Weihnachten, 25.12.2001
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"... und sie gebar
ihren ersten Sohn ...!"
Seitenaltar mit
St. Anna, Joachim & Maria kniend im Vordergrund,
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Weihnachten 2001, die Nachricht von der Geburt eines Kindes ist wirklich keine, die einen vom Stuhl reißen würde. Da wird ein Kind geboren, na und, was ist schon dran an einem Kind? Kinder wurden und werden bis auf den Tag viele in der Welt geboren, und doch bewegen uns die ganz persönlichen Nachrichten einer Schwangerschaft. Mutter oder Vater zu werden, ist vielleicht - ein wenig anders, als bei Maria und Joseph - gerade auch bei einem richtigen Wunschkind ein großartiges, bewegendes und tiefes menschliches Erlebnis für junge Menschen.
Sieht man den unfertigen, noch schemenhaften Schatten eines Kindes auf einem Ultraschallbild, so sieht man ja ehrlicher Weise zunächst eigentlich nur sehr wenig, und doch ist es das erste Bild von einem Menschen. Auf dieses Kind wird nun gewartet, darauf freuen sich Eltern, Großeltern, Geschwister, eine erweiterte Familie oder der ganze Freundeskreis. Mit diesem Kind fühlt sich jeder gefühlsmäßig verbunden. Was für ein Bild werden Maria und Joseph sich von ihrem Kind damals gemacht haben, was für Bilder entwerfen wir uns von unseren Kindern, und versuchen wir sie damit auf ihre Zukunft festzulegen?
In der wunderschönen Weihnachtsgeschichte von Lukas wird die Geburt Jesu eigentlich sehr knapp berichtet: zwischen dem Kaiser in Rom und seinem Statthalter in Syrien, politischen Sachzwängen, die für Maria und Joseph in einem solchen Zustand mehr als ärgerlich gewesen sein müssen und den Hirten auf den Feldern um Bethlehem herum, denen die Menge der himmlischen Heerscharen begegnet, heißt es kurz und knapp: "... und sie gebar ihren ersten Sohn ...!"
Der Evangelist Matthäus interessiert sich zunächst für den Stammbaum Jesu, um die besondere Verbindung dieses Menschen mit Abraham, dem Vater des Glaubens, dem Stammvater Israels und dem König David hervorzuheben. Er sagt: dieses Kind ist ein jüdisches Kind mit jüdischen Vorfahren, hineinverwoben in die Geschichte Israels. Den Evangelisten Markus lässt das alles kalt. Kindheit ist seine Sache jetzt nicht, und erst später berichtet er von einem kämpferischen Jesus, der sagt: "Lasst (gerade) die Kinder zu mir kommen ...". So beginnt er sein Evangelium mit Johannes dem Täufer und der Taufe Jesu im Jordan. Und der Evangelist Johannes beginnt mit den tiefgreifenden Gedanken zum Wort, das Fleisch wird, wobei aber auch er dann sein Evangelium mit dem erwachsenen Jesus fortsetzt.
Weihnachten hat sich im Laufe der Zeit als das gefühlsmäßigste Fest der Kirchen herausgebildet, obgleich natürlich der Karfreitag und vor allem dann das Osterfest theologisch tiefer greifen und uns vor die letztendlich entscheidenden Anfragen nach unserem Glauben stellen. Nicht das Weihnachtsfest macht uns zu Christen, sondern der Glaube, dass Jesus Christus der lebendige Herr und Gott für uns ist. Warum dann aber Weihnachten in dieser Weise?
Wir haben hier in unserer alten Franziskanerkirche diesen St.-Annen-Altar. Wir sehen Anna mit ihrem Mann Joachim und vor ihnen, kniend, Maria mit einem aufgeschlagenen Buch. Nichts sagt die Bibel über die Eltern Marias, die Großeltern Jesu. Doch schon sehr bald werden die beiden in der frühen Kirche verehrt. Die Absicht ist klar: Ist Jesus wirklich ein Mensch gewesen, dann hat er auch Eltern gehabt, hat er Eltern gehabt, dann auch Großeltern, und so wird die menschliche Seite Jesu hervorgehoben, ohne dass das Neue Testament die göttliche je vernachlässigen würde. Dieses Kind, von dem es heißt: "... und sie (Maria) gebar ihren ersten Sohn ...!", ist Mensch und Gott zugleich, keine der beiden Aussagen darf da verkürzt werden, und darum haben alle vier Evangelisten - menschlich verständlich und nachvollziehbar - andere Zugänge zu diesem Menschen Jesus von Nazareth. Keiner von ihnen hat Jesus persönlich kennen gelernt. Dabei sind sie nun doch so fasziniert von den Berichten, die sie hören, dass sie ein Evangelium, eine "Frohe Botschaft" verfassen.
Über Jesus, das Kind, erfahren wir nur wenig im Neuen Testament. Wir hören von seiner Beschneidung, dann noch einmal als dem 12-Jährigen im Tempel, sonst können wir nur noch in den apokryphen Schriften, in den Thomasakten, etwas über die Kindheit Jesu erfahren. Und doch ist es ja keine durchweg fröhliche Geburt, die uns da geschildert ist, wird ja bei Lukas darauf verwiesen, dass man kein Dach über dem Kopf hat und das Kind zunächst in einer Futterkrippe unterkommen muss. Auf dem Hintergrund der politischen Realitäten ist das alles sehr irdisch, sehr erdverbunden geschildert, so ist es, wenn Menschen Macht ausüben über andere. Was also bringt eine christliche Gemeinde heute dazu, sich über das Kind von Bethlehem Gedanken zu machen?
Hannah Arendt, eine politische Philosophin des vorigen Jahrhunderts, nach der immerhin der Intercity 573 von Stuttgart nach Hamburg benannt ist, schrieb einmal: "Das `Wunder besteht darin, dass überhaupt Menschen geboren werden, und mit ihnen der Neuanfang den sie handelnd verwirklichen können kraft ihres Geborenseins. Nur wo diese Seite des Handelns voll erfahren ist, kann es so etwas geben wie `Glaube und Hoffnung... Dass man in der Welt Vertrauen haben und dass man für die Welt hoffen darf, ist vielleicht nirgends knapper und schöner ausgedrückt als in den Worten, mit denen die Weihnachtsoratorien `die frohe Botschaft verkündigen: `Uns ist ein Kind geboren." [1]
Nur jemand, der einmal geboren wurde, wird auch zu einem Lebenden, und in jedem Kind werden Hoffnungen für die Welt mitgeboren. "Dass man in der Welt Vertrauen haben und dass man für die Welt hoffen darf", darin liegt für uns die ganz menschliche Begründung, warum wir Weihnachten feiern, uns an dieses Kind - damals - erinnern lassen in jedem Jahr unseres Lebens neu. Gott kommt nicht irgendwie, sondern er kommt menschlich zu uns. Daher ist dieses Fest so in Frage gestellt, so religiös vermarktet, gefühlsmäßig missbraucht. Wir lieben den schein-frommen Rummel, doch dem ernsten Anspruch der Botschaft vom "Kind", nämlich der Menschwerdung Gottes in das Leben dieser Welt hinein, damals wie heute, entziehen wir uns.
Ein Kind schultern wir, solange es klein, sauber, ordentlich, pflegeleicht und süß ist, aber wehe, wenn die Schubladen ausgeräumt, die Suppe nicht ausgelöffelt, der PC nicht in Ruhe gelassen, die Diskette zerkratzt, das Buch bunt bemalt, die erste Zigarette heimlich geraucht und die elterliche Autorität in Frage gestellt wird. Doch gerade in all dem, in den ersten Schritten, der Unvollkommenheit, im allmählichen Reifen und Wachsen, dem Widerspruch wird deutlich, was auch für unseren Glauben gilt: er wächst und reift sich durch ein langes Leben hindurch, und vieles bleibt wie in Kinderschuhen stolpernd stecken.
Unser Weihnachtsfest mag noch so schön sein, aber einfach so sind Kinder nicht zu haben, davon wusste ja auch Maria und Joseph ein leidvolles Lied zu singen. Auch sie mussten Jesus erziehen, der sich ihnen schon bald ein stückweit entzieht. Sind das nicht Bilder der Menschlichkeit Gottes: ich kann mir Jesus gut so vorstellen, dass er sich beim Toben in den Bergen um Nazareth herum die Hosen zerreißt, sich mit seinen Geschwistern um ein Spielzeug streitet, mit Nachbarkindern durch den bunten Bazar seiner Heimatstadt tobt und Verstecken spielt. Ich frage mich, werden Maria oder auch Joseph ihrem Sohn einmal den Hosenboden stramm gezogen haben?
Wo und wie sollte reifen können, was er dann im Leben für seine grenzensprengende Aufgabe brauchte: wenn er den Widerspruch gegen das religiöse Establishment, ihren greifbaren, manipulierten Gott wagt, - Kranke am Sabbat heilt, Huren ihre Schuld vergibt, Sündern eine Zukunft schenkt. Er redet in Gleichnissen und Bildern von der Liebe Gottes, die von den Menschen verdunkelt worden war und schenkt ihnen Gott, als Vater und Mutter zurück, in dem er sich für sie, für uns zum Bruder macht. In den Augen der Frommen ist er ein geistlicher Rebell, ein Ketzer.
Was Maria in all dem "Gott sei Dank" nicht ahnen kann ist, dass es mit diesem Mann so enden muss, er konnte in dieser Welt nicht ungeschoren davonkommen. Ein solches Leben fällt nicht einfach vom Himmel, darum reden wir vom Kind, darum stellen wir uns gedanklich auch bei diesem Jesus auf einen ganz und gar menschlichen Anfang ein. Dies ist die andere, die menschliche Seite seiner Göttlichkeit. Doch wie nehmen wir das biblische Wort von diesem Kind in unseren Alltag hinein, wie lassen wir uns durch sein Leben, seinem Wort und Geist begleiten? Ich denke an eine andere Legende. Da geht es um Christophorus:
Der steht am Ufer. Ein Riese, bereit, die Pilger über den Fluss zu tragen. Ein Kind kommt. Ein Leichtgewicht. Mit dem hat er leichtes Spiel. Denkt er. Er, der Unbesiegbare, er, der auf der Suche ist nach einem, der größer ist als er, der stärker ist als er, - Christopher nimmt das Kind. Und schreitet in die Wasser des Flusses. Mit jedem Schritt wird das Gewicht des Kindes schwerer. Er droht unterzugehen. Was leichtes Spiel schien - es wird zur schier unlösbaren Aufgabe. Das Kind - Herrscher der Welt. Christophorus, der Christusträger hat gefunden, was er suchte ... [2]
An Weihnachten haben wir alle schwer zu tragen:
Maria und Joseph - damals - sowieso. Anna
und Joachim, die Großeltern Jesu, ja die
werden sich auf ihr erstes Enkelkind natürlich
ganz besonders gefreut haben. Doch auch
für uns ist dieses an sich ja schöne Fest
eine große bleibende Aufgabe, weil wir daran
erinnert sind, nicht nur Geschenke nach
Hause zu tragen, sondern eben gerade auch
den Christus hineinzutragen in die Welt.
"Dass man in der Welt Vertrauen haben und
dass man für die Welt hoffen darf", das
liegt für uns Christen an der Botschaft
von diesem Kind, von dem es heißt: "...
und sie gebar ihren ersten Sohn ...!".
Geben wir acht auf unsere Kinder, im fröhlich
unbeschwerten Treiben im Kindergarten, der
Schüler in der Schule, in den Kinder- und
Jugendgruppen der Kirchen, Vereine und Organisationen,
denn mit jedem Kind wachsen oder sterben
unsere Hoffnungen für die Zukunft der Welt,
in der wir selbst leben. Gott jedenfalls
wurde ein Mensch in einem ganz natürlichen
Kind. Werden wir zu Menschen, die Gott nun
in ihr Leben, ihre Zeit und Welt hineintragen,
dann hat Weihnachten, dieses Weihnachten
seine tiefe zukunftsweisende Bedeutung für
uns bekommen.
Amen.
Letzte Änderung: 28.12.2001
Pfr. Hanns-Heinrich Schneider