verdeutscht von Martin Buber
aus dem Buch der Preisungen:
Zu den Bergen hebe ich meine Augen:
woher wird meine Hilfe kommen?
Meine Hilfe ist von IHM her,
der Himmel und Erde gemacht hat.
Nimmer gebe deinen Fuß er dem Wanken,
nimmer schlummre dein Hüter!
Wohl, nicht schlummert, nicht schläft er,
der Hüter Jifsraels.
ER ist dein Hüter,
ER ist dein Schatten
über deiner rechten Hand.
Tags schlägt dich nicht die Sonne
Noch Mond bei Nacht.
ER hütet dich vor allem Bösen,
hütet deine Seele.
ER hütet deine Ausfahrt und Heimkunft
von jetzt an bis hin in die Zeit.
heute jährt sich zum 60. Mal die Deportation badischer und pfälzischer Juden nach Gurs, einem Barackenlager am Fuße der Pyrenäen. Allein in Baden wurden 5617 Juden in unseren Städten zusammengetrieben und aus unserer Mitte vertrieben, einige Familien auch aus Kenzingen.
Genau im Jahr der Vertreibung 1940 stellt der - später durch das Nazi-Regime hingerichtete - Theologe Dietrich Bonhoeffer fest: "Das Herausgedrängt werden Gottes ans Kreuz ist konkretes Ereignis im Herausgedrängt werden der Juden aus der deutschen und europäischen Welt, in Gestalt von Deportation und Vernichtung ... " [1] Eine Verstoßung der Juden aus dem Abendland muss die Verstoßung Christi nach sich ziehen. Nicht, ob Israel noch das Volk Gottes ist, wird ihm zur Frage, sondern, ob wir noch Kirche Jesu Christi sind? ... Er bekennt die Kirche schuldig ... " [2], nachdem er bereits 1938 angesichts der Kristallnacht bemerkte: "Nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen ... " [3]
Spontan kamen mir jetzt bei der Vorbereitung dieser Stunde sehr persönliche Erinnerungen: Als Stadtjugendpfarrer von Mannheim wurde ich eingeladen im Karmelzentrum in Haifa in der Or Chadasch Gemeinde als erster Deutscher in deutscher Sprache eine Predigt zu halten. Als kleine Geste hatte ich sie ins Hebräische übersetzen und schriftlich austeilen lassen. Doch schon bald legten immer mehr Gemeindeglieder die Blätter auf den Schoß und hörten eine Predigt in der Sprache ihrer ehemaligen Peiniger, einige von ihnen waren mit vielstelligen Nummern auf den Armen für ihr Leben gekennzeichnet. Es war eine der schwersten Aufgaben meines beruflichen Lebens, doch eben auch eine der eindrucksvollsten.
So begrüße ich Sie alle zu dieser Meditation sehr herzlich und danke allen, die daran mitbeteiligt sind, diesem Gedenken Inhalt und Form zu geben.
Erinnern hätte ja keinen Sinn, wenn diese
Erinnerung nicht mit unserem Denken und
Nachdenken verbunden wäre. Wir erinnern
nicht nur an ein vergangenes Ereignis unserer
Geschichte, sondern wir denken darüber nach,
wie es dazu kommen konnte und welche Konsequenzen
daraus für jede Epoche zu ziehen sind? Es
waren Menschen, Nachbarn, Arbeitskollegen,
Vereinsfreunde, ehemalige Klassenkameraden
die damals aus der Nachbarschaft vertrieben
wurden - und es sind Menschen mit Gesichtern
und Namen gewesen, die dafür die Verantwortung
trugen und nicht etwa ein blindes, dunkles
namenloses Schicksal.
Das Erinnern an die Vertreibung der Juden
aus unser Mitte vor 60 Jahren fordert uns
heute zwingend dazu heraus, zu lernen, Nein
zu sagen zu jeder Art von Aus- und Abgrenzung,
Nein zu jedem Versuch, Menschen in Klassen
und Rassen zu sortieren und dies für menschenwürdig
zu halten. Wir sagen Nein zu jeder Art von
Intoleranz und Rassenwahn.
Aber wir sagen Ja zu unserer Verantwortung allen gegenüber, die ihr Leben mit unserem Leben teilen, ganz gleich welcher Konfession oder Religion sie angehören. Wir sagen Ja zu unserer besonderen Verantwortung allen gegenüber, die heute Schutz suchen bei der Verletzung Ihrer Menschenwürde. Im Gedenken an die Menschen, die aus unserer Mitte vertrieben wurden, doch auch an all jene, die heute schon wieder mit Ängsten vor Fremdenfeindlichkeit unter uns leben, begrüße ich Sie sehr herzlich.