Evangelische Kirchengemeinde Kenzingen

Heilig Abend 2001
Lukas 2, 1-20
Gott eine Heimat geben

Begrüßung:

Weihnachten! Das bedeutet: feierliche Gottesdienste, schöne Geschenke, gutes Essen, Besuche, Begegnungen und Gespräche. Das ist heute eine ganze Menge, doch war das alles? Was bedeutet uns die alljährliche Botschaft zum Weihnachtsfest, dass Gott Mensch geworden ist, einer von uns?

Weihnachten! Gottes Widerspruch gegen alle Ratlosigkeit, Sprachlosigkeit, Tatenlosigkeit in der Welt, gegen die unnötigen Mauern zwischen uns Menschen, unseren unterschiedlichen Traditionen, Religionen, Konfessionen. Gott wird Mensch, das gilt doch allen Menschen, das verbindet über alles Trennende hinweg. Gott helfe uns mit diesem Heiligen Abend, damit er selbst eine Heimat in unserer Mitte finden kann.

In diesem Sinne und aus diesem Geist heraus sagte Hildegard von Bingen einmal: Gottes Sohn wurde Mensch, damit der Mensch Heimat habe in Gott!"

Gebet:

Herr, guter Gott! Wieder dürfen wir ein Weihnachtsfest in unserem Leben feiern. Du hast uns dieses Fest in unser Leben hinein gegeben für uns und andere, damit wir uns unseres Glaubens besinnen, uns unserer Wurzeln bewusst bleiben, an unsere geistliche Heimat erinnert werden. Wie oft sind wir in den vergangenen Monaten an unsere Grenzen gekommen: Terror, religiöser Wahn und Krieg haben uns gedanklich in Anspruch genommen, unseren langjährigen Frieden in Frage gestellt, so erinnere uns heute mit der Botschaft der Geburt Jesu an das, was er in diese Welt einbringen konnte:

Er hat "Nein" gesagt zu allem, was das Leben bedroht und den Frieden stört: zu Armut und Not, zu Egoismus und Rücksichtslosigkeit, zu Gewalt und Krieg.

Er hat "Ja" gesagt zu allem, was Leben ermöglicht und fördert: zu Umsicht und Hilfsbereitschaft, zu Freundlichkeit und Verständnis, zu Vertrauen und Liebe. Er stand ein für das "Nein" Gottes und hat für sein "Ja" gelebt. Amen.

Text:

Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde. Und diese Schätzung war die aller- erste und geschah zur Zeit, da Quirinius Statthalter in Syrien war. Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeder in seine Stadt. Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, weil er aus dem Hause und Geschlechte Davids war, damit er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe; die war schwanger. Und als sie dort waren, kam die Zeit, dass sie gebären sollte. Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.

Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde. Und der Engel des Herrn trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr. Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen: ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen. Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen:

Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.

Und als die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten untereinander: Lasst uns nun gehen nach Bethlehem und die Geschichte sehen die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat. Und sie kamen eilend und fanden beide, Maria und Josef, dazu das Kind in der Krippe liegen. Als sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, das zu ihnen von diesem Kinde gesagt war. Und alle, vor die es kam, wunderten sich über das, was ihnen die Hirten gesagt hatten. Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen.

Und die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt war.

Lukas 2, 1-20


Liebe Gemeinde!

Wie politisch die altbekannte Weihnachtsgeschichte aus dem Lukasevangelium doch klingt, da wird ja vom Kaiser berichtet und seinem Statthalter. Es geht um eine Art Volkszählung, die Steuer auch in einem eroberten und besetzten Land erheben zu können. Es wird von Joseph erzählt, der sich mit seiner schwangeren Frau auf den Weg machen muss, weil jeder Bürger sich dort zu melden hat, wo er das Heimatrecht besitzt. Wir können uns gut vorstellen, wie begeistert die Menschen sind, sich wegen einer verhassten Steuer für den römischen Herrscher und seinen Vertreter vor Ort auf einen langen, unbequemen Weg machen zu müssen, wenn man eben nicht mehr da lebt und arbeitet, woher die Familie einmal kam.

So ist auch Joseph mit seiner schwangeren Frau unterwegs. Er muss sich auf den Weg machen und wandert zwischen zwei Welten umher: Nazareth, dem Ort, der für ihn und seine werdende Familie Gegenwart und Zukunft ist, in dem er lebt, seiner Arbeit als Handwerker nachgeht, wo er Freunde hat und eine gerade frisch angeheiratete Verwandtschaft, die Synagoge besucht - und Bethlehem, dem Ort seiner Vergangenheit, seiner Familiengeschichte; ein Wanderer zwischen zwei Welten mit einer hochschwangeren Frau.

Die weltweiten Nachrichten an diesem Weihnachtsfest sind wenig ermutigend und fröhlich. Sie passen so gar nicht zu einem stimmungsvollen Abend, wie diesem. Wir hören im Augenblick recht wenig vom "Frieden auf Erden und allen Menschen Gottes Wohlgefallen!" Die letzten Monate haben uns mit einem Terrorismus konfrontiert, wie ihn die Welt schon lange nicht mehr erlebt hat. Deutschland ist seit Jahrzehnten erstmals wieder in kriegerische Auseinandersetzungen verwickelt. Menschen leben und leiden unter Terror und Krieg, sind auf der Flucht, heimatlos. Die zivilisierte Welt ruft nach Terrorbekämpfung und weltweiten Sicherheitsbestimmungen. Wie oft wird auch in unserer Mitte ausgegrenzt statt integriert, - was fremd oder anders ist, stört unsere Normalität. Wo aber bleibt da das Kind, das damals - gezwungenermaßen unterwegs, ein wenig verloren und scheinbar heimatlos - geboren wird? Wie passt das alles zu der erwünschten und erhofften weihnachtlichen Stimmung?

Neulich las ich folgende Geschichte:

Die Beamten, die im Schnellzug München-Salzburg die Personenkontrolle durchführten, blieben gelassen, obwohl die Verdachtsmomente nicht zu übersehen waren: fast schulterlanges Haar, der Blick eines Fanatikers, ungepflegte Kleidung, die auf einen Hang zum Anarchismus hinzudeuten schien. Ein Grenzschützer blieb auffällig unauffällig auf dem Gang stehen, während sein Kollege ins Abteil trat und den Verdächtigen um seine Papiere bat.

Sie sind Araber? Bin ich. Gehören Sie der PLO an? Ich trete für Gewaltlosigkeit ein. Sind Sie Mitglied einer K-Gruppe? Der Verhörte zögerte. Nein, die Kirche führt mich höchstens als Ehrenmitglied. Sind Sie privat oder dienstlich unterwegs? Ich befinde mich auf einer vorweihnachtlichen Geschäftsreise zu den Agenturen in Westeuropa. Inzwischen hat der andere das Foto des Verdächtigen im Fahndungsbuch ausgemacht. Eindeutig, es handelte sich um eine Leitfigur des internationalen Terrorismus. Der Gesuchte, hieß es, wechselte häufig seinen Namen ... und besitzt wenigstens einen griechischen, römischen und jüdischen Pass.
Er hat die Fischer am See Genezareth aufgewiegelt, hat in der Wüste Jordaniens eine Hungerdemonstration organisiert und in Jerusalem eine religiös verbrämte Volkserhebung gegen die heimischen Geschäftsleute und Bankherren angezettelt. Er ist Anführer einer Zelle, der nach Angaben eines Überläufers ... mindestens zwölf Terroristen angehören. Die Beamten handelten umsichtig. Kurz vor der Grenze brachten sie den Zug zum Stehen, ein GSG9-Kommando, das über Funk alarmiert worden war, stieg hinzu und nahm den Verdächtigen fest: Er wurde als der staatenlose Jesus von Nazareth mit dem Decknamen "Christus" identifiziert. [1]

Liebe Gemeinde, was fangen wir nur mit diesem Jesus an? Stimmt uns dieses Fest im Ablauf eines Kirchenjahres nicht ein wenig nachdenklich, vielleicht sogar traurig, weil wir die deutliche Diskrepanz zwischen unseren Erwartungen an dieses Fest, seinem Inhalt und seiner Erfüllung empfinden? Wir erwarten oft so viel von diesem Abend, von der altvertrauten Weihnachtsbotschaft, den Liedern, Kerzen, der Stimmung, dass wir am anderen Morgen wie mit einer Katerstimmung aufwachen, weil wir spüren, dass wir wieder in der Welt angekommen sind - und der Himmel, der gestern fast ein wenig greifbar war, leider verschwunden ist.

Wie oft singen und beten wir am Heiligen Abend in durchaus ehrlicher Absicht Gott mit diesem Kind in unser Leben hinein. Wir sind verführt von einem stimmungsvollen Glauben, aber dann bleibt er uns doch fremd, der Gott des Heiligen Abends mit dem Kind aus Bethlehem, so dass es bald wieder aus unserem Leben ausgegrenzt wird, wie ein Fremder.

Ich möchte noch einmal einen Gedanken aufgreifen, mit dem ich die Predigt zum Heiligen Abend im vergangenen Jahr abgeschlossen habe. Hildegard von Bingen, die als eine Heilige verehrt wird, sagte einmal: "Gottes Sohn wurde Mensch, damit der Mensch Heimat habe in Gott!" [2]

Dieses Kind, das da so zwischen den Welten, unterwegs, geboren wird, von den einen später als erwachsener Mann verehrt, von den anderen geächtet und an ein Kreuz genagelt, lebt in dieser Welt mit all ihren existentiell erfahrbaren Tiefen und bringt dem Menschen das, was ihm fehlt, nämlich eine Heimat in Gott!

Heimat ist ja für uns ein durchaus belasteter Begriff. Dabei sehnt sich irgendwie jeder nach ihr. Der Begriff Heimat klingt nach unbewältigter Vergangenheit bei all jenen, die sie einmal verloren haben, bei allen anderen, die sie gern beschwören, ein wenig überholt und altbacken. Dennoch gehört so etwas wie eine Heimat - recht verstanden - zu den tiefen Bedürfnissen aller Menschen. Hier verbindet sich: Herkunft, Vertrautes, Sicherheit, Wurzeln, es ist ein geschützter, geborgener Bereich. Dagegen ist Heimatlosigkeit immer mit Unsicherheit, Flucht, Gefahr und Bedrohung verbunden.

Auch dieser Gottesdienst am Heiligen Abend gehört für viele von uns zum Heimatlichen, zu dem, was einen mit der Kindheit verbindet, doch vielleicht auch mit dem Glauben der eigenen Kirche. Heimat, zu Hause sein in den vertrauten Riten Texten, Liedern und das mitten in einem Leben, in dem wir uns Tag für Tag zu behaupten haben, wo wir uns herausgefordert fühlen, wo wir kämpfen müssen und das Leben einmal mehr, ein anderes Mal weniger gelingt und scheinbar immer flüchtiger wird durch die unterschiedlichsten Infragestellungen. Ja, was fangen wir nur mit diesem Jesus an, wie retten wir etwas von einem Abend, wie diesem, in unseren Alltag hinein?

Natürlich gibt es keine einfache Antwort, mit der wir nach Hause gehen und unseren Glauben auch im Alltag vertrauter leben könnten. Ich denke aber, dass es eine Hilfe sein kann, dass wir uns das Dunkle, Verwirrende, Flüchtige unserer Zeit vor Augen halten und von dorther auf unsere Verwurzelungen zurückkommen. Natürlich können wir Gott nicht verhaften, wie den jungen Mann im Schnellzug aus unserer kleinen fiktiven Geschichte, denn Gott ist uns eben nicht fassbar: in unserem Fühlen nur ahnend zu empfinden, in unserem Denken nicht einfach zu begreifen. So ergeht es uns ja auch mit Jesus, dem Menschen, der sicher ganz anders gewesen sein wird, als unsere Vorstellungen es zulassen. In jedem Fall aber anders als Dürers Jüngling mit dem blonden, lockigen Haar. Darum ist es entscheidend wichtig, dass Gottes Sohn heute in unsrem Glauben Mensch wird, damit der Mensch eine Heimat findet in Gott!

Die Erfahrungen unserer Zeit können so zu einer Herausforderung werden, nicht nur nach mehr weltweiter Sicherheit zu fragen, sondern nach den Wurzeln unseres Glaubens, gerade auch in der Auseinandersetzung mit den drängenden Fragen der Gegenwart, anderen Religionen und Kulturen. Dadurch kann es dann möglich werden, dass den Friedlosen ein wenig mehr Friede geschenkt wird, - jene die, wo auch immer, Terror ausüben, Verstand annehmen und ihre Religion nicht missbrauchen, - die Traurigen Trost finden, - die Streitenden Ruhe geben können, - der Suchende, Fragende, Zweifelnde einmal innerlich ankommen darf. Wo sich Gott durch den Glauben eines Menschen ausdrückt, wird alles Leben hoffnungsvoller.

Jesus heute, einmal ganz real in unserer Mitte? Ich glaube, dass nicht nur der Innenminister seine liebe Not mit ihm hätte. Wir alle hätten Schwierigkeiten mit diesem Mann Gottes. So aber ist er uns überliefert, so wurde er von Generationen zu Generation von all jenen bezeugt, die ihn mit Gott in eine unlösliche Verbindung gebracht haben. Erst in dieser gedanklichen Einheit des Vaters mit dem Sohn können wir uns vorstellen, warum der Schreiber des Lukasevangeliums, die Engel und himmlische Heerscharen aufbietet, die Gott über den Hirten auf den Feldern die Ehre geben. Sie hören dieses "Fürchtet euch nicht!" und machen sich auf den Weg, suchen das Kind und was sie - unvermutet - finden, ist genau das, was Hildegard von Bingen ebenso schön, wie begreiflich ausdrücken konnte: "Gottes Sohn wurde Mensch, damit der Mensch Heimat habe in Gott!"

Liebe Gemeinde, es ist wieder Weihnachten geworden, was fangen wir nur mit diesem Jesus an? Machen wir uns mit unseren Gedanken einmal auf den Weg, damit wir erkennen, dass der Gott der Höhe genau auch der der Tiefe ist und dass wir uns daher mitten in unserem Leben mit all unseren unterschiedlichen Lebenserfahrungen, eine Heimat geben dürfen in diesem Glauben an diesen Gott. Krippe und Kreuz werden so zu Symbolen, die uns ein ganzes Jahr hindurch begleiten, dabei aber zutiefst mit der Heimat unseres Glaubens, Gott selbst, verbunden sind.

Lassen wir uns gerade heute mit dem Weihnachtsevangelium ruhig auch das "Fürchtet euch nicht!" zusprechen und vertrauen wir diesem Wort. Begleitet durch diesen tröstlichen Gedanken können wir unsere Zukunft angehen und bestehen mit all dem, was uns erwarten, fordern, aber eben auch erfreuen wird. Ich wünsche Ihnen allen ein gesegnetes Weihnachtsfest, auf dass wir mit unserem Glauben eine geistliche Heimat finden in Gott, denn dazu wurde Gottes Sohn ein Mensch!
Amen.


Literatur:

  1. Nach: Schütt, J., Zeitschrift für Gottesdienst und Predigt, 5. Jahrgang (weitere Angaben unbekannt)
  2. Käuflein, A., Heimat haben, Konradsblatt 50/2000, S. 15

    außerdem:

    Rengstorf, K.H., Das Evangelium nach Lukas, Das Neue Testament Deutsch, Göttingen 1965, S. 37f

    Sauter, G., Gottes Philanthropie, Evangelische Kommentare, 12/1992, S. 735f

Letzte Änderung: 28.12.2001
Pfr. Hanns-Heinrich Schneider