Genesis 1, 26, 27+31:
Dann sprach Gott: Lasst uns Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich. ... Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie. ... Und Gott sah alles an, was er gemacht hatte: seht, Es war sehr gut.
"Für mich ist der Mensch eine ungeheure Schöpfung, ein unfassbarer Gedanke. Der Mensch ist alles, vom Höchsten bis zum Niedrigsten, wie das Leben. Der Mensch wiederum ist das Ebenbild Gottes, und Gott ist alles, alles, eine gewaltige Energie, und es entstanden Teufel und Heilige, Propheten und Dunkelmänner, Künstler und Bilderstürmer. Gleichzeitig, nebeneinander, alles sich wechselseitig durchdringend... Daher muss es auch unendlich viele Wirklichkeiten geben, nicht nur die Wirklichkeit, die wir mit unseren stumpfen Sinnen erfassen, sondern Legionen von Wirklichkeiten, die unauflöslich miteinander verschmolzen sind. Wir glauben doch nur aus Angst und weil wir es in der Schule so gelernt haben, an irgendwelche Grenzen. Es gibt keine Grenzen. Nicht für den Gedanken, nicht für die Gefühle. Die Angst setzt die Grenzen ..."
So beschreibt der schwedische Filmregisseur Ingmar Bergman in seinem Film "Herbstsonate" den Protest gegen die neuzeitliche Einschnürung des Menschen in eine immer besser funktionierende und immer seelenloser werdende Denk- und Gedankenmaschine inmitten einer grauen und kalten Welt der Angst. Vollkommen zu Recht erfasst er als das einzig wesentliche Thema der Religion die Überwindung der menschlichen Angst und erkennt richtig, dass jede Reduzierung (Reduktionismus) auf eine einseitige und erstarrte Lebensform und Wirklichkeitsbetrachtung in tiefstem Sinne Sünde ist - "ein Attentat der Angst gegen die Freiheit des Geistes und die Weite des menschlichen Herzens, ein Widerspruch zum Wesen der Religion (Drewermann [7])."
Leben als Gottes Bild! Unter diesem Leitgedanken steht in diesem Jahr die "Woche für das Leben 2000", die seit 1996 gemeinsam von der Evangelischen und Katholischen Kirche durchgeführt wird.
"Leben als Gottes Bild", diese Aussage setzt unserer Überheblichkeit Grenzen, denn für uns ist nicht mehr so sehr der Mensch das Maß aller Dinge, sein Wohlergehen, seine Würde, sondern das Machbare, die Macht. Das Thema eröffnet aber zugleich Perspektiven, denn hier wird nicht einfach zurückgeschaut und ein wenig renoviert oder restauriert. Es geht um die Lebensfähigkeit des Menschen in einer Welt, die sich in einer unvorstellbar rasanten Weise, scheinbar unbegrenzt verändert. So kann es nicht darum gehen, einige Werte zu verteidigen, sondern es ist danach zu fragen, was wesentlich und damit auch verbindlich für uns ist, um von dorther bedacht, geistvoll und angstfrei unser Wort als Christen zu sagen. Damit werden wir durch das Thema dieses Jahres in gleicher Weise ermahnt, wie ermutigt.
Doch von welchem Standort aus argumentieren wir? Hier geht es ja nicht um unser reichlich geflicktes, zerschlissenes und fadenscheiniges religiöses Gewand, mit dem wir so oft verdecken und bemänteln, was uns gedanklich leitet. Es geht darum, uns mit einer Woche, wie dieser, daran erinnern zu lassen, dass wir Menschen sind, die trotz aller Entfremdung von Gott, dennoch Gottes Ebenbild bleiben.
Das heißt: weil Gott Beziehung ist und nicht mit sich selbst allein sein und bleiben will, schafft er sich mit der Schöpfung ein Gegenüber, einen Lebensraum für Sonne und Mond, die Erde und das Wasser, die Pflanzen und die Tiere. Weil ihm das nicht reicht, begründet er sich darüber hinaus ein partnerschaftsfähiges Gegenüber, den Menschen.
Doch in der biblischen Geschichte wird schnell deutlich, dass ein Mensch, selbst im Gegenüber zu Gott, einsam und verloren ist, daher die Zweisamkeit des Menschen, zweigeschlechtlich, in seiner Bestimmung als Mann und Frau. So wie Gott seinem Menschen gegenüber steht, so nun auch der eine Mensch dem anderen.
Die Geschlechtlichkeit verweist uns darauf, dass wir zusammen und miteinander gegen alle Einsamkeit bezogen leben dürfen, dass die Sexualität von Gott aus gewürdigt und positiv gedacht ist, ein Geschenk der Freude und des Lebens. Diese Zweisamkeit bedeutet aber auch, dass der Mensch sich ebenso in Spannungen erlebt, wie sie die ganze Schöpfung durchziehen: Tag und Nacht, oben und unten, Himmel und Erde, stark und schwach, heiß und kalt.
Martin Buber spricht davon, dass die Gottebenbildlichkeit eine `Aufgabe für den Menschen ist, nämlich wie ein Bild von Gott für die Welt zu werden. Die Angst ist doch darum in der Welt, weil gerade diese Ebenbildlichkeit des Menschen mit seinem Gott verloren ging. Doch warum ging sie verloren? Wir haben das Geschenk der Freiheit missverstanden und missachtet, so dass wir nun schier grenzenlos leben, fühlen, denken und schaffen, weil wir selbst sein möchten, wie Gott.
Daher stellt sich heute die drängende Frage: Dürfen wir tun, was wir können? Friedrich Dürrenmatt versucht mit seiner Komödie "Die Physiker"[4] darauf eine Antwort zu geben: drei Physiker verfeindeter Mächte treffen in einem Irrenhaus aufeinander. Weil sie erkennen, wie gefährlich ihre Forschung geworden ist, wählen sie die Narrenkappe. Einer von ihnen sagt:
Es gibt Risiken, die man nie eingehen darf: Der Untergang der Menschheit ist ein solches... Dieser Einsicht habe ich mein Handeln untergeordnet. ... Ich wählte die Narrenkappe. Ich gab vor, der König Salomo erscheine mir, und schon sperrte man mich in ein Irrenhaus. ... Die Vernunft forderte diesen Schritt. ... Wir müssen unser Wissen zurücknehmen, und ich habe es zurückgenommen. Es gibt keine andere Lösung, auch für euch nicht ... Ihr müsst bei mir im Irrenhaus bleiben... Nur im Irrenhaus sind wir noch frei. Nur im Irrenhaus dürfen wir noch denken. In der Freiheit sind unsere Gedanken Sprengstoff... Was einmal gedacht wurde, kann nicht mehr zurückgenommen werden ...
Hier wird literarisch, komödienhaft eine Antwort versucht und auf die Verantwortung des Menschen in Wissenschaft und Forschung verwiesen. Dabei ist es natürlich keine Lösung, dass alle, die an gefährlichen Fragestellungen und oft zerstörerischen Umsetzungen arbeiten, sich in Irrenhäuser, ein inneres Exil zurückziehen, vor allem, weil es immer Menschen geben wird, die tun, was sie wollen und skrupellos verwirklichen, was sie erdacht haben. Das heißt, dass wir Menschen mit jeder Entdeckung und Erfindung lernen müssen, neu danach zu fragen, wem das nun Erkannte dient und wohin dies uns und die ganze Schöpfung Gottes führt? Von daher ergibt sich auch eine Wegweisung für unser Verhalten: wir dürfen forschen, entdecken, erfinden, das gehört zur gottgewollten menschlichen Freiheit und Kreativität. Doch nun heißt es, angesichts des Fortschritts, den wir erleben und all unseren Fähigkeiten und Möglichkeiten, ethische oder moralische Grenzen zu akzeptieren und die Ebenbildlichkeit des Menschen mit seinem Gott nicht dadurch aufs Spiel zu setzen, dass man selbst wie Gott sein möchte.
Genau hier verliert der Mensch seine Menschlichkeit, er wird inhuman, unmenschlich, er lebt im Streit mit Gott und der Welt, ja sogar mit der Würde, die ihn als Mensch vor allen anderen Geschöpfen und Dingen auszeichnet.
So dürfen wir zwar denken, was immer wir wollen, aber es darf nicht mehr alles gemacht werden, was wir können. Unsere Zukunft hängt auch davon ab, ob wir es lernen, das zu akzeptieren. Wo wir das nicht einsehen, wird unsere Ebenbildlichkeit mit Gott verzerrt: des Menschen Bild wird zur Fratze. Die Geschichte lehrt: auf dem Weg zum "Übermenschen", wie ihn F. Nietzsche[5] proklamierte, der Gott vermenschlichen und den Menschen vergöttlichen wollte, gelangte der Mensch immer mehr beim Gegenteil eines "Übermenschen" an, denn die Erde wurde wider besseres Wissen nicht lebensfreundlicher, die Gewässer nicht sauberer, die Luft nicht klarer, der Lebensraum von Mensch und Tier immer bedrohter, und der Mensch wurde gerade nicht menschlicher.
Es kann doch nicht angehen, dass wir gerührt vor einem Blümchen im Garten stehen und uns begeistert am Zwitschern eines Vogels erfreuen, dann aber unsensibel, blind und taub für all die notwendigen Fragen des Tier- und Naturschutzes, der menschlichen Würde und dem Grund unserer Existenz und allen Seins durch unser Leben stolpern. Hier aufmerksam zu bleiben, unser Wort zu sagen und es als Christen gerade außerhalb unserer Gottesdienste dann auch zu leben, gehört zum alten "Wächteramt" der Kirchen, die sich dabei aber selbst fragen lassen müssen, wo sie versagt, wo sie Gott aus dem Blick verloren und damit auch ihre eigene Menschlichkeit?
Daher stellen die beiden Kirchen zur diesjährigen Woche für das Leben fest:
"Die Gefährdung des Lebens beginnt in den Köpfen und Herzen der Menschen, in ihrem Denken über andere, bei dem Bild, das sie vom Menschen und vom geschöpflichen Leben haben. Die Gefährdung des Lebens beginnt, lange bevor das Leben unmittelbar und faktisch bedroht ist. Sie kann ihre Wurzeln haben in einem Nichtwissen über die anderen, in Unkenntnis und Voreingenommenheit oder auch in ideologischem Denken. Wo die Grundwerte Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität, Frieden und Menschenwürde missachtet werden, gehen Gefahren für das Leben aus ..." [1], [2]
Mit der Woche für das Leben bleiben wir Christen "auf der Suche nach einem tragfähigen Menschenbild", wir lernen, uns empfindsamer zu machen, unsere Grenzen zu akzeptieren und dabei unseren Verstand zu benutzen. Wir alle teilen uns diese eine Schöpfung, da ist die Frage berechtigt, wie wir dem Bild Gottes entsprechen und unserer Menschlichkeit gerecht werden? Das fordert unseren Glauben, wie unser Denken heraus, oder wir leben glaubens- und gedankenlos.
Am Ende der Schöpfungsgeschichte steht die Feststellung: "Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte: seht, es war sehr gut". Lassen wir uns dazu einladen, so zu leben, dass wir diesem Urteil Gottes über seine Schöpfung wieder ein Stück näher kommen. Was wir hören und was uns heute herausfordert, ist also ein Auftrag, ein Auftrag über die Gegenwart hinaus, ein Auftrag der ermutigt, weil er uns ernst nimmt in unserem Tun und Lassen als Gottes Partner in der Schöpfung. Amen.
Pfr. Hanns-Heinrich Schneider
Letzte Änderung: 05.01.2001