Evangelische Kirchengemeinde Kenzingen

15. Sonntag nach Trinitatis, Lukas 17, (1-4) 5+6

Begrüßung

Liebe Gemeinde! Was trauen wir unserem eigenen Glauben eigentlich zu? Könnten wir mit ihm Bäume verpflanzen oder Berge versetzen? Vermutlich kaum. Daher wollen wir uns nun miteinander durch das Wort Gottes und unsere Gemeinschaft in unserem Glauben bestärken lassen. Die weltweite politische Situation ermutigt uns geradezu, den Versuch zu wagen, mit unserem Glauben die Grenzen unserer Fähigkeiten und Möglichkeiten zu überschreiten, damit wir dem Anspruch auf Versöhnung und Frieden gerecht werden.

Wir kennen Tage, die verdunkelt sind von Sorge, vielleicht sogar von Angst, gerade dann dürfen wir das Wort Gottes an uns als ein ganz persönliches Wort hören: Alle eure Sorge werft auf ihn, denn er, euer Gott, sorgt für euch.

Gebet:

Guter Gott! Wir danken Dir, dass wir immer wieder neu hören dürfen, dass wirdir wichtig sind. So erbarme Dich unserer oft friedlosen Welt und mach der Krankheit zum Tode darin ein Ende. In uns Schwachen bleib Du, Herr, stark. So lass uns dann unseren Glauben teilen und weitergeben:

an die Armen und Reichen,
an die Verwahrlosten und Behüteten,
an die Schwachen und die Starken,
an die Jungen und die Alten,
an die Verzweifelten und vom Leben Enttäuschten,
an die, die ihre Grenzen bald erfahren und an die Begabten,
an jene, die Terror üben und unter diesem zu leiden haben,
an die Verfolgten und Verfolger,
dass sie - und wir alle - alle schon auf Erden unseres Lebens froh werden.

Schenke uns den Mut zur Gerechtigkeit und den Willen zum Frieden bei uns selbst und den Regierenden, den Mut zum Glauben angesichts allen Zweifels in der Welt, den Mut zur Wahrheit in den Schulen, in den Redaktionen der Zeitungen, Radio- und Fernsehanstalten, im öffentlichen Leben, den Mut zur Liebe bei den Lieblosen, damit kein Mensch den nächsten Tag fürchten muss.

Höre nicht auf, Herr, unser Gott, uns und aller Welt mit Deinem guten Wort zuzusetzen, dass sich der Glaube herumspricht bei allen Menschen und die Kraft Deines Geistes sich durchsetzen kann. Und wenn wir einmal am Ende sind, dann bleibe Du unser Anfang und unsere Zuflucht für und für. Amen.

Text

Jesus wandte sich wieder seinen Jüngern zu, den Männern und Frauen; er sagte zu ihnen: »Es ist unvermeidlich, dass Dinge geschehen, durch die Menschen an Gott irre werden. Aber wehe dem Menschen, der daran mitschuldig wird! Es wäre besser für ihn, er würde mit einem Mühlstein um den Hals ins Meer geworfen, als dass er auch nur einen dieser kleinen, unbedeutenden Menschen, die mir vertrauen, an Gott irre werden lässt. Seid wachsam gegen euch selbst! Wenn dein Bruder, deine Schwester, ein Unrecht begangen haben, dann stell sie zur Rede, und wenn sie es bereuen, dann verzeih ihnen. Selbst wenn er siebenmal am Tag an dir schuldig wird, sollst du ihm verzeihen, wenn er kommt und sagt: `Es tut mir leid!’«

Die Apostel sagten zum Herrn: »Stärke doch unser Vertrauen zu Gott!«

Der Herr antwortete: »Wenn euer Vertrauen auch nur so groß wäre wie ein Senfkorn, dann könntet ihr zu dem Maulbeerbaum dort sagen: `Zieh deine Wurzeln aus der Erde und verpflanze dich ins Meer!’, und er würde euch gehorchen.«


Liebe Gemeinde!

Wer von uns schaut nach den Terroranschlägen in den USA nicht ebenso gebannt, wie besorgt nach Amerika, was dort jetzt angedacht und entschieden wird - und wie es wohl weitergehen mag? Was wäre daher in diesen aufgeregten Tagen sinnvoller, als - wie die Jüngerschar Jesu damals - darum zu bitten: "Herr, stärke doch unser Vertrauen zu Gott!" Dies ja gerade auch noch auf dem Hintergrund der Aussage Jesu, dass "es unvermeidlich ist, dass Dinge geschehen, durch die Menschen an Gott irre werden ..."

Es war und es ist immer problematisch, aktuelle Ereignisse im Steilflug auf Aussagen der Bibel zu beziehen. Das Weltende wurde von jeher vorausgesagt und dunkle, den Himmel und die Erde verdüsternde Ereignisse gab es in jeder Epoche der Weltgeschichte. Wie anders sollte man die Christenverfolgung angesichts der Naherwartung Jesu verstehen, - die Kreuzzüge, - die unsäglichen Kriege, - die Pestzeiten, - die Reformationszeit, die alle gültigen Ordnungen so radikal in Frage stellte, - den Dreißigjährigen Krieg? Propheten des Untergangs ließen sich immer hören und es wird sie auch in der Zukunft geben. Nein, auch angesichts des Terroranschlages in New York und Washington wird das Leben weiter gehen. Doch wir alle sind um die Erfahrung reicher geworden, dass unser Leben noch gefährdeter sein wird als bisher.

Niemand darf ein menschenverachtendes Unrecht mit Gott in einen Zusammenhang bringen und zum Beispiel fragen: Wie kann Gott das zulassen? Gott hat hier nichts zugelassen, sondern verführte Rebellen, Terroristen haben in Auflehnung gegen ihren Gott und alle Menschlichkeit diesen Anschlag verübt. Aber wir müssen einsehen, dass es wieder ein Gewaltakt war, der scheinbar religiöse Wurzeln hat. Daher kann es gar keine andere Bitte gebe, als die, dass Gott selbst unseren Glauben stärken möge, damit er nicht zu einer menschlichen Ideologie verkommt. Der Gott der Juden, der Christen und der Moslems duldet einfach keine ungerechtfertigte Gewalt gegen andere Menschen, und wo sie geschieht, kann sich niemand auf Gott berufen.

Christen sollen nicht einmal Gegenstand der Mission für fromme Moslems sein, weil unser gemeinsamer Gott der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs ist. Von daher versteht sich, dass der Terroranschlag eine Auflehnung auch gegen Gott ist, um sehr menschliche Ziele durchzusetzen. Das gilt übrigens an allen Orten der Welt, wo Gewalt im Namen einer vorgeblich höheren Sache gegen andere angewandt wird.

Wenn Unrecht auch in der Bibel Unrecht ist, der die Strafe folgt, wie ist dann aber das Wort Jesu von der Vergebung zu verstehen, denn ein Staat muss Unrecht verfolgen und bekämpfen. Jesus mutet seinen Hörern zu, immer wieder neu zu vergeben, wenn es sein muss, mehrmals am Tag. Die Vergebung gehört vor allem in die zwischenmenschliche Beziehung, sie gehört zur unmittelbaren Kraft des Glaubens, zu der wir nur selten wirklich bereit und fähig sind, und dennoch dazu aufgerufen bleiben. So, wie Unrecht vom Staat zu verfolgen ist und bestraft werden muss, um die Gemeinschaft zu schützen, so muss in gleicher Weise dort vergeben werden, wo Vergebung erbeten, persönliche Schuld eingesehen und in Ordnung gebracht wird. Jeder Mensch macht sich schuldig, daher gehört die Vergebung so unmittelbar zum Glauben dazu. Wir dürfen lernen, versöhnter zu leben, weil uns der Glaube dazu befähigt, stark macht. Von uns aus würden wir unser Recht einklagen, weil wir nur die Schuld des Anderen sehen. Vergebung aber schafft neue Lebensmöglichkeiten.

Wieder benutzt Jesus ein überaus starkes Bild, in dem er vom Senfkorn und dem Maulbeerbaum spricht. In diesem Bild werden zwei Extreme einander gegenüber gestellt. Das Senfkorn ist winzig klein, man glaubt gar nicht, dass daraus etwas entstehen kann, wogegen der Maulbeerbaum ganz besondere, feste und tiefe Wurzeln besitzt. Also schon mit ein wenig Glaube "Senfkorn-klein" könnten wir einem tief und festverwurzelten Maulbeerbaum den Befehl geben, sich ins Meer zu verpflanzen. In einem anderen, etwas bekannteren Bild der Bibel, das diesem aber entspricht, heißt es: "der Glaube versetzt Berge" (Matthäus 21,21).

Wer kennt das nicht? Unzählige Schülergenerationen legten sich nachts ihr Arbeitsheft unter das Kopfkissen, um sich auf diese Weise auf eine Klassenarbeit vorzubereiten, immer in der Hoffnung, das würde helfen, vor allem auch dann, wenn man für den Erfolg der Arbeit betete. Sie glauben einfach daran. Im Laufe der Schulzeit merkt dann aber jedes Kind, dass es besser ist, für eine Klassenarbeit ein wenig mehr zu arbeiten und sich nicht ganz allein auf den Glauben zu verlassen. Nicht jeder Glaube versetzt Berge. Und doch hat dieser Gedanke etwas unglaublich Tröstliches und sogar Richtiges. Dieses Wort Jesu ermutigt uns, dem Glauben etwas zuzutrauen, eben nicht immer nur zu zweifeln, zu resignieren, alles grau in grau zu sehen, sondern sich auch darauf zu verlassen, dass der Glaube mehr leisten kann, als wir es uns vorstellen können. Der Glaube besitzt vielfach dort noch eine - unglaubliche - Kraft, wo wir mit unseren Mitteln und Möglichkeiten oft am Ende sind. Und darum geht es.

Glaube ist einerseits das Vertrauen, dass Gott für mich Gott ist und bleibt und ich ihm andererseits dafür mit meiner Treue zu ihm danke. Der Glaube ist nur und allein als ein Beziehungsgeschehen denkbar, da passiert etwas zwischen diesem Gott und mir selbst. Ohne eine persönliche Beziehung gibt es keinen Kontakt, kein Vertrauen, keine Treue, wir kennen das von der Liebe zweier Menschen zueinander. Ich kann einen Menschen erst dann lieben, wenn ich Kontakt zu ihm habe, mit ihm umgehe, erst dann werde ich ein Vertrauensverhältnis zu ihm aufbauen können, ihm treu sein wollen. Wo da etwas in einer Beziehung nicht stimmt, schwindet das Vertrauen, werden Menschen sich untreu.

Die Bitte der Jünger ist wirklich allzu verständlich: "Stärk doch unser Vertrauen zu Gott!", sie ahnen, wie viel zwischen dem Menschen und Gott steht und der Mensch eher dazu neigt, gott-los zu leben, als im Vertrauen zu Gott. Suchen wir uns denn nicht täglich unsere eigenen Götter und landen damit immer wieder nur bei unseren Ideologien, Gedankengebäuden, die einen sehr schwankenden Grund haben, eine vom Menschen erdachte und gemachte Religion sind. Sport- Körper- und Schönheitskult, ewige Jugendlichkeit, - ein blinder, unreflektierter Nationalismus, ausgrenzender Rassenwahn, ein aggressiver, sich nie in Frage stellender Konfessionalismus sind Zeichen einer solchen Religion des Menschen, die oft wenig mit dem Gott der Bibel zu tun hat.

Und wir? Wir müssen damit leben, dass wir Kinder der Aufklärung sind, dass der Mensch gelernt hat, auch in Glaubensfragen selbst zu denken und zu entscheiden - und das ist gut so. Dennoch heißt es zu erkennen, dass es nicht nur einen religiösen Götzenkult gibt, sondern auch einen säkularen Kult der Vernunft und der Wissenschaft. [1] Wir hören doch jeden Tag davon, wie sehr wir an ethische oder moralische Grenzen stoßen, wie sehr in Frage steht, was für unendlich lange Zeit gültig war.

Was tut Jesus auf die Bitte seiner Jünger hin, ihnen den Glauben zu stärken? Er wendet sich ihnen zu, er redet mit ihnen, predigt und hilft ihnen, durch seine Nähe zu erstaunlichen Erfahrungen. In seiner Gegenwart geschieht, wovon er in unserem Text spricht. Er verwundert die Menschen durch seinen tiefverwurzelten Glauben an Gott, durch sein Wort, sein Handeln und hilft ihnen so, mit diesem Gott auch jenseits menschlicher Möglichkeiten und Fähigkeiten zu rechnen.

Darüber verändert sich das Leben. Man nimmt die kaputte Welt, die angefochtene Existenz nicht als das letzte Wort hin, sondern bekommt die Kraft, sie in ihren Möglichkeiten heilvoller wahrzunehmen und entsprechend zu handeln. Grenzen werden überwindbar, weil man sich selbst überwinden kann, bis dahin, einem anderen zu vergeben, wo ich selbst mich beleidigt, verletzt, gekränkt fühle. So versetzt der Glaube tatsächlich Berge, selbst wenn er klein wie ein Senfkorn ist. Es kommt nicht auf die Menge des Glaubens an, wer könnte und wollte das schon messen, als vielmehr auf die Art des Glaubens. Der Glaube von dem Jesus hier spricht, verlässt sich nicht auf seinen eigenen Verstand, sondern mit Herz und Verstand auf Gott.

So sind wir Christen, gerade auch in stürmischen Zeiten gefragt, wo wir unseren Glauben leben und wie wir es tun, woran ein anderer merken kann, dass es uns ernst ist mit diesem zuversichtlichen Glauben, den Jesus uns mit seinem Leben in seiner Zeit vorlebte? Was, und wie sagen wir etwas über unseren Glauben, was vermag er? Der Glaube, als eine vom Gefühl und Verstand begleitete Hilfe das Leben zu deuten und über sich selbst hinaus zu fragen, wird zu einer unfasslichen Kraft, wo wir die ersten kleinen Schritte der Auseinandersetzung wagen: die Bibel wieder einmal vorurteilslos in die Hand nehmen, über das Wort Gottes miteinander reden, Gottesdienst feiern, die Gemeinschaft der Glaubenden weltweit erfahren und nicht immer wieder nur von der Selbsttäuschung leben, dass wir selbst unser Leben meistern könnten. Da sind uns - wie wir es täglich erleben - enge Grenzen gesetzt. Wo der Glaube massenhaft und weltweit geteilt wird, da werden sich auch Politiker und Regierungen ihm nicht in ihren Entscheidungen entziehen können.

Machen wir eine Probe aufs Exempel, in dem wir uns gerade jetzt mit der beginnenden `Interkulturellen Woche des ausländischen Mitbürgers’ einmal kritisch fragen, wie wir mit anderen, auch fremden Menschen in unserer Mitte umgehen, was wir selbst dazu beitragen, dass unsere Stadt für sie heimatlich wird? Doch mit welchen Ängsten leben wir, oft allein gespeist aus unseren Vorurteilen, wie werden wir künftig den Moslems begegnen, die neben uns wohnen, arbeiten, mit unseren Kindern in der Schule sitzen, - nur, weil einige verblendete Terroristen Moslems sind und ihren moslemischen Glauben zu Taten missbrauchen, die sich durch nichts im Koran belegen und begründen lassen? Vergessen wir nicht, auch in der Bibel gibt es kämpferische Texte, und dennoch würde niemand von uns auf die Idee kommen, sie als eine Aufforderung zur Gewalt zu lesen. Das Vorbild Jesu gilt. Wer seinen Gott zum "Rechthaben" gegen andere Menschen, Religionen, Kulturen oder Rassen benutzt, hat noch nie mit dem Glauben Jesu angefangen. [2]

Daher werden wir mit unseren Konfirmanden versuchen, am Tag der Deutschen Einheit, die Moschee in Emmendingen oder Freiburg zu besuchen, um ein Zeichen zu setzen und damit zum Frieden unter uns beizutragen. So versetzt ein Senfkorn-kleiner Glaube Berge, weil er die Welt verändern hilft. Gott stärke uns alle in unserem Glauben, unserem Vertrauen, unserer Treue zu ihm und den Mitmenschen.
Amen.


Literatur:

  1. Hüffmeier, W., Calwer Predigthilfen, 2000/2001, Reihe V/2, Stuttgart 2001, S.156f
  2. Drewermann, E. Das Matthäusevangelium, Band 3, Düsseldorf 1995, S. 60

    Wurzbacher-Müller, F., Deutsches Pfarrerblatt, Heft 8/2001, 1999

Letzte Änderung: 04.10.2001
Pfr. Hanns-Heinrich Schneider