Evangelische Kirchengemeinde Kenzingen

Pfingsten, 8.6.2003
Johannes 14, 23-27

Begrüßung:

Liebe Gemeinde! Heute feiern wir, wer wüsste es nicht, das Pfingstfest, eines der großen Feste des Kirchenjahres, das Fest des guten Geistes Gottes. Viele Menschen wissen heute gar nicht mehr, worum es bei diesem Fest der Kirche geht, daher wollen wir es noch einmal wieder miteinander bedenken: Ebenso ernst, wie auch ein wenig humorvoll, so wie es sich für einen Geburtstag gehört.

Gebet:

Herr, guter Gott. Was haben wir nur aus dem Pfingstfest gemacht, dem Fest deines guten Geistes unter uns, dem Fest des Heiligen Geistes, den wir leider so selten unter uns antreffen? Herr, wir können nur darum bitten, dass du selbst uns deinen Geist immer wieder neu schenkst, wenn unser Glaube wieder einmal ins Abseits gerät, - wir einfach zu faul, zu gedankenlos und zu schwach sind, uns mit ihm so auseinander zusetzen, dass seine ganz Kraft unter uns zum Tragen kommen könnte. Herr, um Ausreden sind wir nie verlegen, doch schenke uns endlich das Empfinden wieder einmal dafür, wie wir dir voller Ehrfurcht und Freude begegnen können, um dir die Ehre zu schenken, die dir allein zukommt. Komm, Schöpfer Geist und belebe unseren kleinen Glauben.
Amen.

Predigttext:

Jesus antwortete ihm: »Wer mich liebt, wird sich nach meinem Wort richten; dann wird ihn mein Vater lieben, und wir werden zu ihm kommen und bei ihm wohnen. Wer mich nicht liebt, richtet sich nicht nach meinen Worten - und dabei kommen doch die Worte, die ihr gehört habt, nicht von mir, sondern von meinem Vater, der mich gesandt hat. Ich habe euch dies gesagt, solange ich noch bei euch bin. Der Vater wird euch in meinem Namen den Helfer senden, der an meine Stelle tritt, den Heiligen Geist. Der wird euch alles weitere lehren und euch an alles erinnern, was ich selbst schon gesagt habe. Zum Abschied gebe ich euch den Frieden, meinen Frieden, nicht den Frieden, den die Welt gibt. Erschreckt nicht, habt keine Angst!

Johannes 14, 23-27


Liebe Gemeinde!

Es ist eine Binsenweisheit, aber das Pfingstfest wird in unserer Gesellschaft stiefmütterlich behandelt, schlimmer noch: auch wir Christen wissen eigentlich gar nicht mehr so recht, was wir mit diesem Fest der Kirche anfangen sollen. Immerhin zählt es ja zu den hohen Feiertagen unserer Gesellschaft, sogar mit Schulferien umgeben. Gerade schrieb die Badische Zeitung unter Berufung auf eine Emnid Umfrage: "Drei von vier Deutschen sagt Pfingsten nichts!" [1] Wir feiern also ein Fest, mit dem kaum noch jemand etwas anfangen kann, was mehr als peinlich, ein großes Armutszeugnis, ja im Grunde ein Ärgernis ist.

Da stellt sich ein wenig provozierend die Frage, ob man bei diesem Fest der Kirche, den Pfingstmontag nicht dem Staat für soziale Zwecke zurückgeben sollte? Als kleine Draufgabe könnte man dann auch gleich den 2. Weihnachtsfeiertag und den Ostermontag fallen lassen: drei neue, zusätzliche Arbeitstage, an denen etwas geschafft und das Bruttosozialprodukt gesteigert werden könnte, was zudem auch den Sozialleistungen des Staates, der Kommunen, der Industrie, Wirtschaft und dem Handwerk zugute käme. Mit dem Buß- und Bettag haben wir das ja schon erlebt - und dabei eben auch zusehen müssen, wie schnell ein Feiertag weg sein kann, der mehr zur Verlegenheit evangelischer Christen geworden war, als dass man ihn sinnvoll begleitet und nachdenklich gefeiert hätte.

Ich denke, dass es gut ist, gerade am Pfingstfest wieder einmal daran zu erinnern, dass kirchliche Feiertage kein Selbstzweck sind, sondern dazu da, die Hochfeste der Kirche inhaltlich angemessen zu bedenken und gottesdienstlich feiern zu dürfen. Dort aber, wo eine Gesellschaft das nicht mehr will, muss sie nicht erstaunt sein, wenn es dann irgendwann keine herausragenden Feiertage mit dem Privileg eines zusätzlichen freien Tages mehr gibt. Noch haben wir ja die Sonntage, doch selbst die sind bei uns bald kaum noch von einem Werktag zu unterscheiden. Geistlich spielen sie in Deutschland nur noch für eine Minderheit eine Rolle, und gerade daher brauchen wir das Pfingstfest, um uns bewusst zu machen, aus was für einem Geist heraus die Kirche lebt und, dass es eben niemals ihr eigener oder sonst irgend ein Geist ist, der ihre Existenz begründet.

Der Geist der Kirche begründet sich allein und ausschließlich im Geist der Liebe Gottes. Uns daran zu erinnern, können wir zwar wunderschöne Ferien weitab unseres Alltages machen, sicher, viele von uns haben ihren Urlaub redlich verdient, doch um das gemeinsame, weltweite Gotteslob der Kirchen am Pfingstfest kommen Christen nicht herum, wollen wir unseren Glauben nicht selbst in Frage stellen. Hören wir einmal, was der Kabarettist Hanns Dieter Hüsch auf einem Kirchentag einmal so zum Ausdruck brachte:

Meine Damen und Herren, ich weiß ja nicht, ob Sie das damals, ..., mitgekriegt haben, es ging alles sehr schnell, und es war auch ein bisschen flüchtig. Und fast hatte ich den Eindruck, dass es Absicht war. Und zwar als neulich die Nachricht um die Erde ging, Gott sei aus der Kirche ausgetreten - , wollten viele das nicht glauben ..., bis die Oberen und Mächtigen der Kirche sich schließlich erklärten und in einem so genannten "Hirtenbrief" folgendes erzählten:
"Wir, die Kirche, haben Gott, dem Herrn, in aller Freundschaft nahe gelegt, doch das Weite aufzusuchen und aus der Kirche auszutreten und gleich alles mitzunehmen, was die Kirche schon immer gestört hat: nämlich seine wolkenlose Musikalität, seine Leichtigkeit und vor allem: Liebe, Hoffnung und Geduld. Seine uralte Krankheit, alle Menschen gleich zu lieben, seine Nachsicht, seine fassungslose Milde, seine gottverdammte Art und Weise, alles zu verzeihen und zu helfen, - sogar denjenigen, die ihn stets verspottet haben; seine Heiterkeit, sein utopisches Gehabe, seine Vorliebe für die, die gar nicht an ihn glauben, seine Virtuosität des Geistes überall und allenthalben, auch sein Harmoniekonzept bis zur Meinungslosigkeit, seine unberechenbare Größe und vor allem, seine Anarchie des Herzens und so weiter und so weiter.

Darum haben wir, die Kirche, ihn und seine große Güte unter Hausarrest gestellt, äußerst weit entlegen, dass er keinen Unsinn macht und fast kaum zu finden ist."

Viele Menschen, als sie davon hörten, sagten: "Ist ja gar nicht möglich, Kirche ohne Gott? Gott ist doch die Kirche ... Andere sprachen: "Auch nicht schlecht, nicht schlecht; Kirche ohne Gott! Leute, warum nicht, Kirche ohne Gott? Ist doch gar nichts Neues ...! Gott kann sowieso nichts machen. Heute läuft doch alles anders. Gott ist out. ... War als Werbeträger nicht mehr zu gebrauchen." Und: "Die Kirche hat zur rechten Zeit das Steuer rumgeworfen. Kirche ohne Gott", das ist der neue Slogan.

Doch den größten Teil der Menschen sah man hin und her durch alle Kontinente ziehen, und sie sagten: "Gott sei Dank! Endlich ist er frei. Kommt, wir suchen ihn!" [2]

Liebe Gemeinde! Das ist, wenn ich es richtig wahrnehme, doch unsere volkskirchliche Situation, dass "wir, die Kirche, Gott, dem Herrn, in aller Freundschaft nahe gelegt haben, doch das Weite aufzusuchen und aus der Kirche auszutreten ...", also uns doch bitte in Ruhe zu lassen. Dabei sollte nicht Gott vor Scham aus seiner Kirche austreten müssen, sondern wir getauften Christen in unseren Kirchen, sollten ihn um seinen guten Geist bitten, damit wir endlich wieder einmal geistvoller, geistreicher und vor allem auch glaubwürdiger unseren Glauben leben könnten. Fragen wir uns doch nur einmal: Was gilt eigentlich mein "Ja" zur Taufe meines Kindes oder Patenkindes, bei der Konfirmation, der Kommunion, bei unseren Trauungen? Ja, was lasse ich mir meinen Glauben und damit Gott ganz konkret kosten, und wie sieht mein Gottes-dienst vom Sonntag bis zum kommenden Sonntag und damit auch meine Glaubwürdigkeit in Bezug auf meinen Glauben aus?

Der Dänische Philosoph und Theologe Sören Kierkegaard sagte dazu: Die Christenheit hat das Christentum abgeschafft, ohne es selber richtig zu merken; folglich muss man, wenn man etwas ausrichten will, versuchen, das Christentum wieder in die Christenheit einzuführen ..." [3]

Genau davon redet auch Jesus, wenn er in den Abschiedsreden, zu dem unser Text im Johannesevangelium gehört, seinen Jüngern sein geistliches Testament vorstellt. Wir brauchen unseren Text nur noch einmal nachzubuchstabieren: "Wer mich liebt, wird sich nach meinen Worten richten ...; wer mich nicht liebt, richtet sich nicht nach meinen Worten. Dabei kommen die Worte die ihr gehört habt, nicht von mir, sondern von meinem Vater ... Der Vater wird euch in meinem Namen den Helfer senden, der an meine Stelle tritt, den Heiligen Geist. Der wird euch alles weitere lehren ..."

Und eben da sind wir nun. Der Glaube ist kein fertiges Produkt, wie ein Brathähnchen, das ich mir nur noch in den Mund schieben muss, sondern er gehört zu dem, was tagtäglich neu zu hören, zu bedenken, zu glauben, zu feiern und zu leben ist. Das allein verbürgt den Frieden Gottes für uns Menschen, für das Miteinander in unseren Familien, im Beruf, den Vereinen und Organisationen, den Parteien und Verbänden, unter all jenen, die für unser Staatswesen Verantwortung übernommen haben - ganz gleich an welcher Stelle. Der Friede Gottes von dem Jesus hier spricht, ist keine atemlose Friedhofsruhe, kein beschaulicher Sonnenuntergang am Meer. Das alles ist ja ganz toll und wunderschön, doch der Friede Gottes ist etwas zutiefst aktives, so, wie ein Sonnenaufgang, der einen neuen Tag erwarten lässt, mit neuen Erwartungen, Herausforderungen und Erfahrungen.

Es ist ein Friede, der etwas Neues in Gang setzt, aufbaut, schafft, und eben so dazu beiträgt, im eigenen Tun die Welt hoffnungsvoll zu gestalten. Wer sich so tagtäglich neu auf Gottes guten Geist einlässt, der versteht, was Hüsch meint, wenn er Menschen sagen lässt: "Gott sei Dank! Endlich ist er frei. Kommt, wir suchen ihn!"

Das einzige Pfingstfest, das ich mir noch sinnvoll gefeiert vorstellen kann, ist eben dies, dass wir alle uns endlich wieder einmal auf den Weg machen und Gott suchen. Nicht irgendwo, weder in jenseitigen Himmeln, noch vorgeblich in der freien Natur oder einem durchaus verdienten Urlaub, sondern überall da unter uns, wo auch Jesus den Menschen seiner Zeit einen Glauben vorlebte, der sie auf den Weg brachte, auf staubige Strassen, in die Metropolen der damaligen Welt, an die Arbeitsplätze armseliger Fischer und reicher Steuerbetrüger, in die Synagogen und damit immer wieder neu unter das gute, geistvolle Wort seines Vaters.

Er lebte uns vor, dass sich der Glaube an Gott nicht von selbst leben kann, weil er auf das Wort seines Vaters hörte und es so auch leben konnte. Er kasernierte Gott nicht in Dogmen, sondern er schenkte dem Glauben an Gott Weite, Größe und Wärme, darum lernten viele Verstummte in seiner Nähe eine neue Sprache und manche Krüppel einen aufrechten Gang. Die Suspendierung eines katholischen Pfarrers, der mit evangelischen Christen zusammen auf dem Kirchentag das Abendmahl feierte, macht deutlich, wie das Kirchenrecht exekutiert, also auf alle Fälle durchgesetzt wird, davon, dass Jesus selbst - ganz konsequent - die Liebe über das Gesetz stellte, findet sich hier nichts mehr. Aber wir alle haben als Christen unterschiedlicher Konfessionen genug zu tun, um Rechthaberei, Gesetzlichkeit und Enge unter uns abzubauen, um der Welt ein gutes Beispiel zu geben, - einladende und offene Kirchen und Gemeinden zu sein, in denen der Geist Gottes spürbar ist.

Heute ist Pfingsten! Wir alle sind an den guten Geist Gottes erinnert, an den Heiligen Geist. Auch wir brauchen ihn, um immer wieder einmal sagen zu können: "Gott sei Dank! Endlich ist er frei. Kommt, wir suchen ihn!", gerade auch in der Mitte unserer Kirchen, unserer Gemeinden, mitten in den Alltagen unseres Lebens, damit wir wissen, wofür wir dann am Sonntag gemeinsam zu loben, zu danken und zu bitten haben. Unsere Suche würde uns auf den Weg bringen, die Augen und die Ohren für Gott öffnen, so dass sein Geist uns finden könnte. Damit wäre es auch unter uns wieder einmal Pfingsten geworden, ein weiterer Geburtstag der Kirche, vielleicht ein Geburtstag unseres Glaubens.
Amen.


Literatur:

  1. Badische Zeitung, 05. Juni 2003, S. 15
  2. Hüsch, Hanns Dieter, Das Schwere leicht gesagt, Freiburg7, 1997, S. 28
    Original: Auf dem Liturgischen Fest in der Waldbühne,
    Deutscher Evangelischer Kirchentag, Berlin, 1989
  3. Esken, W., Kierkegaards Kampf um das rechte Christsein, Wuppertal, 1966, S. 7
Letzte Änderung: 12.06.2003
Pfr. Hanns-Heinrich Schneider