Liebe Gemeinde! Die Tannenbäume sind abgeräumt, dekorative Weihnachtsmänner und pausbäckige Engel sind in staubschützenden Kisten verpackt und warten nun in dieser Dunkelheit und Abgeschiedenheit darauf, irgendwann am Ende dieses Jahres von Dachböden oder aus Kellern wieder ans Licht geholt zu werden, um uns dabei zu helfen, uns erneut auf Weihnachten einzustimmen. Was also bleibt, wenn das Dekorative vom Fest versorgt ist, von dieser Botschaft übrig, die uns so offensichtlich aus unserem Alltag herausgenommen hat? Jetzt werden wir den Schritt aus der Idylle heraus zu wagen haben, hinein in den tiefen Ernst des Glaubens, um unserer großen Freude über diesen menschenfreundlichen Gott Tiefgründigkeit, Glaubwürdigkeit, ja Leben zu schenken. Denn: Welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder.
Herr, guter Gott! Ist es nicht wie beim Telefonieren,
dass wir immer irgendwie falsch verbunden
sind oder unser Gespräch zur Sackgasse gerät?
Liegt es daran, dass wir uns zu sehr von
Stimmungen verführen lassen, den weihnachtlichen
Gebräuchen: Lichtern, Liedern und Texten,
ausgetauschten Grüßen und Geschenken? War
es vielleicht nur ein Selbstgespräch mit
mir und keine Zwiesprache zwischen uns?
Ich habe mich weihnachtlich bedienen lassen,
aber ich war irgendwie nicht richtig mit
dir verbunden. Weil ich zu wenig zuhörte,
habe ich zu wenig erfahren, um etwas leben
und weitergeben zu können vom Glanz und
der Tiefe der weihnachtlichen Botschaft.
Verzeih, Herr, eigentlich wollte ich von
dir hören, mit dir sprechen, vielleicht
war ich doch nur falsch verbunden, weil
ich mich verwählt habe und dadurch jemand
ganz anderen erreichte, als dich. Wo nur
war ich angekommen mit meinem Gespräch,
das ich mit dir führen wollte? Herr, versuche
es noch einmal und stell du die Verbindung
zu mir wieder her.
Amen.
Der Bevollmächtigte Gottes bringt Freiheit und FriedenDer HERR hat gesagt: »Seht, hier ist mein Bevollmächtigter, hinter dem ich stehe. Ihn habe ich erwählt, ihm gilt meine Liebe, ihm gebe ich meinen Geist. Er wird die Völker regieren und ihnen das Recht bringen. Er schreit keine Befehle und lässt keine Verordnungen auf der Straße ausrufen. Das geknickte Schilfrohr zerbricht er nicht, den glimmenden Docht löscht er nicht aus. Er bringt dem geschlagenen Volk das Recht, damit Gottes Treue ans Licht kommt. Er selbst zerbricht nicht und wird nicht ausgelöscht. Er führt meinen Auftrag aus und richtet unter den Völkern meine Rechtsordnung auf. Noch an den fernsten Küsten warten sie auf seine Weisung.«
Der HERR, der wahre und einzige Gott, hat den Himmel geschaffen, wie ein Zelt hat er ihn ausgespannt; er hat die Erde ausgebreitet und Pflanzen und Tiere auf ihr entstehen lassen; er hat den Menschen auf der Erde Leben und Geist gegeben. Er ist es auch, der gesagt hat: »Ich, der HERR, habe dich berufen, damit du meinen Auftrag ausführst. Ich stehe dir zur Seite und rüste dich aus. Ich mache dich zum Friedensbringer für die Menschen und zu einem Licht für alle Völker. Die Gefangenen sollst du aus dem Dunkel des Kerkers holen und den blind gewordenen Augen das Licht wiedergeben.« Euch Israeliten aber sagt er: »Ich bin der HERR, der mächtige und helfende Gott! Diese meine Ehre lasse ich mir von niemand nehmen, meinen Ruhm überlasse ich nicht den Götzen! Was ich früher vorausgesagt habe, ist eingetroffen. Nun kündige ich Neues an. Ich sage es euch im voraus, noch ehe es eintrifft.«
Weihnachten ist vorbei, die Ferien und der Urlaub, das neue Jahr hat begonnen und mit diesem wurde inzwischen die altbewährte DM durch den uns allen noch unbekannten EURO abgelöst. Der Alltag hat uns zurück, und damit steht auch die Frage im Raum, wie sehr sich unser Glaube in ihm bewährt und welche Rolle wir Gott selbst in unserem Leben zukommen lassen. Wofür stehen wir vom Sonntag bis zum kommenden Sonntag geistig und geistlich ein, wofür sind wir bereit, uns einzusetzen, wenn es darum geht, dass unser Glaube gefragt und unser Tun gefordert ist?
Ein wenig mehr oder weniger Moral im Leben werden uns bei den anstehenden Fragen und Herausforderungen des neuen Jahres nicht helfen, vermeintlich fromme Trostpflästerchen eher vertrösten, als wirklich weiterzuführen. Wir haben in den letzten Wochen des vergangenen Jahres von Pisa gehört, einer internationalen Umfrage zum Bildungsniveau auch deutscher Schülerinnen und Schüler. Das Ergebnis war, wie wir nun wissen, ernüchternd. Glaube ist schwer theoretisch zu vermitteln; doch es darf ja einmal danach gefragt werden, was unsere Schülerinnen und Schüler nach Kindergarten und Konfirmandenunterricht, 9, 10 oder 13 Jahren Religionsunterricht an unseren Schulen über ihren Glauben wissen, wie er erlebt und selbst gelebt wird, wenn z.B. 13-jährige Konfirmanden um hier in den Gottesdienst zu gehen, zunächst einmal in der katholischen Kirche ankommen, weil sie schlicht nicht wissen, welche der beiden Kirchen in Kenzingen die evangelische Kirche ist.?
Was wird in unseren Familien an Glaube und Glaubwürdigkeit vermittelt, worauf in Schulen oder sogar im Leben zurückgegriffen werden kann? Was verweigern wir hier an eigener Auseinandersetzung mit Glaubensfragen, Gottesdienst und Kirche, an persönlichem Vorbild und Begleitung unserer Kinder von Kindesbeinen an und aus welchem Grund? Es geht bei unseren Überlegungen jetzt nicht darum, auf irgendjemanden mit dem Finger zu zeigen und Schuld zu verteilen, das bringt überhaupt nicht weiter. Es muss aber darum gehen, Fragen zuzulassen und nach Lösungen zu suchen, die ein wenig Licht in das Dunkel unserer volkskirchlichen Religiosität bringt.
Und eben das ist der tragende Gedanke unseres Predigttextes. Er beginnt mit einem Hinweis: "Seht!" Da ist ein jeder gefragt, herausgefordert, die Augen aufzumachen, einmal hinzuschauen, sich dem Leben zu stellen und sich nicht zu verschließen, wenn es einmal anstrengender, herausfordernder wird, ich mit meiner ganzen Persönlichkeit, mit allem, was ich bin und was mich ausmacht, gefragt bin. "Seht!" und dann verweist der Prophet Jesaja im Auftrag Gottes auf einen Bevollmächtigten, einen Botschafter oder Mitarbeiter, früher sagte man auf einen Knecht, der, vom Geist Gottes erfüllt, Politik machen soll, eine Art göttlicher Politik. Hier ist zunächst einmal Gott selbst und allein der Handelnde. Wer dagegen dieser Beauftragte, Bevollmächtigte Gottes ist, lässt sich auch heute nicht eindeutig sagen.
Früher wurden diese Stellen der Bibel sofort auf Jesus Christus bezogen. Doch daran dürfte zur Zeit Jesajas noch niemand gedacht haben. Immerhin ist an jemanden gedacht, der Gottes Recht aufrichten, der Licht in das Dunkel der Welt bringen und zur inneren, wie äußeren Freiheit des Menschen beitragen wird. Dieser Bevollmächtigte Gottes wird den Menschen die Augen darüber öffnen, wie sehr sie mit ihrem Leben hinter dem zurückbleiben, was ihnen an Lebensqualität, Frieden, Sinn, Kultur und Kunst in jeder Weise möglich wäre.
Auf das Weihnachtsfest zurückblickend, können wir heute zumindest sagen, dass der Mensch Jesus von Nazareth von Gott aus ein solcher Botschafter war, der nun auch uns dazu herausfordert, als die auf seinen Namen Getauften, hinzuschauen und uns nicht mit ein wenig sinnleerer Spaßkultur zufrieden zu geben, uns in einem Leben einzurichten, das möglicher Weise "nur Arbeit" war. Da muss es doch zwischen den beiden Polen sinnloser, zeittötender Freizeitbeschäftigung und Arbeit mehr geben, was einem Leben Sinn schenkt?
Seht hin!, macht euch nichts vor, denn das Leben, das von Gott aus für uns angedacht ist, ist vielfältig und reich. Da gibt es Trauer und Leid, die ihr Recht haben, ihre Zeit, ihren unabänderlichen Sinn, der nicht verschwiegen und verdrängt werden darf. Ebenso gibt es aber auch Feste, Feiern, die Lebensfreude, die genossen werden dürfen. Die tägliche Arbeit, der Beruf, das Lernen in der Schule oder in der Freizeit gehören zu dem hinzu, was das Leben reich macht, es erfüllt. Unsere Arbeit sollte mehr sein als unbefriedigende Aktivität, langweilig einerseits, stressig andererseits. In der ganzen Spanne unseres Lebens und in der Vielfalt aller unserer Erfahrungsmöglichkeiten muss etwas von diesem Licht durchschimmern können, das mit Gott zu tun hat, ja das sich durch den Glauben an Gott erst richtig finden, erfassen lässt. Aber ist das für uns normale Menschen lehrbar, ist das zu lernen?
In meinem Urlaub las ich die neu herausgekommene Biografie über Willy Brandt. Niemand muss ihn mögen, doch er bleibt vielen Menschen, die ihn erlebt haben, in einer ganz besonderen Erinnerung. Dort las ich einen Gedanken, der uns vielleicht ein wenig weiter helfen kann: "In Zeiten atemberaubenden Wandels und in einer zusehends schrankenlosen Welt, die Herkunft nicht aus den Augen zu verlieren, bleibt eine Aufgabe von hohem Rang. Nur wer die eigene Geschichte kennt - mit all ihren Höhen und Tiefen, mit ihren Erfolgen, Niederlagen und Verbrechen -, kann sie aushalten; und nur wer nicht vergisst, dass sie von Menschen gemacht ist, kann sie verstehen, respektieren, verurteilen und wohl auch verzeihen ..." [1]
Das heißt für uns, auch in der Konsequenz für unseren Glauben, dass wir selbst gefragt, Teil der Geschichte sind, die tagtäglich um uns herum und mit uns geschrieben wird. Wenn wir von diesem "Bevollmächtigten" Gottes hören, der Licht in das Dunkel der Weltwirklichkeit bringen soll, so sind wir alle darauf verwiesen, dass wir in der Nachfolge Jesu zu einem solchen Dienst berufen sind. Es liegt an uns, wie sich das Gesicht der Welt darstellt, weil Glaube von uns im Alltag gelebt oder verweigert wird.
Denken wir an Menschen, Nichtchristen oder Christen, wie Mahatma Gandhi oder den Dalai Lama, Albert Schweizer oder Martin Luther King, denken wir an Politiker, die erste Schritte zu einer Politik gewagt haben, die dem Frieden und der Versöhnung dienten oder an Menschen aus unserer eigenen Umgebung, die sich dafür einsetzen, dass mehr Licht unsere Dunkelheiten und Undurchsichtigkeiten durchbricht. Menschliche Vorbilder als Botschafter Gottes in der Nachfolge Jesu. Sie sind die gelebte Botschaft des Glaubens, die uns allen hilft, unser Leben zu dem Gott hin auszurichten, der sagt: "Seht!", schaut hin, schaut nicht weg, wo es auf Euch in Eurem eigenen und in dem Leben anderer Menschen ankommt: "Ich mache dich ... zu einem Licht ...!" , gegen das Dunkel unserer fragwürdigen Bindungen, unserer Gefangenschaften; - gegen alle Blindheit, die uns an unseren Selbstbetrug fesselt, wir können uns eben nicht, wie in Wunschbildern aus Märchen, an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen.
Das ist der Grund dafür, dass uns der Prophet auf Gott und Gott durch einen Propheten auf diese andere Art von Lebensqualität verweisen, die sogar uns möglich wäre, würden wir nur mehr einander zuhören, hinsehen und unser Leben dem entsprechend ausrichten.
Der heute noch vielgelesene Philosoph Friedrich Nietzsche schreibt in seinem Werk "Der Antichrist": "Nichts ist ungesunder, inmitten unserer ungesunden Modernität, als das christliche Mitleid ... [2] Die Schwachen und Missratenen sollen zugrunde gehen: erster Satz unserer Nächstenliebe. Und man soll ihnen noch dazu helfen. Was ist schädlicher als irgendein Laster? - Das Mitleiden der Tat mit allen Missratnen und Schwachen - das Christentum ..." [3] Das ist der Geist, die Quelle des Nihilismus, des Verneinens und sich Versagensaus dem heute vielfach bewusst oder unbewusst gelebt wird. Es ist exakt die Gegenposition, die wir mit unserem Glauben zu beziehen haben, um dieser Welt dabei zu helfen, das Dunkel lichter werden zu lassen. Und eben hier müssen daher die Entscheidungen fallen, aus welchem Geist heraus ich mein Leben und damit das meiner Familie, meiner Berufskollegen, meiner kleinen persönlichen Umwelt gestalten will. Hier ist niemand anderes dafür verantwortlich zu machen, als ich selbst.
Gestern, wir haben es alle mitbekommen, hat der Bundestagswahlkampf begonnen, die Fronten klären sich durch die Kandidaten. Auch hier gilt, nicht den ausgestreckten Zeigefingern und einfachen, populistischen Parolen zu folgen, woher sie auch kommen mögen, sondern abzuwägen. Auf den Geist kommt es an, aus dem heraus Politik gestaltet werden soll und mit welchen Zielsetzungen? Wie heute immer mehr Politik gewagt werden muss, so ein Glaube, der die Kraft und den Mut zur Mitgestaltung der Welt aufbringt. Beides aber, Politik wie Glaube, darf nicht einfach anderen überlassen werden, weil damit die eigene Verantwortung verweigert würde.
"Seht hin!" sagt Gott seinem Bevollmächtigten damals - und in der Nachfolge dessen, dessen Geburt wir gerade gedachten, sind wir gemeint. Ja, es ist noch nicht lange her, dass wir Weihnachten miteinander gefeiert haben und in ein neues Jahr unseres Lebens hineingegangen sind, der Alltag hat uns wirklich zurück. Was aber bleibt vom Fest, von allen guten Wünschen und Absichten? Ich denke, dass es lohnt, einmal dran zu bleiben und weiter nach den Wurzeln unseres Glaubens zu fragen, um gegen jeden Pessimismus und Nihilismus, gegen alle Gleichgültigkeit des Denkens und Fühlens einen Glauben zu stellen, in dem Gott selbst der Handelnde werden kann, damit ein wenig mehr Licht, in der Gestalt vonFreude, Frieden und Freiheit in unser Leben kommen:
"... Er hat den Menschen auf der Erde Leben und Geist gegeben. Er ist es auch, der gesagt hat: »Ich, der HERR, habe dich berufen, damit du meinen Auftrag ausführst. Ich stehe dir zur Seite und rüste dich aus. Ich mache dich zum Friedensbringer für die Menschen und zu einem Licht für alle Völker. Die Gefangenen sollst du aus dem Dunkel des Kerkers holen und den blind gewordenen Augen das Licht wiedergeben ..."
Jedes Wort können wir hier in unser Leben
hinein übertragen und danach leben, wo immer
Menschen leben und was immer sie glauben
mögen. So wird es ein menschenfreundlicheres
Jahr werden, als das, was vergangen ist
- und Gott begleite uns dabei mit seinem
Geist.
Amen.
Letzte Änderung: 16.01.2002
Pfr. Hanns-Heinrich Schneider