nicht, denn Gott leidet mit jedem ungerechtfertigten Tod mit, er leidet mit, weil er sehen muss, wie Moslems und Christen sich ihren Glauben so hinbiegen, dass auch noch die brutalste Tat zum „Heiligen Krieg“ erklärt wird. Unsere Gleichgültigkeit dem biblischen Wort gegenüber und unsere alltägliche Auflehnung gegen die Gottheit Gottes, bringen uns um unsere Menschlichkeit. Daher leidet Gott an uns und er leidet mit uns, wo wir selbst an der Welt leiden.
Ich brauche den Fernseher gar nicht einzuschalten, um die Trauer der Menschen in unserer Mitte zu sehen, ihre Verletzungen, ihre Einsamkeit: Menschen, die Zeit für ihre Trauer brauchen - und solche, die sich nie mehr von einem Grab lösen werden, weil es für sie keine Hoffnung gibt und denen die Gräber unserer Friedhöfe ein letztes Wort sind. Andere, die ihren Partner, ihre Partnerin verlieren, weil man Menschen austauscht, wie schmutzige Wäsche. Ich sehe, wie Jugendliche an ihrer Wirklichkeit scheitern, weil sie keine Menschen mehr finden, die ihnen einen hoffnungsvollen Weg weisen. Wir alle kennen die Welt, wir alle kennen unsere eigenen Karfreitage.
Ja, der Film von Mel Gibson ist darum m.E. wirklich schlecht, weil er den Menschen keine Hoffnung aufzeigt. Aber eben das will das Evangelium tun, einschließlich Jesu Leiden und Sterben am Kreuz. Doch verstehen wir das? Begreifen wir, warum wir diesen einen Tod brauchen, um anders leben zu dürfen?
Viele von uns „opfern“ sich buchstäblich auf. Da werden alte und kranke Eltern fürsorglich gepflegt, ein schwerkranker Partner, ein behindertes Kind. Da treten Menschen aufopferungsbereit füreinander ein. So erst können wir verstehen, dass das, was Jesus für uns tat, sich nämlich restlos aufzuopfern, einen entscheidenden Sinn macht. Er bietet einerseits Gott sein Leben an und schafft damit andererseits ja erst die neue Lebensmöglichkeit für uns. So stirbt dann nicht mehr nur einer, um vielen anderen diesen Tod zu ersparen, sondern darum, dass viele andere mit dem Leben davonkommen dürfen. Das ist das Entscheidende, denn das ist die Pro-Existenz Jesu, sein Dasein für Andere, seine Stellvertretung. Das ist nun auch der Grund dafür, warum wir selbst mit der Karfreitagsbotschaft eben nicht am Ende unseres Glaubens sind, sondern mit der Osterbotschaft an den Anfang eines tragfähigen Glaubens gestellt werden.
Das heutige Evangelium erzählt uns etwas vom Leiden und Sterben Jesu und wie die Menschen sich damals dazu verhalten haben und wir hören und sehen gar nichts anderes als unsere eigene Welt. Doch das Evangelium geht weiter, es endet eben gerade nicht mit dem Kreuz, aber niemand von uns wird umgekehrt Ostern verstehen lernen, der sich das Kreuz erspart. Kreuz und Auferstehung gehören so zusammen, wie die Krippe aus dem Stall in Bethlehem und dieser Tod auf Golgatha. Wir alle haben durch das eine Kreuz, durch den Kreuzestod Jesu und die darauffolgende Osterbotschaft, eine neue Perspektive für unser Leben angeboten bekommen.
Wir dürfen begreifen, dass Gott sich in unsere Trauer, das Leid dieser Welt selbst hinein leidet, und dass er gerade dort ist, wo wir am Ende sind. Er schenkt dem Leben, auch unserem Leben, eine Hoffnung, die über alle Tode dieser Welt hinaus reicht. Darum feiern wir den Karfreitag, darum brauchen wir keine Spektakel um den Tod Jesu, sondern eine anhaltende Besinnung darauf, was Jesus von Nazareth für uns damals getan hat und Gott tagtäglich für uns tut. Das Evangelium der Liebe Gottes wird in unser Leben mit seinen Höhen und Tiefen fortgeschrieben, das erzählen uns die Evangelien, die Botschaft vom Kreuz und die von der Auferstehung.
Ich möchte lernen, den Karfreitag wirklich ernst zu nehmen, weil es für mich in meinem Leben einige Karfreitage gab und weiterhin geben wird – und doch möchte ich darauf vertrauen dürfen, dass Gott mir durch meinen Glauben Leben schenkt, eine Hoffnung, die weiterreicht und durchträgt durch unser ganzes Leben, ja sogar darüber hinaus. Amen.
Literatur:
1) Schoder, G., Badische Zeitung, 18. März 2004, S. 11
2) Müller, M., Konradsblatt, Nr. 12, 2004, S. 20f
3) Herkert, Th., Badische Zeitung, 23. März 2004, S. 27
4) Schoder, G., a.a.O.
5) Herkert, Th., a.a.O.
Ritter, W., Deutsches Pfarrerblatt, 3/2004,
Opfert ein liebender Gott seinen Sohn? S. 131
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