Evangelische Kirchengemeinde Kenzingen

 

3. Advent, Gottesdienst zum Abschluss des „Jahres der Bibel“,

Jesaja 40,8

 

 

Beim Propheten Jesaja finden wir das Wort: Da sagte die Stimme:

»Das Gras verdorrt, die Blumen verwelken; aber das Wort unseres Gottes bleibt für immer in Kraft.«

 

 

Liebe katholische und evangelische Mitchristen,

 

Der dritte Adventssonntag ist vielen – gerade katholischen – Mitchristen als der Sonntag „Gaudete“ - „Freut euch!“ bekannt. [1] Dieser Aufruf wird schon darin sichtbar gemacht und deutlich unterstrichen, dass Pfarrer Martin heute ein rosafarbenes Messgewand trägt und eben nicht das ernste „Violett“ der vorweihnachtlichen Zeit. Ja, wir haben allen Grund zur Freude, gehen wir doch gerade auch mit diesem Gottesdienst, den wir miteinander als katholische und evangelische Christen hier in Kenzingen feiern, auf das kommende Weihnachtsfest zu. Wir haben einen weiteren Grund zur Freude, beenden wir doch mit diesem Gottesdienst zusammen das zurückliegende „Jahr der Bibel“.

 

Am 29. Oktober 2003 wurden die letzten Seiten unserer handschriftlich abgeschriebenen Bibel fertig gestellt, unsere Bibel mit ihren 66 Büchern, 1189 Kapiteln und 31.169 Versen. 380 Schreiberinnen und Schreiber waren in Kenzingen und in den Ortsteilen daran beteiligt. Es wurden schließlich 2.300 Blätter, die nun in acht Bänden vorliegen. Da mag manch einer von uns in den Seufzer des Predigers eingestimmt haben, der schon vor Jahrtausenden sagte: „... Lass dich warnen, mein Sohn: Es werden viel zu viele Bücher geschrieben, und das viele Grübeln kann dich bis zur Erschöpfung ermüden...“ (Prediger 12,12).

 

Dennoch: Mit dem „Jahr der Bibel“ sollten sich die Menschen wieder einmal in kreativer und phantasievoller Weise mit dem Wort Gottes auseinandersetzen und so wurden viele Aktionen mit der Bibel und um sie herum gestartet. Unzählige Menschen, denen die Bibel sonst vielleicht weiterhin fremd geblieben wäre, haben so wieder einmal Kontakt mit ihr bekommen. Wir leben im Land der Reformation, doch was wurde aus dem Wort Gottes, das damals den Menschen in die Hand gegeben wurde, und was fangen wir mit diesem heute Wort noch an?

 

Sicher, viele von uns haben noch eine Bibel, irgendwo im Bücherschrank, verschämt in der hinteren Reihe oder im Nachtschrank versteckt, ein wenig angestaubt und vergilbt, doch wozu? Rein statistisch ist die Bibel das verbreitetste Buch der Welt. Allein im Jahr 2001 konnten von den weltweiten Bibelgesellschaften über eine halbe Milliarde Bibeln und biblische Schriften unter die Menschen gebracht werden. In 392 Sprachen war 2001 eine komplette Bibel zu erhalten, das Neue Testament sogar in 1.012 Sprachen. Insgesamt lagen Bibeltexte in 2.287 Sprachen vor. [2]

 

Dürre statistische Zahlen unterstreichen, was der Prophet Jesaja vor über 2.500 Jahren sagte: Da sagte die Stimme:»Das Gras verdorrt, die Blumen verwelken; aber das Wort unseres Gottes bleibt für immer in Kraft.« Und darum nehmen wir Christen die Bibel in die Hand, lesen in ihr und hören auf das Wort Gottes, so wie es uns Sonntag für Sonntag gepredigt wird, denn Paulus schreibt ja in seinem Brief an die Römer:

„Der Glaube kommt also aus dem Hören der Predigt, die Predigt aber begründet sich in dem Auftrag, den Christus gegeben hat“ (Röm 10,17).

 

Auf den Punkt gebracht, steil und unmissverständlich sagt Luther: „sola scriptura“ - die Schrift allein! Von woher sollten Christen denn um den Grund ihres Glaubens wissen, wenn nicht aus der Heiligen Schrift? „Christus“, so sagte es Bischöfin Margot Käßmann, in ihrer diesjährigen Reformationsansprache in Hannover, „ist keine Naturgottheit, die sich beim Waldspaziergang offenbart, sondern von Christus wissen wir nur über die Bibel...“ [3] Ich kenne viele Menschen, die mir im Leben gesagt haben, dass sie Gott in der Natur finden? Sie feiern kaum je einen Gottesdienst mit, kein Abendmahl, aber dann kommen sie, wenn der Onkel kirchlich beerdigt oder ein Kind getauft werden soll. Was geht in uns neuzeitlichen, volkskirchlichen Menschen vor, wenn wir so klein von Gott reden und denken, dem Gott des Himmels und der Erde?

 

Hier setzt sich der moderne Mensch selbst zum Maßstab für den Glauben, der ja nicht irgendein Glaube ist, sondern der der Christenheit. Wie würden dieselben Menschen wohl reagieren, wenn ich für den SC Freiburg einmal meinen persönlichen Maßstab nehmen und meine eigenen Spielregeln einführen - oder jeder Spieler so spielen würde, wie er selbst glaubt, dass es gut (für ihn) ist? Es wäre einfach kein Spiel und Zusammenspiel mehr möglich. Alle Regeln sind ja eine konstruktive, zielführende Hilfe, dass ein Spiel fair verlaufen kann – und gleiches gilt für unseren Glauben. Gott braucht keine Bibel, aber wir brauchen sie. Um uns daran zu erinnern, darum war dieses „Jahr der Bibel“ so wichtig.

 

Bischof Karl Lehmann sagte dazu: „Die Bibel ist Sprengstoff für unser Leben: für uns selbst, für den gesunden Menschenverstand, für unsere menschlichen Beziehungen, für unsere Gesellschaft und unsere Zukunftsaufgaben. Die Bibel ist in eins mit den Sakramenten der kostbarste Schatz, der der Kirche anvertraut ist. Es ist die Hauptaufgabe der Kirche, die Botschaft Gottes in der Bibel allen Menschen, allen Sprachen und Kulturen weiterzugeben. Aber im Tiefsten zielt auch die Bibel in der Gemeinschaft der Glaubenden auf das Herz des Einzelnen. So hat ihre Lektüre in allen Jahrhunderten immer wieder das Leben von Menschen verwandelt.“ [4]

 

Das ist es, was unser kleiner Text aus dem Propheten Jesaja zum Ausdruck bringen möchte. Wie auf einem großen Hinweisschild, das uns auf der Autobahn die Richtung weist, wird hier auf das Wort Gottes verwiesen. Weltreiche sind untergegangen, Wirtschaftssysteme haben sich überlebt, großartige philosophische Entwürfe werden nur noch von ein paar Studenten in den Hinterzimmern ihrer Fakultäten studiert, ja selbst der moderne Unglaube, der oftmals scheinbar so „christlich“ daher kommt, hat es nicht geschafft, die Bibel aus dem Leben und Bewusstsein der Kirchen und ihrer Christen zu verdrängen: „Das Wort unseres Gottes bleibt für immer in Kraft...“

 

Nein, es besteht kein Grund zum Pessimismus, kein Grund zu einer Publikumsbeschimpfung, denn wir dürfen wirklich dankbar dafür sein, wie viele Menschen heute weltweit auf dieses Wort hören und auch weiterhin hören werden – allen Untergangsprognosen zum Trotz. In meiner Zeit als Manneimer Jugendpfarrer hat man mir in der ehemaligen DDR immer wieder einmal ins Ohr geflüstert, dass die Partei an der Abschaffung der Kirchen arbeite, - uns Christen wurden ja oft die Totenglocken geläutet, doch wir sind hier und feiern voller Dank diesen Gottesdienst miteinander.

Ja, weil wir einen Maßstab mit und in dem Wort Gottes haben, darum lebt die Kirche in ihren unterschiedlichen Konfessionen. Und wir sind reich, weil wir eben nicht uniform glauben, sondern auch unser Glaube vielfältig gelebt und erfahren werden kann. Schauen wir doch nur auf die Evangelien, wie unterschiedlich sie oft über gleiche Begebenheiten berichten. Nicht, weil hier ein Übertragungsfehler vorliegt (die gibt es ja auch, was aber für den Glauben keine Bedeutung hat), sondern weil ein jeder von ihnen einen anderen Akzent setzen möchte, einen eigenen Schwerpunkt – und zudem hatten sie ja auch noch ganz unterschiedliche Gemeinden, Zuhörer und Leser im Blick. Warum also sollten wir unseren Glauben nicht in “Versöhnter Verschiedenheit“ (K. Rahner) leben?

 

Ich finde die Bibel toll, weil wir alle darin vorkommen: Räuber, Heuchler, Aufsässige, fromme und frömmelnde Menschen, gesunde und kranke, kluge und geistig und geistlich schwache, traurige und fröhliche Menschen. Da kommen Kinder zu Jesus und Sünder, Herrscher und Diener. Tiere, die Natur, Berge und Seen, die Weite der Wüste wird dem Leser erlebbar. Das ganze Leben ist in ihr abgebildet, weil unser Gott ein menschlicher Gott ist, der Gott, der sich nicht scheut, in unsere Tiefen zu kommen und unsere Schatten zu teilen. Auch der Humor ist der Bibel schließlich nicht fremd, denn da geht, so wird es uns einmal berichtet, eher ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in den Himmel kommt. Haben Sie sich das schon einmal ganz praktisch vorgestellt?

 

Schauen wir also auf die Menschen der Bibel, so können wir nachempfinden, dass auch wir Christen wirklich nicht besser sein müssen als andere Menschen. Schon der Versuch würde uns scheitern lassen, aber ein wenig anders sollten wir schon sein. Und das allein darum, weil wir Christen mit einer „fröhlichen Zuversicht“ (Parrhesia) leben dürfen, ganz unabhängig davon, was uns im eigenen Leben herausfordert und bewegt, wie im gesellschaftlichen Umfeld oft fraglich erscheint. Darum: Gaudete – Freut Euch! Mit dieser biblischen Aufforderung wollen wir nun auf das kommende Weihnachtsfest zugehen, in dieser Freude das gemeinsame „Jahr der Bibel“ abschließen. Zu unserer „fröhlichen Zuversicht“ gehört nun einmal das unverbrüchliche Vertrauen:

 

»Das Gras verdorrt, die Blumen verwelken; aber das Wort unseres Gottes bleibt für immer in Kraft.«

 

Und mit seinem Wort begleitet uns unser Gott durch unser ganzes Leben.

Amen.

 

 

 

 

Literatur:

  

  1. Adam, A., Das Kirchenjahr, Schlüssel zum Glauben, Freiburg, 1990
  2. http://www.2003dasjahrderbibel.de/presse_medien/artikel_epd_07.html
  3. Käßmann, M., Predigten, Predigt im Reformationsgottesdienst, 31.10.2003,

www.evlka.delandesbischöfin_predigten

  1. Lehmann, Kardinal K., Zur Eröffnung des Jahres der Bibel,

http://www.2003dasjahrderbibel.de/ideen_projekte/statements.html

 

·         Friedenthal, R., Luther, Sein Leben und seine Zeit, München, 1967

·         Jens, W., Republikanische Reden, Die Evangelisten als Schriftsteller, München, 1967, S. 30

 

 

Letzte Änderung: 15.12.2003
Pfr. Hanns-Heinrich Schneider