Evangelische Kirchengemeinde Kenzingen

Volkstrauertag (vorletzter Sonntag im Kirchenjahr), 16. 11. 2003

Begrüßung:

Sehr verehrte Damen und Herren,

Es ist mir eine ganz große Freude, Sie alle heute zur Eröffnung dieser Bilderausstellung von Willi Boos hier im Kreuzgang des Altenwohnheimes der AWO begrüßen zu dürfen. Mein ganz besonderer Gruß und ein herzliches Willkommen gilt Ihnen, lieber Herr Dr. Boos.

Diese Ausstellung macht nachdenklich, sie soll den Betrachter nachdenklich machen, herausfordern, sich mit seiner Existenz, doch wohl auch dem politischen, gesellschaftspolitischen Umfeld auseinander zu setzen. Das Thema der Ausstellung lautet: "Nach Hause kommen..., das ist es, was das Kind von Bethlehem," so sagte es Friedrich von Bodelschwingh einmal, "allen schenken will, die weinen, wachen und wandern auf dieser Erde..."

Eingebettet ist diese Ausstellung von Willi Boos in etwa 10 weitere Ausstellungsorte in und um Lahr herum mit verschiedensten Künstlern, die ihre Heimat in der ehemaligen UDSSR hatten und nun in Deutschland leben und arbeiten. Es geht darum - und eben dies spiegelt sich in vielen Bildern des Künstlers wider - "Mensch zu bleiben zwischen Heimatlosigkeit, Vertreibung und Heimfinden..." Wir können das Thema sehr real auf die persönliche Lebenssituation der Künstler beziehen, die alle ihre ursprüngliche Heimat verloren, sich - situationsbedingt - wohl auch vertrieben fühlen und nun hier in unserer Mitte eine neue Heimat gefunden haben.

Willi Boos wurde 1955 in Barnaul in der UDSSR geboren, dort ging er auch zur Schule. Er studierte an der Fakultät für Kunst und Grafik der Pädagogischen Hochschule in Kostroma, wurde Lehrer für Zeichnen und Malerei an einer Kunstfachschule. In den Jahren 1988-1991 war er Doktorand an der Fakultät für Kunst und Grafik der Pädagogischen Universität Moskau. Er wurde nach seiner Promotion wissenschaftlicher Assistent im Fach Kunst an der Pädagogischen Universität Altai. 1992 siedelte er nach Deutschland um. Willi Boos arbeitete als Kunstmaler und Restaurator in Dresden. Heute ist er Lehrer am Landesgymnasium St. Afra in Meißen. Viele Ausstellungen in der UDSSR wie in Deutschland geben Rechenschaft über sein Werk, das sich heute schon in einigen Museen betrachten lässt.

"Nach Hause kommen...", so das Thema dieser Ausstellung, mit dem wir nun in den vor uns liegenden Advent hineingehen wollen, ein Thema, aber auch, das wohl einen jeden Menschen betrifft. "Heimat" ist ja in Deutschland durchaus zu einem belasteten Begriff geworden, doch niemand von uns kann ohne Heimat leben, niemand von uns würde gern heimatlos leben wollen, das käme ja einer Entwurzelung gleich.
Und eben das empfinden wohl die meisten unter uns hautnah. Wir alle sind auf der Suche, suchen innerhalb unendlich vieler persönlicher, wie aber auch gesellschaftspolitischer Infragestellungen (denn was gilt heute noch, was trägt einen Menschen durch die Vielfalt des Lebens?), nach unseren Wurzeln, nach Orientierungen, nach einem festen Halt, - kurz: nach so etwas wie einer Heimat im Leben.

Friedrich von Bodelschwingh bezieht seinen Gedanken auf Jesus von Nazareth, auf das Kind im Stall von Bethlehem, heimatlos geboren, Mensch geworden, um den Menschen einen Lichtblick auf Gott und von Gott her auf ihr Leben zu werfen.

Willi Boos setzt sich in seinem Werk mit dem Thema Einsamkeit auseinander, damit greift er aktuell ein Grundgefühl auf, das viele Menschen zur Zeit in unserer Gesellschaft bewegt. Doch - und das ist das faszinierende - bleibt er eben nicht resignierend dabei stehen, sondern er führt mit seinen Bildern weiter und tiefer. Er schrieb mir einmal dazu: "Meine Bilder haben eine gewisse melancholische Grundstimmung. Aber ich versuche diese durch das Licht-Schatten-Verhältnis aufzubrechen und gebe damit einen Ausblick, eine Hoffnung..." Man ist sofort an Bert Brecht erinnert, der ja in der Filmfassung seiner Dreigroschenoper sagt:

Denn die einen sind im Dunkeln
Und die andern sind im Licht.
Und man siehet die im Lichte
Die im Dunkeln sieht man nicht.

Etwas mehr Licht in unser Leben zu bekommen, ohne resignieren zu müssen, dazu kann die Kunst beitragen, uns einladen, in diesem Spiel von Licht und Schatten die eigene Existenz zu reflektieren.

Auf dem Weg in den Advent sind wir eingeladen, etwas von diesem kommenden Licht erahnen zu lernen und aufzugreifen, von dem uns dann am Weihnachtsfest so strahlend viel berichtet wird. Lassen wir uns von der Kunst bewegen, unser Leben im Gegenüber zum künstlerischen zu Werk bedenken und nun unseren Gottesdienst zum Volkstrauertag feiern.

Lieber Herr Dr. Boos, ich wünsche Ihrer Ausstellung hier im Kreuzgang der AWO in Kenzingen einen guten Start und Verlauf, dass möglichst viele Menschen sich angesprochen fühlen und zum Nachdenken angeregt werden. Ich danke Ihnen.

Letzte Änderung: 17.11.2003
Pfr. Hanns-Heinrich Schneider