Evangelische Kirchengemeinde Kenzingen

Drittletzter Sonntag im Kirchenjahr, Jesaja 55,8+9

Konfirmationsjubiläen + Kirchenwahlen in der Evangelischen Landeskirche in Baden

Begrüßung:

Liebe Gemeinde! Heute ist ein ganz besonderer Tag, was auch in diesem Gottesdienst deutlich wird: wir feiern die Goldene-, Diamantene- und Eiserne Konfirmation einiger Gemeindeglieder, die ich sehr herzlich in unserer Mitte begrüße und Willkommen heiße. Zugleich denken wir an die Kirchenwahlen in unserer Landeskirche. Jeder einzelne Ältestenkreis trägt auf seine Weise zum Leben unserer Kirche und in unseren Gemeinden bei. Daher bekommt die Wahl ihre große Bedeutung. Konfirmationsjubliäum und Kirchenwahlen, zwei Anlässe, die Anlass geben, uns aus unserer Gegenwart heraus zu besinnen, gerade in spannungsreicher Zeit.

"Meine Gedanken - sagt der HERR - sind nicht zu messen an euren Gedanken, und meine Möglichkeiten nicht an euren Möglichkeiten. So hoch der Himmel über der Erde ist, so weit reichen meine Gedanken hinaus über alles, was ihr euch ausdenkt, und so weit übertreffen meine Möglichkeiten alles, was ihr für möglich haltet ..."

Gebet:

Herr, guter Gott! Wir kommen heute an diesem besonderen Tag im Leben unserer Gemeinde und Kirche zu dir, um Dank zu sagen. Es ist ja nicht selbstverständlich die Goldene-, Diamantene- oder die Eiserne Konfirmation feiern zu dürfen. Denn was gab es da alles im Leben an Arbeit mit Erfolg und Enttäuschungen, an Freizeit mit Vergnügen und Vergeblichkeit, an Begegnungen, die Freude machten oder uns traurig stimmten. Herr, wir schauen auf ein Leben zurück, das wir dir verdanken, auch wenn uns manches so dunkel und unverständlich erschien.

Du hast das Leben in unserer Gemeinde durch ihre Geschichte hindurch begleitet, uns immer wieder deinen guten Geist geschenkt, damit geistvolles Leben in unserer Mitte und darüber hinaus sichtbar und spürbar wurde. Oft haben wir unsere Grenzen erfahren, Fragen mussten offen bleiben, Probleme noch ungelöst. Segne die heutigen Kirchenwahlen, und alle, die sich für ein Amt in der Kirche zur Verfügung gestellt haben, damit der Frieden in unserer Mitte erhalten bleibt und ein aktives Leben dazu beiträgt, den Glauben unter uns zu stärken, durch Jesus Christus deinen Sohn.
Amen.

Text:

Sucht den HERRN, jetzt ist er zu finden! Ruft ihn, jetzt ist er nahe! Wer seine eigenen Wege gegangen ist und sich gegen den HERRN aufgelehnt hat, der lasse von seinen bösen Gedanken und kehre um zum HERRN, damit er ihm vergibt! Denn unser Gott ist reich an Güte und Erbarmen.

»Meine Gedanken - sagt der HERR - sind nicht zu messen an euren Gedanken, und meine Möglichkeiten nicht an euren Möglichkeiten. So hoch der Himmel über der Erde ist, so weit reichen meine Gedanken hinaus über alles, was ihr euch ausdenkt, und so weit übertreffen meine Möglichkeiten alles, was ihr für möglich haltet.

Wenn Regen oder Schnee vom Himmel fällt, kehrt er nicht wieder dorthin zurück, ohne dass er etwas bewirkt: Er durchfeuchtet die Erde und macht sie fruchtbar, so dass sie Korn für das tägliche Brot hervorbringt und Saatgut für eine neue Ernte. Genauso ist es mit dem Wort, das ich spreche: Es kehrt nicht unverrichteter Dinge zu mir zurück, sondern bewirkt, was ich will, und führt aus, was ich ihm auftrage.« Unter Jubel werdet ihr den Weg in die Freiheit antreten, mit sicherem Geleit werdet ihr heimkehren. Berge und Hügel werden in ein Freudengeschrei ausbrechen, wenn sie euch sehen, und die Bäume der Steppe werden in die Hände klatschen.

Jesaja 55, 6-12


Liebe Jubilare,
liebe Gemeinde!

Mit welchen Gedanken, Gefühlen, Erinnerungen, aber vielleicht auch Zukunftsfragen mögen Sie heute hierher in Ihre Kirche zur Feier Ihrer Goldenen-, Diamantenen- oder Eisernen Konfirmation gekommen sein? Jahrzehnte sind vergangen, seit Sie vor 70 - 60 - oder 50 Jahren vor dem Altar standen und Ihr ganz persönliches "Ja" zu Glaube und Kirche sagten. Mit welchen Gedanken, Gefühlen und Hoffnungen waren Sie damals in die Kirche gekommen, was bewegte Sie und wie hat sich Ihr Lebensweg dann, mitten im Krieg und in der schweren Zeit danach entwickelt? Als ich darüber nachdachte, fiel mir dieses Wort aus dem Propheten Jesaja ein, das wir eben hörten:

Meine Gedanken - sagt der HERR - sind nicht zu messen an euren Gedanken, und meine Möglichkeiten nicht an euren Möglichkeiten. So hoch der Himmel über der Erde ist, so weit reichen meine Gedanken hinaus über alles, was ihr euch ausdenkt, und so weit übertreffen meine Möglichkeiten alles, was ihr für möglich haltet ...
Ist es denn nicht so, dass wir unser Leben zu planen versuchen? Wir gehen zur Schule, erlernen unseren Fähigkeiten und Begabungen entsprechend einen Beruf, heiraten, bekommen Kinder und werden ganz allmählich alt und älter. Aber erst im Rückblick erfassen wir oft, dass wir unser Leben mit seinen unendlich vielen Biegungen, Steigerungen und Abbrüchen bei allem eigenen Tun und Lassen oft gar nicht selbst in der Hand hatten. Wir sind hineinverwoben in bestimmte Umstände, Entwicklungen und Zwänge, die unser Leben bestimmen: "Meine Gedanken - sagt der HERR - sind nicht zu messen an euren Gedanken, und meine Möglichkeiten nicht an euren Möglichkeiten ..."

Wenn wir nun dieses Konfirmationsjubiläum mit Ihnen zusammen feiern, so haben wir allen Grund dazu, es dankbar zu tun, dankbar für unendlich viel Bewahrung die Ihnen ja auch auf Ihrem langen Lebensweg geschenkt war und sie dort ankommen ließ, wo Sie heute sind. Wir dürfen dankbar sein, für alles Glück, das Ihren Lebensweg begleitete.

Wir alle sind betroffen von den Nachrichten der vergangenen Tage und Wochen. Viele von uns bewegt, bei aller Notwendigkeit gegen den weltweiten Terrorismus anzugehen, doch ein besorgtes Gefühl: wie wird es weitergehen und in was für eine Zukunft werden unsere heutigen Konfirmanden hinein leben? Wir lesen von der "Angst-Krise", da heißt es weiter: "Millionenverluste, Massenentlassungen, Pleiten. - Nach den Terroranschlägen in den USA steht die Welt am Rande einer Rezession. Diffuse Furcht schafft Fakten, die immer neue Ängste nähren ...Das einzig sichere ist nur die Unsicherheit. Eine Unsicherheit, so viel ist klar, die immer neue Fakten schafft. Aus Gerüchten werden Stimmungen, Stimmungen manifestieren sich zu Ängsten ... Das alte `schneller, höher, weiter’ wurde abgelöst ..." [1]

Der bekannte Schweizer Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt schreibt einmal:

Grausamkeiten werden verübt, die jene des Teufels mehrfach übertreffen ..., aber es ist nicht mehr ein Kampf um Gut und Böse ... Die Menschheit ist als ganze schuldig geworden ... Der Mensch, der einst vor der Hölle erzitterte, die den Schuldigen im Jenseits erwartete, hat sich ein Diesseits errichtet, das Höllen aufweist ... [2]
Ich denke, dass gerade in eine solche Situation hinein, wie wir sie zur Zeit erleben, das eben gehörte biblische Wort eine ganz besondere Bedeutung für uns erfahren kann, ist es ja ein Wort des Trostes, ohne dabei billig zu vertrösten.

Zunächst wird es Israel gesagt, dem Volk von Juda. Man erfährt sein Schicksal in der Fremde und dadurch zwangsläufig unendlich viel an Fremdbestimmung. Was kann man schon tun gegen die Macht der Mächtigen, wie eine Ohnmacht aufbrechen, die einem kaum noch selbst bewusst ist? Man hat sich resigniert in seinen Gefängnissen eingerichtet, die Höllen ein stückweit sogar akzeptiert. Es gibt keine konkrete Hoffnung auf Freiheit, auf eine Befreiung aus dieser dunklen Lebenserfahrung. Und eben hier hört das bedrängte Volk durch einen Propheten das Wort Gottes:

Meine Gedanken - sagt der HERR - sind nicht zu messen an euren Gedanken, und meine Möglichkeiten nicht an euren Möglichkeiten. So hoch der Himmel über der Erde ist, so weit reichen meine Gedanken hinaus über alles, was ihr euch ausdenkt, und so weit übertreffen meine Möglichkeiten alles, was ihr für möglich haltet ...
Er redet - gegen allen Augenschein, gegen alle Erfahrung, gegen besseres Wissen, gegen durchaus verständliche Sorgen und Ängste - von dem, was Gott tun wird. Die Menschen vermögen es nicht zu verstehen, und doch wird es ein Weg in die Freiheit sein. Hier klingt das durchgängige Thema der Bibel an: die Freiheit, "die Befreiung von jeglicher Unterdrückung des Menschen durch den Menschen." [3] Mitten in den Dunkelheiten des Lebens lässt Gott sich mit einem Wort des Trostes, der Verheißung hören. Und Israel wird erfahren, was ihm hier zugesagt wird.

Immer wieder finden wir in der Bibel solche Situationen, wo sich Gott, später dann auch durch Jesus von Nazareth, den menschlichen Höllen entgegenstellt. Selbst dort, wo der Mensch seine Grenze erfährt, die Schatten länger und dunkler werden, ist das Wort Gottes zu hören. Es wird deutlich gemacht, dass es sogar jenseits unseres Verstehens, auch unserer Schuld und unseres Versagens, der von uns selbst angezettelten Höllen in der Welt und unserem ganz konkreten Leben, diesen Gott gibt. Seine Gedanken für uns reichen höher und weiter, als die augenscheinlichen Erfahrungen unseres Lebens.

In meiner norddeutschen Heimat sagt man: "En beten schev hat Gott lev!", übersetzt heißt das: "ein wenig schief hat Gott lieb!" Kann es nicht so sein, dass Gott uns gerade in den Tiefen, den Dunkelheiten unseres Lebens, in dem, was krumm und schief verlaufen ist und verläuft, ganz nahe sein will? Gott bricht in die selbstverschuldeten Höllen des Menschen ein. Er ist eben kein Gott der Höhe und der Ferne, sondern ein Gott, der uns dort zur Seite stehen will, wo wir leben - in den Tiefen unserer Existenz.

Man kann es ja gar nicht oft genug sagen und immer wieder ins Bewusstsein rufen, aber Gott verursacht keine Kriege, keine Ausbeutung, keine Unterdrückung, keine Rachefeldzüge, keine Strafaktionen, mögen sie aus unserer Sicht noch so verständlich sein. Dem Menschen ist sein Verstand geschenkt und damit eine große Freiheit. So muss er selbst verantworten, was er tut oder unterlässt. Das gilt natürlich vor allem für alle, die politisch verantwortlich sind und deren Entscheidungen Menschen betreffen, die, auf welcher Seite auch immer, darunter zu leiden haben. Doch jeder Krieg im Großen - und weit weg von unserem Leben - findet sich in unserem wieder.

Krieg und Frieden, Freiheit und Bindung, Versöhnung oder Hass beginnen in unserem eigenen Leben, in unseren Familien, den Schulen, den Vereinen, im Betrieb, ja sogar zwischen den Religionen und Konfessionen. Dass der Männergesangverein Hecklingen diesen Festgottesdienst mitgestaltet, ist daher ein ökumenisches, also grenzüberschreitendes Zeichen, für das wir dankbar sind. Hier zeigt sich ganz praktisch, was zumindest in unserer Mitte möglich ist, wenn wir es wollen und zulassen.

Mit unserer Kirche, mit einer jeden Gemeinde unserer Landeskirche stehen wir vor einer einschneidenden Zäsur: wir wählen heute neue Ältestenkreise für unsere Gemeinden, Leitungsorgane unserer Kirche. Auch die Verantwortungsträger der Kirche planen, haben Wünsche, gehen mit Zielvereinbarungen in die Zukunft hinein. Dabei bleibt aber entscheidend, dass wir uns dessen bewusst sind, aus was für einem Geist heraus wir wählen und entscheiden, wem wir ein Amt anvertrauen, warum und wie dieses Amt dann ausgefüllt wird?

Liebe Gemeinde! Wir sind dankbar dafür, dass wir 11 Gemeindeglieder finden konnten, die bereit sind, für den neuen Kirchengemeinderat zu kandidieren. Allen Kandidatinnen und Kandidaten ein herzliches Dankeschön für die Bereitschaft zur Kandidatur.

Ich höre unser heutiges Predigtwort ermutigend, für Sie, die Jubilare, wie für uns alle in unserer Kirche und Kirchengemeinde. Niemand von uns kennt seine Zukunft, niemand weiß um die Zukunft der Kirche. Da bekommt ein Wort, wie das des Propheten Jesaja, seine ganz besondere Bedeutung. Trotz dessen, dass jeder von uns ein stückweit für sein Leben mitverantwortlich ist, dürfen wir darauf vertrauen, dass Gott sich seine Gedanken über unseren Lebensweg macht. Niemand soll die Hände in den Schoß legen und meinen, dass Gott es schon richten wird. Umgekehrt ist es richtig: Wir sollen um unsere persönlichen Grenzen wissen, uns nicht als Götter aufspielen, sondern aus unserem Gegenüber zu Gott unserem Glauben Profil geben und ihn auch angesichts mancher Dunkelheiten in der Welt und unserem Leben leben. Da ist es gut, dass uns das Wort Gottes Grenzen aufzeigt, doch zugleich Hoffnung schenkt.

Daher dürfen wir das Wort des Propheten als ein ganz persönliches Trost- und Verheißungswort an uns selbst hören. Für Ihr Jubiläum, liebe Jubilare, mag es zu einem Wort werden, das Sie neben Ihrem persönlichen Konfirmationsspruch nun weiter begleiten darf. Denn was wird kommen, was zu durchleiden, zu ertragen sein, worüber werden Sie sich freuen und was als neue Herausforderungen in Ihrem Alter erfahren dürfen?

Für uns alle darf es zu einem Wort werden, das uns ein wenig die Sorgen für das, was kommen mag, nimmt. Vergessen wir nicht: "En beten schev hat Gott lev!" Denn gerade so, im Krummen, Bedrückendem, Dunklen, Unverständlichen, eben in den Tiefen unserer Existenz wird unser Leben von Gott begleitet, der seine Gedanken über unseren Weg hat. Danken wir ihm für all das, was uns mit unserem Leben geschenkt ist, und nehmen wir jeden neuen Tag als eine neue Chance.
Amen.


Literatur:

  1. DER SPIEGEL, 44/2001, S. 76ff
  2. Weber, E., Friedrich Dürrenmatt und die Frage nach Gott, Zürich 1980, S. 90
  3. Burmester J., in: Nembach, U. und Neukirch, J., Göttinger Predigten im Internet zu Jesaja 55, (6-9)10-12a

    außerdem:

    Labahn A., Deutsches Pfarrerblatt, Heft 1/2001, Sexagesimae

Letzte Änderung: 06.12.2001
Pfr. Hanns-Heinrich Schneider