Evangelische Kirchengemeinde Kenzingen

9. Sonntag nach Trinitatis 2000

Jeremia 1, 4-10:
Das Wort des Herrn erging an mich:

Noch ehe ich dich im Mutterleib formte, habe ich dich ausersehen, noch ehe du aus dem Mutterschoß hervorkamst, habe ich dich geheiligt, zum Propheten für die Völker habe ich dich bestimmt.

Da sagte ich: Ach, mein Gott und Herr, ich kann doch nicht reden, ich bin ja noch so jung.

Aber der Herr erwiderte mir: Sag nicht: Ich bin noch so jung. Wohin ich dich auch sende, dahin sollst du gehen, und was ich dir auftrage, das sollst du verkünden. Fürchte dich nicht vor ihnen; denn ich bin mit dir um dich zu retten - spricht der Herr.

Dann streckte der Herr seine Hand aus, berührte meinen Mund und sagte zu mir: Hiermit lege ich meine Worte in deinen Mund. Sieh her! Am heutigen Tag setze ich dich über Völker und Reiche; du sollst ausreißen und niederreißen, vernichten und einreißen, aufbauen und einpflanzen.

Wir beten:

Guter Gott! Du hast auch uns dazu berufen, unseren Glauben an Dich in unserer Zeit und Welt zu leben. Du hast einem jeden von uns seine Gaben, seine Möglichkeiten und Fähigkeiten geschenkt. Keinem hast du alles gegeben und keinem von uns nichts. Aber wie oft leben wir an dir vorbei, geistlos und unbetroffen, wo wir gefordert wären.

Du lebst spürbar unter uns, wo wir unseren Glauben leben, uns mit unseren vielfältigen Fähigkeiten und Begabungen in unsere Kirche und Gemeinde, in unsere Familien und Freundschaften, in den Beruf und die Öffentlichkeit einbringen. Lass unter uns zur Geltung kommen, womit du uns so unterschiedlich begabt hast, damit wir aus deinem Geist heraus einander zur Seite stehen, eine einladende Kirche, eine lebendige Gemeinde sind.

Herr segne und behüte alle in unserer Mitte, die traurig und betroffen sind, die mit den Herausforderungen ihres Lebens zur Zeit nicht mehr fertig werden, ermutige sie durch uns alle. Sei bei allen, Herr, die jetzt im Urlaub sind, lass sie unbeschadet und gut erholt zurückkehren. Herr, dir sagen wir Dank. Amen.


Liebe Gemeinde!

"Aufgrund der Taufe sind alle Christen zum Zeugnis und Dienst in der Welt verpflichtet. Der Erfüllung dieses Auftrags dienen alle Ämter der Kirche. Die Gemeinde ist dafür verantwortlich, daß Menschen, die dazu willig und vorbereitet sind, das Evangelium öffentlich verkündigen.

... Du wirst nun ermächtigt zu predigen, zu taufen und das Abendmahl auszuteilen. In Gottesdienst, Unterweisung und Seelsorge sollst du am Aufbau der Gemeinden mitwirken und sie zum Dienst in der Welt ermutigen. Das Zeugnis der Heiligen Schrift ist Quelle und Richtschnur dieses Auftrags. Das Bekenntnis der Kirche und das Gespräch mit den Brüdern wird dich im gemeinsamen Glauben befestigen und dir helfen, das Wort Gottes heute recht zu verkündigen.

Bei deinem Dienst stehst du in der Gemeinschaft aller Mitarbeiter und wirst begleitet von der Fürbitte der Gemeinde. Unsere Kirche verpflichtet sich, dir beizustehen und für dich zu sorgen. Achte die Ordnung unserer Kirche, wahre das Beichtgeheimnis und die seelsorgerliche Schweigepflicht, und verhalte dich so, daß dein Zeugnis nicht unglaubwürdig wird. In all deinem Dienst, auch wenn dich Zweifel und Enttäuschung anfechten, wenn dir Verzicht und Leiden auferlegt werden, gilt dir die Zusage unseres Herrn. Er steht zu seinem Wort und verlässt die Seinen nicht.

Frage:

Bist du bereit, dich in den Dienst der öffentlichen Verkündigung berufen zu lassen, versprichst du, das Evangelium von Jesus Christus zu predigen, wie es in der Heiligen Schrift gegeben und in den Bekenntnissen unserer Kirche bezeugt ist, versprichst du, das Beichtgeheimnis und die seelsorgerliche Schweigepflicht zu wahren, und willst du deinen Dienst nach der geltenden Ordnung treu und gewissenhaft tun zur Ehre Gottes und zum Besten der Gemeinde, so antworte: Ja, mit Gottes Hilfe."

Ja, mit Gottes Hilfe.

So klingt es heute in unserer Kirche, wenn ein Pfarrer, eine Pfarrerin in seinen oder ihren Dienst hinein ordiniert wird. Mit der Ordination wird durch die Kirche ein geistliches Amt übertragen, das vor allem, wir haben es gehört, mit der Verkündigung, den Sakramenten und der Seelsorge zu tun hat. Von einer Berufung, wie wir sie von Jeremia erfahren, ist hier natürlich nicht die Rede.

Es ist das Jahr 627 vor Christus, in politisch spannungsgeladener Zeit, als Jeremia sich mit der geschilderten Berufung zu Wort meldet. Er ist der Sohn einer bekannten Priesterfamilie ganz in der Nähe Jerusalems, den Tempel Gottes mit seinem Kult vor Augen. Ganz selbstverständlich wird Jeremia in seinen Glauben hineinwachsen, doch womit andere leben, das wird ihm zum Zweifel, ja zur Verzweiflung.

Er fragt sich nach dem Glauben seines Volkes, das den Bund mit Gott täglich um der eigenen Vorteile willen bricht. Man verlässt sich darauf, das "Volk Gottes" zu sein, und Gott wird die Probleme Israels schon richten, was macht es da, wenn dann im Tempel nebenbei auch noch ein paar andere Götzen und Götter mit verehrt werden?

"Was Jeremia durchlebt und durchleidet, ist eine Wandlung von einem fromm gläubigen, suchenden, ringenden, ehrlichen Priestersohn zu einem der schärfsten Kritiker des Kults am Jerusalemer Tempel mitsamt den Priestern, mitsamt den Königen, mitsamt den Hofpropheten, mitsamt dem ganzen Volk, das hinter diesen "Autoritäten" wie als seinem Schild Zuflucht sucht. Nie im Alten Testament hat es dergleichen gegeben. Jeremia wird völlig allein stehen (Drewermann)."

Um so eine Aufgabe reißt man sich nicht, auch Jeremia nicht. Ausreden, durchaus verständliche, sind schnell bei der Hand: "ich kann doch nicht reden, ich bin ja noch so jung...", alles richtig, aber die Berufung erfolgt, sie lässt diesem jungen Menschen keine Ausflucht mehr, denn es ist Gott selbst, der ihn in die Pflicht nimmt, bis hin zu einer berührenden körperlichen Nähe, die Jeremia erfahren darf. Und so beginnt er seinen Dienst, der ihn fordern wird bis an die Grenzen seines Lebens.

Er hat nichts und ist nichts: er hat keinen Beruf, kein Amt, keine Autorität, er ist kein Priester und kein Pfarrer, nicht einen einzigen gescheiten Titel kann er vorweisen, mit dem er sich öffentlich darstellen könnte. Er ist nichts anderes als ein "Laie", wie wir es sagen würden - und gerade diesen jungen widerstrebenden Mann beruft Gott in das Amt eines Propheten. Er soll Israel und der Welt sagen, was von Gott aus zu sagen ist: so wird er mahnen, anklagen, verurteilen, aber auch ermutigen und trösten. In seinen Worten wird das Evangelium wieder zu hören sein, aber die Verbannung wird dem Volk dennoch nicht erspart bleiben. Ein schweres Amt liegt vor ihm.

Wir kennen andere Berufungsgeschichten in der Bibel, sie ähneln sich alle ein wenig. Augenscheinlich lässt sich niemand gern aus seinem Alltag herausrufen, um für Gott seine Ohren, die Augen und den Mund öffentlich zur Verfügung zu stellen, denn wo wir es mit Gott in der Welt zu tun bekommen, da hört alle Bequemlichkeit auf, da sind wir herausgefordert. Dabei sollen wir ja gar keine Propheten werden, wir sollten nur unseren Glauben wieder mehr zu leben wagen, auch dann, wenn es einmal unbequem wird, lästig ist, Zeit kostet und wir kritisch hinterfragt werden.

Doch wie steht es eigentlich um unsere Berufung: Sind Sie zu einem Dienst in unserer Zeit, in unserer Kirche berufen, was sagt Gott mir, Ihrem Pfarrer oder Ihnen als Glied Ihrer Kirche und Gemeinde - ganz gleich welchen Beruf Sie haben, wie jung oder alt Sie sind? Berufungen hören ja nicht mit dem Propheten Jeremia auf, sie finden statt, ob wir sie wahrnehmen oder nicht. In den unterschiedlichen scheinbaren "Sinnangeboten" unserer Zeit, die oft genug den Sinn des Lebens geradezu verweigern, die Menschen bedrücken, oft sogar seelisch gefährden, haben wir das Wort Gottes zu sagen und unseren Glauben zu leben. Das jedenfalls ist unser - durch die Taufe begründeter - Auftrag, unsere Berufung.

Wir haben es eingangs aus der Ordinationsverpflichtung unserer Landeskirche gehört: "Aufgrund der Taufe sind alle Christen zum Zeugnis und Dienst in der Welt verpflichtet. Der Erfüllung dieses Auftrags dienen alle Ämter der Kirche..." Was bleibt in unserer Kirche oft nicht alles ungetan, weil wir uns unserer Berufung entziehen. Unsere Ausreden klingen nur wenig anders, als damals: Ach, Herr Pfarrer, ich habe keine Zeit,- mein Beruf, meine Familie nehmen mich so sehr in Anspruch,- ich bin noch viel zu jung oder schon zu alt,- ich bin doch eine Frau, das ist Männersache,- ich kann das nicht,- ich habe Angst davor, mich zu blamieren... und so bleibt vieles auf der Strecke, was in unseren Gemeinden wichtig, sinnstiftend, anregend wäre, weil wirklich ein jedes Gemeindeglied irgendetwas einbringen kann.

Wir sind als Männer und Frauen in der Kirche sicher nicht alle dazu berufen, Propheten zu werden, Pfarrer, Diakone, Religionslehrer, Kirchenmusiker, doch wir alle bleiben von Gott aus dazu berufen, auf je unterschiedliche Weise unseren Glauben lebendig und glaubwürdig zu leben. Wir alle, die wir getauft sind, sind die Kirche, und diese ist so lebendig oder tot, wie wir selbst es in ihr sind.

Was wäre ich denn als Pfarrer in einer wirklich dankenswert aktiven Gemeinde, wenn nicht andere mit mir zusammen, mit dem Kirchengemeinderat, den Mitarbeiterinnen im Kindergarten-, der Kindergottesdienst- und Jugendarbeit, den kirchenmusikalischen Gruppen oder dem Besuchsdienstkreis mitarbeiten würden? Was wäre denn, wenn nicht gerade die "Laien" (so etwas gibt es in der Kirche gar nicht, wo immer auf das Wort Gottes gehört wird) ihrem Glauben eine Gestalt gäben?

Darum sind wir alle von Gott in unserer Zeit und Welt dazu berufen, so gut es geht und so weit es uns möglich ist, unseren Ort zu finden, wo dieser Glaube zum Zeugnis wird. Mit diesem schenken wir dann - der Gott so vielfach entfremdeten Öffentlichkeit - unseren Geist, unsere Zeit, unsere Phantasie, unser Können, ja auch unser Geld, in dem Maß, wie dies halt möglich ist, um damit etwas anzufangen, was dem Glauben auf die Beine hilft, ihm eine der Welt sichtbare, fassliche Gestalt zu geben.

Unsere Nachbarschaften, die Berufskollegen, die Vereins- oder Parteifreunde, eine breite Öffentlichkeit sieht an uns, wie ernst wir es damit nehmen, als getaufte Glieder unserer Kirche unserer eigenen Berufung nachzukommen. Jeremia wird buchstäblich von Gott berührt, so jedenfalls hat er es empfunden und überliefert. Wäre das nicht großartig, wenn wir es zulassen könnten, Gott einmal nicht fortzulaufen, sondern auch uns von ihm im tiefsten Kern unserer Existenz berühren zu lassen?

Wo das geschieht, werden wir keine Ausreden mehr suchen müssen, wir werden hören und sehen, wo wir als Christen gebraucht sind, und das wird sehr unterschiedlich sein können. Doch ein jeder wird in unserer Mitte seine Aufgabe finden. Dabei sind wir sicher nicht, wie Jeremia, vom Tode bedroht, und wir müssen heute keine wirklich ernsthaften Verfolgungen erleiden. Aber wir werden dennoch Rückgrad brauchen, um unserer Berufung nachzukommen.

Als ich jetzt mit meiner Frau aus dem Urlaub heimkehrte, wurden wir mit erschütternden Nachrichten aus der Gemeinde konfrontiert: bewegende Todesfälle, schwere Krankheiten, unglückliche Unfälle - und immer betraf es junge Menschen, die zu uns gehören. Da ist es auch für einen Pfarrer nicht immer leicht, zuversichtlich zu bleiben und in all dem Dunkel, was unser Leben begleitet, dennoch die Liebe Gottes zu verspüren.

Was ich uns allen daher wünsche, ist, dass wir uns von Gott, auf welche Weise auch immer, berührt, angenommen, ja buchstäblich begriffen fühlen, ganz gleich, wie stark oder schwach, begabt oder unfähig wir uns fühlen. Wie wird es Jeremia später einmal von Gott aus seinen schwierigen, kleinlauten Zuhörern in ihre unterschiedlichen Gefängnisse und Bedrängnisse hinein sagen: "Ich habe dich je und je geliebt; darum habe ich dich zu mir gezogen aus lauter Güte..." (Jer. 31,3). Wen sollte das nicht berühren, trösten, ermutigen, herausfordern, sich so von seinem Gott angesprochen zu fühlen? Und wer ihn heute - trotz allem - hört, der ist gemeint und zum Dienst in Kirche und Welt berufen.
Amen.


Pfr. Hanns-Heinrich Schneider
Letzte Änderung: 06.09.2000