Evangelische Kirchengemeinde Kenzingen

Gottesdienst in der Kirche St. Sebastian in Bombach, 13. Sonntag nach Trinitatis

Dominus Jesus

1. Mose (Genesis) 4, 1 - 16a:
Adam erkannte Eva, seine Frau; sie wurde schwanger und gebar Kain. Da sagte sie: Ich habe einen Mann vom Herrn erworben. Sie gebar ein zweites Mal, nämlich Abel, seinen Bruder. Abel wurde Schafhirt und Kain Ackerbauer. Nach einiger Zeit brachte Kain dem Herrn ein Opfer von den Früchten des Feldes dar; auch Abel brachte eines dar von den Erstlingen seiner Herde und von ihrem Fett. Der Herr schaute auf Abel und sein Opfer, aber auf Kain und sein Opfer schaute er nicht. Da überlief es Kain ganz heiß, und sein Blick senkte sich.

Der Herr sprach zu Kain: Warum überläuft es dich heiß, und warum senkt sich dein Blick? Nicht wahr, wenn du recht tust, darfst du aufblicken; wenn du nicht recht tust, lauert an der Tür die Sünde als Dämon. Auf dich hat er es abgesehen, doch du werde Herr über ihn! Hierauf sagte Kain zu seinem Bruder Abel: Gehen wir aufs Feld! Als sie auf dem Feld waren, griff Kain seinen Bruder Abel an und erschlug ihn.

Da sprach der Herr zu Kain: Wo ist dein Bruder Abel? Er entgegnete: Ich weiß es nicht. Soll ich der Hüter meines Bruders sein?

Der Herr sprach: Was hast du getan? Das Blut deines Bruders schreit zu mir vom Ackerboden. So bist du verflucht, verbannt vom Ackerboden, der seinen Mund aufgesperrt hat, um aus deiner Hand das Blut deines Bruders aufzunehmen. Wenn du den Ackerboden bestellst, wird er dir keinen Ertrag mehr bringen. Rastlos und ruhelos wirst du auf der Erde sein. Kain antwortete dem Herrn: Zu groß ist meine Schuld, als daß ich sie tragen könnte. Du hast mich heute vom Ackerland verjagt, und ich muss mich vor deinem Angesicht verbergen; rastlos und ruhelos werde ich auf der Erde sein, und wer mich findet, wird mich erschlagen. Der Herr aber sprach zu ihm: Darum soll jeder, der Kain erschlägt, siebenfacher Rache verfallen. Darauf machte der Herr dem Kain ein Zeichen, damit ihn keiner erschlage, der ihn finde. Dann ging Kain vom Herrn weg und ließ sich im Land Nod nieder, östlich von Eden.

Begrüßung

Liebe Gemeinde! Der uns für diesen Sonntag vorgegebene Predigttext der ungleichen Brüder Kain und Abel lässt uns angesichts des vor kurzem veröffentlichten Textes des Vatikans zur "Kirche" darüber nachdenken, was uns in unseren Kirchen trennt, unterscheidet, doch auch - und erst recht - eint. Wir müssen bekennen, dass uns als evangelische Christen dieses Wort aus Rom tief betroffen gemacht hat.

Das, was wir zu entgegnen haben, soll in geschwisterlicher Gesinnung gesagt sein, dennoch aber unsere Überzeugung zur Geltung bringen. Möge Gott uns allen helfen, in rechter Weise "Kirche" zu sein.

Gebet

Herr, dein Name wird dort nicht geehrt, wo wir aneinander vorbei leben, nicht aufeinander hören, unsere Meinung zum Maßstab setzen und darüber dein Wort nicht mehr recht hören. Wir alle sind gemeint, wenn es um Kain und Abel geht, wir alle sind gefragt, Kain: wo ist dein Bruder Abel? Es ist gut, wenn wir die Frage nach dem Bruder, der Schwester auch im Verhältnis unserer Kirchen zueinander hören, denn miteinander stehen wir - schuldig geworden - vor unserem Gott.

Herr, guter Gott, begeistert wollen wir sein, darum bitten wir: schenke uns allen in unseren Kirchen deinen guten Geist. Nur so werden Vorurteile abgebaut und Fremdheit in ein tiefes Verständnis füreinander umgewandelt.

Herr, guter Gott, schenke uns deinen Geist, der Gemeinschaft stiftet auch zwischen ungleichen Geschwistern und eine Offenheit möglich macht, die allem Leid und Unrecht wehrt.

Herr, guter Gott, schenke uns deinen Geist, der uns als Christen in der Welt in "versöhnter Verschiedenheit" dennoch glaubwürdig leben lässt. Segne und behüte alle, die in unseren Kirchen Verantwortung tragen von Genf bis Rom, von Karlsruhe bis Freiburg, Herr und segne uns hier vor Ort in all unseren ökumenischen Kontakten und Beziehungen. Amen.


Predigt

Da sprach der Herr zu Kain: Wo ist dein Bruder Abel? Er entgegnete:
Ich weiß es nicht. Soll ich der Hüter meines Bruders sein?
Man muss den Teufel nicht bemühen, um das Böse zu verstehen. Das Böse gehört zum Drama der menschlichen Freiheit. Es ist der Preis der Freiheit, mit diesen Worten beginnt der Philosoph R. Safranski sein großartiges Buch über "Das Böse oder Das Drama der Freiheit". [1]

Liebe Gemeinde!

Mit unserem Predigtwort von den Brüdern Kain und Abel sind wir gedanklich noch einmal an den Anfang gestellt. Wir fragen danach, warum unser Leben so schuldverflochten verläuft, wie wir es tagtäglich im Kampf um unsere Existenz wahrnehmen? Ein Kampf, der ja schon in der Schule beginnt, der sich in der Ausbildung fortsetzt und der im Alltagsleben unserer Arbeitswelt eine feste Heimat hat: es ist der Kampf darum, zwanghaft immer der Beste sein zu wollen, ja sogar es sein zu müssen, wenn ich vorankommen will und die Konkurrenz hinter mir lassen muss. Es ist der Kampf um Anerkennung, oft sogar um Zuwendung und Liebe.

Wer sein Leben bewusst erfährt, spürt, wie sehr er mit der verlorenen Kindheit auch das Paradies verloren hat, es gibt keine Unschuld mehr. Das Nein Gottes bereits im Paradies gesprochen, führt den Menschen in die Entscheidung, Gottes Gebot zu hören und danach zu leben oder es zu verweigern. Mit Gottes Nein ist nun auch dem Menschen die Freiheit zum eigenen Nein gegeben.

Da sind die beiden Brüder Kain und Abel. Die Geburt von Kain wird von seiner Mutter ausdrücklich begrüßt, über die des Bruders wird nichts weiter gesagt. Der eine ist Ackerbauer, der andere ein Schafhirt. Zwei Welten begegnen sich in diesen ursprünglichsten Berufen der menschlichen Geschichte. Aber nicht die Berufswelten führen hier zum Konflikt, es sind die Opfer, welche die Brüder darbringen.

Ohne einen erkennbaren Grund wird das Opfer Abels angenommen, das von Kain aber verweigert. Nichts wird dazu weiter gesagt, weder wird der eine gelobt, noch der andere getadelt. Es sind ganz normale Menschen, die uns die Bibel hier in einer ihrer Urgeschichten vor Augen stellt: sie arbeiten, gehen ihren Berufen nach und wollen mit der Ernte ihrem Gott ein Opfer bringen. Es ist uns sicher verständlich, dass Kain mit Ärger reagiert, ist er sich in seiner Gottesbeziehung ja keiner Schuld bewusst. Dieses Nichtbeachtet werden und die unverständliche Zurückweisung seines Opfers führen ihn die diese ausweglose Situation, bis schließlich hin zum Mord an seinem Bruder.

Doch Gott wendet sich dem Gedemütigten zu, er gibt ihm zu bedenken, dass er, ganz modern gesprochen, der Herr seiner Gefühle sein und sich nicht dem Unrecht aussetzen soll. Aber Kain verschließt sich: er tötet seinen Bruder, der ihm nichts getan und verweigert sich Gott, der ihm gerade noch zu spüren gegeben hat, dass er sich ihm dennoch an die Seite stellte. So lernt auch Kain im Konflikt, Nein zu sich zu sagen, sich seiner gottgewollten Menschlichkeit zu verweigern.

Wir alle finden uns unschwer in Kain und Abel wieder, in einer Geschichte, die von unseren menschlichen Anfängen erzählt und damit Fragen aufgreift, die unser Leben zu deuten versuchen.
Wer von uns möchte sich denn nicht in seiner gefühlsmäßigen Einmaligkeit von anderen abgrenzen, sich unterscheiden: anders, vielleicht sogar besser, erfolgreicher, hübscher, schneller, gebildeter sein? Wie viele Menschen neiden dem anderen das, was er hat, und vergessen darüber die Dankbarkeit für die unzähligen Dinge im Leben, die man selbst als Fähigkeit und Möglichkeit geschenkt bekam? Dieses ständige sich Messen, Erniedrigen, Aus- und Abgrenzen führt somit in Undankbarkeit, Ignoranz, Konkurrenzdenken und Schuld. Wir sind unfrei geworden, wie Kain, der seinen Bruder erschlägt und stellen so das Ideal unserer Menschlichkeit in Frage.

Da sprach der Herr zu Kain: Wo ist dein Bruder Abel? Er entgegnete:
Ich weiß es nicht. Soll ich der Hüter meines Bruders sein?
Zwei ungleiche Geschwister sind auch wir Kirchen, die katholischen, wie evangelischen*, denn können wir einander achten, so, wie wir sind, einander gelten lassen mit unseren theologischen Voraussetzungen? Mit großer Betroffenheit haben wir vor wenigen Tagen die Stellungnahme der Kongregation für die Glaubenslehre in Rom, unter der Leitung des Deutschen Kardinals J. Ratzingers, zur Kenntnis nehmen müssen, die ausdrücklich vom Papst autorisiert wurde. Ein Wort, das bewusst und gewollt unterscheidet, trennt, aus- und abgrenzt. Ein Wort, das den einen über alle anderen stellt, wenn es um den Anspruch geht, "Kirche" Jesu Christi zu sein.

Ich zitiere: "In der gegenwärtigen lebhaften Diskussion über die Beziehung zwischen dem Christentum und den anderen Religionen fehlt es nicht an katholischen Theologen, die behaupten, alle Religionen seien in gleicher Weise Heilswege. Es handelt sich um relativistische Theorien, die einige Grundwahrheiten des katholischen Glaubens leugnen oder als überholt betrachten..." [2] Und hierzu wird die Existenz der "einen Kirche Christi in der katholischen Kirche" behauptet: "Die einzige Kirche Christi ist verwirklicht in der katholischen Kirche, die vom Nachfolger Petri und von den Bischöfen in Gemeinschaft mit ihm geleitet wird..." [3]

Andere "kirchliche Gemeinschaften", die das Bischofsamt im katholischen Verständnis nicht anerkennen und ein anderes Verständnis der Eucharistie haben, "sind nicht Kirchen im eigentlichen Sinn..." [4] So wird ausgeführt: "Es ist jedoch klar, dass es dem katholischen Glauben widerspräche, die Kirche als einen Heilsweg neben jenen in den anderen Religionen zu betrachten ... [5] Und unter Berufung auf das 2. Vatikanische Konzil wird noch einmal ausdrücklich festgestellt: "Diese einzige wahre Religion, so glauben wir, ist verwirklicht in der katholischen, apostolischen Kirche, die von Jesus dem Herrn den Auftrag erhalten hat, sie unter allen Menschen zu verbreiten..." [6] Angesichts dieser Äußerungen hilft es wenig, dass es - jenseits und unter dieser von der Glaubenskongregation gesetzten Schwelle - viele freundliche Worte für alle anderen Konfessionen und Religionen gibt.

Was ist unsererseits hierzu zu sagen, wollen wir nicht einfach nur schweigen? Es ist bei aller Verärgerung über diesen erneuten Versuch, katholische Christen an die Kette dogmatischer, das heißt aber immer sehr menschlicher Überzeugungen zu legen, nicht unsere Aufgabe, die Situation zu verschärfen. Dennoch muss entschieden darauf hingewiesen werden, dass die Reformation einen Grund hatte: nämlich die sichtbare Trennung der katholischen Kirche vom biblischen Wort, die sich in verschiedenen - ganz offiziellen Äußerungen und Dogmen - bis in die Moderne fortsetzt. Für Luther und den Protestantismus gilt: Sola scriptura: allein die Schrift, denn selbst ein Konzil kann irren, wie viel mehr dann aber ein einzelner Mensch.

Der jetzt selig gesprochene Papst Pius IX dogmatisierte die Lehre von der "unbefleckten Empfängnis Marias", dafür berief er erstmalig in der Geschichte der katholischen Kirche kein Konzil ein. Einmalig war auch, dass es für dieses Dogma kein biblisches Wort als Grundlage mehr geben musste, der gewachsene Glaube des Kirchenvolkes und die Überzeugung eines Papstes reichten aus. Hiermit verband er zugleich das "Unfehlbarkeitsdogma" des Papstes, das dann vom I. Vatikanischen Konzil - gegen den erbitterten Widerstand vieler Bischöfe - festgeschrieben wurde.

Ein weiteres Beispiel, das uns in der Ökumene weit mehr bewegt: Wenn der Herr der Kirche zur Einsetzung des Abendmahles sagt, das ist "für euch gegeben" und "das tut zu meinem Gedächtnis", so haben wir alle diese Einladung zu hören, ganz gleich, welche Gestalt wir unserem Glauben geben. Weder Jesus Christus, noch Paulus haben jemals ein Wort der Ausgrenzung in Bezug auf die Teilnahme am Abendmahl gesagt, im Gegenteil, sie haben dazu eingeladen. [7] Immer wieder hat die katholische Kirche, vertreten durch den Papst, "ihr" Wort gesagt, wo die evangelischen Kirchen das biblische Wort zu hören versuchen. So wird oft ein sehr menschliches Wort zu einem Dogma, zum Glauben der (katholischen) Kirche erklärt.

Wir tun als Kirchen Jesu Christi gut daran, im Umgang miteinander sehr bescheiden zu sein und schmerzende, unnötig trennende Rechthaberei zu vermeiden. Denn fragen wir uns doch einmal, was wohl der Herr der Kirche selbst zu solchen Versuchen sagen würde, ein bestimmtes `religiöses’ Gesetz gegen andere Überzeugungen durchzusetzen? Gerade er wehrte sich doch leidenschaftlich gegen jedes Gesetz, wo es sich gegen den Menschen richtet und nicht der Menschenfreundlichkeit Gottes entspricht. [8]

Jeder Versuch, zu behaupten, allein "Kirche" gegen alle anderen zu sein, muss scheitern, weil die Bibel den Begriff "Kirche" gar nicht kennt, sondern in Bildern spricht, z.B. vom Volk Gottes [9] oder dem Körper als Leib Christi mit seinen vielen Gliedern. [10] Das, was uns heute als Kirchen begegnet, sind historisch gewachsene Versuche, dem biblischen Bild einer "christlichen" Glaubens- und Lebensgemeinschaft gerecht zu werden, und doch sind unsere "Volkskirchen" etwas ganz anderes geworden, als es der historische Jesus selbst im Blick hatte. Wir sind Kirche in der Welt mit allen Grenzen, Verfehlungen und Vorläufigkeiten. Diese Einsicht fordert uns dazu heraus, hier vor Ort, weiterhin in engster ökumenischer Gesinnung und Freundschaft zusammen zu leben. Ja, und so sollen unseres Bruders Hüter sein.

Manche Menschen bedauern, dass es nicht eine Kirche gibt, aber es ist doch schön, dass es möglich ist, seinem Glauben in "versöhnter Verschiedenheit" Ausdruck zu verleihen - und daran wollen wir als evangelische und katholische Christen festhalten. Der Zentralrat der Deutschen Katholiken weist darauf hin, dass gerade dass, was uns trennt als gemeinsam zu lösende Aufgabe formuliert werden muss. [11]

Nach dem Mord an Abel hört Kain noch einmal die Stimme Gottes in sich, die nach dem Bruder fragt. Aber Kain - wie aktuell - redet sich heraus: "Soll ich meines Bruders Hüter sein". Braucht denn der Hirte einen Hüter? Die Antwort ist klar: Ja, wir sind füreinander verantwortlich gemacht, wir haben aufeinander zu achten, wir haben uns zu achten. Wie schön wäre es, das gerade auch zwischen uns Christen uneingeschränkt gelten zu lassen. Gott helfe uns allen, Abel immer wieder zu suchen, zu finden und ihn nicht zu erschlagen und sei es mit noch so gut gemeinten Worten.
Amen.


Literatur:

  1. Safranski, R., Das Böse oder Das Drama der Freiheit, München, 1997, S.13
  2. Lehmann, K., Zu der Erklärung der Kongregation für die Glaubenslehre "Dominus Jesus" über die Einzigartigkeit und die Heilsuniversalität Jesu Christi und der Kirche, Pressemitteilung der Deutschen Bischofskonferenz, S. 1
  3. a.a.O., S. 3
  4. a.a.O., S. 3
  5. a.a.O., S. 4
  6. a.a.O., S. 4
  7. 1. Kor. 11, 23-25; ApG 2, 41+42, 46+47a
  8. Z.B.: Mark. 2, 23-28
  9. 1. Petrus 2, 9+10
  10. Römer 12, 4-6
  11. epd
    Lindemann, W., Deutsches Pfarrerblatt, Heft 8/2000, 13. Sonntag n. Trinitatis
    Lohse, B., Epochen der Dogmengeschichte, Stuttgart, 1978, 5. Auflage

Vollständiger Text:

Verlautbarung des Apostolischen Stuhls 148,
Kongregation für die Glaubenslehre,

Erklärung Dominus Iesus
Über die Einzigartigkeit und die Heilsuniversalität Jesu Christi und der Kirche

6. August 2000
Hrsg.: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Kaiserstr. 163, 53113 Bonn

Presseerklärung des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Karl Lehmann, dazu

* Hier sind auch die katholischen Kirchen gemeint, die nicht unmittelbar der römisch katholischen Kirche zuzuordnen sind, und die evangelischen Kirchen, die sich als lutherische, reformierte oder unierte Kirchen verstehen.

Ich danke allen evangelischen und katholischen Gemeindegliedern, Mitarbeiterinnen und Kollegen, die diesen Predigttext und die entstehende Predigt mit ihrem Anliegen mitbedacht und mich so konstruktiv beraten haben.

Pfr. Hanns-Heinrich Schneider
Letzte Änderung: 17.09.2000